Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Urteil vom 05.04.1984; Aktenzeichen S 4 Kr 271/82) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. April 1984 – S 4 Kr 271/82 – wird insoweit zurückgewiesen, als festgestellt worden ist, daß die Klägerin zur leihweisen Weitergabe von Unterarmstockstützen an ihre Mitglieder nach Beendigung des Erstgebrauchs berechtigt ist.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) versorgt die bei ihr Versicherten mit Unterarmstockstützen als Hilfsmittel iS des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie gibt jährlich etwa 60 bis 80 neue Stockstützen grundsätzlich leihweise an die Versicherten ab.
Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Dezember 1982 auf, die Abgabe von Unterarmstockstützen an ihre Mitglieder zu unterlassen. Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt,
festzustellen, daß sie weiterhin berechtigt sei, Unterarmstockstützen an ihre Mitglieder abzugeben.
Das Sozialgericht (SG) hat dieser Klage stattgegeben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision der Beklagten. Sie hält den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. April 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Auf den Vorlagebeschluß des damals zuständigen 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS) entschieden:
Für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Anbietern des Fachhandels und den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung über die Zulässigkeit der Wiederverwendung der den Krankenkassen gehörenden Hilfsmittel und deren erneute Gebrauchsüberlassung an Leistungsberechtigte ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.
Der GmS hat ausgeführt, maßgebend für den Rechtsweg sei der Gegenstand der Streitigkeit. Im Ausgangsverfahren sei der Antrag der Klägerin nach der Auslegung durch den vorlegenden Senat des BSG auf die Feststellung gerichtet, daß der Beklagten der Unterlassungsanspruch, dessen sie sich berühmt hatte, nicht zustehe. Streitgegenstand einer solchen Klage sei das Rechtsverhältnis, dessen Nichtbestehen die Klägerin festgestellt wissen möchte, also der von der Beklagten geltend gemachte Unterlassungsanspruch. Im Rahmen dieses Anspruchs stehe das behauptete Wettbewerbsverhältnis zwischen der Klägerin und den Mitgliedern der beklagten Innung im Vordergrund. Der Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch nach § 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), auf den der Vortrag der Beklagten und das leugnende Vorbringen der Klägerin abzielen, sei bürgerlich-rechtlicher Natur. Daran ändere es nichts, daß das beanstandete Verhalten der Klägerin sich im Verhältnis zu ihren Mitgliedern als schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln darstelle und daß der Anspruch der Beklagten sich auf das Unterlassen einer hoheitlichen Tätigkeit richte.
Die Klägerin hat nach Wiederaufnahme des Rechtsstreits vor dem Senat zunächst beantragt, die Revision zurückzuweisen, soweit das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. April 1984 – S 4 Kr 271/82 – dem Feststellungsantrag, daß die Klägerin im Verhältnis zu ihren Mitgliedern und deren mitversicherten Familienangehörigen zur leihweisen Weitergabe nicht mehr benötigter Unterarmstockstützen berechtigt ist, stattgegeben hat.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
die Revision gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. April 1984 – S 4 Kr 271/82 – insoweit zurückzuweisen, als festgestellt worden ist, daß die Klägerin zur leihweisen Weitergabe von Unterarmstockstützen an ihre Mitglieder nach Beendigung des Erstgebrauchs berechtigt ist,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht zu verweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist mit der Maßgabe, die sich aus der Urteilsformel ergibt, nicht begründet. Es ist festzustellen, daß die Klägerin zu der noch streitigen leihweisen Weitergabe von Unterarmstockstützen als Hilfsmittel berechtigt ist.
Die Klage ist zulässig.
Für die Klage ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Der Rechtsweg bestimmt sich nach § 51 SGG idF durch die am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Bestimmung des Art 32 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 (Gesundheitsreformgesetz -GRG- BGBl I 2477). Für die Klage waren gemäß der Entscheidung des GmS zwar die Zivilgerichte zuständig. Das danach unzuständige BSG ist aber durch eine Rechtsänderung zuständig geworden. Durch eine Veränderung der die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit begründenden Umstände nach Eintritt der Rechtshängigkeit wird ihre Zuständigkeit nicht berührt (§ 94 Abs 3 SGG). Diese Bestimmung, nach der auch die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges trotz einer Rechtsänderung erhalten bleibt, ist indessen nicht umzukehren: Das unzuständige Gericht, bei dem die Klage anhängig ist, kann durch eine Rechtsänderung zuständig werden (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG § 94 RdNr 9; vgl auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur ZPO § 261 Anm 6 B). Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, daß neue Vorschriften über die Zulässigkeit des Rechtsweges als prozessuale Vorschriften auch auf schwebende Verfahren anzuwenden sind (BGH NJW 1965, 586, 587).
Der Rechtsweg für die Klage ergibt sich seit dem 1. Januar 1989 aus § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGG. Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) entstehen, aufgrund von Entscheidungen oder Verträgen der Krankenkassen oder ihrer Verbände, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Im Gegensatz zu § 51 Abs 1 SGG muß die Streitigkeit nach Absatz 2 Satz 1 SGG nicht öffentlich-rechtlicher Art sein (vgl BT-Drucks 11/3480 zu Art 29 = S 77). Bei der von der Klägerin begehrten Feststellung handelt es sich um eine Angelegenheit nach dem SGB V, die aufgrund von Entscheidungen der Krankenkassen entstanden ist. Die Art der Angelegenheit wird bei der negativen Feststellungsklage bestimmt durch den Anspruch des Beklagten, den der Kläger leugnet. Dieser von der Beklagten geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist Streitgegenstand der anhängigen Klage (GmS OGB Beschluß vom 29. Oktober 1987 – 4/86 – S 6). Bei der streitigen leihweisen Weiterabgabe handelt es sich um eine Maßnahme der Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln an die Versicherten und ihre Angehörigen, die der Kasse nach § 2 SGB V obliegt. Der Unterlassungsanspruch der Beklagten richtet sich gegen Entscheidungen der Krankenkasse. Zu den Entscheidungen in diesem Sinne gehören jedenfalls die Verwaltungsakte. Die Gewährung von Leistungen der Krankenkassen an die Versicherten nach dem SGB V erfolgt aufgrund von Verwaltungsakten, die nicht schriftlich zu ergehen brauchen (§ 33 Abs 2 SGB X). Insbesondere gilt dies für die leihweise Überlassung von Hilfsmitteln nach § 33 Abs 5 SGB V. Die Krankenkasse kann dem Versicherten Hilfsmittel leihweise überlassen. Damit ist notwendig eine Regelung des Einzelfalles verbunden (§ 31 SGB X). Sie besagt, daß der Versicherte das bestimmte Hilfsmittel zur Erfüllung seines Leistungsanspruchs erhalten soll; außerdem wird die Form der Leistung – nicht Übereignung, sondern leihweise Überlassung – bestimmt. Darin liegt gleichzeitig die Ausrichtung auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen, nämlich gegenüber dem Versicherten. Da die Beklagte die Klägerin aufgefordert hat, die beanstandete Selbstabgabe aufzugeben und die Klägerin diesem Anspruch entgegentritt, geht es im Rechtsstreit um die Berechtigung zu künftigen Maßnahmen der Leistungsgewährung; die Klägerin begehrt Feststellung ihrer Berechtigung zu künftigen Maßnahmen in Form von Verwaltungsakten.
Der Rechtsweg wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß nicht über ein Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihren Mitgliedern zu entscheiden ist. Die Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs 2 Satz 1 SGG gilt auch, soweit durch die Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Damit werden Rechtsstreitigkeiten erfaßt, in denen es um die Beeinträchtigung der Rechte Dritter durch Entscheidungen der Krankenkassen in Angelegenheiten des SGB V geht (zu Rechtswegfragen bei der Zulassung von Heil- und Hilfsmittelerbringern nach dem Gesundheitsreformgesetz s Spieß, SGb 1985, 5).
Zulässig ist die Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag. Weder die nach dem Beschluß des GmS zunächst erfolgte Umstellung des Klageantrags noch die spätere Wiederaufnahme des ursprünglichen Antrags erweisen sich als im Revisionsverfahren gemäß § 168 SGG unzulässige Klageänderungen. Die Klägerin hat nicht den Klagegrund geändert (§ 99 Abs 3 Nr 2 SGG), denn es ist im Rechtsstreit stets um denselben Lebenssachverhalt gegangen; neue Tatsachen hat die Klägerin zur Begründung ihrer geänderten Anträge nicht vorgetragen.
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern (§§ 2 Abs 2 bis 4, 126 ff SGB V) muß die Klägerin darum besorgt sein, daß die Unsicherheit über die Berechtigung zur streitigen leihweisen Weitergabe von Hilfsmitteln gegenüber der Beklagten ausgeräumt wird.
Die Klage ist begründet mit der Maßgabe, die sich aus der Urteilsformel ergibt. Der Beklagten steht kein Anspruch auf Unterlassung der streitigen Weitergabe zu. Der Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 1 UWG, denn die streitigen Maßnahmen der Klägerin sind nicht wettbewerbswidrig. Den Krankenkassen ist die leihweise Weitergabe von Hilfsmitteln sozialversicherungsrechtlich gestattet. Nach § 33 Abs 5 SGB V können sie den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. Sie sind danach ermächtigt, die Hilfsmittel leihweise selbst abzugeben (vgl BT-Drucks 200/88 S 174 zu § 33 Abs 6). Während in § 33 Abs 1 SGB V der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln geregelt ist, bestimmt das Gesetz in Absatz 5 ein Recht der Krankenkassen, die Hilfsmittel den Versicherten zu überlassen. Der Anspruch auf Versorgung besagt nicht notwendig, daß die Mittel dem Versicherten oder seinen Angehörigen übereignet werden müssen. Dem Versorgungsanspruch, der nach § 12 SGB V auf das Maß des Notwendigen beschränkt ist, kann vielmehr die leihweise Überlassung zum vorübergehenden Gebrauch genügen. § 33 Abs 5 Satz 1 SGB V brauchte deshalb nicht den Anspruch des Versicherten zu modifizieren. Da in der Bestimmung ein Recht der Krankenkasse formuliert wird, ist vielmehr die Selbstabgabe in Form der Leihe gerade ihr eigentlicher Gegenstand.
Die Bestimmungen der §§ 126, 127 SGB V stehen nicht entgegen. Danach dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden; über die Einzelheiten der Versorgung schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Leistungserbringer Verträge. In der Regel mag demgemäß den Krankenkassen eine eigene Leistungserbringung verwehrt sein (BTDrucks 11/3480 zu Art 29 Nr 3). Abweichende Vorschriften wie § 33 Abs 5 Satz 1 SGB V sind aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Ob und inwieweit auch die Errichtung neuer Eigeneinrichtungen zur leihweisen Selbstabgabe von Hilfsmitteln den Anforderungen des § 140 Abs 2 SGB V unterliegt, kann dahingestellt bleiben, denn die Klägerin hat die streitige Abgabe schon vor dem 1. Januar 1989 getätigt und ist daher zum Weiterbetrieb dieser „Eigeneinrichtung” ermächtigt (§ 140 Abs 1 SGB V).
Die Vorschrift des § 33 Abs 5 Satz 1 SGB V verstößt, indem sie zur Selbstabgabe in Form der Leihe ermächtigt, nicht gegen Art 12 GG. In seiner Entscheidung vom 18. Dezember 1981 hat der BGH zur Selbstabgabe von Brillen ausgeführt, es wäre ein Eingriff in die freie Betätigung selbständiger Berufe und nicht bloß eine zulässige Regelung der Berufsausübung, wenn es den gesetzlichen Krankenkassen völlig freistünde, ihrer Verschaffungspflicht selbst und ohne Rückgriff auf die bestehenden freien Berufe genügen zu können. Die schrankenlose Einrichtung von Selbstabgabestellen schließe die – zu Art 12 Abs 1 GG in Widerspruch stehende – Möglichkeit ein, vorhandene und nach Herkommen und Gesetz anerkannte selbständige Berufe faktisch nur noch als Angestelltenberufe ausüben zu können (BGHZ 82, 375, 390; vgl dazu aber auch BSG SozR 2200 § 182 Nr 112, insbesondere S 248). Gegenüber der schrankenlosen Einrichtung von Selbstabgabestellen ist die leihweise Weitergabe gebrauchter Hilfsmittel ein wesentlich geringerer Eingriff in den Tätigkeitsbereich der gewerblichen Hilfsmittellieferanten. Eine leihweise Weitergabe kommt keineswegs bei allen Hilfsmitteln in Betracht. Dem Versicherten muß die Übernahme eines von einer anderen Person benutzen Mittels zumutbar sein. Viele Mittel benötigt der Versicherte zum dauernden Gebrauch, so daß ebenfalls eine Weitergabe an andere Personen regelmäßig ausscheidet. Andere Mittel werden seinem Körper in einer nicht mehr rückgängig zu machenden Weise angepaßt (orthopädische Schuhe, Einlagen) und stehen für andere Versicherte nicht mehr zur Verfügung. Den gewerblichen Lieferanten bleibt ferner bei den für eine leihweise Überlassung in Betracht kommenden Hilfsmitteln die – wenn auch je nur einmalige – Leistung des Verkaufs vorbehalten, in deren Preis der Wert des Einkaufs, der Herstellung und der Vorhaltung enthalten ist. Der Leistung der einzelnen leihweisen Überlassung des Hilfsmittels kommt demgegenüber ein erheblich geringerer Wert und ein geringeres Gewicht zu. Als weitere Leistung im Zusammenhang mit der Abgabe gebrauchter Gegenstände kommt bei einzelnen Mitteln ihre Reparatur vor der Weitergabe und die Herrichtung für einen anderen Versicherten in Betracht. Diese Leistung wird aber von der begehrten Feststellung nicht erfaßt.
Aus allen diesen Gründen können die Mitglieder der Beklagten von der Klägerin nicht verlangen, daß sie die leihweise Weitergabe gebrauchter Hilfsmittel unterläßt. Die Klägerin ist zu dieser Weitergabe berechtigt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen