Leitsatz (amtlich)
Die Frist für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs eines Sozialhilfeträgers gegen die Krankenkasse beginnt bei Sachleistungen der Kranken- und Mutterschaftshilfe am Tag ihrer Bezahlung durch den Erstattungsberechtigten.
Orientierungssatz
Die Vorschriften der §§ 102ff SGB 10 gelten für Erstattungsansprüche, über die am 1.7.1983 beim Inkrafttreten des SGB 10 noch nicht rechtskräftig entschieden war, und zwar unabhängig davon, wann die Ansprüche entstanden sind.
Normenkette
SGB X § 104 Abs. 1, § 111; BSHG §§ 37-38; RVO § 1539; SGB X §§ 102, § 102 ff.; SGB X Art. 2 § 21
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 12.05.1986; Aktenzeichen S 19 Kr 150/85) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 11.06.1987; Aktenzeichen L 16 Kr 71/86) |
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Erstattungsanspruch des klagenden Sozialhilfeträgers wegen verspäteter Geltendmachung ausgeschlossen ist (§ 111 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - SGB X -).
Der Kläger stellte im zweiten und dritten Quartal 1982 Krankenscheine für kassenärztliche Behandlung und Mutterschaftsvorsorgescheine für die Ehefrau des Beigeladenen aus. Die aufgrund der Krankenscheine angefallenen Arzt- und Krankenhauskosten in Höhe von 2.399,15 DM bezahlte er im Mai 1983, die aufgrund der Mutterschaftsvorsorgescheine angefallenen Kosten im Oktober 1983 und im April 1984. Im März 1984 erfuhr er vom Arbeitsamt Bonn, daß es aufgrund eines gerichtlichen Anerkenntnisses zu einer Nachzahlung von Arbeitslosengeld (Alg) an den Beigeladenen für die Zeit vom 19. Januar 1982 bis zum 1. Juli 1982 kommen werde. Nach endgültiger Bewilligung der Leistung durch das Arbeitsamt im Juli 1984 meldete der Kläger seinen Erstattungsanspruch am 17. August 1984 bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) an. Die Beklagte lehnte die Befriedigung des Anspruchs wegen verspäteter Geltendmachung ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung des streitigen Betrages verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 104 SGB X. Zu den vom Kläger erbrachten Leistungen sei die Beklagte dem Beigeladenen vorrangig verpflichtet gewesen. Der Beigeladene sei nach § 155 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nicht erst mit der Zahlung des Alg, sondern bereits aufgrund des Anspruchs darauf am 19. Januar 1982 Mitglied der Beklagten geworden. Der Anspruch sei nicht nach der bis zum 30. Juni 1983 gültigen Bestimmung des § 1539 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF bzw nach der am 1. Juli 1983 in Kraft getretenen Bestimmung des § 111 SGB X ausgeschlossen. Die Frage, wann die Ausschlußfrist zu laufen beginne, könne für beide Bestimmungen - § 1539 RVO aF und § 111 SGB X - nur zum gleichen Ergebnis führen, denn durch § 111 SGB X sei nur die für den Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers geltende Ausschlußfrist des § 1539 RVO aF auf den gesamten Geltungsbereich des SGB ausgedehnt und von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert worden. Maßgebend für den Fristbeginn sei der Zeitpunkt, in dem die Leistung erbracht wurde. Im vorliegenden Fall bestehe jedoch die Besonderheit, daß zum Zeitpunkt der Übernahme der Kosten durch den Kläger die Bewilligung des Alg noch nicht erfolgt war, mithin ein Schwebezustand bestand. Der Gesetzgeber habe mit der Bestimmung des § 111 Satz 2 SGB X dem Umstand Rechnung getragen, daß Erstattungsansprüche auch Leistungen für Zeiträume umfassen, deren Ende bereits länger als 12 Monate zurückliegt. Dabei verstehe er unter Leistung die Leistung des Erstattungsberechtigten. Wenn sie verspätet erbracht werde, sei auch der Fristbeginn für den Erstattungsanspruch hinausgeschoben. Dieses Hinausschieben müsse erst recht gelten für die verspätete Leistungsbewilligung eines Dritten - hier des Arbeitsamtes -.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und macht geltend, das Urteil des LSG beruhe auf der rechtlich nicht haltbaren Annahme, erst die Bewilligung des Alg führe zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Arbeitslosen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1987 - L 16 Kr 71/86 - sowie das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12. Mai 1986 - S 19 Kr 150/85 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er beruft sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet. Ein Erstattungsanspruch des Klägers besteht nur in Höhe von 164,31 DM.
Auf den Erstattungsanspruch des Klägers finden die Vorschriften der §§ 102 ff SGB X Anwendung. Dies ergibt sich unabhängig von der Frage, wann der Anspruch entstanden ist, daraus, daß bei Inkrafttreten der Bestimmungen der §§ 86 ff SGB X am 1. Juli 1983 (Art II § 25 des SGB - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 -BGBl I 1450) über den Anspruch des Klägers noch nicht rechtskräftig entschieden war (vgl BSG SozR 1300 § 111 SGB X Nr 1). Der Erstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers gegenüber einem Leistungsträger der Krankenversicherung findet seine Grundlage in § 104 SGB X (BSG aaO). Zutreffend hat das LSG auch entschieden, daß die Voraussetzungen des § 104 SGB X erfüllt sind. Der Kläger, als nachrangig verpflichteter Leistungsträger, hat dem Beigeladenen Leistungen der Kranken- und der Mutterschaftshilfe erbracht, zu denen die Beklagte dem Beigeladenen gegenüber nach §§ 179, 182, 184 Abs 1, 196, 205 RVO vorrangig verpflichtet war. Auch die zeitliche Kongruenz der Ansprüche gegen den nachrangig und den vorrangig verpflichteten Leistungsträger ist gewahrt. Der Beigeladene war ab 19. Januar 1982 Mitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Arbeitslosen. Von diesem Tag an hat er iS des § 155 AFG Alg bezogen. Dafür genügt es, daß ein Anspruch auf Auszahlung der Leistung gegeben ist. Der Anspruch entsteht nicht etwa erst mit der behördlichen oder gerichtlichen zuerkennenden Entscheidung über ihn, sondern - auch bei rückwirkender Bewilligung - am ersten Tag des Zeitraums, für den die Leistung zu gewähren ist (BSG SozR 4100 § 159 AFG Nr 5). Soweit die Leistungen nach dem 1. Juli 1982 erbracht wurden, hat das LSG festgestellt, daß der Anspruch des Beigeladenen nach § 183 Abs 1 Satz 2 RVO oder § 214 RVO gegeben war.
In Höhe von 164,31 DM war der Erstattungsanspruch nicht bei Inkrafttreten der §§ 86 ff SGB X nach § 1539 RVO aF erloschen und ist auch nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen.
Die Frist des § 1539 RVO aF hat hinsichtlich der Erstattung von 164,31 DM nicht vor dem Außerkrafttreten dieser Bestimmung mit dem 30. Juni 1983 zu laufen begonnen. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe den Betrag von insgesamt 164,31 DM für Leistungen der Mutterschaftsvorsorge am 27. Oktober 1983 und am 26. April 1984 gezahlt. Der Senat kann die Angabe verwerten, da sie eindeutig und vom Kläger, der die Zahlungen selbst geleistet hat, nicht bestritten ist. Vor den genannten Tagen hat die Ausschlußfrist des § 1539 RVO aF nicht zu laufen begonnen.
Zeitpunkt des Ablaufs der Unterstützung iS des § 1539 RVO aF ist der Tag der Bezahlung der Leistungen der Kranken- oder Mutterschaftshilfe durch den Erstattungsberechtigten. Entschieden hat dies der Senat in einem Fall, in dem der Sozialhilfeträger die Kosten einer Krankenhausbehandlung nachträglich übernommen und sie alsbald bezahlt hat (BSG SozR § 1539 RVO Nr 3). Der Tag der Zahlung durch den klagenden Sozialhilfeträger ist aber auch im vorliegenden Fall maßgebend. Dagegen hat die Frist weder mit der Ausstellung der Mutterschaftsvorsorgescheine noch mit der Erbringung der entsprechenden Leistungen der Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen nach § 38 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) idF vom 20. Januar 1987 (BGBl I 401) an die Ehefrau des Beigeladenen begonnen. Diese Leistungen hat der Kläger allerdings als Sachleistungen geschuldet. Die Unterstützung iS des § 1539 RVO aF war aber nicht mit der Erbringung der Sachleistung an die Ehefrau des Beigeladenen abgelaufen. Der für den Fristbeginn nach § 1539 RVO aF erhebliche Begriff der Unterstützung bezeichnet die Leistungen des Sozialhilfeträgers nach den §§ 1531 ff RVO aF. In Betracht kommen also nur Leistungen der Sozialhilfeträger. Deshalb bedeutet Ablauf der Unterstützung, daß die Unterstützungshandlung des Sozialhilfeträgers beendet ist (RVA AN 1920, 415). Die Sozialhilfeträger erbringen diese Leistungen nicht selbst. In § 367a RVO ist ihnen mittelbar die Leistungserbringung über das öffentlich-rechtliche System der kassenärztlichen Versorgung eröffnet. Diesen Weg hat der Kläger zur Leistungserbringung an die Ehefrau des Beigeladenen beschritten. Nach § 367a RVO können die Krankenkassen die Krankenpflege für Sozialhilfeempfänger übernehmen, sofern ihnen Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines angemessenen Teils der Verwaltungskosten gewährleistet wird. Die Krankenkassen wirken ihrerseits mit den Ärzten und Zahnärzten zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung nach den Vorschriften der §§ 368a bis 368s RVO zusammen. Nach § 368n Abs 1 RVO haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) diese ärztliche Versorgung sicherzustellen. Die Leistungen werden von den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten bewirkt oder verordnet (vgl § 368e RVO). Zwischen diesen Ärzten und den Krankenkassen bestehen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen. Die Sozialhilfeträger sind an der Leistungserbringung durch den Aufwendungsersatz beteiligt. Erst wenn sie nach Abrechnung des Arztes gegenüber der KÄV und Leistung der Gesamtvergütung durch die Kasse dieser ihre Aufwendungen und einen angemessenen Teil der Verwaltungskosten erstatten, läuft damit die Unterstützung ab. Der Kläger hat den Aufwendungsersatz für die Mutterschaftsvorsorgeleistungen nicht vor dem 1. Juli 1983 geleistet, so daß die Frist des § 1539 RVO aF nicht zu laufen begonnen hatte.
Der Lauf der Frist des § 111 SGB X für den Erstattungsanspruch wegen der Vorsorgeleistungen hat jedenfalls nicht vor dem 27. Oktober 1983 begonnen. Vor diesem Tag ist der Erstattungsanspruch nicht entstanden. Der nachrangig verpflichtete Kläger hat die Leistungen der Mutterschaftshilfe frühestens am 27. Oktober 1983 erbracht (§ 104 SGB X) - ob statt dessen der 26. April 1984 maßgebend ist, braucht nicht entschieden zu werden -. Die Sozialleistung wird iS des § 104 SGB X nicht mit der Gewährung an den Berechtigten, sondern mit der Bezahlung der Kosten erbracht (Adami/Schroether in SGB/RVO Gesamtkommentar X § 111 SGB Anm 5; Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialleistungsträger vom 6. Dezember 1983 - DOK 1983, 326, 412). Für die Auslegung des § 104 SGB X kann auf die Begründung zu § 1539 RVO aF verwiesen werden. Schon im Wortlaut des § 104 SGB X kommt zum Ausdruck, daß es nicht auf die Erfüllung des Sozialleistungsanspruchs ankommt, sondern darauf, wann der Sozialleistungsträger die Leistung erbracht hat. Erbracht hat der Sozialhilfeträger die Sachleistungen der Kranken- und Mutterschaftshilfe nach §§ 37, 38 BSHG, wenn er die Leistungen bezahlt hat. Der Kläger hat die Leistungen der Mutterschaftsvorsorge erst mit der Bezahlung am 27. Oktober 1983 bzw 26. April 1984 erbracht, so daß am 17. August 1984 die einjährige Ausschlußfrist des § 111 SGB X noch nicht abgelaufen war.
Für die übrigen streitigen Leistungen hat dagegen das LSG zu Unrecht einen Erstattungsanspruch des Klägers für gegeben erachtet. Diese Leistungen hat der Kläger im Mai 1983 bezahlt. Die Frist des § 1539 RVO aF war daher bei Inkrafttreten der §§ 86 ff SGB X am 1. Juli 1983 noch nicht abgelaufen. Selbst wenn aber davon ausgegangen wird, daß am 1. Juli 1983 für den damals noch bestehenden Erstattungsanspruch die volle Frist des § 111 SGB X zu laufen begonnen hat, wäre diese Frist jedenfalls bei Geltendmachung am 17. August 1984 bereits abgelaufen gewesen. Ein späterer Zeitpunkt als der 1. Juli 1983 scheidet als Fristbeginn nach § 111 SGB X aus. Für keinen Tag nach dem 1. Juli 1983 sind hinsichtlich der Krankenhilfe Leistungen erbracht worden (§ 111 Satz 1 SGB X). Es fehlt an einem nach diesem Tage eingetretenen Ereignis, das für die Entstehung des Erstattungsanspruchs in Betracht kommen könnte. Dafür ist insbesondere nicht die - rückwirkende - Bewilligung des Alg maßgebend. Wenn im Zeitpunkt der Zahlung im Mai 1983 der "Bezug" des Alg, der die vorrangige Leistungspflicht der Beklagten begründete, noch nicht festgestellt war, so führt dieser "Schwebezustand" doch nicht zu einem Hinausschieben des Beginns der Frist nach § 111 SGB X. Die - rückwirkende - Bewilligung des Alg hat keine für die Entstehung des Erstattungsanspruchs auslösende Funktion. Ein Schwebezustand hat nur insoweit bestanden, als der Kläger nicht gewußt hat, daß dem Beigeladenen das Alg zustand. Durch dieses Nichtwissen wird aber nicht die Entstehung des Erstattungsanspruchs hinausgeschoben. Der Sozialhilfeträger kann seinen Erstattungsanspruch rechtzeitig in der Weise sichern, daß er sich vom Sozialhilfeempfänger den Antrag auf Alg mitteilen läßt und dementsprechend den Anspruch gegen die Krankenkasse vorsorglich geltend macht.
Die durch die Bezahlung der Leistungen aufgrund der Mutterschaftsvorsorgescheine am 27. Oktober 1983 und am 26. April 1984 in Lauf gesetzte Frist hat für die Leistungen der Krankenhilfe nicht gegolten. Insbesondere handelt es sich bei der Kranken- und der Mutterschaftshilfe für den Beigeladenen nicht um eine einzige Sozialleistung, die erst mit der Begleichung der letzten Rechnung erbracht worden wäre. Zwar hatte die Unterstützung iS des § 1539 RVO aF alle laufenden Zahlungen einer Dauerleistung erfaßt und auch zB alle laufenden Zahlungen im Rahmen der einheitlichen Ordnung der Materie des Kindergeldes (BSG 15. Juli 1969 - 1(12) RJ 454/67 -). Sogar die Unterstützung wegen mehrerer Krankheiten wurde als eine einheitliche Unterstützung angesehen (WzS 1961, 373). Die vom Kläger gezahlten Aufwendungen für die Krankenhilfe haben aber einen selbständigen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ausgelöst. Mit dieser Bezahlung war die Sozialleistung Krankenhilfe erbracht. Die Krankenhilfe nach §§ 179 Abs 1 Nr 2, 182 ff RVO ist eine andere Leistung als die Mutterschaftshilfe nach §§ 179 Abs 1 Nr 3, 195 ff RVO. Daran ändert es nichts, daß beide Leistungen in einer Quartalsabrechnung der KÄV gegenüber der Krankenkasse enthalten sein können. Sie sind jedenfalls im vorliegenden Fall vom klagenden Sozialhilfeträger getrennt voneinander bezahlt worden.
Aus diesen Gründen kann die Klage nur hinsichtlich der Mutterschaftshilfe, nicht aber hinsichtlich der Krankenhilfe, Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen