Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 09.06.1992) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Juni 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe der ab September 1989 zu entrichtenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung des Klägers.
Der 1936 geborene Kläger ist als Maurermeister und Inhaber eines Baugeschäfts selbständig erwerbstätig und freiwillig versichertes Mitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse. Nach seinen Angaben hatte er im Jahre 1988 ein Bruttoeinkommen von 17.783,90 DM. Mit Bescheiden von August, vom 15. September und vom 17. Oktober 1989 sowie mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1989 erhöhte die Beklagte ab 1. Juli 1989 die monatlichen Beiträge von bisher 206,26 DM auf 431,26 DM. Dazu berief sie sich auf § 240 Abs 2 des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) sowie auf eine Regelung in ihrer mit Wirkung vom 1. Juli 1989 geänderten Satzung, wonach bei selbständig Tätigen als beitragspflichtige Einnahmen mindestens die Einnahmen anzusetzen sind, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen wären, in der Regel mindestens 100 vH der monatlichen Bezugsgröße (dh 3.150,– DM). Dementsprechend seien der Beitragsbemessung die monatlichen Einnahmen zugrunde gelegt worden, die dem Arbeitslohn eines zum Vergleich herangezogenen vollbeschäftigten Werkpoliers im Baugewerbe entsprächen, nämlich monatlich 3.441,– DM.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) den Kläger aufgefordert, Einkommensteuerbescheide oder Gewinn- und Verlustrechnungen für die Zeit ab 1989 vorzulegen. Dem ist der Kläger nicht nachgekommen. Das LSG hat daraufhin der Berufung nur insoweit stattgegeben, als die Beiträge für Juli und August 1989 die Höhe von jeweils 206,26 DM übersteigen, im übrigen aber die Berufung zurückgewiesen. Die Beiträge von monatlich 446,26 DM müsse der Kläger ab September 1989 entrichten. Die Beklagte habe zwar die konkreten Einnahmen des Klägers feststellen müssen und nicht ohne weiteres die Einnahmen eines vergleichbar Beschäftigten heranziehen dürfen, weil letzteres mit § 240 SGB V nicht zu vereinbaren sei. Infolge der fehlenden Bereitschaft des Klägers, Einkommensunterlagen vorzulegen, habe die Beklagte jedoch die wirklichen Einnahmen des Klägers in analoger Anwendung des § 28f Abs 3 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) schätzen dürfen. Der ihr eingeräumte Ermessensspielraum sei insofern auf Null geschrumpft, als die zur Schätzung heranzuziehenden Einnahmen eines abhängig beschäftigten Maurerpoliers die unterste Grenze der Einnahmen darstellten, die – soweit ersichtlich – möglich seien.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 28f SGB IV, der nicht zu Lasten des Klägers analog angewendet werden dürfe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG und das Urteil des LSG sowie die Bescheide der Beklagten von August, vom 15. September und vom 17. Oktober 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 1989 insoweit aufzuheben, als ein monatlicher Beitrag über 206,26 DM festgesetzt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG im Ergebnis für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig, soweit darin für die Zeit ab September 1989 ein monatlicher Beitrag von 431,26 DM festgesetzt worden ist.
An einer Entscheidung in der Sache war der erkennende Senat nicht durch einen Verfahrensfehler des LSG gehindert. Die Revision hat weder eine Verfahrensrüge geltend gemacht, noch liegt ein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel vor. Das LSG hat zwar ausweislich der Gerichtsakten auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 1992 im Einvernehmen der Beteiligten das Urteil für den Fall beraten und beschlossen, daß der unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossene gerichtliche Vergleich widerrufen wird und das Urteil nach Widerruf des Vergleichs durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 1992 in einer – hinsichtlich der ehrenamtlichen Richter – anderen Besetzung der Richterbank verkündet. Ob ein derartiges „vorsorgliches” Beraten und Beschließen eines Urteils zulässig ist (bejahend: Dawin NVwZ 1983, 143; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, Komm, 9. Aufl, § 106 Rz 17; verneinend: Bay LSG in Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1963, B 85; OVG Münster NVwZ 1982, 378; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Komm, 4. Aufl, § 101 Rz 14) und ob bejahendenfalls ein anderer Spruchkörper als der, der das Urteil „vorsorglich” beraten und beschlossen hat, die Wirksamkeit des Widerrufs prüfen und feststellen darf, kann dahingestellt bleiben; denn selbst wenn es sich dabei um Verfahrensfehler handelt, machen diese weder das Verfahren als Ganzes unzulässig noch nehmen sie dem angefochtenen Urteil die Fähigkeit, Grundlage eines auf die Sache eingehenden Revisionsurteils zu sein und stellen somit keine von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensfehler dar (vgl BSGE 57, 15, 17 mwN = SozR 1500 § 31 Nr 3).
In der Sache hatte der Senat nur über die Wirksamkeit der angefochtenen Bescheide für die Zeit ab September 1989 zu entscheiden, da das Urteil des LSG hinsichtlich der Beiträge für Juli und August 1989 von der Beklagten nicht mit der Revision angegriffen worden ist. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte – somit vom 1. September 1989 an – den bis dahin geltenden früheren Beitragsbescheid, einen Bescheid mit Dauerwirkung (BSGE 69, 255 = SozR 3-1300 § 48 Nr 13), gemäß § 48 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) aufgehoben und die Beiträge neu geregelt. Hierzu war sie wegen einer wesentlichen Änderung in den rechtlichen Verhältnissen grundsätzlich berechtigt, weil der Gesetzgeber die Beitragserhebung für freiwillig Versicherte in § 240 SGB V neu geregelt und die Beklagte auf dieser Grundlage eine Satzungsregelung getroffen hatte.
Die mit Wirkung vom 1. Januar 1989 in Kraft getretene Vorschrift des § 240 SGB V sah in ihrer hier noch anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung im Gegensatz zum früheren für die gesetzlichen Krankenkassen (Pflichtkassen) geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung vor, daß für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt wurde (Abs 1 Satz 1). Dabei war sicherzustellen, daß die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigte (Abs 1 Satz 2). Die Satzung der Krankenkasse mußte mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten zugrunde zu legen waren (Abs 2 Satz 1). Die §§ 223 und 227, § 228 Abs 2, § 229 Abs 2 und § 243 Abs 2 SGB V galten entsprechend (Abs 2 Satz 2). Als beitragspflichtige Einnahmen galt für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (Abs 4). Die Satzung konnte auch Beitragsklassen vorsehen (Abs 5).
Aufgrund dieser gesetzlichen Vorschrift (§ 240 SGB V) hatte die Beklagte mit Wirkung vom 1. Juli 1989 in § 17 ihrer Satzung die Beitragsbemessung der freiwillig Versicherten neu geregelt. Absatz 1 dieser Bestimmung lautete: „Zu den beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder gehören Arbeitsentgelt sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung bis zum kalendertäglichen Betrag der Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung; als beitragspflichtige Einnahme gilt je Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße”. In Absatz 2 Buchst c der Bestimmung hieß es: „Für die Beitragsbemessung von freiwilligen Mitgliedern bestimmen sich die beitragspflichtigen Einnahmen nach folgenden Grundsätzen: … Für selbständig Tätige die Einnahmen zum Lebensunterhalt, mindestens die beitragspflichtigen Einnahmen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen wären, in der Regel mindestens 100 vH der monatlichen Bezugsgröße”.
Das LSG hat diese Satzungsbestimmungen dahingehend ausgelegt, daß der Beitragsbemessung des Klägers seine in der fraglichen Zeit konkret erzielten Einnahmen zugrunde zu legen waren. Diese Auslegung verstößt nicht gegen Bundesrecht. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 15. September 1992 (BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 9, demnächst auch in BSGE Bd 71) entschieden hat, ist bei der Beitragsbemessung freiwillig Versicherter ein Abstellen auf die Bezugsgröße oder die Bezüge vergleichbarer Arbeitnehmer wegen Verstoßes gegen § 240 SGB V jedenfalls insoweit unzulässig, als beim Versicherten höhere, über den Mindesteinnahmen des § 240 Abs 4 SGB V liegende Einnahmen unterstellt werden, als er wirklich hat. Hieraus folgt zwar, daß die „Mindestregelung” in § 17 Abs 2 Buchst c der Satzung der Beklagten gegen § 240 SGB V verstößt und mithin der Beitragsbemessung nicht zugrunde gelegt werden darf. Eine Beitragsbemessung nach den wirklich erzielten Einnahmen zum Lebensunterhalt, wie sie in § 17 Abs 1 der Satzung der Beklagten geregelt ist, steht dagegen nicht in Widerspruch zu bundesrechtlichen Bestimmungen und ist daher nicht zu beanstanden.
Allerdings hat die Beklagte nach ihrer damaligen, auf § 17 Abs 2 Buchst c der Satzung gestützten Rechtsauffassung eine Ermittlung der wirklichen Einnahmen des Klägers nicht für erforderlich gehalten und in den angefochtenen Bescheiden der Beitragsbemessung die Einnahmen eines vergleichbaren Arbeitnehmers zugrunde gelegt, ohne die zur Ermittlung der wirklichen Einnahmen erforderlichen Nachweise vom Kläger angefordert zu haben. Hierin liegt – entgegen der Auffassung des LSG – keine Schätzung der wirklichen Einnahmen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Krankenkasse – wie das LSG meint – bei der Beitragsbemessung freiwillig Versicherter in analoger Anwendung des § 28f Abs 3 Satz 2 SGB IV die beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten schätzen darf, wenn dieser die erforderlichen Angaben nicht rechtzeitig macht. Nach dieser Vorschrift kann die Einzugsstelle, wenn der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht rechtzeitig einreicht, das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß eingereicht wird. Unabhängig davon, ob man die analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Beitragsbemessung freiwillig Versicherter im Verwaltungsverfahren für zulässig erachten will, liegt in der von der Beklagten vorgenommenen Feststellung der Bemessungsgrundlage durch die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides deshalb keine Schätzung, weil Bescheide über Beitragsfestsetzungen nach Mindesteinnahmen wesentlich andere Verwaltungsakte darstellen als Bescheide über Beitragsfestsetzungen, die auf Schätzung beruhen, und weil die Bescheide nicht nach § 43 SGB X in diesem Sinne umgedeutet werden können.
Gleichwohl ist eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides mit der Begründung, zunächst müsse die Beklagte eine Schätzung vornehmen, hier nicht geboten. Wenn sich die im angefochtenen Bescheid für die Beitragshöhe gegebene Begründung im gerichtlichen Verfahren als unzutreffend erweist, hat das Gericht von sich aus zu prüfen und festzustellen, ob der geforderte Beitrag aus anderen Gründen rechtmäßig ist. Dabei ist jedenfalls bei freiwillig versicherten Selbständigen und unter den hier vorliegenden Verhältnissen eine vorherige Schätzung der beitragspflichtigen Einnahmen durch die Beklagte gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben. Vielmehr kann das Gericht, worauf der Senat den Kläger hingewiesen hat, nach den Regeln der Feststellungslast (Beweislast) entscheiden. Dieses führt zu dem auch vom LSG für Rechtens erkannten Ergebnis, daß die Beitragshöhe, der bei einem freiwillig versicherten Selbständigen lediglich die Einnahmen vergleichbarer versicherungspflichtig Beschäftigter zugrunde liegen (hier monatlich 3.441,– DM), rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 6. Februar 1974 (BSGE 37, 114 = SozR 2200 § 1399 Nr 1) allerdings die Aufhebung eines an einen vermeintlichen Arbeitgeber gerichteten Beitragsbescheids durch die Vorinstanz für Rechtens gehalten, weil die Versicherungspflicht einzelner Beschäftigter nicht mehr feststellbar war und die beklagte Einzugsstelle nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsätzen der objektiven Feststellungslast (Beweislast) die Folgen dieser Ungewißheit zu tragen hatte. In seinem Urteil vom 29. April 1976 (BSGE 41, 297 = SozR 2200 § 1399 Nr 4) hat der Senat dann jedoch ausgeführt, daß der Beweis der Richtigkeit einer Beitragsforderung als von der Einzugsstelle geführt anzusehen ist, wenn der Arbeitgeber schuldhaft Mitwirkungspflichten verletzt und dadurch die der Einzugsstelle obliegende Beweisführung zur Versicherungspflicht der Beschäftigten vereitelt. Nach dem weiteren Urteil des Senats vom 17. Dezember 1985 (BSGE 59, 235 = SozR 2200 § 1395 Nr 16) können Verletzungen der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber oder Manipulationen unter Umständen sogar zu einer Umkehr der Feststellungslast (Beweislast) führen. In Fortführung dieser Rechtsprechung hat auch im vorliegenden Verfahren der Kläger den Nachteil aus seiner Weigerung zu tragen, die für die Feststellung der beitragspflichtigen Einnahmen erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Denn auch wenn die Feststellungslast (Beweislast) für die Beitragshöhe grundsätzlich die beklagte Krankenkasse trifft, so muß etwas anderes gelten, soweit sie die für die Beitragshöhe maßgeblichen Einnahmen nur durch Angaben des Versicherten erfahren kann, dieser sie aber verweigert. So liegt es hier. Einer Krankenkasse, der die beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten unbekannt sind, ist es wegen § 30 Abs 4 und 5 der Abgabenordnung versagt, Einkommensunterlagen vom zuständigen Finanzamt anzufordern oder sonst von dritter Seite Auskünfte einzuholen. Sie ist daher darauf angewiesen, daß ihr der Versicherte die Einnahmen anhand des jeweils neuesten Einkommensteuerbescheides (vgl BSGE 57, 240 = SozR 2200 § 180 Nr 20; BSGE 68, 24 = SozR 3-2400 § 26 Nr 3) und ergänzend dazu durch eine von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater aufgestellte Gewinn-und Verlustrechnung nachweist. Sind solche Unterlagen vorhanden und verweigert der Versicherte die Vorlage, macht er damit der Krankenkasse die Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen unmöglich. Davon hat der Versicherte den Nachteil zu tragen. Er kann dann nicht mit Erfolg geltend machen, daß die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Einnahmen zu hoch angesetzt seien.
Im vorliegenden Verfahren ist zuletzt nur noch über die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen für die Zeit vom 1. September 1989 an zu entscheiden. Das LSG hat den Kläger aufgefordert, entsprechende Einkommensteuerbescheide oder Gewinn- und Verlustrechnungen vorzulegen. Da er dieses verweigert hat, ist er so zu stellen, wie wenn die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Einnahmen zutreffend sind.
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen