Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerpflegebedürftigkeit. häusliche Pflegehilfe. Pflegegeld. Verrichtungen. Gleichstellungssachverhalte. Querschnittlähmung. Querschnittgelähmter. Gruppenzugehörigkeit. Umlagern. Pflegebedarf. Hilfebedarf

 

Leitsatz (amtlich)

  • Hinsichtlich der Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit ist ein Hilfebedarf sehr hoch, wenn der Versicherte bei 14 oder mehr Verrichtungen des täglichen Lebens aus einem Katalog von derzeit 18 Verrichtungen der Hilfe einer anderen Person bedarf. Dasselbe gilt, wenn ein Hilfebedarf nur bei 9 bis 13 dieser Verrichtungen besteht, aber insgesamt bei Berücksichtigung von zeitlichem Umfang und Belastung der Pflegeperson dem Bedarf entspricht, der üblicherweise mit einem Hilfebedarf bei 14 oder mehr Verrichtungen verbunden ist (Anschluß an BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 4).
  • Gehört der Behinderte einer Gruppe an, der Pflegezulage nach den Stufen 4 bis 6 des § 35 BVG zusteht, wie dies bei Querschnittlähmung mit Mastdarm- und Blasenlähmung der Fall ist, so ist der konkret festzustellende Hilfebedarf, wenn er 9 oder mehr dieser Verrichtungen betrifft, in der Regel als sehr hoch zu bewerten (Fortführung von BSGE 72, 261 = SozR 3-2500 § 53 Nr 2).
 

Normenkette

SGB V §§ 53, 55, 57; BVG § 35

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.11.1992; Aktenzeichen L 4 Kr 96/92)

SG Stuttgart (Urteil vom 06.12.1991; Aktenzeichen S 17 Kr 2126/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. November 1992 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist eine Geldleistung wegen Schwerpflegebedürftigkeit.

Der 1973 geborene Kläger ist seit Geburt querschnittsgelähmt mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Er kann in der Wohnung nur einige Schritte an Krücken gehen und ist überwiegend auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Vom Kreissozialamt erhält er eine laufende Leistung im Rahmen der häuslichen Pflege nach § 69 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Ende Januar 1991 beantragte er die Gewährung von monatlich 400,-- DM anstelle einer häuslichen Pflegehilfe, da er die Pflege durch eine Pflegeperson, nämlich seine Mutter, sicherstellen könne. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) lehnte nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst und Feststellung des Vorhandenseins der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen die beantragte Leistung ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien (Bescheid vom 3. Mai 1991; Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 1991). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 6. November 1992).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe Schwerpflegebedürftigkeit verneint, weil er noch in der Lage sei, sich Gesicht und Hände selbst zu reinigen, die Zähne zu putzen, sich zu kämmen und zu rasieren. Damit habe das LSG die Hürde für die Anspruchsberechtigung zu hoch angesetzt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. Mai 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 1991 zu verpflichten, dem Kläger ab 1. Januar 1991 eine monatliche Geldleistung von 400,-- DM wegen Schwerpflegebedürftigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung begründet. Der Senat kann aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, ob Schwerpflegebedürftigkeit iS des § 53 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch -(SGB V) vorliegt, wie sie nach Erlaß des Berufungsurteils vom 6. November 1992 in den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Juni 1993 – 1 RK 17/92 – (SozR 3-2500 § 53 Nr 2) und vom 30. September 1993 – 4 RK 1/92 – umschrieben wurde.

1. Nach § 53 Abs 1 SGB V erhalten Versicherte, die nach ärztlicher Feststellung wegen einer Krankheit oder Behinderung so hilflos sind, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in sehr hohem Maße der Hilfe bedürfen (Schwerpflegebedürftige) häusliche Pflegehilfe. Nach § 57 Abs 1 SGB V kann die Krankenkasse schwerpflegebedürftigen Versicherten auf ihren Antrag anstelle der häuslichen Pflegehilfe einen Geldbetrag von 400,-- DM je Kalendermonat zahlen, wenn die Schwerpflegebedürftigen die Pflege durch eine Pflegeperson in geeigneter Weise und in ausreichendem Umfang selbst sicherstellen können.

2. Der 1. Senat hat in dem eingangs angeführten Urteil vom 8. Juni 1993 (aaO), das ebenfalls eine Querschnittslähmung mit Mastdarm- und Blasenlähmung betrifft, entschieden, daß die Zugehörigkeit zu einer Behindertengruppe, der die Pflegezulage des § 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG} nach den Stufen 4 bis 6 zusteht, wie das bei der Gruppe der Querschnittsgelähmten mit Blasen- und Mastdarmlähmung der Fall ist, ein Anzeichen für das Vorliegen von Schwerpflegebedürftigkeit sei. Der 4. Senat hat in seinem Urteil vom 30. September 1993 (aaO) die für die Beurteilung der Schwerpflegebedürftigkeit erforderlichen Tatsachenfeststellungen unabhängig von einer Zugehörigkeit zu einer der genannten Behinderungsgruppen nach Maßgabe des Pflegebedarfs im Tagesablauf umschrieben. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und faßt sie dahin zusammen, daß auch bei der Zugehörigkeit zu einer der genannten Behinderungsgruppen die vom 4. Senat nach Maßgabe eines Punktekatalogs geforderten Feststellungen zu treffen sind. Die Gruppenzugehörigkeit ist erst bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das widerspricht nicht dem Inhalt des angeführten Urteils des 1. Senats vom 8. Juni 1993. Der 1. Senat hat nicht entschieden, daß Querschnittsgelähmte mit Blasen- und Mastdarmlähmung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls immer schwerpflegebedürftig sind. Der 1. Senat legt in seiner Entscheidung die Verweisung der amtlichen Begründung zu § 53 SGB V (BT-Drucks 11/2237 S 183 zu § 52 Abs 1 des Entwurfs) auf bestimmte, im Entschädigungsrecht berücksichtigte Gruppen von Behinderungen und auf die dazu bestehende Praxis als weitere Orientierungshilfe im einzelnen dar und meint sodann: “Wenn danach das Beschädigtenrecht und – ihm folgend – das Sozialhilferecht Querschnittsgelähmte mit den beschriebenen weiteren Lähmungen ungeachtet der Besonderheiten des konkreten Falls der Pflegestufe 5 zuordnet, so ist dies ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, daß gemäß § 53 Abs 1 SGB V von einer Schwerpflegebedürftigkeit selbst dann noch auszugehen ist, wenn die Pflegebedürftigkeit im konkreten Fall nach dem Maß der tatsächlich erforderlichen Pflege nur der Pflegestufe 4 zuzuordnen wäre.” Gleichwohl hat der 1. Senat in dem damals beurteilten Fall die vom LSG vorgenommene Gesamtabwägung, die unter Berücksichtigung der Verrichtungen des Grundbedarfs und der Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs zur Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit geführt hatte, eingehend überprüft. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, daß auch nach seiner Auffassung die Feststellung der Gruppenzugehörigkeit allein nicht ausreicht.

3. Ob der Kläger einen Pflegebedarf hat, der nach allgemeinen Grundsätzen, wie sie vom 4. Senat in der eingangs angeführten Entscheidung entwickelt wurden, Schwerpflegebedürftigkeit begründet, kann der Senat aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen. “Schwerpflegebedürftig” ist, wie schon vom 1. und 4. Senat ausgeführt, ein gerichtlich voll überprüfbarer Rechtsbegriff. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind an den Inhalt der Richtlinien zur Abgrenzung des Personenkreises der Schwerpflegebedürftigen vom 9. August 1989 (BABl 1989 S 43 = BKK 1989 S 595 f, abgedruckt bei Hauck/Haines, SGB V, C 400), rechtlich nicht gebunden. Es handelt sich dabei um Richtlinien, die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen aufgrund der ihnen in § 53 Abs 3 SGB V auferlegten Verpflichtung, gemeinsam und einheitlich Richtlinien zur Abgrenzung des Personenkreises der Schwerpflegebedürftigen zu beschließen, erlassen wurden, und um ergänzende Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen, insbesondere die Begutachtungsanleitung bei Schwerpflegebedürftigkeit vom 8. Oktober 1990 (BKK 1990, 706 ff) sowie um ein gemeinsames Rundschreiben vom 28. November 1990 (Die Leistungen 1991, 4 ff). Bei der Beurteilung des Pflegebedarfs sind neben den Verrichtungen des Grundbedarfs in Abweichung von den Richtlinien auch Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs zu berücksichtigen. Dies ergibt sich, wie in den genannten Entscheidungen bereits dargelegt worden ist, vor allem aus § 55 Abs 1 Satz 3 SGB V.

Der 4. Senat hat einen Katalog von “derzeit” 18 Verrichtungen und von bestimmten Gleichstellungssachverhalten entwickelt. Dieser Katalog ist auch nach Auffassung des erkennenden Senats zur Zeit geeignet, den gesamten Pflegebedarf im Tagesablauf zu ermitteln und eine gleichmäßige Handhabung des Begriffs der Schwerpflegebedürftigkeit zu ermöglichen.

  • Hiernach ist zu prüfen, ob der Versicherte zu Folgendem ohne Hilfe einer anderen Person fähig ist:
  • Verrichtungen des Grundbedarfs:

    1. Aufstehen/Zubettgehen, 2. Gehen, 3. Stehen, 4. Treppensteigen, 5. Waschen oder Duschen oder Baden, 6. Mundpflege, 7. Haarpflege, 8. An und Auskleiden, 9. Nahrungsaufnahme, 10. Nahrungszubereitung, 11. Benutzung der Toilette, 12. Sprechen, 13. Sehen, 14. Hören.

  • Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs:

    15. Einkauf von Nahrungs- und Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens, 16. Wohnungsreinigung, 17. Reinigung und Pflege der Wäsche, 18. Sonstige hauswirtschaftliche Arbeiten (zB Reinigung von Haushaltsgegenständen; Einräumen von Wäsche, Geschirr etc; Versorgung der Heizung).

Der 4. Senat hat die in den Richtlinien genannte Verrichtung des “Umlagerns” (gemeint ist eine selbständige Veränderung der eigenen Körperhaltung im Bett oder auf einem Stuhl) nicht in den Katalog übernommen. Der erkennende Senat vermag der hierfür maßgebenden Begründung nicht zu folgen, wonach “Umlagern” deshalb nicht als eine für den Hilfebedarf erhebliche Verrichtung anzusehen ist, weil sie bei Gesunden nicht anfällt. Zwar ist bei Gesunden grundsätzlich eine von einer anderen Person vorgenommene oder unterstützte Lageveränderung nicht erforderlich; dies hat seinen Grund darin, daß ein Nichtbehinderter einen physiologisch notwendigen Lagewechsel im Liegen oder Sitzen ohne weiteres selbsttätig ausführen kann. Ist ein Behinderter hierzu nicht in der Lage, so muß die ausfallende Körperfunktion von einer Pflegeperson ausgeführt werden. Dies gibt dem erkennenden Senat jedoch keine Veranlassung, den Katalog der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens um diesen Punkt zu erweitern. Der Katalog dient der Erfassung der Auswirkungen der Funktionsdefizite des Hilfebedürftigen im Tagesablauf. Hierzu wird der Tagesablauf in Bereiche aufgeteilt, die jeweils durch typische Verrichtungen gekennzeichnet werden. Um einen Lebensbereich zu kennzeichnen, in dem der Behinderte auf Hilfe angewiesen ist bzw noch selbständig tätig werden kann, ist das Umlagern ein ungeeignetes Kriterium. Die übrigen in den Katalog aufgenommenen Bereiche weisen jeweils eine gewisse Selbständigkeit auf, so daß ein Hilfebedarf in einem Bereich sich nicht notwendig auch auf andere Bereiche auswirkt. Umgekehrt besagt die Fähigkeit, in einem Bereich ohne fremde Hilfe auszukommen, daß der Pflegebedürftige in einem gewichtigen Bereich selbständig ist. Besteht ein Hilfebedarf bei der Veränderung der eigenen Körperhaltung im Bett oder auf einem Stuhl, so ist dies in der Regel mit einem Hilfebedarf bei fast allen der aufgelisteten Verrichtungen verbunden. Die Fähigkeit, die Körperlage zu verändern, kommt einer Vitalfunktion nahe. Die Zusammenfassung des insoweit breit gefächerten Hilfebedarfs auf den einen Punkt “Umlagern” würde die Spannbreite der Leistungseinbuße verdecken. Überdies ist mit einem Hilfebedarf beim Umlagern regelmäßig ein intensiver Pflegebedarf verbunden, der ohnehin im Rahmen der Gleichstellungssachverhalte zu berücksichtigen ist. Der Hilfebedarf beim Umlagern wird damit in aller Regel zur Annahme der Schwerpflegebedürftigkeit führen. Umgekehrt erscheint es nicht gerechtfertigt, daß sich die Fähigkeit zum selbständigen “Umlagern” als selbständig zu meisternder Lebensbereich gleichsam negativ auswirkt.

Schwerpflegebedürftig ist, wie schon vom 4. Senat entschieden, wer

  • bei 14 oder mehr Verrichtungen des täglichen Lebens aus dem genannten Katalog von derzeit 18 Verrichtungen im wesentlichen krankheits- und behinderungsbedingt der Hilfe einer anderen Person bedarf

    oder

  • neben einem Hilfebedarf bei 9 bis 13 dieser Verrichtungen beim Vorliegen besonderer Gleichstellungssachverhalte einen entsprechenden Gesamtpflegebedarf hat.

Für die Feststellung, daß der Versicherte bei mindestens 9 Verrichtungen fremder Hilfe bedarf, kommt es auf die Intensität der erforderlichen Hilfe nicht an, sofern die Hilfeleistung nicht völlig unbedeutend ist. Nur wenn bei mehr als 8 der genannten Verrichtungen ein Hilfebedarf auftritt, ist eine Gesamtabwägung erforderlich, die auch die Intensität der jeweils erforderlichen Hilfeleistung berücksichtigt.

Nach den Richtlinien der Spitzenverbände vom 9. August 1989 bedeutet Schwerpflegebedürftigkeit, “daß die Person in der Regel in nahezu allen Bereichen (4.1) regelmäßig auf intensive Hilfe angewiesen ist” (Nr 5, 2). Die Schwerpflegebedürftigkeit erfordert nach dieser Umschreibung einen weit höheren Pflegebedarf als nach den oben dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung. Nach der Umschreibung der Richtlinien wäre in der Fallgruppe der Querschnittsgelähmten mit Mastdarm- und Blasenlähmung in der Regel Schwerpflegebedürftigkeit zu verneinen. Die vom 1. Senat aufgezeigte Bedeutung, die der Gesetzgeber der Gruppenzugehörigkeit beigemessen hat, zeigt, daß der Gesetzgeber so hohe Anforderungen nicht stellen wollte.

Der Senat stimmt der Auffassung des 4. Senats auch insoweit zu, als bei der Prüfung, ob zumindest bei 9 Verrichtungen Hilfe benötigt wird, alle genannten Verrichtungen gleichwertig sind und ihr unterschiedliches Gewicht erst bei einer Hilfsbedürftigkeit in mindestens 9 Verrichtungen im Rahmen der Gleichstellungssachverhalte berücksichtigt wird. Dem gegenüber schreiben die Richtlinien zu allgemein und damit nicht konkret nachprüfbar vor, die Verrichtungen seien, da untereinander nicht gleichwertig, entsprechend den Verhältnissen des Einzelfalles unterschiedlich zu bewerten (5, 2). Auch insoweit folgt der Senat der bisherigen Rechtsprechung.

Das LSG hat zum Pflegebedarf festgestellt, der Kläger brauche ständig fremde Hilfe beim Treppensteigen, beim selbständigen Stehen, bei der Reinigung des ganzen Körpers durch Duschen oder Baden, bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen und bei der Zubereitung der Mahlzeiten. Nicht ständig, aber doch zum Teil häufiger müsse ihm beim Umsteigen vom Rollstuhl ins Bett und umgekehrt, beim An- und Auskleiden sowie beim Verrichten der Notdurft geholfen werden, während er zum Reinigen des Gesichts und der Hände, zum Zähneputzen, Kämmen und Rasieren ebenso wie zur Nahrungsaufnahme und zur Kommunikation praktisch keine fremde Hilfe benötige. Er sei auch im Bereich der Mobilität nicht in sehr hohem Maße auf fremde Hilfe angewiesen, da er sich mit Hilfe der beiden ihm zur Verfügung stehenden Rollstühle weitgehend selbständig frei bewegen und sich auch darin umsetzen und umlagern könne.

Nach diesen Feststellungen bedarf der Kläger fremder Hilfe zu den oben angeführten Positionen 1 bis 5, 8, 10 und 11 (also in 8 Positionen). Er bedarf keiner Hilfe zu den Positionen 6, 7, 9 und 12 bis 14 (6 Positionen). Zu den Positionen 15 bis 18 fehlen Feststellungen (4 Positionen). Zur Position 15 bleibt offen, ob die nach dem Tatbestand vom Kläger behaupteten Schwierigkeiten beim Einkaufen als bewiesen angesehen werden. Desgleichen fehlen Feststellungen zu den Behauptungen des Klägers, er könne das Bett nicht machen, seine Wäsche nicht waschen und wegen einer Störung der Feinmotorik nicht spülen. Das LSG hat zwar eine vorhandene Stuhl- und Harninkontinenz festgestellt; daraus ergibt sich aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit, daß der Kläger zur Beseitigung der Folgen fremder Hilfe bedarf.

Es besteht somit je nach den zu den offenen Positionen zu treffenden Feststellungen die Möglichkeit, daß es beim festgestellten Bedarf fremder Hilfe in 8 Positionen verbleibt, was Schwerpflegebedürftigkeit ausschließt, oder daß ein Bedarf in mehr als 8 Positionen anzuerkennen ist.

4. Die Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit kann nicht unabhängig von den ausstehenden Feststellungen begründet werden, insbesondere nicht mit der Überlegung, daß der vom 1. Senat des BSG als schwerpflegebedürftig angesehene Querschnittsgelähmte noch selbst Auto fahren konnte, während der Kläger vergleichsweise hilfsbedürftiger zu sein scheint. Der Senat vermag den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen, daß der Kläger den bei Querschnittsgelähmten mit Blasen- und Mastdarmlähmung üblichen Pflegebedarf hat. Das LSG hat allerdings auch nicht das Gegenteil ausdrücklich festgestellt, noch ergeben sich aus Einzelfeststellungen Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in bestimmten Punkten weniger Pflegebedarf als andere Querschnittsgelähmte hat. Nicht einmal der Gesamtzusammenhang des angefochtenen Urteils läßt mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, daß der Kläger das übliche Leidensbild aufweist und durch die abschließend vom LSG erwähnten Koordinationsstörungen noch zusätzlich behindert ist. Es bedarf deshalb keiner Prüfung, ob einer solchen pauschalen Feststellung mittelbar Feststellungen zu den offenen Verrichtungen mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden könnten.

Sollten die Feststellungen des LSG ergeben, daß der Kläger bei 9 bis 13 Verrichtungen fremder Hilfe bedarf, so sind Feststellungen insbesondere zum zeitlichen Umfang des Pflegebedarfs und der körperlichen und psychischen Belastung der Pflegeperson zu treffen, wie dies auch der 4. Senat zu den Gleichstellungssachverhalten fordert. Insoweit erscheint insbesondere klärungsbedürftig, ob und in welchem Umfang der Kläger aufgrund der Inkontinenz bei der Körperreinigung Hilfe benötigt, er außerdem Wäsche beschmutzt und welcher Hilfebedarf für das Reinigen dieser Wäsche anfällt.

Das LSG wird in der abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 913314

Breith. 1994, 889

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