Leitsatz (amtlich)
Hat die Krankenkasse einer Versicherten, der im unmittelbaren Anschluß an den Bezug des Arbeitslosengeldes Wochenhilfeleistungen (RVO § 195a) gewährt worden sind, nach Abschluß der Wochenhilfe Krankengeld zu zahlen, so besteht während dieser Zeit ihre Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Arbeitslosen nach AVAVG § 107 S 2 iVm RVO § 31 fort. Die BfArb hat daher der Krankenkasse das Krankengeld nach AVAVG § 109 Abs 2 zu erstatten.
Normenkette
AVAVG § 107 S. 2 Fassung: 1957-04-03, § 108 Fassung: 1957-04-03, § 109 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03; RVO § 195a Fassung: 1957-07-26, § 311 Fassung: 1929-05-18
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Das Arbeitsamt Neuß-Grevenbroich bewilligte mit Verfügung vom 30. Januar 1958 der damals arbeitslosen M H Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für 234 Wochentage. Dieses wurde ihr für die Zeit vom 28. Januar 1958 bis zum 24. Februar 1958 ausgezahlt. Vom 25. Februar 1958 an zahlte die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse Grevenbroich (AOK) Wochengeld nach § 195 a der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Versicherte ist am 15. April 1958 niedergekommen. Während des anschließenden Bezuges des Wochengeldes erkrankte sie und war arbeitsunfähig. Die Klägerin zahlte ihr daraufhin nach Abschluß der Wochenhilfeleistungen in der Zeit vom 28. Mai 1958 bis zum 17. Juni 1958 Krankengeld in Höhe des Arbeitslosengeldes (§ 110 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -), und zwar insgesamt 63,90 DM.
Die Klägerin beantragte beim Arbeitsamt Neuß-Grevenbroich die Erstattung dieses Betrages nach § 109 Abs. 2 AVAVG. Die Erstattung wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die Arbeitslose mit Gewährung der Wochenhilfe aus dem Leistungsbezuge beim Arbeitsamt ausgeschieden sei. Da die Krankenkasse das Krankengeld nach § 311 RVO geleistet habe, bestehe keine Erstattungspflicht der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb). Die Erstattung setze voraus, daß die Arbeitslose während des Bezuges des Hauptbetrages erkranke, da sie nur während dieser Zeit zu Lasten der BfArb für den Fall der Krankheit versichert sei.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit dem Antrage,
die Beklagte zu verurteilen, ihr im Falle der Magdalene H 63,90 DM zu erstatten.
Sie ist der Auffassung, die Arbeitslose sei schon deshalb nicht aus dem Leistungsbezuge beim Arbeitsamt ausgeschieden, weil während des Bezuges von Wochen- und Krankengeld ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld nur geruht habe (§ 77 AVAVG).
Das SG verurteilte die Beklagte antragsgemäß und ließ die Berufung zu (Urteil vom 5. Dezember 1960). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 13. Juni 1961 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei nach § 109 Abs. 2 AVAVG begründet. Ein ruhender Anspruch könne zwar nicht dem Bezuge einer Leistung im Sinne der §§ 107, 108 AVAVG gleichgestellt werden. Die Ansicht der Beklagten, sie habe nur die Leistungen zu erstatten, die die Krankenkasse anläßlich eines während des Bezuges des Hauptbetrages eingetretenen Versicherungsfalles zu erbringen habe, laufe jedoch dem vom Gesetz beabsichtigten Zwecke zuwider. Der Gesetzgeber habe die nach § 109 Abs. 1 AVAVG zu entrichtenden Beiträge und die nach § 109 Abs. 2 AVAVG zu leistenden Beträge zusammen als angemessene Gegenleistung für die von den Krankenversicherungsträgern durchzuführende Krankenversicherung der Arbeitslosen angesehen. Hieraus ergebe sich, daß die BfArb einem Krankenversicherungsträger dann die in § 109 Abs. 2 AVAVG genannten Barauslagen zu erstatten habe, wenn sie aus Anlaß der Pflichtversicherung der Arbeitslosen nach § 107 AVAVG entstanden seien. Das treffe jedenfalls in den Fällen des § 311 RVO zu, der auch die nach § 107 AVAVG begründete Mitgliedschaft aufrechterhalte. Wollte man den Erstattungsanspruch auch in einem solchen Falle ablehnen, so würden die Krankenkassen nicht das für die Durchführung der Arbeitslosenkrankenversicherung vorgesehene Äquivalent, sondern nur die nach § 109 Abs. 1 AVAVG geminderten Beiträge erhalten. Man würde sie dann mit einem Risiko belasten, das ihnen der Gesetzgeber in diesem Umfange nicht habe aufbürden wollen.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Düsseldorf vom 5. Dezember 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihrer Revision trägt sie vor: In der Krankenversicherung der Arbeitslosen richteten sich Beginn und Ende der Mitgliedschaft nach dem Bezuge des Hauptbetrages. Soweit die Arbeitslose auf Grund der während des Wochengeldbezuges eingetretenen Erkrankung Anspruch auf Krankengeld gehabt habe, sei dieser Anspruch allein nach § 311 RVO begründet. Eine Nachwirkung des Versicherungsverhältnisses nach § 107 AVAVG könne durch § 311 RVO schon deshalb nicht bewirkt worden sein, weil die Arbeitslose die nach § 195 a Abs. 1 RVO erforderlichen Vorversicherungszeiten in der Krankenversicherung der Arbeitslosen nicht erfüllt habe.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte verkenne den Unterschied zwischen Versicherung und Mitgliedschaft. Eine an den Bezug des Hauptbetrages anschließende Mitgliedschaft nach § 311 RVO könne nur auf der Krankenversicherung der Arbeitslosen beruhen. Bei der Regelung des § 109 Abs. 2 AVAVG handele es sich um eine beitragsrechtliche Vorschrift. Die Ablehnung der Erstattungspflicht führe zur Belastung der Krankenkasse mit einem Risiko, das von vornherein nicht durch die Beitragsleistung abgedeckt wäre.
II.
Die Revision der beklagten BfArb ist nicht begründet.
Zutreffend hat das LSG den Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 109 Abs. 2 AVAVG als gerechtfertigt angesehen. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Mitgliedschaft der Magdalene Huth in der Krankenversicherung der Arbeitslosen auch während des Krankengeldbezuges nach § 311 RVO fortbestanden.
§ 108 Abs. 1 Satz 2 AVAVG geht zwar davon aus, daß sich nach dem Bezuge des Hauptbetrages insbesondere Beginn und Ende der Mitgliedschaft richten. Diese Vorschrift kann jedoch nur als Bestätigung des in § 108 Abs. 1 Satz 1 AVAVG ausgesprochenen Grundsatzes verstanden werden, wonach, soweit es sich um Rechte und Pflichten aus der Krankenversicherung handelt, an die Stelle der versicherungspflichtigen Beschäftigung der Bezug des Hauptbetrages tritt. Beginn und Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung sind aber nach den Vorschriften der RVO für die Krankenversicherung von maßgebender Bedeutung, weil nur während dieser Zeit Beiträge zu zahlen sind (§ 306 Abs. 1, § 397 RVO) und von ihnen grundsätzlich auch der Beginn und das Ende der Mitgliedschaft abhängen. Wenn das Gesetz dagegen in § 311 RVO ausdrücklich vorschreibt, daß beim Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen trotz Wegfalls des Beschäftigungsverhältnisses die "Mitgliedschaft" erhalten bleibt, so beruht dies auf dem Bestreben, Mitgliedschaft und Dauer des Leistungsbezuges miteinander zu verbinden.
Die vorgenannten Grundsätze gelten auch im Rahmen der Krankenversicherung der Arbeitslosen. Ebenso wie durch § 311 RVO der Fortbestand der Mitgliedschaft auch über die Dauer der versicherungspflichtigen Beschäftigung hinaus fingiert wird, besteht die Mitgliedschaft in der Arbeitslosenkrankenversicherung fort, wenn die Voraussetzungen des § 311 RVO unmittelbar bei Einstellung der Auszahlung des Hauptbetrages gegeben sind. Daß für die Arbeitslosenkrankenversicherung eine abweichende und somit ausschließliche Regelung im Sinne des § 107 Satz 2 AVAVG geschaffen werden sollte, ist auch aus der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über Arbeitslosenversicherung von 1926 nicht ersichtlich. Vielmehr sollten durch diese Regelung "die einschlägigen Vorschriften der RVO und ihrer Ausführungsbestimmungen" auf die Krankenversicherung der Arbeitslosen anwendbar werden (Begründung zu § 70 des Entwurfs - 34. Sonderheft zum RABl 1926 S. 182 -, heute § 108 AVAVG).
Die Voraussetzungen des § 311 RVO haben bei der Arbeitslosen M H im Zeitpunkt der Einstellung der Auszahlung des Hauptbetrages vorgelegen. Wie schon das Reichsversicherungsamt ausgeführt hat, gilt die Mitgliedschaft einer wegen Schwangerschaft aus ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung - hier aus dem Bezuge des Hauptbetrages - ausgeschiedenen Versicherten dann als erhalten, wenn sich der Anspruch auf Wochengeld unmittelbar an das Ausscheiden anschließt (RVA in GE 5233, AN 1938, 409); EuM Bd. 45, 192; so auch der erkennende Senat in BSG 20, 143, 144). Im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Leistungsbezug beim Arbeitsamt hatte die Arbeitslose im vorliegenden Fall Anspruch auf Wochengeld, so daß die Voraussetzung des § 311 Satz 2 RVO gegeben war. Da sie während der Wochenhilfe arbeitsunfähig erkrankt ist und ihr die Krankenkasse nach Abschluß der Wochenhilfe-Leistungen Krankengeld zu gewähren hatte (§ 195 a Abs. 4 RVO), waren auch die Voraussetzungen des § 311 Satz 1 RVO erfüllt.
Der Auffassung der Revision, daß im vorliegenden Falle zwar die Vorschrift des § 311 RVO eingreife, es sich dabei aber nicht um ein Fortbestehen der Mitgliedschaft in der Arbeitslosenkrankenversicherung handele, kann daher nicht gefolgt werden. Das Reichsversicherungsamt hat zwar für die Fälle des § 214 RVO ausgesprochen, daß nach Wegfall der Hauptunterstützung der nach dieser Vorschrift gegebene Anspruch nicht auf der durch den Bezug der Hauptunterstützung begründeten Mitgliedschaft zur Krankenkasse beruhe (RVA in GE 3649, AN 1930, 71; GE 3764, AN 1930, 257). Ob dieser Rechtsprechung beigetreten werden kann, bedarf hier indes keiner Entscheidung. Jedenfalls kann eine Pflichtmitgliedschaft auf Grund des § 311 RVO immer nur in der Art fortbestehen, in der sie begründet wurde. Dieser Auffassung steht das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Februar 1964 (BSG 20, 143) nicht entgegen, weil es nur die Frage der Kassenzuständigkeit bei einer auf Grund des § 311 RVO fortdauernden Mitgliedschaft betrifft, die auf § 117 AVAVG aF beruhte.
Auch der Einwand der Revision, die Vorversicherungszeit der Frau Huth im Rahmen der Krankenversicherung der Arbeitslosen reiche nicht aus, um einen Anspruch auf Wochenhilfe zu begründen, geht fehl. Da die Vorversicherungszeiten nach § 195 a RVO "auf Grund der Pflichtversicherung" zurückgelegt sein müssen, sind dazu alle Versicherungszeiten zu rechnen, die bei den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Versicherungspflicht zurückgelegt worden sind. Es ist demnach unerheblich, ob sie auf Grund verschiedener Pflichtversicherungsverhältnisse begründet worden sind.
Die Erstattung kann schließlich nicht mit der Begründung abgelehnt werden, mit dem Wegfall des Hauptbetrages seien keine Beiträge mehr zu entrichten, so daß § 109 Abs. 2 AVAVG, der eine Beitragsregelung enthalte, nicht zur Anwendung kommen könne. Diese Vorschrift hat schon deshalb keinen Beitragscharakter, weil die Höhe des Erstattungsanspruchs nicht von vornherein feststeht, sondern sich nach der dem versicherten Arbeitslosen im Einzelfall gewährten Barleistung bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Februar 1965, 3 RK 21/62). Dem steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber den in der Arbeitslosenkrankenversicherung auf zwei Drittel des normalen Beitragssatzes geminderten Beitragssatz (§ 109 Abs. 1 AVAVG) und die nach § 109 Abs. 2 AVAVG zu erstattenden Aufwendungen zusammen als angemessene Gegenleistung für die von den Krankenkassen durchzuführende Krankenversicherung der Arbeitslosen angesehen hat. Das LSG hat daher mit Recht ausgeführt, daß, wollte man den Erstattungsanspruch in diesem Falle ablehnen, die Krankenkassen mit einem Risiko belastet würden, das durch den geminderten Beitragssatz des § 109 Abs. 1 AVAVG nicht abgedeckt wäre.
Da das LSG den Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 109 Abs. 2 AVAVG daher zu Recht als begründet angesehen hat, ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen