Verfahrensgang
SG Stuttgart (Urteil vom 24.06.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Juni 1992 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kürzung des Honorars der Kläger für kassenärztliche Versorgung im Quartal I/90 durch den Beklagten um 112.190,0 Punkte zu Recht erfolgt ist.
Die Kläger sind als Ärzte für Allgemeinmedizin in einer Gemeinschaftspraxis in Stuttgart niedergelassen. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1) kürzte der Prüfungsausschuß durch Bescheid vom 11. Dezember 1990 die Honoraranforderung der Kläger für die Nrn 2, 5, 60, 63, 266, 267 und 271 des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen (BMÄ) auf 100 % Restüberschreitung, für die Nrn 203, 500, 536, 549 und 552 BMÄ auf 40 % Restüberschreitung, insgesamt um 167.660,0 Punkte. Die Ansätze der Ärzte lagen für die aufgeführten Gebührennummern (in der angegebenen Reihenfolge) um 311,1 %, 750,0 %, 240,0 %, 150,0 %, 282,5 %, 271,9 %, 284,6 %, 350,0 %, 277,2 %, 250,0 %, 393,3 % und 148,8 % über dem Fachgruppendurchschnitt.
Auf den Widerspruch der Kläger änderte der Beklagte durch Bescheid vom 13. Juni 1991 den Bescheid des Prüfungsausschusses ab und verminderte die Honoraranforderung der Kläger lediglich für die Nrn 2, 5 und 60 auf 100 % Restüberschreitung, für die Nrn 203 und 500 auf 40 % Restüberschreitung, insgesamt um 112.190,0 Punkte. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die zu Zwecken des statistischen Vergleichs herangezogene Fachgruppe der Praktischen Ärzte/Allgemeinärzte sei mit 1402 Ärzten ausreichend groß zur Bildung von Durchschnittszahlen für die Fachgruppe; die Praxis der Kläger sei mit insgesamt 2.271 Behandlungsfällen ebenfalls ausreichend groß zur Bildung von Durchschnittswerten. Der hohe Anteil an Ausländern in der Praxis der Kläger rechtfertige weder die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe noch den Mehraufwand bei den diagnostischen und therapeutischen Leistungen. Die Überschreitungen der Vergleichswerte der Fachgruppe lägen bei den vom Prüfungsausschuß als unwirtschaftlich beanstandeten Leistungen im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses und begründeten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit. Der in der Praxis der Kläger betreute Anteil an Rentnern habe im geprüften Quartal 7,8 % gegenüber 28,2 % bei der Fachgruppe betragen und stelle damit keine Praxisbesonderheit dar, die einen Mehraufwand rechtfertige. Im Bereich der Arzneikosten überschritten die Kläger den mit ihrem Rentneranteil gewichteten Fachgruppendurchschnitt um 53 %; Einsparungen auf dem Arzneimittelsektor seien somit nicht gegeben. Die Durchsicht der vorgelegten Behandlungsausweise unabhängig vom statistischen Vergleich ergebe, daß die Leistungen der Nrn 2 und 5 BMÄ für Patientenkontakte ab 7.30 Uhr am Morgen und nach 19.00 Uhr am Abend angesetzt worden seien, damit aber nicht nach diesen beiden Gebührennummern, sondern allenfalls nach den Nrn 1 oder 4 BMÄ hätten abgerechnet werden können. Bezüglich der Überschreitung bei der Nr 60 BMÄ seien die Ausführungen der Kläger nicht geeignet, den Mehraufwand zu erklären. Der bei den Nrn 61 und 62 BMÄ vorliegende Minderaufwand werde durch den Mehraufwand bei den Nrn 4 und 8 BMÄ wertmäßig voll kompensiert. In der belassenen Überschreitung von + 100 % sei ein genügend großer Spielraum zur Berücksichtigung eines vermehrten Untersuchungsaufwandes im Zusammenhang mit der geltend gemachten überdurchschnittlichen Anzahl von Neuzugängen gegeben. Hinsichtlich der Nrn 203 und 500 BMÄ hätte die erneute Prüfung keine weiteren Gesichtspunkte erbracht. Hierzu sei auf die bereits dargelegten Ausführungen in den Bescheiden betr die Primärkassen-Abrechnungen III/89 und IV/89 vollinhaltlich zu verweisen; insgesamt sei daher festzustellen, daß der gekürzte Mehraufwand nicht auf Praxisbesonderheiten oder auf ursächliche Einsparungen zurückzuführen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 24. Juni 1992 den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 11. Dezember 1990 in Gestalt des Bescheides des Beschwerdeausschusses vom 13. Juni 1991 hinsichtlich der ausgesprochenen Kürzungen aufgehoben. Die Entscheidungen ließen nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und Bewertungen die Prüfgremien zur Feststellung der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise gelangt seien. Wo bei den gekürzten Leistungen der Grenzwert für das offensichtliche Mißverhältnis angesetzt worden sei, bleibe im Dunkeln. Die Annahme unterschiedlicher Grenzwerte bzw Kürzungsgrenzen bei den Nrn 2, 5 und 60 einerseits und 203 und 500 andererseits werde nicht begründet. Unklar sei auch, nach welchen Kriterien die Grenzziehung vorgenommen worden sei. Die maßgebenden statistischen Parameter, nämlich die Grenzwahrscheinlichkeiten und die unterschiedlichen Homogenitätsgrade der Vergleichskollektive, seien nicht ermittelt, zumindest nicht erkennbar berücksichtigt worden. Davon abgesehen seien die Kürzungen bei den Gebühren-Nrn 2 und 5 auch deshalb rechtswidrig, weil der überhöhte Ansatz dieser Gebührennummern nach den Feststellungen des Beklagten teilweise auf einer Fehlinterpretation des Leistungsinhalts beruhe und insoweit allenfalls Gegenstand einer sachlichen Richtigstellung hätte sein können, für die nicht der Beklagte, sondern die Beigeladene zu 1) zuständig gewesen wäre. Im übrigen seien entgegen der Praxis des BSG sowohl der Bescheid des Prüfungsausschusses als auch der Bescheid des Beschwerdeausschusses hinsichtlich der die Kläger belastenden Teile aufzuheben, soweit diese rechtswidrig und für die Kläger rechtsbeeinträchtigend seien.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beigeladene zu 1) eine Verletzung des § 106 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), des § 35 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie der §§ 95, 70 Ziff 4, § 51 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das angefochtene Urteil überspanne die an einen Honorarkürzungsbescheid zu stellenden Begründungsanforderungen. Zu diesen Anforderungen gehöre nicht, daß der von den Prüfgremien angenommene Grenzwert für das offensichtliche Mißverhältnis ausdrücklich genannt werde. Es reiche aus, wenn er sich anhand der vorgenommenen Kürzungen und der dazu im Bescheid angestellten Erwägungen bestimmen lasse. Die Grenzziehung bedürfe auch keiner ins einzelne gehenden Begründung, wenn sie sich in dem von der Rechtsprechung anerkannten Rahmen bewege und Praxisbesonderheiten nicht erkennbar seien. Eine ausreichende Homogenität der Vergleichsgruppe sei dadurch gewährleistet, daß in sie nur diejenigen Ärzte einbezogen würden, welche die betreffende Leistung ebenfalls abgerechnet hätten. Die vom SG geforderte scharfe Trennung zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und sachlicher Richtigstellung sei weder möglich noch rechtlich geboten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht weiche das Urteil von der ständigen Rechtsprechung des BSG ab, nach der sich die Klage bei einer Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise allein gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses zu richten habe.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Juni 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Juni 1992 den Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 13. Juni 1991 aufzuheben und den Beschwerdeausschuß zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und treten der Rechtsauffassung der Beigeladenen zu 1) entgegen.
Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2) und 4) schließen sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) an, stellen jedoch keine eigenen Anträge. Die übrigen Beteiligten haben sich zur Sache nicht geäußert.
Alle Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 SGG mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig und begründet.
Gegenstand der von den Klägern erhobenen Anfechtungsklage ist entgegen der Auffassung des SG allein der Bescheid des Beklagten vom 13. Juni 1991. Eine gerichtliche Anfechtung des im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung von dem Prüfungsausschuß erlassenen Bescheides scheidet – von bestimmten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – aus Rechtsgründen aus; eine darauf gerichtete Klage ist unzulässig (vgl BSGE 72, 214, 219 ff = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 sowie das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 9. März 1994 – 6 RKa 5/92 –, jeweils mwN).
In der Sache führt die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die rechtlichen Erwägungen, aus denen das SG die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Kürzungsentscheidung herleitet, sind nicht stichhaltig.
Rechtsgrundlage für die von den Prüfgremien praktizierte Form der arztbezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten ist § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477). Mit dieser seit dem 1. Januar 1989 geltenden Bestimmung hat der Gesetzgeber die in der Praxis seit langem angewandte, bislang aber nicht im Gesetz verankerte und lediglich durch Richterrecht sanktionierte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen. Er hat damit zugleich die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerläßliche Annahme gebilligt, daß die Gesamtheit aller Ärzte im Durchschnitt gesehen wirtschaftlich behandelt, jedenfalls nicht – wie gelegentlich behauptet wird – das Maß des medizinisch Notwendigen und Zweckmäßigen unterschreitet, und daß deshalb der durchschnittliche Behandlungsaufwand einer Arztgruppe grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist. Ob sich aus der erstmaligen Festschreibung dieses Maßstabes im Gesetz Folgerungen in Richtung auf eine Einschränkung der bisher von der Rechtsprechung zugestandenen großzügigen Überschreitungstoleranzen und einen erhöhten Rechtfertigungszwang für erheblich über dem Durchschnitt liegende Behandlungs- und Verordnungskosten ergeben, bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung, weil sich die angefochtenen Bescheide auch auf der Grundlage der bisher von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen als rechtmäßig erweisen.
Die arztbezogene Prüfung nach Durchschnittswerten, die unter der Voraussetzung ausreichender Vergleichbarkeit auch zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes einzelner Leistungspositionen des BMÄ herangezogen werden kann (BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15), basiert auf einer Gegenüberstellung der durchschnittlichen Fallkosten einerseits des geprüften Arztes und andererseits der Gruppe vergleichbarer Ärzte. Eine Unwirtschaftlichkeit ist anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, daß sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Mißverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemeinverbindlichen Festlegung. Bei einem Einzelleistungsvergleich kann der Beweis der Unwirtschaftlichkeit regelmäßig nicht allein mit der Feststellung und Angabe von Überschreitungsprozentsätzen geführt werden; vielmehr bedarf es einer genaueren Untersuchung der Strukturen und des Behandlungsverhaltens innerhalb des speziellen engeren Leistungsbereichs sowie der Praxisumstände des geprüften Arztes, um die Eignung der Vergleichsgruppe und den Aussagewert der gefundenen Vergleichszahlen beurteilen zu können. Die dazu angestellten Erwägungen müssen, damit sie auf ihre sachliche Richtigkeit und – soweit sie in Ausübung eines Beurteilungsspielraumes erfolgen – auf ihre Plausibilität und Vertretbarkeit hin überprüft werden können, gemäß § 35 Abs 1 SGB X im Bescheid genannt werden oder jedenfalls für die Beteiligten und das Gericht erkennbar sein. Im Hinblick darauf, daß die Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis von der Beurteilung zahlreicher mehr oder weniger unbestimmter und in ihren wechselseitigen Auswirkungen nicht exakt quantifizierbarer Einzelfaktoren abhängt und auch bei Berücksichtigung aller relevanten Umstände letztlich eine wertende Entscheidung erfordert, verbleibt den Prüfungsorganen insoweit ein Beurteilungsspielraum.
Mit diesen rechtlichen Vorgaben ist es nicht vereinbar, wenn das SG dem Beklagten für die Grenzwertbestimmung eine rein statistische Vorgehensweise vorschreibt. Der Senat geht zwar, wie zuvor ausgeführt, ebenfalls davon aus, daß die Prüfung nach Durchschnittswerten auf einem statistischen Kostenvergleich aufbaut. Er hat aber wiederholt klargestellt, daß die statistische Betrachtung nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausmacht und durch eine sog intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden muß, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte, wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten, in Rechnung zu stellen sind (BSGE 62, 24, 25 ff = SozR 2200 § 368n Nr 48 mwN; BSGE 71, 194, 197 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15). Diese Gesichtspunkte sind nicht erst in einem späteren Verfahrensstadium oder nur auf entsprechende Einwendungen des Arztes, sondern bereits auf der ersten Prüfungsstufe von Amts wegen mit zu berücksichtigen; denn die intellektuelle Prüfung dient dazu, die Aussagen der Statistik zu überprüfen und ggf zu korrigieren. Erst aufgrund einer Zusammenschau der statistischen Erkenntnisse und der den Prüfgremien erkennbaren medizinisch-ärztlichen Gegebenheiten läßt sich beurteilen, ob die vorgefundenen Vergleichswerte die Annahme eines offensichtlichen Mißverhältnisses und damit den Schluß auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise rechtfertigen.
In der bisherigen Rechtsprechung ist allerdings die Frage, an welcher Stelle im Ablauf des Prüfverfahrens die von der Typik der Fachgruppe abweichenden Praxisumstände des geprüften Arztes zu berücksichtigen sind, nicht einheitlich beantwortet worden. Das BSG hat es den Prüfungseinrichtungen freigestellt, diese Umstände je nach Zweckmäßigkeit entweder schon am Beginn der Prüfung durch Bildung einer engeren Vergleichsgruppe oder erst in einem nachfolgenden Prüfungsabschnitt durch Ermittlung und Anrechnung des ihretwegen erforderlichen Mehraufwandes zur Geltung zu bringen (BSGE 50, 84, 87 = SozR 2200 § 368e Nr 4 S 9; SozR 2200 § 368n Nr 31 S 105; SozR 2200 § 368n Nr 50 S 170). Das ist überwiegend so aufgefaßt worden, daß im zweiten Fall zunächst nach statistischen Kriterien über das Vorliegen eines offensichtlichen Mißverhältnisses zu befinden und erst danach gegebenenfalls zu prüfen sei, ob und inwieweit der durch die Fallkostendifferenz begründete Nachweis der Unwirtschaftlichkeit durch Praxisbesonderheiten widerlegt werde (so ausdrücklich zB BSG SozR 2200 § 368n Nr 3 S 8 f; Nr 31 S 99; Nr 43 S 144; BSGE 62, 24, 25 ff = SozR 2200 § 368n Nr 48; Danckwerts, MedR 1991, 316, 320; Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, 1994, S 226 Rdn 520 mwN). Indessen wird eine derartige Ausgestaltung des Prüfverfahrens weder der beweisrechtlichen Funktion und Bedeutung des offensichtlichen Mißverhältnisses noch den Erfordernissen einer effizienten Wirtschaftlichkeitsprüfung gerecht.
Wie der Senat zuletzt im Urteil vom 8. April 1992 (SozR 3-2500 § 106 Nr 11 S 59) dargelegt hat, kommt der Feststellung eines offensichtlichen Mißverhältnisses praktisch die Wirkung eines Anscheinsbeweises zu. Nach dessen Regeln kann aus einer Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts nur dann auf eine Unwirtschaftlichkeit geschlossen werden, wenn ein solcher Zusammenhang einem typischen Geschehensablauf entspricht, also die Fallkostendifferenz ein Ausmaß erreicht, bei dem erfahrungsgemäß von einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise auszugehen ist. Ein dahingehender Erfahrungssatz besteht aber nur unter der Voraussetzung, daß die wesentlichen Leistungsbedingungen des geprüften Arztes mit den wesentlichen Leistungsbedingungen der verglichenen Ärzte übereinstimmen. Der Beweiswert der Statistik wird eingeschränkt oder ganz aufgehoben, wenn bei der geprüften Arztpraxis besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogene Gruppe untypisch sind. Sind solche kostenerhöhenden Praxisbesonderheiten bekannt oder anhand der Behandlungsausweise oder der Angaben des Arztes (zu dessen Mitwirkungspflicht vgl BSG SozR 2200 § 368n Nr 31 S 101) erkennbar, so müssen ihre Auswirkungen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichungen eine verläßliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise treffen läßt. Das gilt umso mehr, als mit der Feststellung des offensichtlichen Mißverhältnisses eine Verschlechterung der Beweisposition des Arztes verbunden ist, die dieser nur hinzunehmen braucht, wenn die Unwirtschaftlichkeit nach Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles als bewiesen angesehen werden kann.
Umgekehrt können die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen ihren gesetzlichen Auftrag aus § 106 Abs 1 SGB V, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen, nur unzureichend erfüllen, wenn es den Prüfungseinrichtungen verwehrt wird, die Praxisumstände des Arztes und andere medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte bereits im Rahmen des statistischen Kostenvergleichs bei der Bewertung der aufgetretenen Fallkostendifferenzen mit zu berücksichtigen. Das beruht darauf, daß eine rein statistische Vergleichsprüfung aus methodischen Gründen nur begrenzte Erkenntnisse über die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit zu vermitteln vermag. Soll der Beweis für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise auf der Grundlage der ausgewiesenen Fallkostenüberschreitungen allein nach mathematisch-statistischen Kriterien geführt werden, so muß bei wenig homogenen Vergleichsgruppen mit stark streuenden Werten bei der Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis ein sehr weiter Toleranzbereich vorgesehen werden, der aus medizinisch-ärztlicher Sicht bei Kenntnis des Behandlungsverhaltens der Fachgruppenangehörigen einerseits und des geprüften Arztes andererseits vielfach nicht gerechtfertigt ist. Eine verfeinerte, auf Teilbereiche der ärztlichen Tätigkeit bezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung in der Form von Sparten- oder Einzelleistungsvergleichen könnte mangels genügend ausgereifter statistischer Verfahren überhaupt nicht durchgeführt werden (vgl Gaus, Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise des Kassenarztes, 1988, Kapitel 11.2, S 52 f). Die Folge wäre, daß dann auch gröbere Unwirtschaftlichkeiten unerkannt bleiben müßten bzw im Rahmen der angewandten Prüfmethode nicht beanstandet werden könnten. Für eine derartige Beschränkung der Beweismöglichkeiten gibt es keinen sachlichen Grund.
Der Beklagte war bei dieser rechtlichen Ausgangslage entgegen der Auffassung des SG aus Rechtsgründen nicht gehalten, für das offensichtliche Mißverhältnis eine Grenzwahrscheinlichkeit festzulegen oder bestimmte für die Beurteilung der Homogenität der Vergleichsgruppe geeignete statistische Kenndaten zu erheben. Ebensowenig sind die Bescheide deshalb rechtswidrig, weil in ihnen der Grenzwert für das offensichtliche Mißverhältnis nicht exakt mit einem bestimmten Überschreitungsprozentsatz angegeben ist. Der Senat hat bereits im Urteil vom 28. Oktober 1992 (BSGE 71, 194, 198 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15) ausgeführt, daß die Prüfungseinrichtungen sich nicht ausdrücklich auf einen bestimmten Grenzwert festlegen müssen, wenn sich aus den vorgenommenen Kürzungen in Verbindung mit der dazu gegebenen Begründung ersehen läßt, bei welcher Überschreitung ein offensichtliches Mißverhältnis angenommen wurde. Im vorliegenden Fall ist der Beklagte erkennbar davon ausgegangen, daß jedenfalls bei den nach der Kürzung belassenen Abweichungen von 100 % bei den Nrn 2, 5 und 60 BMÄ bzw 40 % bei den Nrn 203 und 500 BMÄ auch unter Berücksichtigung des Rentneranteils, des hohen Ausländeranteils und der großen Zahl von Erstpatienten im Patientengut der Praxis der Kläger die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit erreicht ist.
Die für die Grenzziehung gegebene Begründung genügt den rechtlichen Anforderungen. Der Beklagte konnte, ohne sich auf einen exakten Grenzwert festzulegen, zu Recht davon ausgehen, daß jedenfalls bei einer im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt mehr als doppelt so hohen Abrechnungshäufigkeit die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis überschritten ist. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 28. Oktober 1992 (aaO S 198) für die Leistungen der Nrn 10 und 60 BMÄ und im Anschluß daran allgemein für die in den Abschnitten B I und B IV des BMÄ aufgeführten Beratungs- und Untersuchungsleistungen ausgeführt. Im Hinblick auf die Eigenart dieser Leistungen kann für deren weit überhöhten Ansatz nicht der Grundsatz der Therapiefreiheit ins Feld geführt werden. Die Leistungen sind einerseits als medizinische Grundleistungen von der jeweiligen Behandlungsausrichtung unabhängig und andererseits vom Leistungsinhalt her so gegeneinander abgegrenzt, daß jede von ihnen eine spezifische Indikation voraussetzt und bei deren Vorliegen in der Regel nicht durch eine andere Leistung ersetzt werden kann. Dem Arzt, der sich an den vorgegebenen Behandlungsnotwendigkeiten orientieren muß, bleibt deshalb für ihren Einsatz allenfalls ein geringer Spielraum.
Daß der angefochtene Bescheid auf diese jedem Vertragsarzt geläufigen Zusammenhänge nicht im einzelnen eingegangen ist, ist unschädlich. In der Begründung eines Verwaltungsaktes müssen zwar gemäß § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitgeteilt werden, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründungsanforderungen sind aber von Fall zu Fall verschieden und richten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekanntgegeben werden, daß er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (BSG SozR 2200 § 773 Nr 1; BVerwGE 22, 215, 217 f; 38, 191, 194; BVerwG NVwZ 1986, 374, 375 und 919, 921; jeweils mwN). Die Beigeladene zu 1) mißt in diesem Zusammenhang zu Recht dem Umstand Bedeutung zu, daß sich die im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehenden Bescheide an einen sachkundigen Personenkreis richten, der mit den Leistungs- und Abrechnungsvoraussetzungen vertraut ist und zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der wirtschaftlichen Praxisführung und der Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen unter Wahrung des Gebots der Wirtschaftlichkeit Bescheid zu wissen. Das erlaubt es den Prüfgremien, entsprechende Kenntnisse vorauszusetzen und die Begründung ihrer Bescheide hierauf einzustellen.
Mit seinen Feststellungen und Bewertungen der Abrechnung der Gebühren-Nrn 2, 5 und 60 BMÄ hat der Beklagte bei der gegebenen Sachlage für die Betroffenen und die Gerichte nachvollziehbar dargetan, daß und warum eine den Fachgruppendurchschnitt um mehr als das Zwei- bis sogar Siebenfache übersteigende Abrechnungshäufigkeit nicht mehr mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu vereinbaren ist. Hinsichtlich der Leistungen der Nrn 2 und 5 BMÄ hat der Beklagte anhand der vorgelegten Behandlungsausweise festgestellt, daß die überhöhten Ansätze der Nrn 2 und 5 BMÄ auf einer Fehlinterpretation des Leistungsinhaltes durch die Kläger beruhten und richtigerweise allenfalls einen Ansatz nach Nrn 1 oder 4 BMÄ gerechtfertigt hätten. Hiermit ist einleuchtend und vertretbar dargetan worden, daß eine Abrechnungshäufigkeit, die den Fachgruppendurchschnitt in der genannten prozentualen Höhe übersteigt, bei den Leistungen der Nrn 2 und 5 BMÄ mit den objektiv in der Praxis der Kläger gegebenen Behandlungsnotwendigkeiten nicht begründet werden kann. Zwar haben die Kläger in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die von ihnen betreute besondere Klientel häufiger zu telefonieren pflege, auch wenn sie weiter entfernt wohne; der hohe Ansatz der Beratungsgebühren nach Nrn 2 und 5 BMÄ sei daher in bezug zu setzen zu den erheblichen Einsparungen bei den Hausbesuchen. Der Beklagte ist aber diesem Hinweis der Kläger in der Begründung seines Bescheides inhaltlich zu Recht nicht gefolgt. Die von den Klägern abgerechneten Gebühren-Nrn 2 und 5 BMÄ haben einen Punktwert von 200 bzw 260. Die für die Kompensation in Betracht gezogene Leistung der Nr 25 BMÄ hat einen Punktwert von 275. Demgegenüber haben die Leistungen der Nrn 1 und 4 BMÄ, die nach dem angefochtenen Bescheid korrekter anzusetzen gewesen wären, einen Punktwert von 80 bzw 120. Erreichten damit aber die Punktwerte der Gebühren-Nrn, nach denen korrekterweise abzurechnen gewesen wäre, noch nicht einmal die Hälfte der Punktwerte der Gebühren-Nrn, nach denen die Kläger tatsächlich abgerechnet hatten, so bedeutet das im Endergebnis, daß selbst bei Berücksichtigung der behaupteten Kompensation die Honoraranforderung der Kläger im Fall einer korrekten Abrechnung in beträchtlichem Umfang hätte gekürzt werden müssen.
Auch bezüglich der Überschreitung bei der Gebühren-Nr 60 BMÄ genügt die vom Beklagten gegebene Begründung den aufgestellten Anforderungen. Die Kläger haben zu dem Ansatz der Gebühren-Nr 60 keine detaillierten Angaben gemacht, sondern sich mit der Erklärung begnügt, sie gingen davon aus, daß sich der hohe Ansatz bei dieser Gebühren-Nr wie bei anderen Gebühren-Nrn aus der Besonderheit ihres Patientengutes erkläre (hoher Anteil ausländischer Staatsangehöriger, die wiederum fast ausschließlich der Gruppe der Arbeiter und deren Familienangehörigen zuzurechnen sind; dadurch notwendigerweise eine erhöhte Anzahl von Patienten mit Beschwerden auf orthopädischem Gebiet). Von ihrem dabei gemachten Vorbehalt einer genaueren Nachprüfung haben die Kläger jedoch keinen Gebrauch gemacht, so daß schon deshalb keine Praxisbesonderheit in diesem Punkt angenommen werden konnte. Der Beklagte hat darüber hinaus jedoch auch noch den von den Klägern allgemein gegebenen Hinweis, die Leistungen nach den Gebühren-Nrn 61, 62, 10 und 12 BMÄ lägen erheblich unter dem Schnitt der Fachgruppe und könnten zu Kompensationen Anlaß geben, in seine Überlegungen aufgenommen. Wenn er daran anknüpfend den Minderaufwand bei den Gebühren-Nrn 61 und 62 BMÄ durch den Mehraufwand bei den Gebühren-Nrn 4 und 8 BMÄ für wertmäßig voll kompensiert erklärt hat, so ist er damit im Bereich des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes geblieben. Wenn er in diesem Zusammenhang schließlich auch noch die von den Klägern geltend gemachte überdurchschnittliche Anzahl von Neuzugängen berücksichtigt, den damit verbundenen vermehrten Untersuchungsaufwand jedoch durch die belassene Überschreitung von 100 % für sachlich aufgefangen angesehen hat, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden.
Bei den Gebühren-Nrn 203 und 500 BMÄ haben die Kläger mit ihren Ansätzen den Fachgruppendurchschnitt um 350 % bzw 277,2 % überschritten. Sie haben sich damit zunächst – dh die Prüfung auf Praxisbesonderheiten und Kompensationsmöglichkeiten noch vorbehalten – unzweifelhaft im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses befunden. Wenn der Beklagte bei solcher Ausgangslage ihr entsprechendes Gegenvorbringen in der Widerspruchsschrift augenscheinlich zum Anlaß genommen hat, auch für diese beiden Gebühren-Nrn ihre Behandlungsweise erneut zu prüfen, bei der wiederholten Ermittlung jedoch zu keinen ergänzenden, das Ergebnis abändernden Erkenntnissen gekommen ist und sich demzufolge in der schriftlichen Formulierung seines Bescheides inhaltlich bloß auf frühere Bescheide bezogen, im übrigen aber kurz gefaßt hat, so genügt auch das den für die Begründung aufgestellten Anforderungen. Sollten dementgegen weitere entscheidungserhebliche Umstände vorgelegen haben, die auf eine von der Typik der Praxen der Fachgruppe bestehende Abweichung hätten schließen lassen, wäre es Angelegenheit der Kläger gewesen, diese zusätzlichen Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen. Die Kläger sind nicht nur gemäß § 21 Abs 2 SGB X allgemein gehalten gewesen, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere die ihnen bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Im Rahmen der Abrechnung der kassen- und vertragsärztlichen Leistungen hat sie vielmehr eine entsprechende besondere Mitwirkungspflicht aus der Sache selbst getroffen, wie sie immer dann besteht, wenn ein Arzt sich auf ihm günstige Tatsachen berufen will und diese Tatsachen allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können (s Urteile des erkennenden Senats SozR 2200 § 368n Nr 31 S 101; USK 85190 S 1011; BSGE 59, 211, 215 = SozR 2200 § 368n Nr 40 S 133; SozR 2200 § 368n Nr 57 S 198; Beschlüsse vom 27. Oktober 1987 – 6 BKa 22/87, 6 BKa 23/87 und 6 BKa 26/87 –, vom 18. Februar 1988 – 6 BKa 45/87 – und vom 20. September 1988 – 6 BKa 23/88 –, sämtlich unveröffentlicht). Kommt der Arzt der Mitwirkungspflicht nicht nach, kann er eine darauf beruhende Unvollständigkeit der Sachaufklärung nicht den Prüfungsgremien anlasten.
Nach alledem erweist sich der angefochtene Bescheid entgegen der Auffassung der Vorinstanz als rechtmäßig. Demgemäß sind das Urteil des SG aufzuheben und die Anfechtungsklage gemäß § 170 Abs 2 Satz 1 SGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei dessen Abs 4 im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einlegung der Revision noch in der früheren, bis 31. Dezember 1992 geltenden Fassung anzuwenden war (BSGE 72, 148, 156 f = SozR 3-2500 § 15 Nr 1).
Fundstellen