Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Berufsschadensausgleich. Berücksichtigung höherer Einkünfte
Orientierungssatz
Der § 6 DVO zu BVG§30Abs3u4DV idF 1964 läßt auch bei Selbständigen eine höhere Einstufung als nach § 5 DVO nur zu, wenn nachweislich bereits vor Eintritt der Schädigung durch eigene Arbeit ein durchschnittlicher Gewinn erreicht worden war, dem die Einstufung allein nach § 5 DVO nicht ausreichend Rechnung trägt. Diese Regelung bedeutet eine Ausnahme und eine Ergänzung der in den §§ 3 bis 5 DVO für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens generell getroffenen Regelung. Zweck des § 6 DVO ist eine Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse in besonderen Fällen, in denen nachweislich bereits vor der Schädigung Einkünfte erzielt worden waren, im Vergleich mit denen das Durchschnittseinkommen nach den generellen Maßstäben der §§ 3 bis 5 DVO nicht angemessen genug erscheint.
Normenkette
BVG § § 40a, 30 Abs. 3 u 4 DV § 6 Abs. 2 Fassung: 1964-07-30, § 30 Abs 3 u 4 DV 1964 § 6 Abs. 2 Fassung: 1964-07-30, § 30 Abs. 3 u 4 DV § 5 Fassung: 1964-07-30, § 30 Abs 3 u 4 DV 1964 § 5 Fassung: 1964-07-30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 27.04.1967) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 24.02.1966) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. April 1967 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 24. Februar 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der erste Ehemann der Klägerin ist im Dezember 1945 an den Folgen einer Verwundung gestorben. Er war am 9. August 1913 geboren und von Beruf Landwirt. Im Juni 1964 beantragte die Klägerin die Gewährung von Schadensausgleich nach § 40 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ihr erster Ehemann habe 1936 den Hof seines Vaters pachtweise übernommen und bis zum Wehrdienst (Februar 1940) bewirtschaftet. Das Versorgungsamt gewährte mit Bescheid vom 12. April 1965 vom 1. Oktober 1964 gemäß § 5 der Durchführungsverordnung (DVO) 1964 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG einen Schadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG). Das Landesversorgungsamt wies den Widerspruch der Klägerin zurück, weil die Voraussetzung des § 6 Abs. 2 der DVO nicht gegeben und der Schadensausgleich nach § 5 DVO begrenzt sei. Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat mit Urteil vom 24. Februar 1966 die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 27. April 1967 das erstinstanzliche Urteil sowie den Widerspruchsbescheid vom 24. August 1965 aufgehoben und unter Abänderung des Bescheides vom 12. April 1965 den Beklagten verpflichtet, Schadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 10 des BBesG zu erteilen; im übrigen hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Zwar sei ein Einkommen des ersten Ehemanns der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit als selbständiger Landwirt (Pächter) nicht nachweisbar, so daß die unmittelbaren Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 2 DVO nicht gegeben seien. Der Verstorbene hätte aber den Hof seiner Eltern geerbt und auch als ein durchschnittlich erfolgreicher Landwirt ein überdurchschnittliches Einkommen erzielt, wenn er gesund aus dem Kriege zurückgekehrt wäre. Das Finanzamt habe einen Gewinn von 16000,- DM für 1965 und von 13300,- DM für 1966 berechnet. Der Verstorbene hätte mindestens 1183,- DM monatlich erarbeitet; dieser Betrag entspreche der Besoldungsgruppe A 10 des BBesG. Da stets ein durch die Schädigung verhinderter beruflicher Aufstieg zu berücksichtigen sei (§ 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG, § 2 letzter Satz der DVO), müsse dies - - genau so wie bei der Anwendung der §§ 3 - 5 DVO - auch bei § 6 Abs. 2 DVO gelten. In einem solchen Fall seien die Gerichte befugt, § 6 Abs. 2 DVO erweiternd anzuwenden, um nicht die begabten, tüchtigen Beschädigten zu benachteiligen.
Der Beklagte rügt mit der Revision, das LSG habe materielles Recht verletzt.
Da ein Pachtvertrag zwischen dem ersten Ehemann und der Klägerin und dessen Vater nicht nachgewiesen ist, sei es schon zweifelhaft, ob der erste Ehemann der Klägerin überhaupt selbständig auf dem elterlichen Hof gearbeitet habe. Auf jeden Fall fehle eine gesetzliche Grundlage für die erweiterte Anwendung des § 6 Abs. 2 DVO; denn der Ehemann der Klägerin habe vor der Schädigung noch keine Berufserfolge erreicht. Das Berufungsgericht habe auch § 5 DVO insofern unzulässig erweitert, als diese Vorschrift eine Einstufung in die Besoldungsgruppe A 10 des BBesG nicht vorsehe. § 5 DVO trage schon dem beruflichen Aufstieg eines Beschädigten Rechnung, so daß dem § 2 letzter Satz DVO genügt sei. Die anzuwendenden Besoldungsgruppen setzen bereits einen normalerweise eingetretenen Aufstieg voraus. Die generalisierende und pauschalierende Art des Schadensausgleichs im Rahmen des § 40 a BVG rechtfertige nicht, durch Ausdehnung zu einem individuellen Schadensausgleich zu kommen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 24. Februar 1966 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. April 1967 zurückzuweisen.
Sie tritt dem angefochtenen Urteil in vollem Umfang bei, regt aber im Hinblick auf die gem. § 90 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes beim Bundesverfassungsgericht - BVerfG - unter 1 BvR 615/67 erhobene Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in 8 RV 913/66 (Land Rheinland-Pfalz gegen B) an, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des BVerfG auszusetzen.
In der Zwischenzeit hat der 1. Senat des BVerfG mit Beschluß vom 14. Mai 1969 die Verfassungsbeschwerde der C B (1 BvR 615/67) zurückgewiesen; die Beteiligten sind auf diesen Beschluß hingewiesen worden.
Die Klägerin ist seit dem 6. Dezember 1968 wieder verheiratet.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision des Beklagten ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist in gehöriger Form und rechtzeitig eingelegt und schriftlich begründet worden (§ 164 SGG).
Sie ist auch in der Sache begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch, daß ihr - in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 2 DVO - ein überdurchschnittlicher Schadensausgleich gewährt wird.
Nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist ein Einkommen des Verstorbenen als selbständiger Landwirt oder Pächter vor seinem Wehrdienst nicht nachweisbar. Damit scheidet die unmittelbare Anwendbarkeit des § 6 Abs. 2 DVO schon im Hinblick auf seinen Wortlaut aus. Entgegen der Auffassung des LSG kann diese Vorschrift nicht erweiternd dahin ausgelegt werden, daß ein überdurchschnittlicher Schadensausgleich den Hinterbliebenen auch dann zusteht, wenn der Gefallene zwar noch nicht selbständig war oder der Nachweis beruflicher Erfolge für die Vergangenheit nicht hat erbracht werden können, wenn der Verstorbene aber im Falle seiner Rückkehr vom Wehrdienst eine selbständige Tätigkeit ausgeübt und hierbei - nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts - überdurchschnittliches Einkommen erzielt hätte.
Nach § 40 a BVG erhält eine Witwe dann einen Schadensausgleich, wenn sie einen Einkommensverlust in einer gesetzlich bestimmten Höhe erleidet. Der Gesetzgeber hat in § 40 a BVG zur Feststellung dieses Schadensausgleichs einen Vergleich ihres Bruttoeinkommens mit dem Einkommen ihres verstorbenen Ehemannes vorgesehen und in Abs. 2 Satz 2 bestimmt, was als Einkommen des Ehemannes gilt. Zur näheren Regelung ist die Bundesregierung in § 30 Abs. 7 BVG, der nach § 40 a Abs. 4 BVG für den Schadensausgleich der Hinterbliebenen entsprechend anwendbar ist, ermächtigt worden, eine Rechtsverordnung zu erlassen. Nach § 2 dieser Verordnung (DVO) wird das Durchschnittseinkommen eines ohne die Schädigung voraussichtlich selbständig tätigen Beschäftigten nach § 5 DVO ermittelt. Danach ist als Durchschnittseinkommen eines als voraussichtlich selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgeschlossener Berufsausbildung das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 des BBesG - erhöht um den Ortszuschlag nach § 5 Abs. 1 Satz 2 DVO - einzusetzen. Die Zulässigkeit dieser generalisierten oder pauschalen Regelung im Rahmen der Ermächtigung des § 30 Abs. 7 BVG ist vom Berufungsgericht nicht angezweifelt worden.
Nach den - wie bereits dargelegt - nicht angegriffenen Feststellungen des LSG wäre der verstorbene Ehemann der Klägerin heute als selbständiger Landwirt tätig. Sein Durchschnittseinkommen ist daher nach dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 - zuzüglich des Ortszuschlags - zu berechnen. Eine höhere Einstufung wäre nur nach § 6 DVO möglich. Dies hat auch das LSG im Grundsatz nicht verkannt. Seine Auffassung, daß in Ausnahmefällen bei einem ohne die Schädigung wahrscheinlich überdurchschnittlichen Einkommen § 6 Abs. 2 unter Berücksichtigung des § 2 letzter Satz DVO entsprechend anwendbar sei, kann jedoch nicht gefolgt werden.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift in der Fassung vom 30. Juli 1964 kann dann, wenn der Beschädigte nachweislich in dem vor Eintritt der Schädigung oder der anderen in dieser Vorschrift genannten Ereignisse ausgeübten Beruf eine Stellung erreicht hat, die durch die Vorschriften der §§ 3 und 4 DVO nicht ausreichend berücksichtigt wird, als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt einer dieser Stellung angemessenen Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A des BBesG einschließlich des Ortszuschlages zugrunde gelegt werden; nach Abs. 2 gilt diese Regelung für selbständig Tätige im Sinne des § 5 DVO entsprechend. Dabei ist der Ermittlung der angemessenen Besoldungsgruppe der nachgewiesene durchschnittliche Gewinn aus Gewerbe oder selbständiger Tätigkeit in den letzten drei Jahren vor der Schädigung zugrunde zu legen, soweit er auf die eigene Tätigkeit des Beschädigten zurückzuführen ist. Im Falle des Abs. 2 - selbständige Tätigkeit - ist damit die höhere Einstufung von dem Nachweis des bereits "vor Eintritt der Schädigung" erreichten wirtschaftlichen Erfolges (s. BSG in SozR DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG 1964, § 6 Nr. 5) abhängig. Es können daher nur die bereits vor der Schädigung - oder des Beginns des militärischen Dienstes - erzielten Einkünfte berücksichtigt werden. Der Auffassung des LSG, daß die Berücksichtigung nur der vor der Schädigung bereits erreichten wirtschaftlichen Verhältnisse rechtsunwirksam sei und daher auch die Fälle erfaßt werden müßten, in denen der Beschädigte nachträglich eine Tätigkeit mit höheren Einkünften erreicht hätte, kann nicht gefolgt werden. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, verstößt die Beschränkung der höheren Einstufung nach § 6 DVO auf die Fälle, in denen nachweislich bereits vor Eintritt der Schädigung durch eigene Arbeit ein durchschnittliches Einkommen erzielt worden war, das durch die allgemeine Regelung nach den §§ 3 bis 5 DVO keine ausreichende Berücksichtigung findet, weder gegen § 30 Abs. 4 BVG noch gegen die Ermächtigung in § 30 Abs. 7 BVG (vgl. BSG 27, 69, 73; BSG in SozR DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF 1964 § 6 Nr. 4). Der § 6 DVO läßt auch bei Selbständigen eine höhere Einstufung als nach § 5 DVO nur zu, wenn nachweislich bereits vor Eintritt der Schädigung durch eigene Arbeit ein durchschnittlicher Gewinn erreicht worden war, dem die Einstufung allein nach § 5 DVO nicht ausreichend Rechnung trägt. Diese Regelung bedeutet eine Ausnahme und eine Ergänzung der in den §§ 3 bis 5 DVO für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens generell getroffenen Regelung. Zweck des § 6 DVO ist eine Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse in besonderen Fällen, in denen nachweislich bereits vor der Schädigung Einkünfte erzielt worden waren, im Vergleich mit denen das Durchschnittseinkommen nach den generellen Maßstäben der §§ 3 bis 5 DVO nicht angemessen genug erscheint. Aus dem Mißverhältnis zwischen dem generell ermittelten Durchschnittseinkommen und den nachweislich vor der Schädigung erzielten höheren Einkünften erwachsende Nachteile sollen durch die höhere Einstufung nach § 6 DVO ausgeglichen werden. Darüber hinaus kommt eine entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 2 DVO nicht in Betracht (so der erkennende Senat in SozR DVO zu § 30 Abs. 3 und 4, § 4 Nr. 2 und die dort angeführten Entscheidungen). Die Einschränkung in § 6 DVO steht auch nicht in Widerspruch zu § 2 letzter Satz DVO 1964, der die Berücksichtigung des durch die Schädigung verhinderten Aufstieges im Beruf vorschreibt. Diesem Erfordernis ist schon durch § 5 DVO insofern Rechnung getragen, als bei der Ermittlung der vergleichbaren Besoldungsgruppe auch alle für die berufliche Entwicklung bedeutsamen Umstände berücksichtigt werden (BSG, Urt. vom 14.11.1967 - 10 RV 114/67 -; erkennender Senat in SozR aaO). Die Klägerin kann daher auch nicht auf dem Wege einer entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 2 DVO gegen den eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift in den Genuß eines individuellen Schadensausgleichs gelangen. Gerade aus dem Wortlaut ergibt sich, daß über die §§ 3 - 5 DVO hinaus der durch die Schädigung verhinderte Aufstieg nicht berücksichtigt werden soll.
Schließlich verstößt § 6 DVO auch nicht gegen den Gleichheitssatz, weil er den hypothetischen Berufsverlauf außer acht läßt. Es handelt sich nicht um eine unsachliche Differenzierung, wenn ausnahmsweise das bereits vor der Schädigung erreichte Einkommen berücksichtigt, also an den individuellen Berufserfolg angeknüpft wird, weil der nach den §§ 3 - 5 DVO anzulegende Maßstab durch das tatsächlich erzielte überdurchschnittliche Einkommen widerlegt ist (BSG, Urt. vom 26.11.1968 - 9 RV 724/66 -). Wenn das Vorliegen dieses Falles nachgewiesen werden muß, so entspricht das allgemeinen Verfahrensgrundsätzen und kann nicht als willkürlich angesehen werden (BVerfG, Beschl. vom 14.5.1969, aaO).
Da hiernach § 6 DVO auch nicht entsprechend oder ergänzend auf Tatbestände angewendet werden darf, für welche die Sachaufklärung nur ein mutmaßliches, nicht ein nachgewiesenes Durchschnittseinkommen ergeben hat, scheidet nicht bloß die auch vom Berufungsgericht abgelehnte Einstufung in die Besoldungsgruppe A 11 des BBesG aus, sondern auch die vom Berufungsgericht angestrebte Einstufung in die Besoldungsgruppe A 10 BBesG. Die erstinstanzliche Entscheidung, welche den Schadensausgleich der Klägerin gem. § 5 DVO nach der Besoldungsgruppe A 7 des BBesG bemessen hat, erweist sich damit als rechtlich zutreffend. Demgemäß war auf die Revision des Beklagten das Berufungsurteil vom 27. April 1967 aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil des SG Schleswig vom 24. Februar 1966 wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen