Leitsatz (amtlich)
1. Eine Revision ist nicht deshalb unzulässig, weil der Revisionsbeklagte nicht die Fähigkeit besitzt, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein. (SGG § 70).
2. Zur Anfechtbarkeit von Entscheidungen der Oberversicherungsämter im Verfahren nach GSv § 14.
Normenkette
SGG § 70 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03, § 160 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; SVwG § 14 Fassung: 1951-02-22
Tenor
Auf die Revision der klagenden Krankenkassen wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 3. Juli 1954 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Das Versicherungsamt der Stadt Flensburg ordnete am 28. Januar 1952 auf Grund des § 14 Abs. 4 des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung (GSv) vom 22. Februar 1951 (BGBl. I S. 124) an, daß bestimmte Gruppen von Versicherten der klagenden Orts- und Kreiskrankenkassen auf die beigeladene Innungskrankenkasse zu überführen seien. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Oberversicherungsamt (OVA.) Schleswig durch Beschluß vom 2. Oktober 1952 im wesentlichen zurück. Gegen diesen - als "endgültig" bezeichneten Beschluß erhoben die klagenden Krankenkassen beim Landesverwaltungsgericht (LVerwG.) Schleswig Anfechtungsklage. Das LVerwG. erklärte durch Zwischenurteil den Verwaltungsrechtsweg für zulässig, da das OVA. nicht als ein "anderes bestehendes Gericht" (§ 22 Abs. 3 MRVO 165), sondern als Verwaltungsbehörde entschieden habe; als Verwaltungsakt unterliege der Beschluß aber selbst dann der Anfechtung, wenn er in § 14 Abs. 8 Satz 2 GSv i. d. F. des Gesetzes vom 13. August 1952, BGBl. I S. 421, als "endgültig" bezeichnet sei. Gegen diese Entscheidung legte das beklagte OVA. beim Oberverwaltungsgericht (OVerwG.) Lüneburg Berufung ein. Nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ging der Rechtsstreit vom OVerwG. und LVerwG., soweit er bei diesen Gerichten anhängig war, gemäß § 215 Absätze 7 und 8 SGG als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig über. Als "Rechtsnachfolger" des bisher beklagten, mit dem 31. Dezember 1953 aufgelösten OVA. Schleswig meldete sich das OVA. Schleswig-Holstein in Kiel.
Das LSG. verwarf die Berufung gegen den Beschluß des OVA. - unter Aufhebung des Zwischenurteils des LVerwG. - als unzulässig: Entgegen der Auffassung des LVerwG. habe das OVA. hier als ein "anderes bestehendes Gericht" entschieden, obwohl es nicht im Spruch-, sondern im Beschlußverfahren tätig geworden sei. Auch im Beschlußverfahren habe das OVA. rechtsprechende Tätigkeit ausgeübt, wenn es, wie hier, auf Grund des § 377 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) über "Rechtsbeschwerden" gegen Verwaltungsmaßnahmen des Versicherungsamts entschieden habe. Als gerichtliche Entscheidungen habe der Gesetzgeber die Beschlüsse des OVA. nach § 14 Abs. 8 Satz 2 GSv der weiteren Anfechtung wirksam entziehen können. Hiergegen wendet sich die Revision der klagenden Krankenkassen. Diese sind in erster Linie der Auffassung, der angefochtene Beschluß sei als Verwaltungsakt ergangen, das dagegen eingelegte Rechtsmittel sei mithin von Anfang an zulässig gewesen. Im übrigen ergebe sich die Statthaftigkeit der Berufung aus den Übergangsvorschriften des SGG. Das beklagte OVA. Schleswig-Holstein macht geltend, daß es weder nach § 70 SGG noch nach Schleswig-Holsteinischem Landesrecht fähig sei, am sozialgerichtlichen Verfahren teilzunehmen.
II.
Die - vom LSG. zugelassene - Revision ist zulässig, auch wenn dem beklagten OVA. die Fähigkeit zur Teilnahme am sozialgerichtlichen Verfahren fehlen sollte.
Die Fähigkeit, nach § 70 SGG beteiligt zu sein, gehört zwar, wie die Parteifähigkeit im Zivilprozeß, zu den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, nach denen sich die Zulässigkeit des Rechtsstreits im ganzen richtet und die daher in jeder Instanz - auch noch vom Revisionsgericht - von Amts wegen zu beachten sind. Sie gehört aber nicht zu den besonderen Erfordernissen, von denen die Zulässigkeit eines Rechtsmittels abhängt. Wäre auch die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von dem Vorliegen der allgemeinen Prozeßvoraussetzungen abhängig, so würden Rechtsmittel in Streitsachen, in denen eine oder mehrere Prozeßvoraussetzungen fehlen, überhaupt ausgeschlossen sein; insbesondere könnte in den Fällen, in denen der Vorderrichter zu Unrecht die Prozeßvoraussetzungen als gegeben, z. B. einen Beteiligten irrtümlich als parteifähig oder prozeßfähig angesehen und infolgedessen unzulässigerweise ein Sachurteil gefällt hätte, diese Entscheidung nicht mit einem Rechtsmittel zur Aufhebung gebracht werden. Dies kann aber nicht der Wille des Gesetzes sein. Die Parteifähigkeit der Beteiligten wird mithin zu Recht nicht zu den (besonderen) Zulässigkeitsvoraussetzungen der Revision gerechnet. Die Parteifähigkeit eines Beteiligten kann überhaupt nur insofern für die Zulässigkeit der Revision bedeutsam werden, als von ihr die Wirksamkeit von Prozeßhandlungen abhängt, deren wirksame Vornahme Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision ist. Das gilt im allgemeinen für die Einlegung und Begründung der Revision: Eine Revision, die wegen mangelnder Parteifähigkeit des Revisionsklägers nicht wirksam eingelegt oder begründet worden ist, wird als unzulässig verworfen, es sei denn, daß mit der Revision - bei einem sogen. Zulassungsstreit - gerade die zwischen den Beteiligten streitige Frage der Parteifähigkeit des Revisionsklägers geklärt werden soll (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 24. Aufl., § 50 Anm. 4 B). Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um die Parteifähigkeit des Revisionsklägers, sondern um die des Revisionsbeklagten. Daher bestehen hier gegen die Zulässigkeit der Revision keine Bedenken.
Die Revision ist auch begründet, denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Berufung zulässig. Die Frage, ob und inwieweit die Urteile und Beschlüsse der Oberversicherungsämter die Eigenschaft gerichtlicher Entscheidungen gehabt haben, bedarf nach dem Inkrafttreten des SGG keiner Klärung; denn selbst wenn der Auffassung des Berufungsgerichts, daß das OVA. als Gericht entschieden habe, beizutreten wäre, würde die Berufung gegen den angefochtenen Beschluß des OVA. gemäß § 215 Abs. 7 SGG zulässig sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG.) gelten die gemäß § 215 Abs. 7 und 8 SGG auf die Landessozialgerichte übergegangenen Streitsachen - Statthaftigkeit der Berufung nach § 144 ff. SGG vorausgesetzt - als zulässige Berufungen, auch wenn sie, abgesehen von der form- und fristgerechten Einlegung der Rechtsbehelfe, nach früherem Recht nicht zulässig waren (BSG. 1, 82 (87 f.), 283 (286) und 2 RU 284/55 mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn also das GSv i. d. F. vom 13. August 1952 die Entscheidungen des OVA. nach § 14 Abs. 8 GSv jeder weiteren Anfechtung entzogen haben sollte, sind die gleichwohl bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten dagegen eingelegten Rechtsbehelfe mit dem Inkrafttreten des SGG als zulässige Berufungen auf die Sozialgerichtsbarkeit übergegangen, wenn sie den zur Zeit ihrer Einlegung geltenden Frist- und Formvorschriften entsprachen und Gründe, die die Berufung ausschließen (§§ 144 ff. SGG), nicht gegeben sind. Im vorliegenden Fall haben die klagenden Krankenkassen die Entscheidung des OVA. rechtzeitig mit der Klage angefochten; die Berufung ist auch nicht nach §§ 144 ff. SGG ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hätte hiernach die Berufung nicht als unstatthaft ansehen dürfen. Das angefochtene Urteil war somit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß es nach ausdrücklicher Vorschrift des § 215 Abs. 7 SGG über eine "Berufung" zu entscheiden hat. Die Stelle (oder ihr "Rechtsnachfolger"), deren Entscheidung im Berufungsverfahren nachgeprüft wird (hier das OVA. Schleswig), kann nicht gleichzeitig im Berufungsverfahren Beteiligter sein. Als Beteiligter kommt vielmehr, ebenso wie bei den nach dem Inkrafttreten des SGG eingeleiteten Überführungsstreitigkeiten nach § 14 GSv, nur das Versicherungsamt in Betracht, das die streitige Überführungsanordnung getroffen hat. Wenn das Versicherungsamt als Behörde nach Schleswig-Holsteinischem Landesrecht nicht fähig sein sollte, am sozialgerichtlichen Verfahren teilzunehmen (§ 70 Nr. 3 SGG), müßte die Klage auf die für das Versicherungsamt zuständige Trägerkörperschaft umgestellt werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen