Leitsatz (amtlich)
Hat das SG in einer Sache, in der die Berufung nach den SGG § 144-149 ausgeschlossen war, das Rechtsmittel irrtümlich als nach SGG § 143 statthaft angesehen und deshalb eine Entscheidung darüber nicht getroffen, ob die Berufung nach SGG § 150 Nr 1 zuzulassen war, so liegt darin kein wesentlicher Mangel des Verfahrens (Aufgabe BSG 1961-09-28 4 RJ 85/59 = SozR Nr 31 zu § 150 SGG).
Normenkette
SGG § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 143 Fassung: 1953-09-03, § 144 Fassung: 1953-09-03, § 145 Fassung: 1958-06-25, § 146 Fassung: 1958-06-25, § 147 Fassung: 1958-06-25, § 148 Fassung: 1958-06-25, § 149 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 15. Dezember 1960 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 29. Februar 1960 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 1958 in Braunschweig beschäftigt. Sie hatte am 15. Dezember 1958 geheiratet und zog zu ihrem in Bremen wohnhaften und dort tätigen Ehemann. Als sie sich am 2. Januar 1959 in Bremen arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld beantragte, gab die Beklagte diesem Antrag zwar statt, verhängte jedoch eine Sperrfrist von zwei Wochen, weil die Klägerin ihren Arbeitsplatz ohne wichtigen oder berechtigten Grund aufgegeben habe. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Auf Klage hob das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide auf; in der Rechtsmittelbelehrung heißt es, gegen dieses Urteil sei die Berufung zulässig. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück, da die Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft einen wichtigen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses darstelle. Es ließ die Revision zu.
Gegen das am 1. Februar 1961 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 25. Februar 1961 Revision ein und begründete sie nach Fristverlängerung am 29. April 1961.
Sie trägt vor, auch wenn die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen sein sollte, sei sie dennoch zulässig, weil das SG nicht geprüft habe, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG hätte zugelassen werden müssen; die Unterlassung dieser Prüfung stellen einen Verfahrensmangel dar. Zumindest wäre das LSG in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG verpflichtet gewesen zu untersuchen, ob es seinerseits die Berufung hätte zulassen müssen. Da es dies unterlassen habe, liege auch ein Verfahrensmangel des LSG vor. Daß die Beklagte den Fehler nicht vor dem LSG gerügt habe, sei unschädlich; denn sie habe dazu keinen Anlaß gehabt, sondern sich auf die Rechtsmittelbelehrung verlassen können.
In der Sache selbst rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 80 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG).
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Bremen vom 15. Dezember 1960 und des SG Bremen vom 29. Februar 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin ist vor dem Revisionsgericht nicht vertreten gewesen.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber im Ergebnis keinen Erfolg haben.
Auch bei einer zugelassenen Revision hat das Bundessozialgericht (BSG) von Amts wegen zu prüfen, ob bereits die Berufung zulässig war (BSG 2 S. 225). Dies war nicht der Fall. Wie der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 19. Februar 1963 - GS 1/61 - ausgesprochen hat, betrifft die Klage gegen die Verhängung einer Sperrfrist nach den §§ 78 ff AVAVG nF nur den Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an. Die Berufung war daher nach dieser Vorschrift ausgeschlossen.
Die Berufung war auch nicht nach § 150 SGG statthaft, da das SG sie nicht zugelassen hatte (§ 150 Nr. 1 SGG). Die Rechtsmittelbelehrung, die Berufung sei zulässig, stellt keine Zulassung des Rechtsmittels dar (BSG 2, S. 121).
Einen Verfahrensmangel des SG hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht gerügt; er lag auch nicht vor. Die Beklagte meint zwar, in der Unterlassung der Prüfung, ob das Rechtsmittel ausdrücklich zuzulassen sei, liege ein wesentlicher Mangel des Verfahrens. Dem konnte sich der Senat aber nicht anschließen. Das SG hat rechtsirrtümlich die Berufung als zulässig angesehen, obwohl sie nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen war. Es hatte deshalb von seinem Standpunkt keine Veranlassung zu prüfen, ob sie nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war. Darin liegt indessen nicht ein prozessual fehlerhaftes Verhalten, sondern eine sachlich unrichtige Entscheidung. Unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ist eine Entscheidung nur dann zustandegekommen, wenn der Prozeß bei richtiger Handhabung der Verfahrensvorschriften anders verlaufen wäre oder anders hätte verlaufen können. Doch muß immer eine das Verfahren betreffende Vorschrift verletzt worden sein. Die Vorschriften über die Zulassung der Berufung stehen nun zwar im SGG, sie betreffen aber den Inhalt der Entscheidung, da sie nicht den Weg zum Urteil regeln. Auch wird das weitere Verfahren vor dem LSG davon berührt, ob die Berufung zugelassen wurde oder nicht. Indessen kommt es lediglich auf das Verfahren des entscheidenden Gerichts (hier des SG) an. Dieses war aber mit dem Urteil abgeschlossen; es konnte durch die unterbliebene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht mehr beeinflußt werden. Ein Verfahrensmangel ist daher im vorliegenden Fall zu verneinen.
Allerdings hat der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 28. September 1961 (SozR SGG § 150 Nr. 31) in solchen Fällen einen Verfahrensmangel angenommen. Doch hat er auf Anfrage erklärt, daß er an seiner Rechtsprechung insoweit nicht festhalte.
Die Beklagte konnte sich ferner nicht auf den Inhalt der Rechtsmittelbelehrung verlassen; denn einen allgemeinen Vertrauensschutz dieser Art kennt das Gesetz nicht. Die Rechtsprechung hat einen solchen lediglich bei unrichtiger Belehrung bezüglich der Sprungrevision bejaht, also in Fällen, in denen ohnedies ein Rechtsmittel gegeben war, der Beteiligte aber infolge der fehlerhaften Unterrichtung ein falsches Rechtsmittel eingelegt hatte (BSG 2 S. 139, 5 S. 143).
Das LSG war schließlich nicht befugt, die Zulassung der Berufung selbst nachzuholen, wie die Beklagte irrigerweise meint. Dies war nur seinerzeit in den Fällen möglich, in denen das SG eine Zulassung überhaupt nicht vornehmen konnte, nämlich in der Übergangszeit, als beim Inkrafttreten des SGG (1.1.1954) Verfahren unmittelbar auf das LSG übergegangen waren, ohne daß vorher Urteile der SGe vorgelegen hatten (vgl. BSG v. 28.9.1961 SozR SGG § 150 Nr. 31 und Urteil vom 16.6.1955, SozR SGG § 215 Nr. 4). Hier aber hatte das SG die Möglichkeit, über die Zulassung zu entscheiden.
Da somit die Berufung auch nicht nach § 150 SGG statthaft ist, muß das Urteil des LSG dahin abgeändert werden, daß die Berufung, statt als unbegründet zurückgewiesen, als unzulässig verworfen wird.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen