Leitsatz (redaktionell)
Die Auskunft des Staatsamtes für Rentenversicherung in Prag, daß keine Versicherungsunterlagen vorhanden seien, besagt nicht, daß keine Versicherungsbeiträge entrichtet wurden.
Orientierungssatz
Der Umstand, daß die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht ist, schließt noch nicht aus, daß möglicherweise ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat. Denn auch dann, wenn entgegen den gesetzlichen Vorschriften für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis keine Versicherungsbeiträge entrichtet worden sind, bleibt FRG § 16 anwendbar.
Normenkette
FRG § 4 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1960-02-25, § 15 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, § 16 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. September 1964 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der aus dem Sudetenland stammende Kläger, der seit September 1961 Altersruhegeld bezieht, begehrt nach dem Fremdrentengesetz (FRG) die rentensteigernde Berücksichtigung einer Beschäftigungszeit vom 1. Januar 1919 bis 30. November 1936 als Angestellter im väterlichen Betrieb. Die Beklagte lehnte eine solche Anrechnung ab, weil die vom Kläger behaupteten Beschäftigungszeiten weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht seien. Seine Klage hatte Erfolg; das Sozialgericht (SG) hielt eine Beschäftigung des Klägers im väterlichen Betrieb von November 1922 an für glaubhaft gemacht. Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger könne seine Ansprüche für den strittigen Zeitraum nicht auf § 15 FRG stützen, weil nach der schriftlichen Auskunft des Staatsamts für Rentenversicherung in P für den Kläger keine Beiträge zum tschechoslowakischen Versicherungsträger entrichtet worden seien; er könne "die fehlenden Unterlagen nicht durch einen Gegenbeweis entkräften" Auch § 16 FRG sei nicht anwendbar, weil das Fehlen von Versicherungsbeiträgen zu dem Schluß zwinge, der Kläger habe im väterlichen Betrieb in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden; seine Arbeit sei offenbar im Rahmen eines familienhaften Gemeinschaftsverhältnisses geleistet worden, möglicherweise im Hinblick auf eine spätere Betriebsübernahme durch den Kläger. Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Der Kläger hat form- und fristgerecht Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeit des Klägers vom 1. Januar 1919 bis 30. November 1936 als Angestellter rentensteigernd zu berücksichtigen,
hilfsweise beantragt er,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt, das Verfahren des Berufungsgerichts leide an wesentlichen Mängeln; das Gericht habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) verletzt und auch die der freien richterlichen Beweiswürdigung gezogenen Grenzen überschritten (§ 128 SGG). Das LSG habe aus der Auskunft des Staatsamts für Rentenversicherung in Prag unzulässigerweise gefolgert, daß für den Kläger keine Versicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Das Gericht habe hieraus auch zu Unrecht den Schluß gezogen, daß dann der Kläger im väterlichen Betrieb auch nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen sein könne, weil sonst wegen der Versicherungspflicht solcher Beschäftigungsverhältnisse und der Kontrollpflicht der Versicherungsträger die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen nachweisbar sein müsse. Das Gericht habe mit jener unberechtigten Folgerung die Bedeutung des § 16 FRG verkannt. Zugleich habe es auch seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt, weil es die tatsächliche Stellung des Klägers im Betrieb des Vaters nicht ermittelt habe. Dazu habe es - entsprechend der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) über die Versicherungspflicht von Meistersöhnen (BSG 3, 30) - alle Merkmale ermitteln müssen, die für die Unterscheidung zwischen tatsächlichem Arbeitsverhältnis und familienhafter Mithilfe maßgebend seien; die Möglichkeit derartiger Ermittlungen sei gegeben gewesen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil die Revision nicht zugelassen; sie kann deshalb nur Erfolg haben, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel zu Recht und in richtiger Weise gerügt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2, § 164 Abs. 2 SGG). Das ist der Fall. Es kann dahinstehen, ob das gesamte Revisionsvorbringen den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG entspricht, wonach die Tatsachen und Beweismittel, die den behaupteten Verfahrensmangel ergeben, im einzelnen zu bezeichnen sind. Ein Teil der Rügen jedenfalls ist in der rechten Weise vorgetragen; der gerügte Mangel liegt insoweit auch vor.
Das gilt insbesondere für den Vorwurf, jene Auskunft des Staatsamts für Rentenversicherung in P, wonach Versicherungsunterlagen des Klägers nicht vorhanden seien, lasse nicht den Schluß zu, daß für ihn auch keine Versicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Wie der Kläger mit Recht geltend macht, besagt diese Auskunft nur, daß für ihn keine schriftlichen Unterlagen aufzufinden waren. Die Schlußfolgerung des LSG, daraus ergebe sich, daß für den Kläger keine Versicherungsbeiträge entrichtet worden seien, ist nicht zwingend und wird jedenfalls von jener Auskunft nicht getragen. Aus dem Fehlen von Versicherungsunterlagen hätten nur dann sichere Schlüsse gezogen werden können, wenn eindeutig feststünde, daß diese Unterlagen unversehrt und lückenlos erhalten geblieben waren. Dahingehende Ermittlungen hat aber das LSG nicht durchgeführt. Es hat offenbar übersehen, daß es nach der für sein Verfahren wesentlichen Vorschrift des § 4 FRG für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Das Gericht durfte deshalb auch nicht wegen der fehlenden Unterlagen vom Kläger "den Gegenbeweis" verlangen. Für die Anwendung des § 15 FRG kommt es nur darauf an, ob nach der Überzeugung des Gerichts die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen als glaubhaft gemacht im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG anzuerkennen ist.
Auch die Rüge, es verstoße gegen Denkgesetze, wenn aus dem Fehlen von Versicherungsunterlagen für den Kläger geschlossen werde, dann könne er im väterlichen Betrieb auch nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen sein, ist zu Recht erhoben. Der Umstand nämlich, daß die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht ist, schließt - mag er auch bei der Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu beachten sein - noch nicht aus, daß möglicherweise ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat. Denn auch dann, wenn entgegen den gesetzlichen Vorschriften für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis keine Versicherungsbeiträge entrichtet worden sind, bleibt § 16 FRG anwendbar (Jantz-Zweng-Eicher "Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht" 2. Aufl. § 16 Anm. 6 S. 53 Abs. 2). Das LSG hätte deshalb prüfen müssen, ob mit den sonst noch erreichbaren Beweismitteln glaubhaft gemacht werden kann, daß der Kläger im väterlichen Betrieb stets oder doch in bestimmten Zeiträumen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Die vom Kläger behaupteten wesentlichen Verfahrensmängel liegen somit auch tatsächlich vor. Die Revision ist demnach statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Sie ist auch begründet; denn das angefochtene Urteil kann auf diesen Mängeln beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß das LSG zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung gekommen wäre, wenn es unzulässige Schlußfolgerungen vermieden und den Sachverhalt vollständig aufgeklärt hätte, mag auch gerade in dem vorliegenden Falle die Aufklärung des Sachverhalts besondere Schwierigkeiten bieten und das Gericht bei seiner Beweiswürdigung weitgehend auf Schlußfolgerungen angewiesen sein. Bei den Anforderungen, die an die Glaubhaftmachung zu stellen sind, wird es darauf ankommen, zu welchem Ergebnis die Ermittlungen über den Verbleib und die vollständige Erhaltung der Versicherungsunterlagen der Allgemeinen Pensions-Anstalt in P führen, die sich auf Beschäftigungszeiten in den sudeten-deutschen Gebieten und auf Personen beziehen, die nach dem Abkommen von 1940 in den sudeten-deutschen Block gehörten und nach 1945 aus ihrer Heimat vertrieben worden sind.
Das angefochtene Urteil und die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind somit aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil dem Revisionsgericht mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen eine Entscheidung nicht möglich ist (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen