Entscheidungsstichwort (Thema)

Alte Impfschäden. anwendbares Recht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Zulässigkeit der Revision richtet sich, wenn das Berufungsurteil vor Inkrafttreten des 2. Änderungsgesetzes BSeuchG zum 23.8.1971 ergangen ist, nach den Vorschriften der ZPO.

2. Der Anspruch des Klägers ist, wenn über einen Antrag auf Gewährung von Entschädigung wegen eines vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes erlittenen Impfschadens zu entscheiden ist, nach dem Recht des Bundesseuchengesetzes nF zu beurteilen. Dies gilt auch im Fall der Rechtshängigkeit (Art 2 Abs 2 ÄndG). Eine neue anfechtbare Entscheidung der nun zuständigen Versorgungsbehörde (Art 2 Abs 6 ÄndG) in rechtshängigen Fällen ist damit nicht angeordnet. Der nach Art 3 Abs 1 ÄndG BSeuchenG vorgeschriebene Übergang auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des jeweiligen Rechtszuges weist darauf hin, daß die unter Geltung des früheren Rechts ergangenen Bescheide unter Anwendung des neuen Rechts von den Sozialgerichten zu überprüfen sind, was hinsichtlich der Frage der Ursächlichkeit der Impfung für den Gesundheitsschaden bedeutet, daß jetzt (nach § 52 Abs 2 BSeuchG nF) die Wahrscheinlichkeit genügt.

 

Normenkette

BSeuchG § 51 Fassung: 1971-08-25, § 52 Abs. 2 Fassung: 1971-08-25; BSeuchGÄndG 2 Art. 2 Abs. 2, 6, Art. 3 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 26. März 1971 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgerichts Hamburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der am 15. April 1966 geborene Kläger wurde am 11. November 1966 in der Impfanstalt H, H-straße gegen Pocken geimpft. Der Kläger war bis damals altersmäßig entwickelt und gesund. Bei der Nachschau am 18. November 1966 hatte der Kläger etwa 38,5° Fieber, weshalb der Impfarzt Wadenwickel und schwarzen Tee verordnete. Das Fieber ging in den nächsten Tagen wieder zurück, und die Impfpusteln heilten normal ab.

Am 29. Dezember 1966 erkrankte der Kläger plötzlich mit hohem Fieber und Zuckungen in der linken Körperseite. Am Abend des 30. Dezember 1966 brachte der Vater des Klägers ihn in die Kinderklinik B. Dort wurde nach einer Reihe von Untersuchungen an eine Hirnentzündung, an einen Hirntumor und an Hirnabszesse gedacht. Nach dem 3. Januar 1967 verschlechterte sich das Allgemeinbefinden des Kindes noch mehr. Es war nicht mehr ansprechbar, und eine Lähmung der linken Körperseite war eingetreten. Die Diagnose lautete schließlich: schwerer Cerebralschaden bei ungeklärtem Infekt. Am 2. März 1967 wurde der Kläger als ungeheilt entlassen. Vom 7. März 1967 bis 12. Mai 1967 war er in der Kinderabteilung des Allgemeinen Krankenhauses E. Der Zustand besserte sich allmählich. Eine Kontaktaufnahme wurde wieder möglich, es blieb aber eine spastische Halbseitenlähmung links mit statischer und geistiger Entwicklungsverzögerung. Die Diagnose lautete: Zustand nach Encephalitis (Hirnentzündung), rezidivierender Infekt der oberen Luftwege.

Die Gesundheitsbehörde der Beklagten lehnte den am 25. Mai/2. Juni 1967 gestellten Antrag des Klägers auf Anerkennung seines Leidens als Impfschaden durch Schreiben vom 19. April 1968 ab, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Leiden und der Pockenschutzimpfung nicht bestehe. Die Ablehnung gründet sich auf die entsprechende Äußerung der Impfschadenskommission vom 21. März 1968 und ein amtsärztliches Gutachten vom 16. August 1967. Der Amtsarzt war der Auffassung, das Leiden beruhe wahrscheinlich auf einer Encephalitis, die möglicherweise auf einen vorhandenen Geburtsschaden aufgepfropft sei. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche bereits der Zeitablauf, denn eine Encephalitis werde nur dann als mögliche Folge einer Impfung angesehen, wenn sie während eines Zeitraumes von 4 - 18 Tagen nach der Impfung auftrete.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger für die Zeit vom 29. Dezember 1966 bis 30. November 1968 Entschädigung und für die Zeit danach eine monatliche Rente. Die Höhe von Entschädigung und Rente stellte er in das Ermessen des Gerichts. Ferner begehrte er die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihn für jeden weiteren Schaden angemessen zu entschädigen, der ihm durch die Pockenschutzimpfung vom 11. November 1966 noch entstehen werde.

Das Landgericht (LG) Hamburg wies die Klage durch Urteil vom 14. November 1969 ab, weil der nach § 51 des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG aF) vom 18. Juli 1961 (BGBl I, 1012) erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und dem Gesundheitsschaden nicht festgestellt werden könne. Es stützte sich hierbei vor allem auf das Gutachten von Prof. Dr. G Leitender Oberarzt der Universitäts-Kinderklinik H vom 28. Mai 1969. Dieser Gutachter kam zu dem Ergebnis, daß die Pockenschutzimpfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Ursache der Hirnentzündung auszuschließen sei. Dies gelte auch, wenn eine Encephalopathie vorgelegen haben sollte. Auch die Frage, ob die Pockenschutzimpfung den Verlauf der wahrscheinlich virusbedingten Hirnentzündung ungünstig beeinflußt habe, müsse verneint werden.

Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) wies die Berufung des Klägers durch Urteil vom 26. März 1971 zurück. Der Sachverständige Prof. Dr. G könne zwar nicht ausschließen, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine Encephalopathie gehandelt habe, die sich von der - hier überwiegend wahrscheinlichen - Encephalitis ua dadurch unterscheide, daß, wie es im Urteilstatbestand (S.8) heißt, klinische Symptome "fehlten oder gering seien". Zwischen beiden Krankheiten bestehe aber hinsichtlich der Inkubationszeit insofern kein Unterschied, als diese für beide 4 - 20 Tage betrage. Eine Inkubationszeit von mehr als 20 Tagen sei nur in extremen Ausnahmefällen beobachtet worden. Für eine Inkubationszeit von mehr als 24 Tagen gebe es in der gesamten medizinischen Fachliteratur kein Beispiel. Da im vorliegenden Fall die Inkubationszeit mehr als 40 Tage betragen haben müßte, könne eine Ursächlichkeit der Pockenschutzimpfung für die Erkrankung des Klägers nicht angenommen werden. Der Kläger habe zwar in der Berufungsinstanz vorgetragen, 3 - 4 Tage nach der Impfung sei bereits ein Fieberanstieg zu verzeichnen gewesen. Bald nach der Nachschau seien Schreikrämpfe aufgetreten. Dieser Sachverhalt könne aber der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden. Die Beklagte habe die Richtigkeit dieses Vortrages in zulässiger Weise bestritten. Die entsprechenden Erklärungen der Eltern des Klägers gemäß § 141 Zivilprozeßordnung (ZPO) seien Parteierklärungen, die zum Beweise ungeeignet seien. Die vom Kläger für seinen Vortrag benannten Zeugen hätten seine Behauptungen nicht bestätigt. Aber selbst wenn man den vom Kläger jetzt vorgetragenen Sachverhalt als richtig unterstelle, könnte die Klage keinen Erfolg haben. Auch in diesem Falle wären nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G keine hinreichenden Anzeichen dafür erkennbar, daß die erst 47 Tage nach der Impfung eingetretene schwere Erkrankung des Klägers eine Folge der Impfung gewesen sei. Da somit der Kläger den ihm obliegenden Beweis für die Ursächlichkeit der Impfung für seine Erkrankung nicht geführt habe, sei seine Berufung unbegründet.

Der Kläger hat gegen das ihm noch nicht zugestellte Urteil am 27. September 1971 beim Bundessozialgericht (BSG) Revision eingelegt. Er beantragt sinngemäß:

das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 26. März 1971 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Hamburg zurückzuverweisen.

Zur Begründung führte er am 26. Oktober 1971 aus: Nach § 52 des Bundesseuchengesetzes in der Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes (ÄndG) vom 25. August 1971 (BGBl I, 1401 - BSeuchG nF) genüge zur Anerkennung einer Gesundheitsschädigung als Folge einer Impfung bereits die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Deshalb bedürfe die Ursächlichkeit einer erneuten tatrichterlichen Prüfung. Das OLG habe aber schon unter Berücksichtigung des früheren Rechts die Anforderungen, die an die Beweisführung zu stellen seien, überspannt. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe in seinem Urteil vom 26. Januar 1970 III ZR 232/68 ausgeführt, daß die Frage des Ursachenzusammenhangs nach § 287 ZPO zu entscheiden sei, wobei das tatrichterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO hinausgehe. In dem vom BGH entschiedenen Fall habe zwischen der Impfung und der Erkrankung ein Zeitraum von 39 Tagen bestanden. Im vorliegenden Fall habe das OLG übersehen, daß schon in dem Gutachten des Amtsarztes vom 16. August 1967 festgehalten worden sei, Fieber sei schon 4 - 5 Tage nach der Impfung aufgetreten. Prof. Dr. G habe eingeräumt, daß dies ein ungewöhnlicher Verlauf sei. Das OLG hätte auch die Angaben der Mutter des Klägers beachten müssen, daß das Kind in dieser Zeit auch lebhaft geschrien habe. Angesichts der Aussage der Zeugin F hätte das OLG nicht feststellen dürfen, die Zeugen hätten die Aussage der Mutter des Klägers nicht bestätigt. Außerdem hätte das OLG sich nicht damit begnügen dürfen festzustellen, daß die Beklagte den Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz bestritten habe und die Erklärungen der Eltern kein Beweismittel seien. Nach § 448 ZPO hätten die Aussagen der Eltern als gesetzliche Vertreter der Partei durchaus als Beweismittel verwertet werden können. Schließlich habe sich der Gutachter Prof. Dr. G in Widersprüche verwickelt. Wenn dieser Sachverständige, dem das Gericht gefolgt sei, schon einräume, daß es sich bei der Krankheit des Klägers um eine Encephalopathie gehandelt habe, die ohne erkennbare Symptome verlaufe, dann sei der Beginn der Erkrankung nicht genau zu ermitteln; die Ausführungen über die Inkubationszeit seien somit nicht geeignet, die Ursächlichkeit auszuschließen.

Der Beklagte beantragt:

die Revision als unzulässig zu verwerfen, evtl. sie zurückzuweisen.

Die nach § 546 ZPO erforderliche Revisionssumme sei nach dem OLG-Beschluß vom 26. März 1971 nicht erreicht, doch könne der Beschwerdewert nach § 9 ZPO festgesetzt werden und danach die Zulässigkeit der Revision nach § 546 ZPO gegeben sein. Es lagen aber keine Gesetzesverletzungen i. S. von § 549 ZPO vor. Die Frage der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nach § 52 Abs. 2 BSeuchG nF bedürfe keiner erneuten tatrichterlichen Überprüfung. Denn bereits der Amtsarzt habe in seinem Gutachten vom 16. August 1967 die Frage des ursächlichen Zusammenhangs unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit geprüft und verneint. In diesem Sinne habe auch die Impfschadenskommission in ihrer Sitzung vom 21. März 1968 den Anspruch des Klägers beurteilt und abgelehnt. Indem Prof. Dr. G den ursächlichen Zusammenhang mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verneint habe, sei sogar der Maßstab der einfachen Wahrscheinlichkeit überschritten. Das Gutachten von Prof. Dr. G sei nicht in sich widersprüchlich. Das OLG habe im übrigen unterstellt, daß die Angaben der Eltern des Klägers richtig seien und habe auch unter dieser Voraussetzung in Übereinstimmung mit dem Gutachter die Ursächlichkeit verneint.

II

Die Revision ist zulässig. Die Zulässigkeit richtet sich, da das angefochtene Urteil vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesseuchengesetzes (ÄndG) vom 25. August 1971 (BGBl I, 1401) ergangen ist, nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung. (Art. 3 Abs. 2 ÄndG). Die Revision ist statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes - auch ohne Bewertung des Feststellungsantrages - 25.000,- DM übersteigt (§§ 9, 546 ZPO iVm Art. 1 des Gesetzes zur Entlastung des BGH vom 15. August 1969 BGBl I, 1141). Sie ist am Montag, den 27. September 1971 auch frist- und formgerecht eingelegt und innerhalb eines weiteren Monats begründet worden (§§ 552 - 554 ZPO). Der Rechtsstreit ist aber nun vom BGH auf das BSG als das zuständige Gericht des betreffenden Rechtszuges übergegangen, weil eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, für die der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist (Art. 3 Abs. 1 ÄndG, §§ 61 Abs. 2, 51 des BSeuchG idF des 2. ÄndG - BSeuchG nF -).

Die Revision ist auch begründet. Es ist nicht zu prüfen, ob das OLG nach dem damals maßgebenden Recht des BSeuchG aF die Berufung zu Recht zurückgewiesen hat. Denn der Anspruch des Klägers ist nunmehr nach dem Recht des BSeuchG nF zu beurteilen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 ÄndG). Dies gilt auch im Falle der Rechtshängigkeit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ÄndG). Eine neue anfechtbare Entscheidung der nun zuständigen Versorgungsbehörde (Art. 2 Abs. 6 ÄndG) in rechtshängigen Fällen ist damit nicht angeordnet (aA: Rühl in Sgb 1972, 85/86). Der nach Art. 3 Abs. 1 ÄndG vorgeschriebene Übergang auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des jeweiligen Rechtszugs weist darauf hin, daß die unter Geltung des früheren Rechts ergangenen Bescheide unter Anwendung des neuen Rechts von den Sozialgerichten zu überprüfen sind.

Für die hier allein streitige Frage der Ursächlichkeit der Pockenschutzimpfung für den Gesundheitsschaden des Klägers ist auch eine wesentliche Rechtsänderung eingetreten. Während bisher grundsätzlich (abgesehen von den besonderen Fällen des § 51 Abs. 4 BSeuchG aF idF des ÄndG vom 23. Januar 1963 BGBl I, 57) zur Begründung eines Impfschadensanspruchs der Nachweis erforderlich war, daß der erlittene Gesundheitsschaden auf die Impfung zurückzuführen ist (§ 51 Abs. 1 BSeuchG aF), genügt jetzt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 52 Abs. 2 BSeuchG nF). Das OLG hat den Anspruch verneint, weil "der Kläger den ihm obliegenden Beweis für die Ursächlichkeit der Impfung für seine Erkrankung nicht geführt hat". Die Frage, ob die Ursächlichkeit wahrscheinlich sei, hat sich dem OLG nach damaligem Recht nicht gestellt. Es hat diese Frage demgemäß nicht - auch nicht sinngemäß - beantwortet. Ob das Gesamtergebnis des Verfahrens ausgereicht hätte, auch die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs auszuschließen, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die das BSG nicht vornehmen kann. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß der Amtsarzt in seinem Gutachten vom 16. August 1967 und möglicherweise auch die Impfschadenskommission der Beklagten in ihrer Sitzung vom 21. März 1968 den ursächlichen Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit geprüft und verneint haben. Auch ist unerheblich, daß der Sachverständige Prof. Dr. G in seinem Gutachten vom 28. Mai 1969 (vgl. auch seine mündlichen Erläuterungen vom 16. Februar 1971 und vom 12. März 1971) den Zusammenhang mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hat. Denn obwohl das OLG den Ausführungen dieses Gutachters im einzelnen gefolgt ist, hat es sich nicht dieses Ergebnis zu eigen gemacht. - Anders läge der Fall, wenn das OLG im Hinblick auf § 51 Abs. 4 BSeuchG aF und den darin möglicherweise enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken der Beweiserleichterung geprüft hätte, ob die Krankheit ihrer "Art nach" durch Impfviren "verursacht sein kann", d.h. ob die Ursächlichkeit der Impfung wenigstens möglich sei. Hätte es auch diese Frage mit Prof. Dr. G verneint, so könnte hieraus der Schluß gezogen werden, es sei die Feststellung getroffen worden, daß auch die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht vorläge (vgl. Urteil des erkennenden Senats von heute 8 RVi 1/72). Unter dieser - hier nicht gegebenen Voraussetzung - wäre zu erörtern, ob das BSG an diese Feststellung gebunden ist, wenn nicht in bezug auf sie zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die für die Entscheidung des OLG maßgebende Auffassung, der Kläger habe den Beweis für die Ursächlichkeit nicht geführt, ist durch das Inkrafttreten des neuen Rechts bedeutungslos geworden, weil sich mit diesem Ergebnis die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs weder bejahen noch verneinen läßt. Da somit die für die Anwendung der neuen Kausalitätsnorm erforderlichen Feststellungen fehlen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), das nunmehr das Landessozialgericht (LSG) Hamburg ist (§§ 57, 143 SGG).

Die von dem Kläger gegen die Feststellungen des OLG zur Ursächlichkeit im Sinne des § 51 Abs; 1 BSeuchG aF erhobenen Rügen sind damit für die Frage der Begründetheit der Revision ohne wesentliche Bedeutung, sie geben dem Senat aber Anlaß zu folgenden Hinweisen, die das LSG bei seiner Entscheidung zu beachten haben wird: Das LSG wird - jedenfalls im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) - weitere Ermittlungen anzustellen haben. Insbesondere ist zu klären, wieso aus der normalen Inkubationszeit für eine Encephalopathie Schlüsse auf die Ursächlichkeit möglich sind, wenn diese Krankheit ohne oder mit nur geringen Symptomen auftreten und daher die genaue Dauer der Inkubationszeit wohl kaum zuverlässig festgestellt werden kann. Diese Frage ist von dem Sachverständigen Prof. Dr. G nicht mit hinreichender Deutlichkeit beantwortet worden. Seine Äußerung auf Seite 8 unten des Gutachtens vom 28. Mai 1969 läßt auch die Frage offen, ob sich der Kläger in der Zeit nach dem Abklingen des Fiebers, das einige Tage nach der Impfung auftrat, wirklich statisch und geistig weiter entwickelt hat, was nach Ansicht des Sachverständigen der Vermutung entgegensteht, er habe schon in den Tagen nach der Impfung an einer Encephalopathie gelitten. Es ist fraglich, ob eine solche Weiterentwicklung in der kurzen Zeit bis zum Auftreten der deutlichen Symptome am 29. Dezember 1966 festgestellt worden ist oder werden konnte. In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Aussagen der Eltern des Klägers Bedeutung, er habe sich nach der Nachschau am 18. November 1966 auffällig durch Schreikrämpfe und Verweigerung der Nahrungsaufnahme bemerkbar gemacht. Bei der Würdigung dieser Aussagen ist das Bestreiten durch die Beklagte im sozialgerichtlichen Verfahren unerheblich. Bei der Frage, ob die Krankheit zunächst ohne erkennbare Symptome verlaufen ist, könnte ferner bedeutsam sein, daß der Amtsarzt in seinem Gutachten vom 16. August 1967 (Seite 4) es als "auffallend" bezeichnet hat, daß der Kläger nach der Aufnahme in das Kinderkrankenhaus B noch relativ wenig beeinträchtigt gewesen sei. Sollten die weiteren Ermittlungen nicht ergeben, daß die Krankheit wahrscheinlich auf die Impfung zurückzuführen ist, so ist zu prüfen, ob die schweren Folgen mit Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen sind, daß die Abwehrkräfte des Klägers durch die Impfung und die Auseinandersetzung des Körpers mit dem Impfstoff etwa geschwächt waren. Prof. Dr. G hat diese Frage zwar in seinem Gutachten vom 28. Mai 1969 (Seite 9) verneint, weil eine Resistenzverminderung durch die Impfung nur dann von Bedeutung sein könnte, wenn eine Virusinfektion etwa 1 - 2 Wochen nach der Impfung aufgetreten wäre. Abgesehen davon, daß dieser Zeitraum ohnedies in die normale Inkubationszeit für die Annahme einer hinreichend gesicherten Impf-Encephalitis fiele, wäre überdies, sofern die Krankheit des Klägers eine Encephalopathie gewesen sein sollte, wie ausgeführt, noch ungeklärt, wann diese Krankheit tatsächlich, wenn auch zunächst ohne deutliche Symptome, aufgetreten ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655280

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