Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Übergangsgeldes. Begriff einer Rehabilitationsmaßnahme
Orientierungssatz
1. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung (RVO § 1241a Abs 2 Nr 1) ist unter dem Gesichtspunkt sachlich vertretbar, daß ein individueller Lohnersatz dann nicht mehr erforderlich ist, wenn der zu ersetzende Lohn zeitlich lange zurückliegt und deswegen nicht mehr die Lebensgrundlage vor Einleitung des Rehabilitationsverfahrens gebildet haben konnte.
2. Unter einer Rehabilitationsmaßnahme versteht der Gesetzgeber eine Veranstaltung, an der der Behinderte auf Veranlassung und auf Kosten des Rehabilitationsträgers teilnimmt. Hiernach kann eine Maßnahme nur einen Teil des gesamten Rehabilitationsvorganges bilden. Die Leistungen zur Rehabilitation (§ 1237 ff RVO) werden nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit Maßnahmen erbracht, sie werden durch diese koordiniert und zu einem bestimmten Ziel geordnet.
3. Die Anknüpfung des Übergangsgeldes an Rehabilitationsmaßnahmen hat zur Folge, daß der Anspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach mit jeder Maßnahme neu entsteht und mit der Beendigung einer Maßnahme jeweils endet. Ausnahmsweise kann unter den Voraussetzungen des § 1241e RVO das Übergangsgeld über die Beendigung einer Maßnahme hinaus weitergewährt werden. Dies schließt indessen nicht aus, daß bei Beginn einer neuen Maßnahme das Übergangsgeld neu festzusetzen ist.
Normenkette
RVO § 1241a Abs 2 Nr 1 Fassung: 1974-08-07, §§ 1237, 1236, 1241
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 02.06.1983; Aktenzeichen L 3 J 250/82) |
SG Itzehoe (Entscheidung vom 26.08.1982; Aktenzeichen S 4 J 220/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger ab 2. März 1981 gewährten Übergangsgeldes.
Der Kläger hat den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers erlernt und war zuletzt bis zum 15. Oktober 1976 als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluß daran war er arbeitsunfähig.
Vom 3. Mai bis 14. Juni 1977 gewährte die Beklagte dem Kläger ein Heilverfahren. Danach leitete sie in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt E. eine kaufmännische Ausbildung ein, die am 3. September 1979 begann und zum 31. Januar 1980 erfolglos abgebrochen wurde. Eine im März 1980 durchgeführte Berufsfindungsmaßnahme ergab, daß sich eine Umschulung zum Büropraktiker anbiete, zuvor jedoch ein Heilverfahren erforderlich sei. Hierauf bewilligte die Beklagte dem Kläger ein Heilverfahren in der Zeit vom 2. bis zum 30. Dezember 1980 (Bescheid vom 29. Juni 1980).
Die Umschulung zum Büropraktiker begann am 2. März 1981 und sollte bis zum 31. Oktober 1982 dauern. Während die Beklagte für die voraufgegangenen Maßnahmen das Übergangsgeld (DM 82,32 ab 2. Dezember 1980) aus der Lohnabrechnung für den Monat September 1976 errechnete, legte sie für die am 2. März 1983 begonnene Ausbildung zum Büropraktiker gemäß § 1241a Abs 2 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF die Leistungsgruppe 1 der Anlage 1A zum Fremdrentengesetz (FRG) zugrunde (Bescheid vom 6. März 1981). Hierdurch ergab sich ein Übergangsgeld in Höhe von täglich DM 69,31. Der Widerspruch gegen diese Festsetzung blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. September 1981).
Mit seiner Klage auf Weiterberechnung des Übergangsgeldes nach dem Lohn vom September 1976 hatte der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg (Urteil des SG Itzehoe vom 26. August 1982). Auf die Berufung der Beklagten hob das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil auf und wies die Klage im vollen Umfange ab (Urteil vom 2. Juni 1983). Zur Begründung führt das LSG im wesentlichen aus, die Berechnung des Übergangsgeldes durch die Beklagte sei nicht zu beanstanden, weil der letzte Tag des Bemessungszeitraumes (30. September 1976) bei Beginn der Umschulung zum Büropraktiker (2. März 1981) länger als drei Jahre zurückgelegen habe. Mit dieser Umschulung sei eine neue Maßnahme iS des § 1241a Abs 2 RVO begonnen worden. Es habe sich bei den Leistungen der Beklagten nicht um eine einheitliche Maßnahme gehandelt. Auch aus § 1241b RVO aF ergebe sich keine Besitzstandsgarantie für die Weitergewährung des Übergangsgeldes in der früheren Höhe. Schließlich habe die Beklagte auch nicht pflichtwidrig gehandelt, so daß ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ausscheide.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision trägt der Kläger vor, für die Berechnung des Übergangsgeldes dürfe nicht auf jede Einzelmaßnahme zurückgegriffen werden, vielmehr sei unter "Maßnahme" iS des § 1241a Abs 1 RVO die Gesamtheit aller auf dem Rehabilitationserfolg ausgerichteten Bemühungen um eine berufliche Neuorientierung zu verstehen. Auch bei ihm liege ein einheitliches Rehabilitationsverfahren vor, Unterbrechungen seien von ihm nicht zu vertreten. Auch aus § 1241e RVO folge, daß Übergangsgeld so lange weiterzugewähren sei, als eine Maßnahme aus Gründen, die der Betreute nicht zu vertreten habe, nicht unmittelbar einer voraufgegangenen folge. Auch hiernach sei das Übergangsgeld aufgrund der alten Berechnung weiter zu gewähren.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Juni 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. August 1982 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das dem Kläger zustehende Übergangsgeld für die im März 1981 eingeleitete Berufsförderung war nach § 1241a Abs 2 RVO in der damals geltenden durch das Rehabilitations-Angleichungsgesetz (Reha-AnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) eingeführten Fassung in entsprechender Anwendung des FRG, hier der Zugrundelegung der Leistungsgruppe 1 (Facharbeiter außerhalb der Land- und Forstwirtschaft) zu berechnen. Ein Arbeitsentgelt konnte deswegen nicht mehr zugrundegelegt werden, weil der Bemessungszeitraum, in dem es erzielt worden war, länger als drei Jahre zurücklag (§ 1241a Abs 2 Nr 1 RVO).
Nach § 1241 RVO richtet sich die Berechnung des Übergangsgeldes grundsätzlich nach dem vor Einleitung einer Rehabilitationsmaßnahme erzielten Regellohn, dh dem Arbeitslohn. Dies ergibt sich aus der Lohnersatzfunktion des Übergangsgeldes (vgl Zweng/Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung, § 1241 RVO Anm 0). Von diesem Grundsatz macht § 1241a RVO bei berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation mehrere Ausnahmen. Dort (Abs 2) wird der Regellohn der Berechnung des Übergangsgeldes dann nicht zugrundegelegt, wenn entweder der letzte Tag des Bemessungszeitraumes zu Beginn der Maßnahme länger als drei Jahre zurückliegt (Nr 1) oder ein Arbeitsentgelt nicht erzielt worden ist (Nr 2) oder es unbillig hart wäre, das Arbeitsentgelt der Bemessung des Übergangsgeldes zugrundezulegen (Nr 3). Die hier maßgebende Fallgruppe des § 1241a Abs 2 Nr 1 RVO (Zurückliegen des Bemessungszeitraums) kann nur so verstanden werden, daß der Gesetzgeber das Übergangsgeld aktualisieren wollte und deshalb bei dem Vorliegen eines langen Zeitraumes zwischen dem letzten erzielten Lohn und dem Beginn einer berufsfördernden Maßnahme wegen Fehlens der Aktualität des Lohnes auf eine typisierende Regelung der Berechnung des Übergangsgeldes zurückgegriffen hat. Diese Typisierung kann sich für den Versicherten günstig auswirken, wenn der zuletzt erzielte Lohn hinter den Tabellenwerten des FRG zurückblieb, ohne daß dies gleichzeitig mit einer unbilligen Härte verbunden wäre. Andererseits kann sich eine typisierende Regelung, wie der vorliegende Fall zeigt, auch für den Versicherten negativ auswirken. Dies liegt im Wesen jeder Typisierung. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt sachlich vertretbar, daß ein individueller Lohnersatz dann nicht mehr erforderlich ist, wenn der zu ersetzende Lohn zeitlich lange zurückliegt und deswegen nicht mehr die Lebensgrundlage vor Einleitung des Rehabilitationsverfahrens gebildet haben konnte.
Allerdings stellt das Gesetz in § 1241a RVO nicht auf die Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens schlechthin, sondern ausdrücklich auf den "Beginn der Maßnahme" ab. Unter einer Maßnahme versteht der Gesetzgeber (vgl BT-Drucks 7/1237 S 54 zu § 1 Abs 1 des Reha-AnglG) eine Veranstaltung, an der der Behinderte auf Veranlassung und auf Kosten des Rehabilitationsträgers teilnimmt. Hiernach kann eine Maßnahme nur einen Teil des gesamten Rehabilitationsvorganges bilden; es ist durchaus denkbar, daß das Ziel einer Rehabilitation, die Eingliederung des Betreuten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (vgl § 1 Abs 1 Reha-AnglG) nur durch mehrere Maßnahmen erreicht werden kann - Fälle, die von § 1241e RVO erfaßt werden. Die Leistungen zur Rehabilitation (§§ 1237ff RVO) werden nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit Maßnahmen erbracht, sie werden durch diese koordiniert und zu einem bestimmten Ziel geordnet.
Die Anknüpfung des Übergangsgeldes an Rehabilitationsmaßnahmen hat zur Folge, daß der Anspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach mit jeder Maßnahme neu entsteht und mit der Beendigung einer Maßnahme jeweils endet. Ausnahmsweise kann unter den Voraussetzungen des § 1241e RVO das Übergangsgeld über die Beendigung einer Maßnahme hinaus weitergewährt werden. Dies schließt indessen nicht aus, daß bei Beginn einer neuen Maßnahme das Übergangsgeld neu festzusetzen ist. Die Frage, ob nach § 1241e RVO auch zwischen zwei berufsfördernden Maßnahmen Übergangsgeld zu gewähren ist (vgl Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. September 1978 - 5 RJ 8/78 = SozR 2200 § 1241e Nr 5) bezieht sich nur auf den Zeitraum der Gewährung des Übergangsgeldes zwischen zwei Maßnahmen, nicht aber auf die Höhe des Übergangsgeldes während einer weiteren Maßnahme. Wenn der Gesetzgeber auf den Beginn einer Maßnahme abstellt, so nimmt er damit zumindest in Kauf, daß sich die Höhe des Übergangsgeldes im Laufe eines mehr als drei Jahre dauernden, aus mehreren Maßnahmen bestehenden Re- habilitationsverfahrens zu irgendeinem Zeitpunkt ändert.
Im vorliegenden Fall bestand das beim Kläger durchgeführte Rehabilitationsverfahren aus mehreren selbständigen Maßnahmen. Die erste berufsfördernde Maßnahme mußte aus objektiven, nicht vorhersehbaren Gründen abgebrochen werden. Sollte die Rehabilitation nicht insgesamt abgebrochen werden, so waren neue Maßnahmen einzuleiten. Dies geschah durch die Berufsfindung und ein Heilverfahren. Erst danach konnte entschieden werden, ob und ggf welche berufsfördernde Maßnahme einzuleiten war. Diese Maßnahme wurde im März 1981 bewilligt und eingeleitet. Durch sie wurde die berufliche Eingliederung des Klägers im Vergleich zur ersten berufsfördernden Maßnahme auf eine neue Grundlage gestellt. Auch hieraus ergibt sich ihr Charakter als eigenständige Maßnahme, die den Anspruch auf Übergangsgeld nach § 1241a RVO begründet. Diesem war nicht der letzte Arbeitsverdienst des Klägers, sondern eine Leistungsgruppe des FRG zugrundezulegen. Die Art der Berechnung des Übergangsgeldes aufgrund dieser Leistungsgruppe ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Nach alldem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen