Leitsatz (amtlich)
Die Vorschriften in AVG § 140 über die Wirksamkeit der Nachentrichtung von Pflicht- und freiwilligen Beiträgen gelten nicht für die Einrichtung von Nachversicherungsbeiträgen.
Leitsatz (redaktionell)
Auch unter der Geltung des Neuen Rechts (ab 1957-03-01) ist die Nachversicherung nicht an irgendwelche Ausschlußfristen gebunden. 2. Nach dem 1957-02-28 kann eine Nachversicherung, deren Voraussetzungen in der Zeit vorher eingetreten sind, nicht mehr nach dem früheren Recht durchgeführt werden. 3. AVG § 140 ist auf Nachversicherungsbeiträge nicht anzuwenden. Hätte der Gesetzgeber die Fristen des AVG § 148 auch auf diese Beiträge erstrecken wollen, so hätte er dies durch eine entsprechende Änderung des Gesetzeswortlautes oder durch eine zusätzlich Bestimmung im neuen Recht klarstellen müssen.
Normenkette
AVG § 9 Fassung: 1957-02-23, § 124 Fassung: 1957-02-23, § 140 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1232 Fassung: 1957-02-23, § 1402 Fassung: 1957-02-23, § 1418 Fassung: 1957-02-23; AVG § 125 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1403 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. April 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene in der Rentenversicherung der Angestellten (AV.) nachzuversichern ist.
Die Beigeladene war von April 1941 an bei der Klägerin als Angestellte beschäftigt. Beiträge zur AV. wurden für sie nicht entrichtet, weil sie als Mitglied der H Versorgungskasse für staatliche Angestellte versicherungsfrei war. Bei ihrem Ausscheiden (aus Gesundheitsgründen) im Jahre 1945 hatte sie keinen Anspruch gegen die Versorgungskasse, weil die Wartezeit nicht erfüllt war.
Im Juli 1957 wandte sich die Klägerin wegen der Nachversicherung der Beigeladenen an die Beklagte und überwies ihr (unter Beifügung einer Entgeltaufstellung) den Betrag von 79,02 DM, der einem Satz von 5,6 v. H. des Arbeitsentgelts während der genannten Beschäftigungszeit, abgewertet im Verhältnis 10 : 1 entsprach. Die Beklagte lehnte die Annahme der Zahlung ab: Ihr Anspruch auf die Nachversicherungsbeiträge sei nach § 29 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verjährt; sie könne diese Beiträge nicht nur nicht mehr fordern, sondern im Hinblick auf § 140 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) n. F. auch nicht mehr annehmen; die Ausschlußfristen dieser Vorschrift gälten seit dem Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) auch für die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen (Schreiben vom 1.10.1957). Das Sozialgericht Hamburg verurteilte die Beklagte, von der Klägerin die Nachversicherungsbeiträge für die Beigeladene für die Zeit vom 1. April 1941 bis 30. April 1945 in Höhe von 79,02 DM anzunehmen, die Zeiten und Entgelte zu beurkunden und der Beigeladenen darüber eine Bescheinigung zu erteilen (Urteil vom 5.11.1958). Das Landessozialgericht Hamburg wies die Berufung zurück; es ließ in seinem Urteil vom 21. April 1959 die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das ihr am 8. Mai 1959 zugestellte Urteil am 29. Mai 1959 Revision ein mit dem Antrag, die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie begründete die Revision am 30. Juni 1959: Das angefochtene Urteil verletze § 140 AVG. Diese Vorschrift sei auch auf die Nachversicherungsbeiträge anzuwenden. Dies folge aus der Systematik des AnVNG, in dem die Nachversicherung - abweichend vom früheren Recht - auch im beitragsrechtlichen Teil (Sechster Abschnitt) geregelt sei; sie müsse deshalb auch an den gemeinsamen Vorschriften dieses Abschnitts (Dritter Unterabschnitt) teilnehmen. Damit seien die Nachversicherungsbeiträge - als Pflichtbeiträge - der für alle Beitragsarten geltenden Nachentrichtungsfristen unterworfen. Da für den Beginn der Nachentrichtungsfrist nach § 140 AVG bei Pflichtbeiträgen der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit maßgebend sei und im Falle der Nachversicherung die Beitragsschuld für das gesamte nachzuversichernde Beschäftigungsverhältnis (frühestens) bei dessen Beendigung fällig werde, müßten auch (frühestens) von diesem Zeitpunkt an für die gesamte Nachversicherungsschuld die Fristen des § 140 AVG zu laufen beginnen. Diese Fristen seien im Falle der Beigeladenen abgelaufen. Artikel 2 § 48 Abs. 1 AnVNG stehe dieser Auslegung nicht entgegen; diese Vorschrift betreffe nur solche Fälle, die zur Zeit des Inkrafttretens des neuen Rechts bei den Versicherungsträgern schwebten. Es sei auch nicht sinnwidrig, auf die Nachversicherungsbeiträge § 140 AVG anzuwenden; seit jeher habe die Nachversicherung alsbald nach dem Ausscheiden des Berechtigten vorgenommen werden müssen. Wenn es zulässig sei, die Nachversicherungen erst viele Jahre nach dem Ausscheiden durchzuführen, könnten die öffentlichen Dienstherren frühere Versäumnisse auf einfache Weise bereinigen und die Folgen ihrer Nachlässigkeit auf die Beklagte - unter Ausnutzung der für sie bestehenden Beweisschwierigkeiten - abwälzen. Daß in vielen Fällen die Möglichkeit der Nachversicherung abgeschnitten werde, wenn diese den Fristen des § 140 AVG unterliege, sei nicht zu befürchten; im übrigen erlitten ausgeschiedene Personen, bei denen die Nachversicherung nicht mehr möglich sei, auch deshalb keinen Schaden, weil in solchen Fällen der öffentliche Dienstherr hafte. Dieser dürfe bei der Nachversicherung nicht anders behandelt werden als der private Arbeitgeber in Anbetracht der laufenden Beitragszahlung.
Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene war im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Obwohl der Streit über die Nachversicherung der Beigeladenen erst durch das Zahlungsangebot der Klägerin im Jahre 1957 entstanden ist, sind die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beteiligten zutreffend davon ausgegangen, daß das für die Nachversicherung maßgebende Ereignis das Ausscheiden der Beigeladenen aus der versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung oder Abfindung gewesen, der Nachversicherungsfall also bereits im Jahre 1945 eingetreten ist. Damals wäre die Beigeladene nach § 1 Abs. 6 AVG in Verbindung mit §§ 1242 a, 169 RVO (jeweils in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung - VereinfVO - vom 17.3.1945 - RGBl. I S. 41 -) nachzuversichern gewesen. Der Anspruch des Versicherungsträgers auf die Nachversicherungsbeiträge unterlag zwar bisher schon der für die Verjährung von Rückständen in § 29 Abs. 1 RVO getroffenen Vorschrift (Entscheidung des RVA. Nr. 4033, AN. 1931 S. IV 174); es bestanden aber keine Fristen, innerhalb derer der Arbeitgeber diese Beiträge nachzuentrichten hatte. § 190 AVG a. F. und § 1442 RVO a. F. waren insoweit nicht anzuwenden (Entscheidungen des RVA. Nr. 4682, AN. 1933 S. IV 405 und Nr. 5148, AN. 1937 S. IV 352). An diesem Rechtszustand hat das Inkrafttreten des AnVNG vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 88) nach Auffassung des Senats nichts geändert. Auch unter der Geltung des neuen Rechts ist die Nachversicherung nicht an irgendwelche Ausschlußfristen gebunden.
Das AnVNG hat das Recht der Nachversicherung vom 1. März 1957 an (Art. 3 § 7 Satz 2 AnVNG in Verbindung mit § 9 AVG) neu geordnet, und zwar getrennt nach Voraussetzungen (§ 9 AVG, Art. 2 § 4 AnVNG) und nach Durchführung der Nachversicherung (§§ 124, 125 AVG, Art. 2 § 48 AnVNG). Es befaßt sich - von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG und der Regelung der Währungsfrage in Art. 2 § 48 AnVNG abgesehen - nicht ausdrücklich mit den Fällen, in denen das Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung oder Abfindung - wie im vorliegenden Streitfall - schon vor seinem Inkrafttreten erfolgt, die Nachversicherung aber bis dahin unterblieben ist (alte Nachversicherungsfälle). Dies zeigt die Fassung der einzelnen Vorschriften. Auch § 124 AVG, der die Durchführung der Nachversicherung regelt, ist, wie aus seiner Bezugnahme auf die §§ 9 und 119 AVG hervorgeht, an sich nur für solche Fälle gedacht, in denen die versicherungsfreie Beschäftigung unter der Geltung des neuen Rechts beendet wurde. Trotzdem ist diese Vorschrift, was die Vorinstanzen richtig erkannt haben, auch auf die Durchführung der alten Nachversicherungsfälle anzuwenden. Zu diesem Ergebnis führt schon die Überlegung, daß mit dem Inkrafttreten des AnVNG alles bisherige entgegenstehende oder gleichlautende Recht aufgehoben worden ist (Art. 3 § 2 AnVNG). Es kann deshalb nach dem 28. Februar 1957 eine Nachversicherung, deren Voraussetzungen in der Zeit vorher eingetreten sind, nicht mehr nach dem früheren Recht durchgeführt werden. Von der Auffassung, daß § 124 AVG für die Durchführung der alten Nachversicherungsfälle gilt, geht auch das Gesetz selbst aus, wie sich aus Art. 2 § 48 AnVNG und der darin enthaltenen Bezugnahme auf die genannte Vorschrift ergibt. Auch wenn hiernach für die Nachversicherung der Beigeladenen, was die Durchführung anbetrifft, neues Recht maßgeblich ist, so folgt daraus nicht, daß die im Juli 1957 beantragte Nachversicherung wegen Fristablaufs nicht mehr erfolgen kann. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß das neue Recht für die Durchführung der Nachversicherung die Fristen des § 140 AVG eingeführt hätte, könnten sie nur mit dem Inkrafttreten des AnVNG (hier also zum 1. März 1957) in Lauf gesetzt worden sein und die bisher nicht an Fristen gebundene Nachversicherungspflicht nicht rückwirkend beseitigt haben. Die Fristen des § 140 AVG wären demnach im Falle der Beigeladenen bei der Antragstellung noch gar nicht abgelaufen gewesen. Darüber hinaus ist der Senat jedoch der Auffassung, daß § 140 AVG ebensowenig wie die im wesentlichen gleichlautenden Vorschriften des früheren Rechts (§§ 1442 RVO a. F., 190 AVG a. F.) auf die Nachversicherung anzuwenden ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG. 1 S. 219) begründet die Pflicht zur Nachversicherung, die - falls sie nicht aufgeschoben wird (§ 125 AVG) - regelmäßig mit dem unversorgten Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung entsteht, ein Versicherungsverhältnis eigener Art. Es werden nicht etwa nur die zunächst versicherungsfreien Beschäftigungszeiten nachträglich in versicherungspflichtige umgewandelt. Bei den Beiträgen, die der Arbeitgeber auf Grund des genannten Sachverhalts zu leisten hat, handelt es sich deshalb auch nicht um Pflichtbeiträge in dem Sinne, wie sie das Gesetz sonst - und auch in § 140 AVG - versteht, nämlich um Beiträge, die auf Grund einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit laufend zu leisten sind (vgl. z. B. § 112 Abs. 4 und §§ 118 ff. AVG). Der Nachversicherung ist es gerade wesentlich, daß die Beschäftigung, um die es sich handelt, nicht versicherungspflichtig gewesen ist und daß ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auch nicht rückwirkend hergestellt wird. Bei diesen Beiträgen handelt es sich deshalb um solche besonderer Art, was sich z. B. darin zeigt, daß sie allein vom Arbeitgeber und in einer Summe auf einmal zu zahlen sind. Ihrem besonderen Charakter trägt § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG mit der Bestimmung Rechnung, daß die nachzuentrichtenden Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten. Diese Vorschrift wäre nicht verständlich, wenn die Nachversicherungsbeiträge ohnehin Pflichtbeiträge im Sinne des AVG wären. Die Beklagte meint zwar, die Fiktion des Gesetzes beziehe sich nur auf die Rechtzeitigkeit der Beitragsleistung, nicht auch auf die Kennzeichnung der Beiträge als Pflichtbeiträge. Dann aber hätte es genügt zu sagen, daß die nachzuentrichtenden Beiträge als rechtzeitig entrichtet gelten. Jeder Zweifel über die Auslegung des § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG wird aber ausgeräumt durch einen Vergleich mit der Vorschrift in § 18 Abs. 1 Satz 4 AVG in der Fassung vom 28. Mai 1924 (RGBl. I S. 563). Dort hieß es einfach: "Die Beiträge gelten als Pflichtbeiträge". Auf diese Bestimmung geht § 124 Abs. 4 Satz 1 AVG n. F. zurück. Im übrigen enthält diese Vorschrift selbst keine Einschränkung des Inhalts, daß nur die rechtzeitig (d. h. innerhalb bestimmter Fristen) nachzuentrichtenden Beiträge als rechtzeitig geleistete Pflichtbeiträge gelten.
Gegen die Anwendung des § 140 AVG auf die Nachversicherungsbeiträge spricht vor allem der Wortlaut der Vorschrift. Wenn hier in den Absätzen 2 und 3 vom Verschulden des Versicherten und von der Beobachtung der durch ihn gebotenen Sorgfalt die Rede ist (obwohl er an der Beitragsaufbringung für die Nachversicherung nicht beteiligt ist) und in Abs. 2 der nicht ordnungsmäßige Umtausch der Versicherungskarten durch den Arbeitgeber erwähnt ist, so sind damit Tatbestände angesprochen, die zwar für die laufende Entrichtung von Pflichtbeiträgen, nicht aber für die einmalige Abführung der Nachversicherungsbeiträge passen. Noch mehr gilt dies für den Inhalt der Vorschrift. Sie läßt die Nachentrichtung von Beiträgen regelmäßig nur innerhalb von zwei Jahren, ausnahmsweise innerhalb von vier Jahren nach Schluß des Kalenderjahres zu, für das sie gelten sollen. Eine Nachversicherung für so kurze Zeiträume würde aber, selbst wenn sie sogleich beim Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung vorgenommen werden würde, in den meisten Fällen nicht ausreichen, um den mit der Nachversicherung verfolgten Zweck, die Versorgungsansprüche der entlassenen Angestellten sicherzustellen, zu erfüllen. Die Beklagte vermag diese Schwierigkeit nur dadurch auszuräumen, daß sie dem klaren Wortlaut des § 140 Abs. 1 AVG für das Recht der Nachversicherung eine andere Fassung gibt und den Satzteil "für das sie gelten sollen" durch die Worte "nach Fälligkeit" ersetzt. Damit hält sie sich aber nicht mehr im Rahmen einer zulässigen Gesetzesauslegung. Wortlaut und Inhalt des § 140 AVG lassen vielmehr erkennen, daß der Gesetzgeber darin die Nachversicherung nicht einbeziehen wollte.
Die gegenteilige Auffassung läßt sich auch nicht aus der Systematik des neuen Rechts herleiten, das die Durchführung der Nachversicherung im Sechsten Abschnitt des AVG (Beitragsverfahren) geregelt hat. Zwar enthält innerhalb dieses Abschnitts der III. Unterabschnitt "gemeinsame Vorschriften für die Beitragsentrichtung durch Arbeitgeber und Versicherte".
In diesem Unterabschnitt steht auch § 140 AVG. Gegen die Auffassung der Beklagten, wegen dieser Einordnung im Gesetz unterliege die Nachversicherung den Vorschriften des Unterabschnitts und damit auch § 140 AVG, spricht aber schon, daß in den einzelnen Vorschriften des III. Unterabschnitts verschiedenartige Regelungen enthalten sind, die, wie z. B. die Ausstellung, der Umtausch oder der Ersatz von Versicherungskarten (§ 133 ff. AVG), zu dem Recht der Nachversicherung ohne Beziehung sind. Die Vorschriften des genannten Unterabschnitts sind daher jeweils für sich auszulegen. Insoweit ist aber zu beachten, daß § 140 AVG in seinem hier wesentlichen Wortlaut mit der bis zum Inkrafttreten des AnVNG gültigen Vorschrift des § 1442 RVO (§ 190 AVG) übereinstimmt. Rechtsprechung und Praxis der Versicherungsträger haben diese Vorschrift auf die Nachversicherungsbeiträge nicht angewandt. Auch die Beklagte hat bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts die Nachversicherungsbeiträge ohne Rücksicht auf Zeit- und Fristenablauf entgegengenommen. Es ist nicht einzusehen, weshalb § 140 AVG trotz des im wesentlichen gleichen Wortlauts eine andere Deutung erfahren soll. Dem Gesetzgeber war bei der Schaffung des AnVNG der bisherige Rechtszustand bekannt. Der Umstand allein, daß er einen Teil der Nachversicherung (§§ 124, 125 AVG) und die Ausschlußfristen für die Nachentrichtung von Pflicht- und freiwilligen Beiträgen (§ 140 AVG) nunmehr im gleichen Gesetzesabschnitt geregelt hat, reicht nach der Auffassung des Senats nicht aus, um hieraus auf eine besondere Absicht des Gesetzgebers zu schließen und die von der Beklagten gezogenen Folgerungen zu rechtfertigen. Hätte der Gesetzgeber - was ihm freistand - die Fristen des § 140 AVG auch auf die Nachversicherungsbeiträge erstrecken wollen, so hätte er dies durch eine entsprechende Änderung des Gesetzeswortlauts oder durch eine zusätzliche Bestimmung im neuen Recht klarstellen müssen.
Gegen die Auffassung der Beklagten, der Gesetzgeber habe die Entrichtung der Nachversicherungsbeiträge den Fristen des § 140 AVG unterwerfen wollen, spricht ferner die Regelung, die er in Art. 2 § 48 AnVNG getroffen hat. Diese Vorschrift kann, wie das Bundessozialgericht zu der inhaltlich gleichlautenden Vorschrift in Art. 2 § 50 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) entschieden hat (BSG. 8 S. 108, 112) sinnvoll nur dahin ausgelegt werden, daß sie auch für Nachversicherungsfälle gilt, die in der Zeit vor dem Inkrafttreten des AnVNG eingetreten und bis dahin noch nicht durchgeführt worden sind. Dabei erfaßt Abs. 1 a der Vorschrift Personen, die vor dem Währungsstichtag (21.6.1948) aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden sind, ohne daß bei ihnen die Nachentrichtung der Beiträge über diesen Tag hinaus aufgeschoben worden ist (vgl. Buchst. b Halbs. 2). Eine (rückwärtige) Grenze, wann das Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung spätestens stattgefunden haben muß, enthält das Gesetz nicht. Mit dieser Regelung, die nicht einfach übergangen werden kann, wäre es nicht zu vereinbaren, wenn für die Nachentrichtung der Beiträge die Ausschlußfristen des § 140 AVG gälten. Die Meinung der Beklagten, Abs. 1 a der genannten Vorschrift sei nur für diejenigen Nachversicherungsfälle gedacht, die zur Zeit des Inkrafttretens des neuen Rechts noch unerledigt bei der Beklagten anhängig waren, findet im Gesetz keine Stütze. Die Bedeutung der Vorschrift geht vielmehr weiter. Sie ist ein Teil der in Art. 2 § 48 AnVNG getroffenen umfassenden Regelung der Frage, in welchem Währungsverhältnis die Beiträge zu zahlen sind, wenn Beschäftigungszeiten vor dem Währungsstichtag nachzuversichern sind. Abs. 1 a in Art. 2 § 48 AnVNG gilt daher auch für diejenigen alten Nachversicherungsfälle, die - wie der vorliegende Rechtsstreit - erst nach dem Inkrafttreten des AnVNG an die Beklagte herangetragen werden.
Der Senat verkennt nicht die Belastung, die sich aus der zeitlich unbefristeten Möglichkeit der Nachversicherung für die Beklagte ergibt, und die Schwierigkeiten, in die sie geraten kann, wenn durch Zeitablauf und Verlust von Unterlagen die Beweise unsicher geworden sind. Die Beklagte mag in der Vergangenheit mit den bei ihr beantragten Nachversicherungen Erfahrungen gemacht haben, die eine Befristung solcher Anträge von ihrem Standpunkt aus als wünschenswert erscheinen lassen. Wenn es hier zu Unzuträglichkeiten gekommen ist, so ist dies nach Auffassung des Senats auf die besonderen Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie darauf zurückzuführen, daß die Nachversicherung im bisherigen Recht wenig klar und übersichtlich geregelt war, zumal das Gesetz selbst nur einen Teil des Nachversicherungsrechts behandelt hat, ein wesentlicher Teil dieses Rechts in Verordnungen aus den Jahren 1930 und 1932 enthalten war, § 8 des Ausbaugesetzes vom 21. Dezember 1937 (RGBl. I S. 1393) mit der darin enthaltenen Neuregelung der Nachversicherung nicht in Kraft gesetzt worden ist (§ 111 Abs. 2 des Ausbaugesetzes) und in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedliches Recht gegolten hat. Nunmehr hat das Recht der Nachversicherung im AnVNG eine einheitliche und ausführliche Ordnung gefunden; sie bietet die Gewähr dafür, daß sich in Zukunft keine Mißstände ergeben. Aber auch soweit an die Beklagte noch alte Nachversicherungsfälle herangetragen werden, dürften ausreichende Sicherungen bestehen, um einem etwaigen Rechtsmißbrauch zu begegnen, weil auch in diesen alten Fällen die Nachversicherung nur stattfinden kann, wenn die Beschäftigungszeiten und die Entgelte hinreichend nachgewiesen sind.
Aus diesen Gründen ist die Rechtslage bei der Nachversicherung auch nach dem Inkrafttreten des AnVNG so zu beurteilen, wie sie schon das Reichsversicherungsamt bei der Auslegung der dem § 140 AVG entsprechenden Vorschriften des früheren Rechts in den Entscheidungen Nr. 4682 und Nr. 5148 gesehen und wie sie allgemein bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts die Rechtsprechung und die Praxis der Versicherungsträger bestimmt hat. Danach kann der Arbeitgeber auf den Schutz, den ihm die Vorschriften über die Verjährung von rückständigen Beiträgen (§ 29 RVO) gewähren, verzichten und die Nachversicherungsbeiträge auch noch nach Ablauf der Verjährungsfrist entrichten. Der Versicherungsträger darf die ihm angebotenen Beiträge nicht ablehnen, er muß sie auch noch nach Ablauf der für die Entrichtung von Pflicht- und freiwilligen Beiträgen bestehenden Ausschlußfristen als wirksame Beiträge entgegennehmen und die Nachversicherung durchführen. Dieses Ergebnis bedeutet keine unzulässige Differenzierung in der Behandlung der privaten und der öffentlichen Arbeitgeber; es verstößt deshalb entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 GG). Wie der Senat schon in seiner früheren Entscheidung ausgeführt hat, können Pflichtversicherung und Nachversicherung weder rechtlich noch wirtschaftlich gleich gewertet werden. Als Tatbestände, die sich in ihren Voraussetzungen und in ihrem Wesen deutlich voneinander unterscheiden, können sie vom Gesetzgeber auch unterschiedlich geregelt werden. Im übrigen werden private und öffentliche Arbeitgeber gleich behandelt, soweit es sich um die laufende Beitragsentrichtung für die versicherungspflichtigen Beschäftigten handelt. Für die Nachversicherung der ursprünglich versicherungsfreien Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gibt es hingegen keine Parallele in den privaten Dienstverhältnissen. Eine Benachteiligung der privaten Arbeitgeber liegt insoweit also auch nicht vor.
Danach muß der Revision der Beklagten der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 674106 |
BSGE, 179 |