Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Revisionsbegründung
Orientierungssatz
Der Revisionskläger hat dem Revisionsgericht die Gründe darzulegen, die aufgrund der von ihm vorgenommenen Überprüfung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Die Revisionsbegründung muß bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden sei (vgl BSG 1979-01-02 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 SGG Nr 12). Wenn es auch nicht darauf ankommt, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff trägt, so muß diese Begründung aber doch rechtliche Erwägungen anstellen, die das Urteil als unrichtig, die Rechtsnorm als "verletzt" erscheinen lassen.
Normenkette
SGG § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
Tatbestand
Dem im Jahre 1912 geborenen - jetzt 70 Jahre alten - Kläger, 1945 als praktischer Arzt zur Kassenpraxis zugelassen und seit 1953 in Heide/Holstein tätig gewesen, wurde im Jahre 1969 die Zulassung mit der Begründung entzogen, er habe seine kassenärztlichen Pflichten dadurch fortdauernd gröblich verletzt, daß er seit Jahren in steigendem Maße gegen das Gebot der wirtschaftlichen Behandlungs- und Verordnungsweise verstoßen habe. Klage, Berufung und Revision hatten keinen Erfolg. Im Revisionsurteil vom 18. August 1972 hat der erkennende Senat (BSG 34, 252) ausgeführt, daß ein Arzt, der, wie der Kläger, nach seinen ausdrücklichen, durch sein Verhalten bestätigten Erklärungen nicht bereit sei, sich in das geltende Kassenarztsystem einzufügen, insbesondere das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten, als Kassenarzt ungeeignet sei.
Der Wiederzulassungsantrag des Klägers vom Juli 1974 wurde zwar abgelehnt, gleichzeitig wurde ihm jedoch erlaubt, sich bis September 1975 an der kassenärztlichen Versorgung in Heide zu beteiligen. Der erneute Zulassungsantrag vom Juli 1975 wurde ebenfalls abgelehnt. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. In seinem Urteil vom 25. Januar 1980 hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Der Kläger habe im Jahre 1973 in zwei Nachbehandlungsfällen (gegenüber der Landwirtschaftlichen Krankenkasse) statt berechtigter 8,- DM bzw 3,- DM in einem Fall 515,- DM und im anderen 1.678,50 DM verlangt. Gegenüber der Postbeamten-Krankenkasse habe er im Quartal IV/72 bei einem Durchschnittsfallwert von 45,83 DM einen durchschnittlichen Betrag von 132,47 DM - in 8 Fällen - (= 269,04 %), im Quartal II/1974 bei einem Durchschnittsfallwert von 53,31 DM einen durchschnittlichen Betrag von 785,63 DM - in 4 Fällen - (= 1474,07 %) und im Quartal I/1975 bei einem Durchschnittsfallwert von 57,08 DM einen durchschnittlichen Betrag von 464,83 DM - in 6 Fällen - (= 814,34 %) abgerechnet. Wie der Sachverständige, Professor Dr. H. von der Medizinischen Hochschule Hannover, überzeugend ausgeführt habe, habe der Kläger in den Quartalen IV/72 bis IV/74 bzw IV/72 bis I/76 gegenüber Patienten der Studentischen Krankenversicherung und der Postbeamten-Krankenkasse Leistungen erbracht, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig gewesen seien. Im Falle eines (panenzephalitischen) Kindes habe er, wie sich aus dem Schreiben des Leitenden Medizinaldirektors Dr. B. und der Stellungnahme von Professor Dr. D., Klinikum der Universität Kiel ergebe, ein monströses Übermaß diagnostischen Aufwandes betrieben. Aus diesen Fällen ergebe sich, daß der Kläger nach wie vor wegen eines in seiner Person liegenden Mangels als Kassenarzt ungeeignet sei. Zwar seien die Abrechnungen des Klägers gegenüber der Beigeladenen Ziffer 1 (- der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein -) in der Zeit seiner befristeten Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung (November 1974 bis 30. September 1975) von dieser nicht beanstandet worden. Ein Vergleich seiner Fallwerte mit den Durchschnittswerten der praktischen Ärzte der Gruppe Land I zeige aber, daß während dieser Zeit eine Überschreitung um ca. 150 % vorliege. Da mit der rechtskräftigen Entziehung der Zulassung (Urteil des BSG vom 18. August 1972) mehr als 7 Jahre vergangen seien, könne der Wiederzulassungsantrag nicht ohne weiteres mit jenen zurückliegenden gröblichen Pflichtverletzungen begründet werden. Durch die genannten nachfolgenden Fälle habe sich aber gezeigt, daß der Kläger sein früheres Verhalten nicht geändert habe. Die seit 1976 vergangenen 3 Jahre stünden dem nicht entgegen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Hierzu wird vorgetragen: Es treffe zu, daß er die Bestimmungen der Wirtschaftlichkeit der Kassenärztlichen Behandlung und der Honorarverteilung nicht anerkenne. Diese Bestimmungen seien unsozial und grundgesetzwidrig. Das LSG berufe sich zu Unrecht auf die Gutachten von Professor H., Professor D. und Dr. B.. Sie seien ohne seine - des Klägers - Anhörung zustandegekommen, enthielten keine ausreichenden Quellenangaben und seien unrichtig. Der Beweisbeschluß vom 8. Dezember 1978 über die Anhörung eines Sachverständigen sei, da in Abwesenheit der Beklagten ergangen, rechtswidrig zustandegekommen; der Beschluß über die Bestellung des Sachverständigen Professor H. sei ihm ebenfalls nicht zugestellt worden. Der Sachverständige habe von den betreffenden Patienten auch keine Entbindung von der Schweigepflicht eingeholt.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Urteile zweiter und erster Instanz sowie der entgegenstehenden Bescheide ihn als Kassenarzt zuzulassen. Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Nach § 164 Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) muß die Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Revision nicht.
Die Zulässigkeit der Revision hängt davon ab, daß der Revisionskläger zu jedem einzelnen Streitpunkt mit selbständigem Streitstoff eine sorgfältige, nach Umfang und Zweck zweifelsfreie Begründung gibt. Das gilt nicht nur für Verfahrens- sondern auch für sachlich-rechtliche Revisionsangriffe (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 5 und Nr 12; BGH LM Nr 22 zu § 554 ZPO; BGH MDR 1974, 1015; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Komm ZPO, 40. Aufl 1982, Anm 4 C zu § 554). Der gesetzgeberische Zweck eines solchen Begründungszwanges liegt darin, aussichtslose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern (BSG aaO, Nr 5; vgl RGZ 123, 38). Der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers hat daher dem Revisionsgericht die Gründe darzulegen, die aufgrund der von ihm vorgenommenen Überprüfung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen (BSG, BGH, jeweils aaO). Die Revisionsbegründung muß somit bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden sei (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 12). Obwohl es zwar bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht darauf ankommt, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff auch trägt (BGH NJW 1981, 1453), so muß diese Begründung aber doch rechtliche Erwägungen anstellen, die das Urteil als unrichtig, die Rechtsnorm als "verletzt" erscheinen lassen (BSG aaO). Mit dem Hinweis auf bestimmte Grundrechtsgüter - der Vereinigungsfreiheit, Leben und körperliche Unversehrtheit, Berufsfreiheit und Menschenwürde - ohne näheres Eingehen darauf, welche speziellen Ausflüsse dieser Grundrechte gerade dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Kassenärztlichen Versorgung entgegenstehen sollen, wird eine solche Unrichtigkeit - iS sich widerstreitender Rechtsansichten - aber nicht behauptet.
2. Soweit der Kläger es als Verfahrensmangel rügt, die Gutachter hätten ihn vor der Erstattung des Gutachtens hören müssen, hat er zwar ausgeführt, welche näheren Umstände er dem Sachverständigen Professor H. mitgeteilt hätte, nicht aber hat er angegeben, inwiefern dadurch ein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen wäre (vgl BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG; BSG SozSich 1980, 216; BGHZ 44, 75, 81). Sein Vorbringen entspricht daher nicht dem Formerfordernis des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG.
3. Soweit der Kläger rügt, den Gutachten, auf die sich das Berufungsgericht gestützt habe, fehlten ausreichende Quellenangaben und sie seien nicht beweiskräftig, ist ebenfalls eine ausreichende Begründung nicht gegeben worden. Fehlt es insoweit schon an der Angabe der bestimmt zu bezeichnenden Tatsachen, aus denen sich der behauptete Verfahrensverstoß ergeben soll, so ist auch kein bestimmter prozessualer Rechtssatz angeführt, der verletzt sein soll. In Wahrheit erweist sich die Rüge des Klägers als ein unzulässiger Angriff auf eine Beweiswürdigung des Tatsachengerichts (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Daß es hierbei gegen anerkannte prozessuale Regeln oder gar gegen Erfahrungssätze verstoßen habe, wird ebensowenig dargelegt wie ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 103 SGG).
4. Auch die Rüge, die Gutachten entsprächen nicht dem "damaligen Stand der Wissenschaft", ist nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise begründet worden. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn ausgeführt worden wäre, welche Erkenntnisse der Sachverständige bei Erstattung des Gutachtens nicht berücksichtigt hat und inwiefern bei Verwertung dieser Erkenntnisse ein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen wäre (BSG aaO; BGH aaO). Nur eine derartige Begründung erlaubt dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Frage, ob das Gutachten den ihm vom Tatsachengericht zugesprochenen Beweiswert objektiv gar nicht haben konnte.
5. Soweit der Kläger rügt, daß das LSG am 8. Dezember 1978 (zwar in seiner - des Klägers - Anwesenheit, aber) in Abwesenheit der Beklagten verhandelt und einen Beweisbeschluß über die Vernehmung eines Sachverständigen verkündet habe, hat er ebenfalls nicht angegeben, welche prozessuale Norm damit verletzt worden sein soll.
6. Das gilt auch insoweit, als vom Kläger gerügt wird, ihm sei - nachdem der Beweisbeschluß vom 8. Dezember 1978 zwar in seiner Anwesenheit, aber ohne Benennung eines bestimmten Sachverständigen verkündet worden sei - der Beschluß über die Bestellung des Sachverständigen Professor H. - auf dessen Bestellung er sich rügelos eingelassen hat - nicht zugestellt worden und die Sachverständigen hätten von den jeweiligen Patienten auch nicht die Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht eingeholt. Auch hier hat der Kläger nicht eindeutig klar ausgeführt, welche verfahrensrechtliche Norm er als verletzt ansieht, sei es einer geschriebenen Norm oder eines ungeschriebenen allgemeinen Rechtssatzes.
Die Revision war daher als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen