Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise. Wirtschaftlichkeitsprüfung der Behandlungsweise eines Kassenarztes
Leitsatz (redaktionell)
1. Steht der durchschnittliche Aufwand eines Arztes je Behandlungsfall in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe, begründet dies die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit, es sei denn, der Mehraufwand ist ganz oder teilweise durch die Besonderheiten der Praxis gerechtfertigt oder ursächlich gewesen für einen Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen.
2. Ist nur ein Teil des Mehraufwandes gerechtfertigt, so ist es zulässig, daß die Prüfinstanzen den verbleibenden nicht gerechtfertigten Mehraufwand schätzen.
Orientierungssatz
1. Den Prüfungsinstanzen der KÄV steht bei einer - unter besonderen Voraussetzungen zulässigen - pauschalen Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Kassenarztes ein Beurteilungsspielraum zu.
2. Die Grenzen des Entscheidungsspielraums der Verwaltung einerseits und damit der Umfang und die Intensität der Bindung der Verwaltung an das Gesetz andererseits hängt vom Inhalt des tatbestandlichen Begriffes ab, also von der größeren oder geringeren Bestimmtheit des Begriffes.
3. Soweit sich die Frage, ob und in welchem Umfang eine unwirtschaftliche Behandlungsweise vorliegt, nicht eindeutig beantworten läßt, ist es geboten, die Entscheidung der Beurteilung den fachlich kompetenten Prüfungsinstanzen zu überlassen. Soweit sich aber entscheidungserhebliche Umstände ohne Schwierigkeiten exakt feststellen lassen, haben die Prüfungsinstanzen ihre Entscheidungen mit den entsprechenden Feststellungen zu begründen. Aber auch dann, wenn die Prüfungsinstanzen von der genauen Feststellung des auf der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise beruhenden Mehraufwands absehen dürfen, weil sie sich nach pflichtgemäßem Ermessen mit der Festsetzung einer Kürzung der Honoraranforderung begnügen, die sich jedenfalls noch im Rahmen des auf die Unwirtschaftlichkeit entfallenden Mehraufwands hält (vgl BSG vom 1962-05-29 6 RKa 24/59 = BSGE 17, 79), haben sie den für ihre Ermessensentscheidung maßgebenden Sachverhalt richtig und vollständig zu ermitteln.
Normenkette
EKV-Ä § 2 Nr. 2 Fassung: 1963-10-01; RVO § 368e Fassung: 1955-08-17, § 182 Abs. 2 Fassung: 1930-07-26; EKV-Ä § 14 Abs. 1 Fassung: 1963-10-01; RVO § 368n Abs. 5 Fassung: 1976-12-28; BMV-Ä § 33 Fassung: 1980-02-12, § 34 Fassung: 1980-02-12; EKV-Ä § 15 Fassung: 1963-10-01, § 1 Nr. 5 Fassung: 1963-10-01; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Der klagende Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) beanstandet das Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsprüfung der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) im Ersatzkassenbereich.
Die Prüfungskommission der Beklagten kürzte die Honoraranforderungen für Laborleistungen des Beigeladenen, eines Facharztes für innere Medizin, in den Quartalen IV/1973 bis I/1975 um 15 bzw 10 %. Diesen Entscheidungen widersprach der beigeladene Arzt, aber auch der Kläger, dieser jedoch mit entgegengesetzter Begehrensrichtung. Die Beschwerdekommission hob die Kürzungen für die Quartale IV/1973 bis III/1974 und I/1975 auf und bestätigte lediglich die 10%ige Kürzung für das Quartal IV/1974. Die Widersprüche des Klägers wies sie zurück. Zur Begründung führte sie aus, daß die Anforderungen des Beigeladenen für Laborleistungen zwar erheblich von dem Fachgruppendurchschnitt abwichen. Der Beigeladene habe aber durch seine lückenlosen und präzisen Fallschilderungen bewiesen, daß das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachtet worden sei. Der Vorsitzende der Beschwerdekommission habe selbst die Praxis besucht und sich überzeugen können, daß der Beigeladene aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen, einer modernen Laborausstattung und eines qualifizierten Personals in der Lage sei, den hohen Anforderungen voll gerecht zu werden, die heute an eine zeitgemäße, qualifizierte fachinternistische Praxis zu stellen seien. Der Beigeladene habe sich auf dem Gebiet der Stoffwechselerkrankungen einen besonderen Ruf erworben, weshalb er etwa 30 % an Neuzugängen pro Quartal zu verzeichnen habe. Seine radio-immunologischen Untersuchungen würden bisher selten in ambulanter Praxis erbracht. Lediglich die Laboranforderungen für das Quartal IV/1974 seien mit einem Falldurchschnitt von 75,35 DM, was einem Streuungsmaß von plus 556 % entspreche, trotz der festgestellten Praxisbesonderheiten nicht mehr voll vertretbar.
Das Sozialgericht (SG) hat den Klagen des VdAK stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide der Beschwerdekommission verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Widersprüche zu entscheiden. Gegen die Urteile des SG hat der Beigeladene Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, sodann die Urteile des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen, soweit sie die Quartale IV/1973, I/1974, IV/1974 und I/1975 betrafen. Auf diese Quartale hatten die Beteiligten das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht beschränkt.
Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Obwohl der Beigeladene die Durchschnittswerte seiner Fachgruppe bei Laborleistungen zum Teil erheblich überschritten habe, halte es eine Unwirtschaftlichkeit wegen vorhandener Praxisbesonderheiten nicht für festgestellt. Den Prüfungsinstanzen sei ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, den die Gerichte nur begrenzt überprüfen könnten. Die fachbezogenen Erläuterungen des zur Prüfung berufenen sachkundigen Gremiums erlaubten es, den Beurteilungsmaßstab zu erkennen und zeigten eine Bewertung, die den Schluß auf ausreichende Wirtschaftlichkeit in der Behandlungsweise zu tragen vermöchten.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er bringt vor: Der unbestimmte Rechtsbegriff "Wirtschaftlichkeit" sei weder durch eine Satzungsregelung noch durch eine vertragliche Regelung näher fixiert worden. Die zur Ermittlung der Unwirtschaftlichkeit ergangenen Beschlüsse der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 des Arzt/Ersatzkassenvertrages (EKV) orientierten sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Diese gehe aber gerade davon aus, daß die gerichtliche Kontrolle der Wirtschaftlichkeit nicht in dem vom LSG angenommenen Umfang eingeschränkt sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 1980 und die Beschlüsse der Beschwerdekommission der Beklagten vom 27. Januar 1976 und 14. September 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Widersprüche erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene erwidert: Der Begriff der Wirtschaftlichkeit sei als unbestimmter Rechtsbegriff objektiv nicht eindeutig bestimmbar. Es handele sich um einen "Einschätzungsbegriff", bei dessen Anwendung die Rechtsprechung eine Einschätzungsprärogative der Verwaltungsbehörde anerkenne. Das LSG hätte deshalb die Verwaltungsentscheidung zu Recht nur in beschränktem Umfang kontrolliert.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat unter Mitwirkung von zwei Kassenärzten als ehrenamtlichen Richtern entschieden. Die angefochtenen Prüfbescheide der Beklagten sind der kassenärztlichen Selbstverwaltung zuzuordnen (Angelegenheiten der Kassenärzte iS des § 12 Abs 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Die Prüfungs- und Beschwerdekommissionen, die von den KÄVen gemäß § 15 Nr 1 und 2 EKV gebildet werden, bestehen ausschließlich aus Vertragsärzten, die von den KÄVen bestellt werden. Der VdAK hat lediglich das Recht, sich beratend zu beteiligen.
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz begründet.
Dem Berufungsgericht ist zwar insoweit zuzustimmen, daß den Prüfungsinstanzen der KÄVen bei einer - unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen - pauschalen Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Vertragsarztes ein Beurteilungsspielraum zusteht. Das Berufungsgericht hat jedoch die Grenzen des Beurteilungsspielraums zu weit gezogen. Es hat deshalb die gerichtliche Überprüfung der vom Kläger angefochtenen Entscheidungen der Beschwerdekommission hinsichtlich der allein noch streitbefangenen Abrechnungsquartale IV/1973, I/1974, IV/1974 und I/1975 nicht in dem erforderlichen Umfang durchgeführt. Demzufolge reichen auch die von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus, um in der Sache schon jetzt abschließend entscheiden zu können.
Die vertragsärztliche Tätigkeit für die Ersatzkassen, um die es im vorliegenden Fall geht, unterliegt wie die kassenärztliche Tätigkeit für die gesetzlichen Krankenkassen dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Nr 2 EKV, § 525c Abs 2 iVm § 368g Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-; § 182 Abs 2, § 368e RVO). Die KÄVen haben durch ihre Prüfungsinstanzen darüber zu entscheiden, ob die Behandlungsweise eines Vertragsarztes diesem Gebot entspricht oder ob die Honoraranforderungen des Vertragsarztes wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise zu kürzen sind (§ 14 Nr 1 EKV; für die kassenärztliche Versorgung gilt § 368n Abs 5 iVm §§ 33, 34 Bundesmantelvertrag-Ärzte). Den KÄVen obliegt insoweit gegenüber den Ersatzkassen eine vertragliche Verpflichtung, die vom Kläger geltend gemacht werden kann (§ 1 Nr 2, 3 und 7 sowie § 15 Nr 5 und 6 EKV; vgl BSGE 26, 170, 171; für den kassenärztlichen Bereich vgl BSGE 38, 201).
Bei den Entscheidungen der für den Ersatzkassenbereich zuständigen Prüfungsinstanzen, den Prüfungs- und Beschwerdekommissionen (§ 15 EKV), handelt es sich um Verwaltungsakte, die im sozialgerichtlichen Verfahren auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen sind. Diese Gerichtskontrolle ist jedoch eingeschränkt, soweit den Prüfungsinstanzen eine Entscheidung nach ihrem Ermessen oder nach eigener Beurteilung oder Einschätzung zusteht. Bei einer Ermessensentscheidung hat sich die gerichtliche Überprüfung, wie ausdrücklich gesetzlich geregelt, darauf zu beschränken, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Entsprechendes gilt, wenn die (relative) Unbestimmtheit eines gesetzlichen Begriffes den Schluß zuläßt, daß der Verwaltung, zB wegen ihrer fachlichen Kompetenz, ein Beurteilungsspielraum oder eine Einschätzungsprärogative zuerkannt ist. In diesen Fällen sind die Gerichte auf die Überprüfung beschränkt, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die Grenzen des Beurteilungs- oder Einschätzungsspielraums eingehalten hat und ob ihre Subsumtionserwägungen eine zutreffende Anwendung der Bewertungsmaßstäbe erkennen lassen, insbesondere ob nicht sachfremde Erwägungen bestimmend waren oder gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen worden ist (BSGE 11, 102, 118; 38, 138, 143; BVerwGE 39, 197, 204; vgl Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl, S 190, 193). Die Grenzen des Entscheidungsspielraums der Verwaltung einerseits und damit der Umfang und die Intensität der Bindung der Verwaltung an das Gesetz andererseits hängt vom Inhalt des tatbestandlichen Begriffes ab, also von der größeren oder geringeren Bestimmtheit des Begriffes (vgl Bachof, Juristenzeitung 1972, 641 ff, 643 rechte Spalte).
Die Prüfungsinstanzen der KÄVen haben im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung zunächst zu klären, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine unwirtschaftliche Behandlungsweise des Vertragsarztes gegeben ist, nur wenn diese Frage zu bejahen ist, haben sie weiter darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Abstriche von den Honoraranforderungen des Arztes vorzunehmen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats steht ihnen bei der Entscheidung über die Höhe des Kürzungsbetrages ein Ermessensspielraum zu. Sie sind nicht gehalten, die Honorarkürzungen ausschließlich an dem auf die unwirtschaftliche Behandlungsweise zurückzuführenden Mehraufwand auszurichten; sie können auch andere Umstände, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, berücksichtigen, zB zu Gunsten des Arztes: Die fehlende Erfahrung eines Praxisanfängers, zu Ungunsten des Arztes: Die uneinsichtige Fortsetzung einer bereits wiederholt beanstandeten unwirtschaftlichen Behandlungsweise (vgl BSGE 17, 79, 88; SozR 2200 § 368n RVO Nr 3 und Nr 19). Zweckmäßigkeitserwägungen, wie sie bei der Festsetzung des Kürzungsbetrages angestellt werden können, sind jedoch für die Entscheidung, ob die Behandlungsweise des Arztes wirtschaftlich oder unwirtschaftlich gewesen ist, ohne Bedeutung. Die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise ist nach objektiven Maßstäben zu messen, was jedoch einen den Prüfungsinstanzen zustehenden Beurteilungsspielraum nicht ausschließt.
Der Begriff der Wirtschaftlichkeit, wie er in der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung verwendet wird, ist durch Gesetz und andere rechtliche Regelungen weitgehend inhaltlich bestimmt. Der Versicherte hat Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist; Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, kann der Versicherte nicht beanspruchen; der an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt darf sie nicht bewirken oder verordnen (§ 368e iVm § 182 Abs 2 RVO; § 2 Nr 2 iVm § 1 Nr 5 EKV). Daraus ergibt sich einerseits, daß der Kassen- und Vertragsarzt grundsätzlich berechtigt ist, die ihm geeignet erscheinenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anzuwenden; auch in der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung gilt der Grundsatz der Freiheit des Arztes in der Wahl seiner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BSG SozR 2200 § 368n RVO Nr 19). Andererseits aber darf der Arzt nicht zu Lasten der Krankenkassen Überflüssiges veranlassen oder Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen durchführen, die aufwendiger sind als andere, die denselben Zweck erfüllen. Ob die Leistungen eines Arztes dem Wirtschaftlichkeitsgebot in diesem Sinne entsprechen, wird sich in der Regel unschwer feststellen lassen, wenn es sich um einzelne Behandlungsfälle handelt. Der Senat hat deshalb insoweit eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit bejaht (BSGE 11, 102, 117).
Anders verhält es sich bei einer pauschalen Prüfung der Behandlungsweise eines Arztes im Rahmen eines allgemeinen Kostenvergleiches. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die Prüfungsinstanzen die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Arztes nicht anhand einzelner Behandlungsfälle prüfen, wenn der durchschnittliche Aufwand eines Arztes für einen Behandlungsfall - die Gesamtkosten oder die Kosten im Bereich einer Leistungsgruppe oder einer Leistungsart - in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe des Arztes stehen. Ein solches Mißverhältnis begründet die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit, es sei denn, der Mehraufwand ist ganz oder teilweise durch Besonderheiten der Praxis gerechtfertigt oder für einen Minderaufwand in anderen Leistungsbereichen ursächlich (BSGE 46, 136, 137). Liegen solche einen Mehraufwand rechtfertigenden Umstände vor, so werden auch die fachkundigen Prüfungsinstanzen der KÄVen in der Regel nur ungefähr sagen können, ob und inwieweit eine Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise nicht mehr anzunehmen ist. Alle Entscheidungen der Prüfungsinstanzen, die sich noch im Rahmen dieser ungefähren Richtigkeit halten, - die also die "Zweifelszone" nicht erkennbar verlassen (so Bachof, Juristenzeitung 1972, 641, 644) -, müssen als rechtmäßig angesehen werden. Dementsprechend hat es der Senat schon immer als rechtlich zulässig angesehen, daß die Prüfungsinstanzen den auf die unwirtschaftliche Behandlungsweise zurückzuführenden Mehraufwand lediglich schätzen, wobei ihnen ein gewisser Spielraum der Beurteilung zusteht, der nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (BSGE 11, 102, 114 ff; 46, 136, 138). Bei ihrer Beurteilung werden die Prüfungsinstanzen allerdings zu Gunsten des Arztes zu berücksichtigen haben, daß es sich auch bei der kassen- und vertragsärztlichen Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit des Arztes handelt, für die dieser die volle Verantwortung trägt.
Aus der Begründung des Entscheidungsspielraums der Prüfungsinstanzen ergibt sich auch seine Begrenzung. Soweit sich die Frage, ob und in welchem Umfang eine unwirtschaftliche Behandlungsweise vorliegt, nicht eindeutig beantworten läßt, ist es geboten, die Entscheidung der Beurteilung der fachlich kompetenten Prüfungsinstanzen zu überlassen. Soweit sich aber entscheidungserhebliche Umstände ohne Schwierigkeiten exakt feststellen lassen, haben die Prüfungsinstanzen ihre Entscheidungen mit den entsprechenden Feststellungen zu begründen. Aber auch dann, wenn die Prüfungsinstanzen von der genauen Feststellung des auf der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise beruhenden Mehraufwands absehen dürfen, weil sie sich nach pflichtgemäßem Ermessen mit der Festsetzung einer Kürzung der Honoraranforderung begnügen, die sich jedenfalls noch im Rahmen des auf die Unwirtschaftlichkeit entfallenden Mehraufwands hält (vgl BSGE 17, 79, 89), haben sie den für ihre Ermessensentscheidung maßgebenden Sachverhalt richtig und vollständig zu ermitteln. Ob die Beschwerdekommission der Beklagten bei ihren von dem Kläger beanstandeten Entscheidungen diesen Verpflichtungen nachgekommen ist, läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen.
Das LSG weist zunächst zutreffend darauf hin, daß der beigeladene Arzt die Durchschnittswerte seiner Fachgruppe in dem hier interessierenden Bereich der Laborleistungen um Prozentsätze überschritten hat, die nach der Rechtsprechung des Senats die Annahme eines offensichtlichen Mißverhältnisses rechtfertigen und damit eine unwirtschaftliche Behandlungsweise vermuten lassen. (Allerdings stehen die im Berufungsurteil angegebenen Prozentsätze, um die die Durchschnittswerte der Fachgruppe in den streitbefangenen Abrechnungsquartalen überschritten worden sein sollen: 289 %, 337 %, 393 % und 360 %, nicht im Einklang mit den zuvor angegebenen Durchschnittswerten des Arztes und seiner Fachgruppe: 48.41: 16.71, 59.73: 17.69, 75.35: 19.16 und 69.17: 19.18.) Das LSG hat jedoch die Besonderheiten der Praxis, die gegen eine unwirtschaftliche Behandlungsweise des Beigeladenen und damit für die eine (höhere) Honorarkürzung ablehnenden Entscheidungen der Beschwerdekommission sprechen sollen, nicht ausreichend genau festgestellt. Es hat ferner die Auswirkungen dieser Besonderheiten nicht hinreichend konkretisiert, so daß entgegen der Auffassung des LSG eine zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe durch die Beschwerdekommission nicht erkennbar und nachvollziehbar ist.
Das LSG hat die Besonderheiten der Praxis nur sehr allgemein beschrieben. Es wäre aber erforderlich gewesen, genauere Feststellungen - auch in quantitativer Hinsicht, zB über den ungefähren Anteil der Patienten mit den angeblich besonders laboraufwendigen Stoffwechselstörungen und endokrinologischen Erkrankungen - zu treffen und die durch die festgestellten Praxisbesonderheiten bedingten Abweichungen von den Durchschnittswerten auch der Höhe nach im einzelnen näher darzulegen. Ob und inwieweit eine Abweichung von den Durchschnittswerten auf zu berücksichtigende Praxisbesonderheiten zurückzuführen sind, wird sich in der Regel aus einem Vergleich mit ähnlich ausgerichteten Praxen ergeben. Auch wenn die Praxis des Beigeladenen in ihrer Gesamtheit nicht mit anderen Praxen vergleichbar sein sollte, wie die Beschwerdekommission meint, so erscheint es doch nicht ausgeschlossen, daß sie in Teilbereichen mit anderen Praxen Ähnlichkeiten aufweist. So kann ein Vergleich mit internistischen Praxen, die über eine - eventuell nur annähernd - entsprechende Laborausstattung verfügen, darüber Aufschluß geben, ob sich die Laborkosten des Beigeladenen in einem unter Berücksichtigung dieser Praxisbesonderheit vertretbaren Rahmen hält. Des weiteren liegt nahe, daß sich auch andere internistische Praxen auf Stoffwechselstörungen und endokrinologische Erkrankungen spezialisiert haben, so daß sich insoweit ebenfalls Vergleichsmöglichkeiten ergeben. Das gleiche gilt, wenn sich der Beigeladene tatsächlich, wie geltend gemacht wird, vornehmlich auf dem Gebiet der Diagnostik betätigt und demgemäß die Therapie weitgehend dem überweisenden Arzt überläßt. Auch in dieser Hinsicht scheidet ein Vergleich mit entsprechend ausgerichteten Praxen nicht von vornherein aus. In diesem Zusammenhang kann zu Gunsten des Beigeladenen der Hinweis des Klägers von Bedeutung sein, daß die therapeutischen Maßnahmen des Beigeladenen im Vergleich zu den Laborleistungen "verschwindend gering" sind. Insbesondere der Umfang der Arzneimittel-Verordnungen kann Rückschlüsse auf eine vorrangig der Diagnostik zugewendeten Praxisführung zulassen. Mit Hilfe der modernen Datenerfassung werden heute auch die KÄVen in der Regel ohne Schwierigkeit in der Lage sein, ergänzende Ermittlungen der vorgenannten Art durchzuführen, so daß es ihnen möglich ist, zu den vom Vertragsarzt geltend gemachten Besonderheiten der Praxis und ihren Auswirkungen auf den Fallkostendurchschnitt begründet Stellung zu nehmen. Unzureichend ist ferner der Hinweis des LSG auf die Begründung der Beschwerdekommission, daß die lückenlosen und präzisen Fallschilderungen des Beigeladenen die Berechtigung des hohen Laboraufwands zeigten. Bei einer beispielhaften Prüfung von Einzelfällen, die durchaus zu einer Klärung der Praxisverhältnisse beitragen kann, müssen die geprüften Einzelfälle dargelegt werden, um den Beteiligten und dem Gericht eine Stellungnahme bzw Überprüfung zu ermöglichen. Außerdem bedarf es der Feststellung, ob und inwieweit die vom Beigeladenen geschilderten Fälle für seine Praxis repräsentativ sind und welchen zusätzlichen Leistungsaufwand sie rechtfertigen. Auch insoweit enthält jedoch das Berufungsurteil keine näheren Angaben. Schließlich ist fraglich, welche Bedeutung die Beschwerdekommission der Feststellung ihres Vorsitzenden beigemessen hat, daß der Beigeladene aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen, einer modernen Laborausstattung und eines qualifizierten Personals durchaus in der Lage sei, den hohen Anforderungen voll gerecht zu werden, die heute an eine zeitgemäße, qualifizierte fachinternistische Praxis zu stellen seien. Eine Rechtfertigung für eine aufwendigere Praxisführung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung läßt sich diesen Ausführungen nicht ohne weiteres entnehmen.
Sollte das LSG nach erneuter Überprüfung zu dem Ergebnis kommen, daß auch unter Berücksichtigung des den Prüfungsinstanzen zustehenden Beurteilungsspielraums eine unwirtschaftliche Behandlungsweise des Beigeladenen nicht verneint werden kann, wäre der Beklagten Gelegenheit zu geben, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens zu entscheiden, ob und in welcher Höhe Honorarkürzungen vorzunehmen sind. Bei dieser Ermessensentscheidung hätte die Beklagte vor allem den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, der es verbietet, bei einem Vertragsarzt Honorarkürzungen vorzunehmen und bei einem anderen davon abzusehen, wenn sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung nicht vorliegen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.
Fundstellen