Leitsatz (redaktionell)
1. Zeiten, für die keine Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind, können grundsätzlich nicht auf die besondere Wartezeit des RKG § 49 Abs 2 angerechnet werden, auch wenn während dieser Zeiten Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet worden sind.
2. Zu der Frage, ob die Tätigkeit eines Grubenschlosser- Vorarbeiters, der zuweilen den Maschinensteiger vertreten hat, unter HaVO § 1 Abs 1 Nr 2 bzw unter HaVO § 5 Nr 1 fällt.
Normenkette
RKG § 49 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; HaVO § 1 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1958-03-04, § 5 Nr. 1 Fassung: 1958-03-04
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Revisionsinstanz sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist der Anspruch des am 29. Oktober 1897 geborenen Klägers auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) für die Zeit vor dem 1. Januar 1960.
Der Kläger war im Steinkohlenbergbau unter Tage von April 1927 bis September 1928 als Rohrverleger, von Oktober 1928 bis Ende 1937 als Grubenschlosser-Vorarbeiter, von Anfang 1938 bis März 1950 als Maschinensteiger und anschließend als Maschinenfahrsteiger beschäftigt. Im Oktober 1957 beantragte er, ihm statt des bisher gezahlten Knappschaftssoldes die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres zu gewähren. Der Antrag wurde abgelehnt. Sein Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, lediglich die Tätigkeiten als Maschinensteiger und als Maschinenfahrsteiger bis Mai 1959 seien mit insgesamt 172 Monaten der Hauerarbeit gleichgestellt, nicht aber die voraufgehenden Tätigkeiten als Rohrleger und als Schlosser-Vorarbeiter und stellvertretender Maschinensteiger. Vor dem Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Berücksichtigung der von Juni 1959 bis Januar 1960 verrichteten Tätigkeit den Anspruch auf Bergmannsrente vom 1. Januar 1960 an anerkannt. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen und beantragt, ihm die Rente bereits vom 1. Januar 1957 an zuzuerkennen.
Das SG Gelsenkirchen hat die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen dieses Urteil zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger hätten in der Zeit bis zum 31. Dezember 1959 die Voraussetzungen für die besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG noch nicht vorgelegen. Die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 30. Juni 1957, in der er keine Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet habe, könne schon aus diesem Grunde nicht auf die besondere Wartezeit angerechnet werden. Die von April 1927 bis Dezember 1937 verrichteten Arbeiten seien nicht anrechenbar, weil sie nicht unter die Hauerarbeitenverordnung (HaVO) fielen. Es handele sich dabei nicht um Arbeiten im Sinne des § 5 Nr. 1 HaVO. Wenn der Kläger auch den Maschinensteiger vertreten und eine ähnliche Tätigkeit wie dieser ausgeübt habe, sei er doch nicht als Maschinensteiger oder Fahrhauer anzusehen. Abgesehen davon, daß er nicht als Angestellter, sondern als Arbeiter beschäftigt worden sei, habe er mangels bergbehördlicher Anerkennung die Tätigkeit und Funktion einer solchen Aufsichtsperson nicht voll verantwortlich ausüben können. Für die Zeit von April 1927 bis September 1928 könne es dahinstehen, ob der Kläger die Arbeit eines Rohrlegers oder die eines Maschinenhauers verrichtet habe. Sowohl nach § 3 Nr. 1 wie nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO müsse die Arbeit im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn verrichtet worden sein; der Kläger habe aber nur den tarifmäßigen Schichtlohn erhalten. Die von Oktober 1928 bis Dezember 1937 verrichtete Tätigkeit werde ebenfalls nicht von der HaVO erfaßt. Eine Einordnung unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 HaVO als Aufsichtshauer scheitere schon daran, daß der Kläger den hierfür erforderlichen Hauerschein nicht besessen habe. Abgesehen davon, könne die Tätigkeit weder nach Nr. 1 noch nach Nr. 2 des § 1 Abs. 1 als Hauerarbeit anerkannt werden, weil der Kläger sie nicht an den dort aufgeführten Betriebspunkten verrichtet habe. Nach den Zeugenaussagen habe sich der Arbeitsbereich des Klägers auf den gesamten Maschinenbetrieb unter Tage erstreckt. Dazu gehörten aber neben den im Abbau, beim Streckenvortrieb und in der Aus- und Vorrichtung eingesetzten Maschinen auch solche an anderen Punkten, z.B. in Abbaustrecken, in der Zwischenförderung und Hauptstreckenförderung, in der Wasserhaltung und den Füllorteinrichtungen, die einen nicht unerheblichen Teil des Maschinenparks unter Tage ausmachten. Der Schwerpunkt des Maschinenbetriebs im Bergbau habe zunächst außerhalb der in § 1 Nr. 1 und Nr. 2 HaVO genannten besonderen Betriebspunkten gelegen, und die Mechanisierung sei erst allmählich dorthin vorgedrungen. Den Zeugenaussagen und den vorliegenden Auskünften könne nicht eindeutig entnommen werden, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeit des Klägers an diesen besonderen Betriebspunkten zu seinen sonstigen Arbeiten gestanden habe. Zwar möchten die sonstigen Arbeiten vielleicht nur den geringeren Teil seiner Arbeitszeit in Anspruch genommen haben, jedoch genüge eine nur überwiegende Tätigkeit an den besonderen Betriebspunkten nicht, um die Voraussetzungen einer Hauerarbeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 HaVO zu erfüllen. Die Arbeit des Klägers an den dort nicht aufgeführten Betriebspunkten könne auch nicht unwesentlich gewesen sein; sie sei weder in ihrer Bedeutung noch in ihrem zeitlichen Umfang so unerheblich gewesen, daß sie gegenüber den Arbeiten an den aufgeführten Betriebspunkten völlig in den Hintergrund getreten sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung der §§ 45 Abs. 1 Nr. 2, 49 Abs. 2 RKG und des § 5 HaVO. Das LSG habe zu Unrecht die Zeit von 1929 bis 1937, in der er unter der Berufsbezeichnung "Schlosservorarbeiter" Maschinensteigerdienste verrichtet habe, nicht auf die zur Erfüllung der besonderen Wartezeit erforderlichen 180 Monate Hauerarbeiten angerechnet. Zwar habe er während dieser Zeit im Arbeiterverhältnis gestanden und kein Steigergehalt bezogen, aber voll und ganz die Tätigkeit eines Maschinensteigers verrichtet. Er habe allein die Mittagsschicht befahren und dabei die Aufsicht im gesamten Grubenbetrieb geführt und die gleichen Tätigkeiten wie ein Maschinensteiger verrichtet. Die Zeche habe nur über einen einzigen Maschinensteiger verfügt, der ausschließlich die Frühschicht verfahren habe. Das LSG habe es zu Unrecht darauf abgestellt, daß er arbeitsrechtlich nicht den Status eines Maschinensteigers gehabt habe und nicht bergbehördlich anerkannt worden sei; hierauf komme es im Zusammenhang mit der HaVO nicht an. Eine bergbehördliche Anerkennung sei damals auch nicht zwingend vorgeschrieben gewesen. Für die Einordnung eines Maschinensteigers unter § 5 HaVO genüge aber schon eine überwiegende Tätigkeit an den besonderen Betriebspunkten.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide zu verurteilen, ihm die Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1959 zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Als Grubenschlosser-Vorarbeiter habe der Kläger weder im Verhältnis zum Arbeitgeber noch aus der Sicht der Bergbehörde die Stellung eines Maschinensteigers innegehabt und daher auch die Tätigkeit eines Steigers nicht uneingeschränkt und ausschließlich verrichten können. Die Vertretung des Maschinensteigers in dessen Abwesenheit genüge nicht, der Stellung des Klägers das Gepräge zu geben. Seine damalige Tätigkeit werde daher von § 5 HaVO nicht erfaßt. Außerdem fehle es an dem weiteren Erfordernis dieser Vorschrift, daß er täglich während des überwiegenden Teiles der Schicht unter die §§ 1 bis 4 HaVO fallende Beschäftigte beaufsichtigt habe; als solche wären nur Maschinenhauer in Betracht gekommen, die es aber bei dem damaligen Stande der Mechanisierung praktisch noch gar nicht gegeben hätte.
Die Beteiligten sind mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vordergerichte haben zu Recht die Klage auf Gewährung der Bergmannsrente, soweit der Anspruch nicht von der Beklagten anerkannt worden ist, abgewiesen.
Das LSG hat zutreffend erkannt, daß Zeiten, für die keine Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind, grundsätzlich nicht auf die besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG angerechnet werden können, auch wenn während dieser Zeit Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten (kurz: Hauerarbeiten) verrichtet worden sind. Da die Beklagte dem Kläger die mit Beiträgen belegte Zeit seit Anfang 1938 bereits für die Gewährung der Rente ab Januar 1960 als Hauerarbeitszeit angerechnet hat, müßte er, um Anspruch auf Rente schon zu einem früheren Zeitpunkt zu haben, bereits vor 1938 Hauerarbeiten verrichtet haben. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Auffassung des Klägers, seine Tätigkeit in den Jahren 1929 bis 1937 sei als Tätigkeit einer Aufsichtsperson - Maschinensteiger - nach § 5 Nr. 1 HaVO zu beurteilen und hiernach der Hauerarbeit gleichzustellen, trifft nicht zu. Er ist damals noch nicht Maschinensteiger gewesen, sondern im Arbeiterverhältnis als Grubenschlosser geführt und auch als solcher entlohnt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG 18, 158; 24, 82; ferner SozR § 5 HaVO Nr. 2, 4, 5 u. 7) kann die Tätigkeit eines Versicherten in einem solchen Fall nur dann ausnahmsweise einer in der HaVO begünstigten Tätigkeit gleichgestellt werden, wenn er im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich die begünstigte Tätigkeit verrichtet, d.h. wenn er - abgesehen von Berufsbezeichnung und Entgelt - im wesentlichen die Stellung des in der HaVO aufgeführten Versicherten gehabt hat. An den hierfür erforderlichen Nachweis sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Das LSG sieht diese Voraussetzung beim Kläger schon deshalb nicht für erfüllt an, weil ihm die für Aufsichtspersonen damals nach § 74 des Allgemeinen Berggesetzes erforderliche bergbehördliche Anerkennung gefehlt habe und er deshalb die Tätigkeit und Funktion einer solchen Aufsichtsperson nicht voll verantwortlich habe ausüben können. Auch wenn man diese Begründung nicht für voll ausreichend ansehen will, käme man zu keinem anderen Ergebnis als das LSG. Dieses hat unter Berücksichtigung der vorliegenden Auskünfte und Zeugenaussagen nämlich nur feststellen können, daß der Kläger damals den Maschinensteiger vertreten und eine "ähnliche Tätigkeit" wie dieser ausgeübt hat. Mit dem Ausdruck "ähnliche Tätigkeit" kann das LSG keinesfalls gemeint haben, der Kläger habe damals im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich die Tätigkeit eines Maschinensteigers verrichtet, wie sich eindeutig aus dem in dem angefochtenen Urteil angeführten und diesem zugrundeliegenden Inhalt der vorliegenden Auskünfte und den dort in Bezug genommenen Zeugenaussagen ergibt.
Dem steht auch nicht entgegen, daß - nach der Rüge des Klägers - der einzige Maschinensteiger der Schachtanlage die Frühschicht, der Kläger hingegen die Mittagsschicht befahren hat. Daraus ergibt sich nicht zwingend, daß der Kläger während dieser Zeit Maschinensteiger gewesen ist. Bei dem damaligen Stande der Mechanisierung wurde die Bestellung einer besonderen Aufsichtsperson für den Maschinenbetrieb nicht immer für jede Schicht für erforderlich gehalten. Diese gegen die vom LSG getroffene Feststellung gerichtete Rüge greift also nicht durch.
Hatte der Kläger aber nicht die Stellung einer Aufsichtsperson, sondern nur die eines Vorarbeiters, so richtet sich die Beurteilung seiner Tätigkeit nicht nach § 5 Nr. 1 HaVO, sondern nach den §§ 1 bis 4 HaVO. Da die Grubenschlossertätigkeit als solche von der HaVO nicht erfaßt wird, kommt für ihn nur § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO in Betracht, wonach Hauerarbeiten verrichtet, wer als Elektro- oder Maschinenhauer oder mit gleicher Tätigkeit im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- und Vorrichtung beschäftigt ist. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Tätigkeit des Klägers bei dem damaligen Stande der Mechanisierung auf seiner Anlage schon im wesentlichen der eines heutigen Maschinenhauers entsprochen hat und ob seine Entlohnung als besonders vereinbarter Lohn im Sinne des § 1 Abs. 2 HaVO anzusehen ist; denn das LSG hat zutreffend erkannt, daß jedenfalls die Voraussetzung, daß die Tätigkeit an den besonders aufgeführten Betriebspunkten ausgeübt sein muß, im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist. Hierzu genügt es nämlich nicht, daß der Versicherte nur zum Teil, wenn auch zeitlich überwiegend, an diesen Betriebspunkten tätig war, vielmehr muß die Tätigkeit an diesen Betriebspunkten gegenüber den anderen Arbeiten eindeutig im Vordergrund stehen (SozR Nr. 8 zu § 1 HaVO). Das war beim Kläger aber nicht der Fall. Nach den Feststellungen des LSG erstreckte sich sein Arbeitsbereich auf den gesamten Maschinenbetrieb unter Tage und umfaßte auch die Maschinen in Abbaustrecken, in der Zwischenförderung und Hauptstreckenförderung, in der Wasserhaltung und den Füllörtereinrichtungen; seine Tätigkeit an diesen Betriebspunkten ist weder in ihrer Bedeutung noch in ihrem zeitlichen Umfang unerheblich gewesen.
Die Zeit von April 1927 bis September 1928, in welcher der Kläger Rohrleger war, hat das LSG ohne nähere Prüfung schon deshalb nicht berücksichtigt, weil der Kläger während dieser Zeit nicht im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn beschäftigt worden sei. Das könnte allerdings für die Zeit von Juni bis September 1928, in der der Kläger offenbar schon eine Leistungszulage von 0,50 RM zum Schlossertariflohn erhalten hat, zweifelhaft sein (vgl. SozR Nr. 7 zu § 1 HaVO). Indessen würde auch eine Berücksichtigung dieser vier Kalendermonate nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen. Die Beklagte hat nämlich bei Feststellung der Rente zum 1. Januar 1960 die mehrjährige Tätigkeit des Klägers als Maschinenfahrsteiger zu Unrecht als Hauerarbeit berücksichtigt (vgl. SozR Nr. 10 u. 12 zu § 5 HaVO). Diese Zeit von vier Monaten könnte daher nur insoweit zu einer Vorverlegung des Rentenbeginns führen, als sie diese zu Unrecht berücksichtigten Zeiten als Maschinenfahrsteiger übersteigen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Revision war demgemäß zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen