Leitsatz (amtlich)
1. Versicherungszeiten, für die an die Sozialversicherungsanstalt der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands freiwillige Beiträge entrichtet wurden, sind bei einem außerhalb des Geltungsbereichs des FRG befindlichen deutschen Versicherungsträger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt, wenn der Versicherte während dieser Zeiten in der sowjetisch besetzten Zone gewohnt, dh sich dort gewöhnlich aufgehalten hat.
2. Zeiten nach der Abwanderung aus der sowjetisch besetzten Zone können nicht "wie" im Bundesgebiet oder im Lande Berlin zurückgelegte Beitragszeiten behandelt werden, auch wenn für sie im voraus Beiträge an die dortige Sozialversicherungsanstalt gezahlt worden sind.
3. Eine nach Wochen oder Monaten bemessene Beitragszeit ist nur dann in einem bestimmten Territorium "zurückgelegt", wenn der Versicherte am ersten Tage des betreffenden Zeitabschnitts wenigstens noch den Beginn der regelmäßigen Arbeits- und Geschäftszeit auf dem betreffenden Gebiet erlebt hat.
Normenkette
FRG § 4 Fassung: 1953-08-07; RVO § 1323 Fassung: 1960-02-25, § 1250 Fassung: 1960-02-25; FRG § 15 Fassung: 1960-02-25, § 17 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. November 1959 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 6. Dezember 1955 den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Versichertenrente abgelehnt, weil die vorgeschriebene Wartezeit nicht erfüllt sei. Die Klägerin, die aus der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands in die Bundesrepublik zugewandert, aber nicht als Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt ist, hat der gesetzlichen Rentenversicherung in der Zeit vom 1. Oktober 1944 bis 31. Januar 1945 angehört; darüber hinaus sind für sie Pflicht- und freiwillige Beiträge lediglich zur sowjetzonalen Sozialversicherung bewirkt worden. Die Beklagte will diese Beiträge nur insoweit als wirksam gelten lassen, als sie für eine Zeit bis zur Übersiedlung der Klägerin nach Westdeutschland aufgewendet worden sind. Dagegen lehnt die Beklagte die Anrechnung derjenigen Beiträge ab, welche die Klägerin für eine Zeit nach Zuzug in die Bundesrepublik im voraus zur sowjetzonalen Sozialversicherung gezahlt haben will.
Beide Vorinstanzen pflichteten der Beklagten in dieser Auffassung bei (Urteil des Sozialgerichts - SG - Bayreuth vom 11. Juli 1956; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 3. November 1959). Die nachgeordneten Gerichte gelangten auch zu dem gleichen, den Klaganspruch verneinenden Ergebnis. Verschieden - für den Ausgang ihrer Entscheidung aber unerheblich - beurteilten sie die Frage, von welchem Tage an die Klägerin sich ständig in der Bundesrepublik aufgehalten habe. Nach Ansicht des SG ist anzunehmen, daß sich die Klägerin seit dem 2. Oktober 1954 dauernd in H, der Stadt, in der ihr Ehemann lebte, niedergelassen habe. Die Überlegungen des SG beruhten einmal auf den Angaben, welche die Klägerin selbst anläßlich der Verhandlungen über den Rentenantrag gemacht hatte; ferner ging das SG von dem Datum aus, unter dem sich die Klägerin beim Einwohnermeldeamt in H angemeldet hatte (2. Oktober 1954), und schließlich stützte sich der Erstrichter auf den Umstand, daß der Klägerin bereits im Oktober 1954 von dem Stadtrat von H die Zuzugsgenehmigung erteilt worden war. - Demgegenüber hat das LSG festgestellt, daß die Klägerin später wieder in die sowjetisch besetzte Zone zurückging, dort hintereinander neun Monate - lediglich durch einen vierzehntägigen Besuch in H unterbrochen - verweilte, noch im Juli 1955 in W in Thüringen Fürsorgeunterstützung bezog und dort auch ihre Wohnung bis zum 29. Juli 1955 beibehielt. Erst an diesem Tag reiste sie ohne den Willen zur Rückkehr endgültig nach Westdeutschland ab. Die Zonengrenze überschritt sie allerdings erst in der Nacht zum 1. August 1955. (Die Gründe für die ungewöhnlich lange Dauer der Reise von W zur Zonengrenze sind ungeklärt). Aus diesem Geschehensablauf folgerte das LSG, daß sich die Klägerin bis zum Juli 1955 im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands aufgehalten habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie indessen lediglich eine Beitragszeit von 59 Monaten und somit nicht das Minimum dessen zurückgelegt, was nach dem Gesetz als Versicherungsdauer zu verlangen sei. Deshalb könne die Klägerin, die im übrigen seit spätestens Ende August 1955 als invalide anzusehen sei, mit ihrem Rentenbegehren nicht durchdringen.
Die Klägerin hat das ihr am 19. Januar 1960 zugestellte Urteil mit der - von dem LSG zugelassenen - Revision am 27. Januar 1960 angefochten. Sie hat das Rechtsmittel - nach Fristverlängerung - am 14. April 1960 damit begründet, daß das Urteil des Berufungsgerichts auf einem logischen Fehler und damit auf einem Verstoß gegen § 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beruhe. Einerseits habe der Berufungsrichter festgestellt, daß der Ausreisestempel der Sowjetzonendienststelle "am 1. August 1955" auf der von der Klägerin vorgebrachten "Personalbescheinigung" angebracht worden sei. Mithin müsse sich die Klägerin - so folgert die Revision - an diesem Tage, wenn auch nur für wenige Stunden, noch auf dem Territorium der sogenannten DDR befunden haben. Andererseits habe das Berufungsgericht ausgeführt, der Aufenthalt der Klägerin habe im Juli 1955 sein Ende gefunden. Daran habe es die für den Erfolg oder Mißerfolg der Klage ausschlaggebende Einsicht geknüpft, daß sie - vom Boden des westdeutschen Rechts aus gesehen - im August 1955 zu keinem Augenblick mehr der sowjetzonalen Sozialversicherungsordnung unterstanden habe. In Verfolg dieser Überlegungen habe die Vorinstanz die Beitragsmarke, die bereits einen Monat vor dem Wohnortwechsel für den August 1955 entwertet worden sein soll, unbeachtet gelassen. Dies sei aber mit dem Recht nicht in Einklang zu bringen.
Die Klägerin beantragt,
1. das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. Juli 1956 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1955 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vom 1. Oktober 1955 ab Invalidenrente zu gewähren;
2. hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zugelassene und deshalb statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat keinen Erfolg.
Dem LSG ist darin beizupflichten, daß die Klägerin die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nicht erfüllt hat (§§ 1253, 1262 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF; Art. 2 § 5 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -). Diese Rechtsfolge ergibt sich vom Standpunkt der Revisionsverhandlung her sowohl aus § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 a des Fremdrentengesetzes - FRG - (Art. 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG - vom 25. Februar 1960) als auch aus § 4 Abs. 1 Satz 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953. Das Berufungsgericht hat allein aus der letzterwähnten Vorschrift sein mit der vorliegenden Entscheidung übereinstimmendes Erkenntnis abgeleitet. Das Revisionsgericht hat außerdem das neue, erst nach Erlaß des Berufungsurteils ergangene und verkündete FRG anzuwenden, weil dieses Gesetz sich selbst eine auf den 1. Januar 1959 rückwirkende Kraft beilegt (Art. 7 § 3 Abs. 1 FANG) und nach seinem zeitlichen Geltungswillen auch Ansprüche aus Versicherungsfällen erfaßt, die - wie die Invalidität der Klägerin - vor dem 1. Januar 1959 eingetreten sind (Art. 6 § 6 Abs. 2 und § 8 FANG).
Das frühere wie das neue Gesetz stimmen in dem hier entscheidenden Punkte überein. In Anbetracht der "zurückgelegten Beitragszeiten" stellen beide Gesetze die Zugehörigkeit zur mitteldeutschen Sozialversicherung dem Versicherungsverhältnis zur westdeutschen Rentenversicherung gleich. Was unter "zurückgelegten Beitragszeiten" zu verstehen ist, wird in keinem der beiden Gesetze, und zwar weder allgemein noch speziell für das Fremdrentenrecht erläutert. Zu dem Inhalt dieses Begriffs oder der verwandten Wendung "zurückgelegte Versicherungszeit" lassen sich die Gesetze nur in Verbindung mit den Vorschriften über die "Auslandsrenten" näher aus. Dort, im Rahmen der Bestimmungen über die Leistungen an Berechtigte, die sich außerhalb des Bundesgebiets oder des Landes Berlin aufhalten, trifft man im Gesetz auf eine Behandlung der entsprechenden Fragestellung; nur daß in jenem Zusammenhang der Blick nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist. Hierzu geben jedoch das ältere und das neuere Gesetz unterschiedliche Definitionen. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 a FAG sind "Versicherungszeiten" dann "im Bundesgebiet und im Lande Berlin" zurückgelegt, wenn der Versicherte seine Beiträge an einen Versicherungsträger "im Bundesgebiet oder im Lande Berlin" entrichtet hat. Diese Legalinterpretation stellt vornehmlich auf den Empfänger der Beiträge ab; sie läßt nach der von einigen vertretenen Ansicht nicht mit der zu wünschenden Deutlichkeit erkennen, daß es auf einen territorialen Bezug ankommt, darauf nämlich, daß der Versicherte auf einem bestimmten Territorium gelebt und gearbeitet haben muß. Für die hier zu treffende Entscheidung mag es offen bleiben, ob die aus dem Text des § 8 Abs. 1 FRG geschöpften Zweifel berechtigt sind. Wichtig und für den gegenwärtigen Fall aufschlußreich zugleich ist, indessen, daß die Neuregelung des § 1323 RVO (in der durch das FANG eingeführten Fassung) in deutlichen Worten eine räumliche Einschränkung vornimmt. Danach sind Beiträge im Bundesgebiet und im Lande Berlin entrichtet worden, "wenn sie auf einer Beitragsleistung für eine Beschäftigung in diesem Gebiet beruhen". Bezüglich freiwilliger Beiträge heißt es in § 1323 Abs. 1 RVO, daß die auf ihnen beruhenden Beitragszeiten im Geltungsbereich der RVO zurückgelegt sind, "wenn die Beiträge für eine Zeit entrichtet sind, während der der Versicherte in diesem Gebiet wohnte". Hier wird die räumliche Bindung ganz klar ausgesprochen. Überträgt man dieses Ordnungsprinzip auf das "Fremd" rentenrecht, dann folgt daraus: Soll die bundesdeutsche Rentenversicherung anstelle der sowjetzonalen Sozialversicherung ersatzweise haften, so genügt es nicht, daß "an" die Sozialversicherungsanstalt der Zone Beiträge gezahlt worden sind; es muß noch ein zusätzliches Kriterium verwirklicht sein. Neben dem im Gesetz erwähnten Zeitmoment ist eine besondere räumliche Bezogenheit des Beitrags zu verlangen, ein "irgendwie gearteter Zusammenhang des Versicherungsverhältnisses mit dem Zonengebiet". Ohne daß eine derartige Bedingung erfüllt ist, fehlt es an dem inneren Grund für die Belastung der westdeutschen Rentenversicherung mit der fremden Schuld. Dies um so mehr, als das Gesetz andere Fallgruppen, die zwar nicht an die Territorialbedingung geknüpft sind, aber gleichwohl als regelungsbedürftig angesehen wurden, an anderer Stelle berücksichtigt hat. Hierfür läßt sich zB § 1 c FRG zitieren, wo die Personen aufgeführt werden, die nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung "verbracht" wurden.
Nicht jeder von irgendeinem Teil der Erde an die sowjetzonale Sozialversicherungsanstalt bewirkte Beitrag verdient mithin Beachtung; anzuerkennen ist nur der Beitrag, mit dem eine "in" der Zone zurückgelegte Versicherungszeit belegt wird. Daß dies die Absicht des Gesetzgebers war, ist im Gesetz selbst zwar nur unvollkommen, in den Gesetzesmaterialien aber unmißverständlicher zum Ausdruck gelangt. In den unmittelbar eingreifenden Vorschriften (§ 4 Abs. 1 FAG und § 15 Abs. 1, § 17 Abs. 1 a FRG) ist von den Versicherungszeiten die Rede, die "bei" dem dort befindlichen Versicherungsträger zurückgelegt wurden. Wie diese - im Lichte der angestellten Betrachtung - reichlich unentschiedene Fassung des Gesetzes aufzufassen ist, tritt gleichwohl in der Begründung zum Regierungsentwurf des FANG zutage (Bundestagsdrucksache 1109 - 3. Wahlperiode - vom 21. Mai 1959). Zu § 17 des Entwurfs ist an diesem Ort ausgeführt, daß der Buchstabe a des Abs. 1 sich auf Personen beziehe, "für die nach dem 30. Juni 1945 Beiträge im sowjetischen Besatzungsgebiet entrichtet sind". Diese Formulierung hebt sich, wie nicht zu übersehen ist, von der weiteren Erklärung ab, daß Buchstabe b derselben Vorschrift dagegen auf Personen gemünzt sei, für die Beiträge "zu einer ausländischen Rentenversicherung entrichtet sind". Diesem Teil der Begründung zum Regierungsentwurf sind die Darlegungen zur Seite zu stellen, mit denen der Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (zur Drucksache 1532, zu § 1) den berechtigten Personenkreis umschreibt und in dem er nicht rundweg von den Versicherten der sowjetzonalen Sozialversicherung, sondern von denen der Versicherung angehörenden "Bewohnern" der Zone spricht.
Wie diese Hinweise zeigen, ließ sich der Gesetzgeber auf dem hier berührten Bereich des Fremdrentenrechts von den gleichen Erwägungen leiten wie im Abschnitt über die Auslandsrenten. Hier wie dort schwebte ihm die Vorstellung vor, daß der gesetzliche Tatbestand von räumlichen Faktoren mitbestimmt und eingeengt werde. Mag sich diese Vorstellung auch nur unzulänglich in der Formel von der "zurückgelegten Beitragszeit" niedergeschlagen haben, so ist es dennoch erlaubt und notwendig, den maßgeblichen Willen des Gesetzgebers aus § 1323 RVO zu entnehmen, weil diese Vorschrift sich mit der hier strittigen Regelung in ihrem Normcharakter ähnelt. Beide suchen für eine artverwandte Situation nach der ihr gemäßen Lösung. Allen miteinander verglichenen Rechtssätzen liegt die gleiche Interessenlage zugrunde. Daraus leitet sich die Auffassung her, daß Beitragszeiten bei einem außerhalb des Geltungsbereichs des FRG befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nur zurückgelegt sind, wenn sie a) auf einer Beitragsleistung für eine Beschäftigung in diesem Gebiet beruhen, oder b) wenn die (freiwilligen) Beiträge für eine Zeit entrichtet sind, während der der Versicherte in diesem Gebiete wohnte.
Hiernach ist dem Berufungsgericht in der Auffassung zuzustimmen, daß Beiträge, welche zu Gunsten der Klägerin wohl vor Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität, aber für eine Zeit aufgewendet wurden, zu der sie bereits ihre Wohnung in Mitteldeutschland für dauernd aufgegeben hatte, keine Versicherungszeiten entstehen ließen, die sich auf das Erfordernis der Wartezeiterfüllung auszuwirken vermochten. Nach hiesigem Recht konnten bei der Sozialversicherung der Zone Versicherungszeiten schon gar nicht mehr wirksam zurückgelegt werden, nachdem die Klägerin einen neuen festen Wohnort in der Bundesrepublik begründet hatte. Vom Tage ihres Zuzugs an war die Klägerin in das hiesige Rechtsgefüge eingegliedert. Die Aufgabe des Fremdrentenrechts war damit erfüllt. Von nun an richteten sich die Rechte und Pflichten der Klägerin unmittelbar nach dem für die Bevölkerung der Bundesrepublik geltenden Rentenversicherungsrecht. Es bestand kein Anlaß mehr, Beiträge, welche im voraus an die sowjetzonale Sozialversicherungsanstalt für eine Zeit gezahlt worden waren, die tatsächlich nach der Abwanderung aus der Zone lag, "wie" im Bundesgebiet zurückgelegte Beitragszeiten zu behandeln (ebenso die kritische Anmerkung zu der entgegengesetzten Entscheidung das LSG Berlin vom 10. April 1959 in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1960, 120, 127; Merkle/Michel, Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz, Anm. 6 zum FRG § 15 S. 246).
Diese Richtlinien gebieten eine weitere rechtliche Klarstellung. Nach dem gegebenen Sachverhalt erscheint es denkbar, daß die Klägerin zwar erst am 1. August 1955 in der Bundesrepublik ihren dauernden Aufenthalt nahm, gleichwohl ihren Wohnsitz aber schon im Oktober 1954 nach Westdeutschland verlegte oder damals einen zweiten Wohnsitz in H begründete. Aufenthalt und Wohnsitz können auseinanderfallen. Nach ihrer eigenen Darstellung ließ sich die Klägerin im Oktober 1954 in H, am Wohnort ihres Ehemannes, nieder, damit nach ihrem Willen dieser Ort zum bleibenden alleinigen Mittelpunkt ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse werde. Andererseits verblieb sie nach den Feststellungen des LSG so lange in ihrer Wohnung in W in Thüringen, bis sich ihr im Juli 1955 die Möglichkeit eines Umzugs nach H und die Mitnahme der Möbel bot. Wendet man auf diese Gegebenheiten den aus § 1323 RVO entsprechend abzuleitenden Rechtssatz an, dann legt es die im Gesetz benutzte Bezeichnung "wohnen" nahe, es nicht auf einen möglichen früheren Wohnsitzwechsel, sondern - mit dem Berufungsgericht - auf die Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts in der Zone abzuheben. Und in der Tat ist das Wort "wohnen" in der Rechtsprechung zu verschiedenen Vorschriften der RVO nicht mit dem Begriff Wohnsitz im Sinne von § 7 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gleichgesetzt, sondern als ein rein tatsächliches, länger dauerndes, nicht zufälliges Verweilen an einem Orte definiert worden (vgl. RVA Amtliche Nachrichten 1904, 422 Nr. 1133; AN 1927, 352 Nr. 3066; AN 1931, 447 Nr. 4204; BSG 9, 266, 268; a.A. Jantz/Zweng/Eiche. Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl., Anm. 3 b zu § 1323 RVO, S. 175). Gewiß muß der bloß vorübergehende, zeitweise Aufenthalt als Anknüpfung für das Anrechnen einer fremden Versicherungszeit ausgeschieden werden. Denn allein eine Anwesenheit von einer gewissen Dauer, Stetigkeit und Regelmäßigkeit schließt Zufallsmomente und die Gefahr der Erschleichung aus. Ebensowenig ist der Begriff des Wohnsitzes geeignet, den treffenden Maßstab zu liefern. Denn es kommt nicht auf rechtliche Gegebenheiten, sondern auf tatsächliche Zustände und Existenzbeziehungen an. Dabei fällt das Schwergewicht naturgemäß auf den ständigen (gewöhnlichen) Aufenthalt.
Vom Boden dieser Rechtsansicht aus, hat das LSG die der Klägerin gutzubringende Versicherungszeit erschöpfend berechnet. Der mit dem 1. August 1955, einem Montag, beginnen de Beitragszeitabschnitt kommt als Fremdrenten-Beitragszeit nicht in Betracht. Gegen diesen Entscheidungsgrund wendet sich die Revision vergeblich. Es läßt sich nicht beanstanden, daß das Berufungsgericht aus dem dargestellten Verlauf der Wohnortverlegung entnommen hat, die Klägerin habe sich im August 1955 nicht mehr ständig in der sowjetischen Besatzungszone aufgehalten. Diese von der Revision als in sich widersprüchlich kritisierte Feststellung ist als solche völlig klar getroffen worden. Dabei hat das Berufungsgericht weder den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts verkannt, noch hat es außer Acht gelassen, daß die Klägerin sich am 1. August 1955 für wenige Nachtstunden auf dem Zonengebiet befand. Allerdings ist das LSG nicht ausdrücklich auf die Bedeutung dieses letzterwähnten Umstandes eingegangen. Es hat sich nicht im einzelnen mit der anerkannten Rechtsprechung auseinandergesetzt, daß auch eine kürzere, in einen Beitragsabschnitt hineinfallende Periode als Beitragszeit gewertet werden kann, daß also der gesetzlich vorausgesetzte Tatbestand nicht notwendig während der ganzen Zeitdauer verwirklicht sein muß. Doch ist dem Berufungsgericht aus dieser Unterlassung kein Vorwurf zu machen. Es konnte für geklärt erachten, daß die Klägerin im August 1955 nicht mehr in der Zone "wohnte". Die Klägerin hatte ihren Willen, dort nicht mehr länger leben zu wollen, längst vorher in die Tat umgesetzt. Ihren ständigen Aufenthalt hatte sie am 29. Juli 1955 aufgegeben und ihr Verweilen in der Zone während der ersten Nachtstunden des Monats August 1955 hatte nicht mehr den Charakter der unbefristeten Regelmäßigkeit und der festen Beständigkeit, sondern war gekennzeichnet durch den flüchtigen Augenblick des Unterwegsseins und baldigen Grenzübertritts. Zu bedenken ist natürlich, daß erst die letzten Schritte, die ein Zonenbewohner unmittelbar vor dem Verlassen der Zone tut, den dortigen Aufenthalt abschließen, erst dann ist das bisherige Wohnen in der Zone vollends abgewickelt. Dieser Geschehensablauf kann nicht ohne weiteres der kurzweiligen Anwesenheit eines Besuchers gleichgesetzt werden. Andererseits könnte die Frage bedeutsam erscheinen, warum die Klägerin für die Reise von ... in Thüringen bis zur Zonengrenze die ungewöhnlich lange Zeit vom 29. Juli bis 1. August 1955 benötigte. Für die Verzögerung sind zwingende, vom Willen der Klägerin unabhängige Gründe nicht vorgebracht worden. Es kommt der Gedanke auf, daß die Reise von W. nach H von der Klägerin aus freien Stücken unterbrochen worden sei. Einer Nachforschung in dieser Richtung und der rechtlichen Bewertung eines solchen Vorgangs war das Berufungsgericht aber enthoben. Denn die wenigen Stunden, die die Klägerin am 1. August 1955 noch in der Zone verbrachte, reichen nicht hin, um als solche für den ganzen Beitragszeitabschnitt von einem Monat oder auch nur für den Zeitabschnitt von einer Woche gelten zu können. Im Verhältnis zur erforderlichen Gesamtzeit ist die tatsächlich ausgefüllte Zeit nur sehr kurz. Sie fällt so wenig ins Gewicht, daß sie nicht geeignet ist, einen wertbildenden und tragfähigen Faktor für das Beitragsaufkommen der Klägerin abzugeben. Nicht nur der Monat August 1955, sondern sogar der erste Tag dieses Monats lagen annähernd noch ganz vor der Klägerin, als diese an der Zonengrenze eintraf. Eine nach Wochen oder Monaten bemessene Beitragszeit ist jedoch nur dann in einem bestimmten Territorium "zurückgelegt", wenn der Versicherte nicht nur wenige Nachtstunden lang dort verbrachte. Soll die Zeit, die neben dem Geldbetrag und dem territorialen Bezug den rechtsprägenden Maßstab für den Beitrag bildet, überhaupt noch eine selbständige Bedeutung haben, dann wird man zum mindesten fordern müssen, daß der Versicherte einen selbständigen Bruchteil dieser Zeit, wenigstens aber am ersten Tage des betreffenden Zeitabschnitts noch den Beginn der Arbeits- und regelmäßigen Geschäftszeit auf dem betreffenden Gebiet erlebt hat. Welche Anforderungen an diesen Zeitraum im einzelnen zu stellen sind, brauchte nicht entschieden zu werden, da jedenfalls hier das zeitliche Minimum nicht erreicht erscheint, das hätte gegeben sein müssen, damit der frühere gewöhnliche Zonenaufenthalt der Klägerin noch für die am 1. August 1955 beginnende Beitragswoche hätte Bedeutung erlangen können.
Unter diesen Umständen kann es auf sich beruhen, ob die Klägerin mit der am 1. August 1955 beginnenden Beitragswoche überhaupt die vorgeschriebene Wartezeit von 60 Beitragsmonaten hätte vollenden können. Hätte man für die Umrechnung von Beitragswochen in Beitragsmonate den Umwandlungsschlüssel anzuwenden, der zur Zeit des Versicherungsfalls (im Jahre 1955) galt - das ist § 1262 Abs. 3 RVO aF -, dann wäre die aufgeworfene Frage mit Sicherheit zu verneinen. Denn ein Rest von einer einzelnen Woche ist danach nicht einem vollen Kalendermonat gleichzusetzen. Dem hiervon abweichenden, mit der Rentenrechtsreform des Jahres 1957 eingeführten Umrechnungsmaßstab des § 1250 Abs. 2 Satz 2 RVO nF ist grundsätzlich keine Rückwirkung auf solche Versicherungsfälle beigelegt worden, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten sind (vgl. BSG am 15.Februar 1962 - 4 RJ 225/60 -). Gleichwohl gibt Art. 6 § 6 FANG Anlaß zu dem Bedenken, ob nicht für das Fremdrentenrecht eine Ausnahme zu machen und einheitlich - unabhängig vom Eintritt des Versicherungsfalls - von den neuen Rechtsvorschriften auszugehen ist. Die insoweit bestehenden Zweifel brauchen hier indessen nicht geklärt zu werden, weil der Anspruch der Klägerin sich aus den anderen, oben dargelegten Gründen als unberechtigt erweist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2379847 |
BSGE, 231 |