Tenor
Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg), ob der Anspruch (§ 100 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-) auch bei Antragstellung und Arbeitslosmeldung während einer Arbeitsunfähigkeit entstehen kann.
Die 1929 geborene Klägerin war zuletzt vom 1. Mai 1981 bis 30. Juni 1983 beim W. … der F. … GmbH in B. beschäftigt.
Aufgrund einer Erkrankung seit 11. April 1983, durch die sie arbeitsunfähig wurde, erhielt sie ab 23. Mai 1983 Krankengeld und ab 12. Februar 1984 Übergangsgeld (Übg). Vom 24. August 1984 bis 31. Oktober 1986 erhielt sie wegen ihres am 11. April 1983 eingetretenen Versicherungsfalls Erwerbsunfähigkeitsrente (EU) auf Zeit (Bescheide der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte -BfA- vom 26. März 1985 und vom 11. Februar 1986).
Am 6. Dezember 1983 beantragte die Klägerin persönlich beim Arbeitsamt (AA) Neuwied, Dienststelle Linz, Alg; der ausgefüllte Antragsvordruck ging dort laut Eingangsstempel aber erst am 6. August 1986 ein. Einen zweiten Antrag auf Alg stellte die Klägerin am 5. August 1986 mit Wirkung ab 1. November 1986 nach Wegfall ihrer zeitlich begrenzten Erwerbsunfähigkeitsrente, nachdem die BfA die Weiterzahlung von Rente über den 31. Oktober 1986 hinaus abgelehnt hatte (Bescheid vom 28. Juli 1986).
Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 2. Oktober 1986 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. Dezember 1986 die Gewährung von Alg ab.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Koblenz mit Urteil vom 12. November 1987 abgewiesen.
Auf die hiergegen gerichtete Berufung ist das Urteil des SG Koblenz aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide dem Grunde nach verurteilt worden, der Klägerin Alg ab 1. November 1986 zu zahlen (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 1988).
Das LSG hat ausgeführt, die Entstehung des Alg-Anspruchs am 6. Dezember 1983 werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin bereits seit 11. April 1983 arbeitsunfähig erkrankt war. § 105a Abs 1 AFG, die sogenannte Nahtlosigkeitsregelung, lasse den Alg-Anspruch auch entstehen, wenn die Verfügbarkeit des Arbeitslosen allein wegen einer nicht nur vorübergehenden Minderung der Leistungsfähigkeit (MdL) nicht gegeben und weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeitsrente festgestellt worden sei. Da auch keine durchgreifenden Zweifel an ihrer subjektiven Verfügbarkeit begründet seien, sei innerhalb der ab 6. Dezember 1983 (Antragstellung und Arbeitslosmeldung) zu berechnenden Rahmenfrist die Anwartschaftszeit durch die Beschäftigung vom 1. Mai 1981 bis 30. Juni 1983 erfüllt. Die ununterbrochene Zahlung von Krankengeld, Übg und EU-Rente habe nicht das Entstehen des Alg-Anspruchs verhindert, sondern gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und 3 AFG nur zum Ruhen des Anspruchs bis zum Wegfall der EU-Rente am 30. Oktober 1986 geführt.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 105a AFG. Sie meint, bei Antragstellung am 6. Dezember 1983 wäre wegen des Krankengeldbezuges von einer vorübergehenden MdL auszugehen und der Antrag mangels Verfügbarkeit der Klägerin wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit abzulehnen gewesen. Auch eine „rückwirkende Fiktion” der Verfügbarkeit in Anwendung des § 105a AFG scheide aus, weil bei der Antragsbearbeitung (im August 1986) bereits mit Bescheid der BfA vom 26. März 1985 die Erwerbsunfähigkeit festgestellt gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 1988 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich zur Begründung auf das angefochtene Urteil.
Beide Parteien haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
II
Die zugelassene Revision ist nicht begründet.
Die Feststellung des LSG, daß die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin Alg ab 1. November 1986 zu zahlen, läßt keine Rechtsfehler erkennen.
Im Zeitpunkt der Antragstellung und Arbeitslosmeldung am 6. Dezember 1983 lagen alle für das Entstehen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld erforderlichen Voraussetzungen (§ 100 AFG) vor. Das Ruhen dieses Anspruchs wegen des Bezuges von Krankengeld (§ 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG) hinderte das Entstehen des Anspruchs nicht; denn in § 100 AFG und ebenso in § 104 Abs 2 AFG ist mit „Anspruch” nur das Stammrecht gemeint (BSG, Urteil vom 14. Februar 1989 – 7 RAr 56/87 – DBl R 3487a AFG § 106a). Ruhensvorschriften setzen das Bestehen des Stammrechts voraus und begründen lediglich eine Zahlungssperre.
Zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung und Antragstellung vom 6. Dezember 1983 erfüllte die Klägerin alle neben der Anwartschaftszeit (§ 104 Abs 1 AFG) erforderlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg, so daß auch für die Berechnung der Rahmenfrist (§ 104 Abs 2 und 3 AFG) von dem genannten Datum auszugehen ist.
Ihrer objektiven Verfügbarkeit steht nicht entgegen, daß die Klägerin am 6. Dezember 1983 aus Krankheitsgründen nicht vermittelt werden konnte.
Nach § 105a Abs 1 Satz 1 AFG hat Anspruch auf Alg auch derjenige, der die in den §§ 101 bis 103 AFG genannten Voraussetzungen für den Anspruch allein deshalb nicht erfüllt, weil er wegen einer nicht nur vorübergehenden Minderung seiner Leistungsfähigkeit keine längere als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann, sofern weder Berufsunfähigkeit (BU) noch EU iS der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden sind. Die genannten Voraussetzungen waren, wie das LSG rechtsfehlerfrei festgestellt hat, im Falle der Klägerin am 6. Dezember 1983 erfüllt.
Insbesondere lag bei der Klägerin nicht zweifelsfrei eine nur vorübergehende Minderung ihrer Leistungsfähigkeit vor. Der Ansicht der Beklagten, die Anwendung des § 105a AFG scheitere bereits daran, daß das AA im Dezember 1983 aufgrund des damaligen Krankengeldbezuges der Klägerin davon habe ausgehen müssen, daß die MdL der Klägerin nur vorübergehend sein werde, zumal auch die Klägerin selbst am 6. Dezember 1983 noch nicht der Auffassung gewesen sei, ihre Leistungsminderung werde nicht von vorübergehender Dauer sein, kann der Senat nicht zustimmen.
Die Beklagte ist nur dann befugt, über den Umfang der Leistungsfähigkeit als Voraussetzung der Verfügbarkeit zu entscheiden, wenn zweifelsfrei nur eine vorübergehende Leistungsminderung vorliegt (BSGE 44, 29, 33). Dem ist auch nach der mit § 105a AFG erfolgten Neuregelung zu folgen (vgl Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 105a zu Abs 1; Gagel, AFG § 105a RdNr 10).
Von einer nicht nur vorübergehenden MdL iS des § 105a Abs 1 Satz 1 AFG ist regelmäßig dann auszugehen, wenn die Leistungsminderung voraussichtlich länger als 6 Monate fortbestehen wird (Gagel, AFG § 105a RdNr 9). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die Regelung in § 1276 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach während der ersten 26 Wochen der Leistungsunfähigkeit keine Rente gewährt wird. Daraus ergibt sich, daß eine nicht mehr als 26 Wochen dauernde Leistungsunfähigkeit eine solche von kürzerer Dauer ist, die keine Erwerbsunfähigkeit begründet (BSG, Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 49/76 – SozR 2200 § 1247 RVO Nr 16).
Anhaltspunkte, die zweifelsfrei belegen, daß nach diesen Kriterien die Leistungsminderung am 6. Dezember 1983 vorübergehender Art war, sind vom LSG nicht festgestellt. Die Klägerin war nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG im Zeitpunkt der Antragstellung am 6. Dezember 1983 schon rund 8 Monate (seit 11. April 1983) arbeitsunfähig erkrankt. Daß das Ende der krankheitsbedingten MdL der Klägerin damals bereits absehbar war, ist weder festgestellt noch von der Beklagten geltend gemacht worden.
Der Beklagten kann auch dahin nicht gefolgt werden, daß hier § 105a AFG nach Sinn und Zweck nicht anwendbar sei, weil die Klägerin wegen des Krankengeldbezuges im Zeitpunkt der Antragstellung am 6. Dezember 1983 des Schutzes dieser Vorschrift nicht bedurft habe. Daß der Arbeitslose gegenüber verschiedenen Sozialleistungsträgern Ansprüche haben kann, hat nämlich der Gesetzgeber durchaus bedacht. Er hat der sich daraus ergebenden Möglichkeit von Doppelleistungen hinreichend durch § 118 AFG Rechnung getragen. Danach ruht der Anspruch auf Alg ua während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Krankengeld zuerkannt ist (§ 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG). Deshalb kann in dieser Zeit durchaus ein Anspruch auf Alg bestehen; denn durch das Ruhen nach § 118 AFG erlischt der Anspruch als solcher nicht, er kann nur während der Zeit des Ruhens nicht geltend gemacht werden (Hennig/Kühl/Heuer, AFG § 118 Anm 2; Gagel, AFG § 118 RdNrn 5 und 7).
Das Entstehen und Fortbestehen des Anspruchs auf Alg während des Krankengeldbezugs führt auch nicht zur Ungleichbehandlung wegen unterschiedlichen Verfahrensablaufs.
Für die Meinung der Beklagten, sie hätte bei rechtzeitigem Eingang des Antragsformulars im Dezember 1983 den Antrag mangels Verfügbarkeit ablehnen können, fehlte zumindest bis Ende März 1985 die Rechtsgrundlage. Die Beklagte hätte den Antrag damals zwar ablehnen können, aber nicht mangels Verfügbarkeit, sondern nur mit der Begründung, das Alg ruhe nach § 118 AFG wegen des Bezuges von Krankengeld und anschließend von Übergangsgeld. Diese Entscheidung hätte aber lediglich zur Folge gehabt, daß die Klägerin nach dem Ende des Ruhenszeitraums einen neuen Antrag hätte stellen müssen (§ 151 Abs 2 AFG), den sie – obwohl hier nicht erforderlich – tatsächlich auch gestellt hat. Das Entstehen des Anspruchs auf Alg und sein Fortbestand sind bis zum Ablauf der Erlöschensfrist nach § 125 Abs 2 AFG weder durch das Ruhen noch durch den vorübergehenden Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung betroffen worden. Nach der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers, daß Erwerbsunfähigkeit vorliegt, hätte die Beklagte allerdings die Verfügbarkeit prüfen und den Antrag uU auch wegen mangelnder Verfügbarkeit ablehnen können. Dadurch wäre aber der zuvor entstandene Anspruch ebenfalls nicht untergegangen. Die Klägerin hätte lediglich nach Ablauf der Zeit, für die die Erwerbsunfähigkeit vorlag und Rente gezahlt wurde, bei nunmehr wiedergewonnener Verfügbarkeit einen neuen Antrag stellen müssen. Aufgrund dieses Antrags wäre Alg aus dem am 6. Dezember 1983 entstandenen Anspruch zu zahlen gewesen.
Arbeitslosen, die auf das Ruhen ihres Alg-Anspruchs wegen des Bezuges anderer Sozialleistungen hingewiesen werden und deshalb ihren Antrag erst später – nach Wegfall des Ruhenstatbestandes – stellen, drohen daraus jedenfalls dann Rechtsnachteile, wenn in diesem späteren Zeitpunkt keine Anwartschaft mehr erfüllt ist. Dem müssen die Leistungsträger, insbesondere die Krankenkassen und Rentenversicherungsträger sowie die Bundesanstalt für Arbeit selbst, durch Beratung des Leistungsempfängers entgegenwirken (§ 14 SGB I).
Ob in solchen Fällen die Verfügbarkeit nach § 105a AFG bei Beratungsfehlern rückwirkend ersetzt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung (verneinend BSG, Urteil vom 11. Januar 1989 – 7 RAr 14/88 – mwN), sollte aber, da weiterhin von grundsätzlicher Bedeutung, in entsprechenden Fällen neu überdacht werden.
Die Klägerin war bzw galt am 6. Dezember 1983 auch als arbeitslos (§§ 100 Abs 1, 101 AFG); denn soweit aufgrund der krankheitsbedingten MdL „Arbeitslosigkeit” begrifflich zu verneinen gewesen wäre, griff ebenfalls die Fiktion des § 105a Abs 1 Satz 1 AFG ein (vgl BSGE 44, 29 ff, 31).
Schließlich hat sich die Klägerin nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG am 6. Dezember 1983 persönlich beim AA arbeitslos gemeldet und Alg beantragt (§§ 100 Abs 1, 105 AFG). Daß sie den ihr am 6. Dezember 1983 mitgegebenen Vordruck erst im August 1986 vollständig ausgefüllt zurückgeschickt hat, ist unerheblich, weil die Abgabe des von der BA herausgegebenen Antragsvordrucks nicht Voraussetzung der Entstehung des Anspruchs auf Alg ist (vgl § 16 SGB I, § 100 AFG; Gagel, AFG § 100 RdNr 6; Hennig/Kühl/Heuer, AFG § 100 Anm 6).
Der Antrag vom 5. August 1986 ist nur die Konkretisierung des noch nicht beschiedenen Antrags vom 6. Dezember 1983 dahin, daß die Klägerin die Auszahlung des ihr zustehenden Alg für die Zeit ab Wegfall des Ruhenstatbestandes, also ab 1. November 1986, begehrte. Er hat auf den entstandenen Anspruch keine Auswirkung.
Da somit am 6. Dezember 1983 alle sonstigen Voraussetzungen für den Alg-Anspruch vorlagen (§ 104 Abs 2 AFG), erstreckt sich die für die Prüfung der Anwartschaft maßgebliche Rahmenfrist (§ 104 AFG) auf die Zeit vom 5. Dezember 1980 bis 5. Dezember 1983. In dieser Zeit hat die Klägerin nach den Feststellungen des LSG mehr als 360 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden, nämlich vom 1. Mai 1981 bis 30 Juni 1983. Sie erfüllte daher am 6. Dezember 1983 auch die erforderliche Anwartschaftszeit (§§ 100 Abs 1, 104 Abs 1 Satz 1 AFG).
Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen