Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzwitwenrente – Zusatzversorgungssystem – Alterversorgung der Intelligenz – Anhörung
Leitsatz (amtlich)
1. Vor der Einstellung einer Zusatzwitwenrente durch einen in der Zeit ab 1.1.1991 im Beitrittsgebiet erlassenen Verwaltungsakt war eine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X durchzuführen.
2. Im Hinblick auf die Regelung des EinigVtr Anlage II Kap VIII Sachgeb H Abschn III Nr. 9 Buchst b ist § 26 Abs. 1 RAnglG DDR kein anwendbares Recht, soweit er die Einstellung einer laufenden Zusatzwitwenrente zum 31.12.1990 vorsieht (Anschluß an BSG vom 15.12.1994 – 4 RA 67/93, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Normenkette
RAnglG DDR § 26; EinigVtr Anlage II Kap. VIII H. III Nr. 9 Buchst. b; SGB X § 24
Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 24.06.1993; Aktenzeichen L 4 An 13/92) |
SG Dresden (Entscheidung vom 16.04.1993; Aktenzeichen So II RV 110/91) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Chemnitz vom 24. Juni 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Zahluno der von der Klägerin bezogenen Zusatzwitwenrente zu Recht ab 1. Januar 1991 eingestellt worden ist.
Die 1935 geborene Klägerin heiratete am 27. März 1976 den Bauingenieur E. K. (Versicherter). Dieser war ausweislich eines Versicherungsscheines der Deutschen Versicherungs-Anstalt vom 20. Dezember 1957 seit dem 1. November 1957 beitragsfreier Begünstigter einer Zusatzversorgung nach der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl ≪DDR≫ I Nr. 93 S 839) und gehörte ab 1. Januar 1974 aufgrund der Verordnung über die freiwillige Versicherung auf Zusatzrente bei der Sozialversicherung vom 15. März 1968 (GBl ≪DDR≫ II Nr. 29 S 154; geändert durch die Verordnung vom 10. Februar 1971, GBl ≪DDR≫ II Nr. 17 S 121) „unter Zusicherung aller Rechte aus der AVI” der freiwilligen Zusatzrentenversicherung an (Versicherungskarte des FDGB-Stadtvorstandes Dresden – Verwaltung der Sozialversicherung – vom 12. Dezember 1973).
Am 24. Juni 1976 verstarb der Versicherte. Daraufhin erhielt die Klägerin neben einer (vorübergehenden) Hinterbliebenenrente („gemäß § 20 der Rentenverordnung vom 4. April 1974”) eine Zusatzwitwenrente gemäß §§ 28, 29 der Verordnung über die freiwillige Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung (FZR-Verordnung ≪FZRV-DDR≫) vom 17. November 1977 (GBl ≪DDR≫ I Nr. 35 S 395), die durch Änderungsbescheid der Verwaltung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten – Abteilung Rentenversorgung – (Datum unleserlich) ab 1. Juli 1990 auf monatlich 441,– DM umgestellt wurde.
Mit Bescheid vom 23. Januar 1991 teilte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen der Klägerin unter Bezugnahme auf § 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz ≪RAnglG-DDR≫) vom 28. Juni 1990 (GBl ≪DDR≫ I Nr. 38 S 495, berichtigt S 1457) mit, daß die Zahlung ihrer Zusatzwitwenrente in Höhe von monatlich 441,– DM mit dem 31. Dezember 1990 eingestellt werde. Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs berief sich die Klägerin auf ihre ungünstige soziale Lage (Bezug von Vorruhestandsgeld iHv 423,64 DM seit September 1990). Gegen den daraufhin ergangenen Widerspruchsbescheid des Trägers der Rentenversicherung – Überleitungsanstalt Sozialversicherung (ÜLA)/LVA Sachsen – vom 22. April 1991 erhob die Klägerin beim Kreisgericht Dresden – Kammer für Sozialrecht – Klage, die durch Urteil dieses Gerichts vom 16. April 1992 abgewiesen wurde. Während des Klageverfahrens ist die Beklagte zunächst im Auftrag der ÜLA – Zusatzversorgung –, dann selbst als Träger für die Zusatzversorgung aufgetreten. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht Chemnitz (LSG) die erstinstanzliche Entscheidung sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung wird im Urteil vom 24. Juni 1993 im wesentlichen ausgeführt:
§ 26 Abs. 1 RAnglG-DDR sei auf die Rente der Klägerin nicht anzuwenden, da er allein Leistungen aus Sonderversorgungssystemen meine, welche die Klägerin nicht bezogen habe. In den Fällen, in denen eine Rentenversicherung aus der früheren Altersversorgung der Intelligenz (AVI) in eine solche nach der FZRV-DDR umgewandelt worden sei, sei der sich daraus ergebende Rentenanspruch nicht ein solcher aus einem System der Zusatzversorgung, sondern einer aus der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR). Auf derartige Leistungen seien die Bestimmungen des Sechsten Abschnitts des RAnglG-DDR nicht anwendbar. Ein aus der zusätzlichen AVI stammender Anspruch sei nämlich durch den Beitritt zur FZR untergegangen. Wie schon die Formulierung „anstelle” in § 28 Abs. 1 FZRV-DDR zeige, werde gemäß dieser Bestimmung der Anspruch aus der AVI durch denjenigen auf Zusatzrente aus der FZR ersetzt, der allerdings „in Höhe der zugesicherten AVI” zu zahlen sei. Hierbei handele es sich um eine Art. „Zahlbetragsgarantie”, die gerade deshalb erforderlich sei, weil die Leistungen nunmehr in ein anderes System eingegliedert worden seien, die Berechtigten jedoch Bestands- und Vertrauensschutz genössen. Selbst wenn aber auch die Rente der Klägerin von § 26 RAnglG-DDR erfaßt wäre, habe sie ihr nicht entzogen werden dürfen. Denn soweit § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR die Einstellung einer bereits laufenden, dh zugesprochenen Versorgung auch bei erwerbsfähigen Witwen bestimme, verstoße dies gegen übergeordnete Verfassungsgrundsätze, insbesondere gegen den im Rechtsstaatsprinzip gründenden Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzungen des § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR, der §§ 24, 28, 29 FZRV-DDR sowie des Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Zur Begründung trägt sie hauptsächlich vor:
Entgegen der Auffassung des LSG stelle die an die Klägerin bis zum 30. Dezember 1990 gezahlte Witwenrente keine Zusatzrente dar, sondern eine Leistung aus der Altersversorgung der technischen Intelligenz. Insbesondere die Vorschrift des § 28 Abs. 2 FZRV-DDR erweise, daß im Falle einer Doppelmitgliedschaft bei der FZR sowie einem Zusatzversorgungssystem die Leistung unabhängig von ihrer begrifflichen Qualifizierung als eine solche aus der zusätzlichen Altersversorgung zu behandeln sei. Zumindest würden aufgrund der §§ 28 und 29 FZRV-DDR die Witwen den Empfängern von AVI-Leistungen gleichgestellt. Ebensowenig vermöge die hilfsweise Argumentation des LSG zu überzeugen, § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR sei verfassungswidrig und daher unbeachtlich.
Auch unter Berücksichtigung der Urteile des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. Dezember 1994 (ua 4 RA 67/93) sei die Revision begründet. Gegen die dort maßgebliche Erwägung, § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR sei für Zeiten nach dem 30. Juni 1990 nicht anwendbar, da die Bestimmung spezialgesetzlich von Kap VIII Sachgebiet H Abschn III Nr. 9 Buchst b der Anl II zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (EinigVtr) vom 31. August 1990 (BGBl II S 889; im folgenden: EinigVtr Nr. 9 b) verdrängt werde, spreche folgendes:
Selbst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gehe davon aus, daß die von § 26 Abs. 1 Satz 2 RAnglG-DDR intendierte Rechtsfolge „eingetreten” sei (vgl. den Beschluß des BVerfG vom 30. Oktober 1993 – 1 BvL 42/92 – in SozR 3-8560 § 26 Nr. 1). Mit der Feststellung des BVerfG, bei § 26 RAnglG-DDR handele es sich nicht um nachkonstitutionelles, sondern um vorkonstitutionelles Recht, sei die normlogisch vorgelagerte Frage keinesfalls verneint worden, ob § 26 RAnglG-DDR überhaupt wirksames Recht geworden sei. Vielmehr habe das BVerfG die Wirksamkeit des § 26 RAnglG-DDR fraglos (und nicht beiläufig) unterstellt.
Ebensowenig sei den Erwägungen des 4. Senats des BSG zu folgen, wonach EinigVtr Nr. 9 b mit der Bestimmung des § 26 RAnglG-DDR in der Weise kollidiere, daß letztere Norm unanwendbar sei. In diesem Zusammenhang sei insbesondere EinigVtr Nr. 9 b Satz 3 Nr. 1 zu beachten. Da in dem dort angeführten Art. 3 EinigVtr das sogenannte Beitrittsgebiet umrissen werde, sei diese Anordnung dahin zu verstehen, daß Zusatzversorgungsleistungen dann abzubauen seien, wenn sie im Vergleich zu den allgemeinen Sozialversicherungsleistungen im Beitrittsgebiet überhöht seien. Abzustellen sei also im Zusammenhang mit Hinterbliebenenrenten auf die im Beitrittsgebiet vor dem Inkrafttreten des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) üblichen Leistungen. Denn das SGB VI sei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zum EinigVtr noch nicht wirksam gewesen und habe überdies auch nicht für das Beitrittsgebiet, sondern von Anbeginn an für das gesamte Bundesgebiet gelten sollen. Auch die Vorgängerbestimmungen § 41 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 64 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) könnten nicht angesprochen gewesen sein, denn sie hätten bis zu ihrem Außerkrafttreten am 31. Dezember 1991 gerade nicht in dem von Art. 3 EinigVtr erfaßten Beitrittsgebiet gegolten.
Gebiete EinigVtr Nr. 9 b Satz 3 Nr. 1 nach alledem die Reduzierung von Leistungen aus Zusatzversorgungssystemen an solche Hinterbliebene, die keinem der Tatbestände des im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1991 maßgeblichen § 19 Abs. 1 der Ersten Rentenverordnung (RentenV-DDR) unterfielen, stehe EinigVtr Nr. 9 b nicht im inhaltlichen Gegensatz zu § 26 RAnglG-DDR, Beide Regelungen verfolgten vielmehr das gleiche Ziel. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß EinigVtr Nr. 9 b Satz 1 die Überführung auch von Ansprüchen auf Leistungen wegen Todes anordne. Denn dieser Satz 1 werde durch die Sätze 2 und 3 ergänzt, die vorschrieben, welche Maßnahmen „bis zur Überführung” erforderlich seien. Die Sätze 1 bis 3 seien im systematischen Zusammenhang dahin zu verstehen, daß Leistungen nur in dem Umfang am 31. Dezember 1991 in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen gewesen seien, der nach Durchführung der Maßnahmen des Satzes 3 verblieben sei. So seien Hinterbliebenenversorgungen, die gegenüber Hinterbliebenenrenten nach § 19 der RentenV-DDR keine Privilegierung darstellten, am 31. Dezember 1991 zu überführen gewesen, insbesondere Leistungen an „erwerbsunfähige” Hinterbliebene. Dieser Anordnung des EinigVtr gemäß habe § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606, 1677) die Überführung des „Restbestandes” von zusätzlichen Hinterbliebenenversorgungen vorgesehen.
Da eine Normenkollision zwischen § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR und EinigVtr Nr. 9 b nicht existiere, erübrigten sich Ausführungen zu der Frage, welcher der Normkomplexe der speziellere sei. Abgesehen davon überzeugten die Ausführungen des 4. Senats des BSG nicht, wonach § 26 RAnglG-DDR deshalb die verdrängbare generellere Norm sein solle, weil er im EinigVtr nicht ausdrücklich erwähnt sei. Denn anderenfalls seien auch die den Rentenanspruch der Klägerin vor dem 1. Januar 1991 begründenden Bestimmungen des Zusatzversorgungssystems nach Anl I Nr. 1 AAÜG im EinigVtr ausdrücklich nicht genannt.
Im Zusammenhang mit der Entziehung von Hinterbliebenenversorgung nach § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR sei eine Anhörung nicht erforderlich gewesen. Im Ergebnis sei hier der in § 10 Abs. 5 Satz 3 AAÜG enthaltene Rechtsgedanke entsprechend anzuwenden: Im Zusammenhang mit einer Begrenzung der Versorgungen nach § 10 Abs. 1 und 2 AAÜG sei eine vorherige Anhörung nicht erforderlich. Wenn in § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR die grundsätzlich bestehende Verpflichtung zur Anhörung vor Erlaß belastender Verwaltungsakte nicht ausdrücklich abbedungen worden sei, so sei dies aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung erklärbar. Denn das RAnglG-DDR sei – anders als das AAÜG – noch vom Gesetzgeber der untergegangenen DDR erlassen worden. Dem DDR-Recht sei eine Anhörungsverpftichtung, wie sie in der Bundesrepublik in § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) normiert sei, fremd. Jedenfalls habe § 26 RAnglG-DDR bereits vor Inkrafttreten des SGB X im Beitrittsgebiet äußere Wirksamkeit erlangt. Der Umstand, daß die innere Wirksamkeit dieser Bestimmung erst nach Inkrafttreten des SGB X eingetreten sei, könne dem Gesetzgeber des RAnglG-DDR, der die künftige Rechtsentwicklung noch nicht habe abschätzen können, nicht nachteilig angerechnet werden. Vielmehr sei davon auszugehen, daß der Gesetzgeber des RAnglG-DDR – hätte er eine grundsätzliche Anhörungsverpflichtung der zuständigen Behörde unterstellt – diese in gleicher Weise abbedungen hätte, wie der Gesetzgeber des § 10 AAÜG, dem die Regelung des § 24 SGB X bereits gewärtig gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Kreisgerichts Dresden vom 16. April 1992 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Soziatgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung sowie die angefochtenen Bescheide im Ergebnis zu Recht aufgehoben.
An der Passivlegitimation der Beklagten bestehen im vorliegenden Rechtsstreit keine Zweifel, auch wenn die angefochtenen Bescheide nicht von ihr, sondern von der LVA Sachsen/ÜLA erlassen worden sind. Nach EinigVtr Anl I Kap VHI Sachgebiet F Abschn II Nr. 1 §§ 1, 2 nahm die ÜLA im Beitrittsgebiet die Aufgaben der Rentenversicherung im Namen und im Auftrag der Träger der Rentenversicherung wahr. Bereits ab 1. Januar 1991 war die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) im Beitrittsgebiet zuständig (EinigVtr Anl I Kap VIII Sachgebiet H Abschn III Nr. 1 Buchst f bb). Darüber hinaus ist die Beklagte gemäß § 8 Abs. 5 AAÜG für die Erfüllung der Aufgaben der Rentenversicherung in diesem Bereich zuständig.
Gegenstand des Bescheides der LVA Sachsen/ÜLA vom 23. Januar 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1991 ist die Einstellung der Zusatzwitwenrente der Klägerin mit dem 31. Dezember 1990. Dieser Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig und damit aufzuheben, weil die erforderliche Anhörung (vgl. § 24 SGB X) unterblieben und nicht wirksam nachgeholt worden ist (vgl. § 42 iVm § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X). In § 24 Abs. 1 SGB X ist geregelt: Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
§ 24 SGB X ist im vorliegenden Fall anwendbar gewesen. Das SGB X war gemäß EinigVtr Anl I Kap VIII Sachgebiet D Abschn III Nr. 2 im sog Beitrittsgebiet (vgl. Art. 3 EinigVtr) für den Bereich der Rentenversicherung ab dem 1. Januar 1991 anzuwenden. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann eine Anhörung hier auch nicht unter Heranziehung des in § 10 Abs. 5 Satz 3 AAÜG enthaltenen Rechtsgedankens als überflüssig oder gar als ausgeschlossen angesehen werden. § 10 AAÜG betrifft insbesondere die Begrenzung der Summe der Zahlbeträge aus gleichartigen Renten der Rentenversicherung und Leistungen bestimmter Zusatzsowie Sonderversorgungssysteme. Nach § 10 Abs. 5 Satz 3 AAÜG ist vor Erlaß des Begrenzungsbescheides die Anhörung eines Beteiligten nicht erforderlich. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind derartige Begrenzungsbescheide, die sich an festen Höchstbeträgen orientieren (vgl. auch § 11 AAÜG), mit Renteneinstellungen nach § 26 Abs. 1 Satz 2 RAnglG-DDR, die unter Umständen eingehende Ermittlungen zur Erwerbsfähigkeit der betroffenen Hinterbliebenen erfordern, nicht hinreichend vergleichbar, um den Regelungsinhalt des § 10 Abs. 5 Satz 3 AAÜG ohne weiteres übernehmen zu können. Insofern müßte sich zumindest aus dem Normzusammenhang des § 26 RAnglG-DDR deutlich ergeben, daß bei der Einstellung von Zusatzwitwenrenten ein Ausschluß der Anwendung des § 24 SGB X dem gesetzgeberischen Willen entsprach oder aus sonstigen übergeordneten Gesichtspunkten zwingend geboten ist. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Zwar trifft es zu, daß das RAnglG-DDR noch vor der deutschen Einigung erlassen worden ist und dem damaligen Recht der DDR eine Anhörung von Beteiligten iS von § 24 SGB X fremd war. Wenn die Parteien des EinigVtr jedoch das SGB X (einschließlich des dortigen § 24) ab 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet für anwendbar erklärt haben, so mußte man erwarten, daß sie dort, wo keine Anhörung nach § 24 SGB X stattfinden sollte, dem in Kraft gebliebenen DDR-Recht entsprechende Maßgaben beigefügt hätten. Da dies im EinigVtr Anl II Kap VIII Sachgebiet F Abschn III Nrn 8 und 10, welche sich auf die Weitergeltung des RAnglG-DDR beziehen, nicht geschehen ist, widerspräche eine Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 10 Abs. 5 Satz 3 AAÜG dem Willen der Parteien des EinigVtr. Es sind auch sonst keine Gründe ersichtlich, warum die in § 24 Abs. 2 SGB X selbst konkret geregelten Ausnahmetatbestände nicht ausreichen sollten, um auch bei einer (als zulässig unterstellten) Anwendung des § 26 RAnglG-DDR den Bedürfnissen der Verwaltung Rechnung zu tragen.
Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann unter bestimmten Voraussetzungen von der Anhörung abgesehen werden. Hier kommt allenfalls die Nr. 4 in Betracht, die voraussetzt, daß Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen. Zwar sind zum Jahreswechsel 1990/91 sicher viele Einstellungsbescheide nach § 26 Abs. 1 Satz 2 RAnglG-DDR erlassen worden, diese waren jedoch nicht „gleichartig” iS dieser Bestimmung. Es müßte sich nämlich um die schematische Anwendung einer für alle identischen Rechtsänderungsformel gehandelt haben (vgl. BSGE 69, 247, 250 = SozR 3-1300 § 24 Nr. 4). Davon kann hier schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Frage der „Erwerbsfähigkeit” der betroffenen Hinterbliebenen Einzelfallprüfungen voraussetzte.
Vor Erlaß des Bescheides vom 23. Januar 1991, der wegen der verfügten Renteneinstellung einen Eingriff in Rechte der Klägerin betrifft, ist keine Anhörung iS von § 24 Abs. 1 SGB X erfolgt. Aber auch von einer ordnungsgemäßen Nachholung derselben (vgl. § 42 Satz 2 iVm § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X) kann hier nicht ausgegangen werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist, in welchem sich die Klägerin recht ausführlich zu dem Bescheid vom 23. Januar 1991 geäußert hat (vgl. BSGE 69, 247, 253 f). Da die LVA Sachsen/ÜLA der Klägerin mit Bescheid vom 23. Januar 1991 lediglich den Inhaft des § 26 RAnglG-DDR bekannt gegeben, jedoch in keinem Stadium des Verwaltungsverfahrens die Tatsachen mitgeteilt hatte, deren Vorliegen sie bei Bejahung von Erwerbsfähigkeit iS dieser Vorschrift unterstellte (vgl. dazu erst das Schreiben der Beklagten vom 16. Oktober 1991 an das Kreisgericht), hatte die Klägerin keine hinreichende Gelegenheit, gezielt dazu Stellung zu nehmen. Ob sie in der Lage gewesen wäre, die betreffenden Tatsachen zu entkräften, ist hierbei unerheblich.
Abgesehen von der fehlenden Anhörung mangelt es dem angefochtenen Verwaltungsakt auch an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage. Insoweit folgt der erkennende Senat aufgrund eigener Prüfung der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (Urteile vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 67/93 und 4 RA 64/94). Danach ist § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR hier kein anwendbares Recht, weil er durch die Regelung im EinigVtr Nr. 9 verdrängt worden ist. Die von der Beklagten gegen diese Rechtsauffassung vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten läßt sich aus dem Beschluß des BVerfG vom 30. Oktober 1993 (SozR 3-8560 § 26 Nr. 1) nicht der zwingende Schluß ziehen, das BVerfG habe die inhaltliche Anwendbarkeit des § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR bejaht. Die von der Beklagten zitierten Passagen des genannten Beschlusses sprechen allenfalls dafür, daß das BVerfG von einem formalen Inkraftbleiben dieser Norm über den 2. Oktober 1990 hinaus ausgegangen ist. Insoweit übersieht die Beklagte, daß auch der 4. Senat des BSG nicht angenommen hat, § 26 RAnglG-DDR sei außer Kraft gesetzt worden. Vielmehr ist in den zitierten Urteilen vom 15. Dezember 1994 lediglich – wegen Unvereinbarkeit mit EinigVtr Nr. 9 – die Unanwendbarkeit dieser Norm festgestellt worden. Im übrigen stand es dem BVerfG frei, auf welchen von mehreren möglichen Rechtsgründen es seine Entscheidung stützen wollte. Da es die Unzulässigkeit der Richtervorlage damit begründet hat, es handele sich bei § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR um vorkonstitutionelles Recht, brauchte es sich jedenfalls mit der inhaltlichen Anwendbarkeit dieser Norm in dem ihm vorliegenden Rechtsstreit nicht zu befassen.
Auch soweit die Beklagte eine Kollision zwischen den Regelungsinhalten von § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR und EinigVtr Nr. 9 b verneint, vermag der erkennende Senat dem nicht beizutreten. Insbesondere führt der Hinweis der Beklagten auf EinigVtr Nr. 9 b Satz 3 Nr. 1 zu keiner von der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG abweichenden Beurteilung. Wenn darin eine Anpassung der Ansprüche und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen an die Ansprüche und Anwartschaften „nach den allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung in dem in Art. 3 des Vertrages genannten Gebiet” vorgesehen ist, so ist damit sicher keine einseitig rückwärts gerichtete Vorgehensweise gemeint, wie sie offenbar der Beklagten vorschwebt. Vielmehr sollte sich die genannte Anpassung an den sich in der Entwicklung befindlichen Rechtszustand der Sozialversicherung im Beitrittsgebiet orientieren. Die Anpassung war so vorzunehmen, daß im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens die Ansprüche und Anwartschaften aus den genannten Versorgungssystemen im wesentlichen den Ansprüchen und Anwartschaften aus der allgemeinen Sozialversicherung entsprechen würden. Je später der Anpassungszeitpunkt lag, desto eher mußte naturgemäß auch das SGB VI in Betracht gezogen werden, das gemäß EinigVtr Anl I Kap VIII Sachgebiet H Abschn III Nr. 1 teilweise sogar schon ab dem 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet galt und auch ab 1. Januar 1992 für Ansprüche aus diesem Gebiet verschiedene Sonderregelungen vorsieht (vgl. zB §§ 307a ff, 314a, 315a f SGB VI).
Darüber hinaus hat die Beklagte unberücksichtigt gelassen, daß nach EinigVtr Nr. 9 b Satz 4 bei Personen, die am 3. Oktober 1990 leistungsberechtigt waren, bei der Anpassung nach Satz 3 Nr. 1 der Zahlbetrag nicht unterschritten werden durfte, der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen war. Jedenfalls mit dieser Besitzstandsregelung ist die in § 26 Abs. 1 Satz 2 RAnglG-DDR angeordnete vollständige Einstellung von laufenden Versorgungsleistungen an erwerbsfähige Witwen und Witwer unvereinbar.
Soweit die Beklagte schließlich bezweifelt, EinigVtr Nr. 9 sei gegenüber § 26 RAnglG-DDR die speziellere Regelung, ist ihr entgegenzuhalten, daß EinigVtr Nr. 9 jedenfalls als spätere Norm die mit ihr kollidierende frühere verdrängt. Insoweit ist vor allem zu berücksichtigen, daß der EinigVtr eine umfassende Neuregelung aufgrund der durch die Herstellung der Einheit Deutschlands vollständig geänderten Verhältnisse schaffen wollte. Das dem RAnglG-DDR noch zugrundeliegende Regelungskonzept eines „Zwischenschrittes” iS einer „DDR-internen” Rentenreform (vgl. dazu BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 67/93 –, Umdruck S 20 f) war bei Abschluß des EinigVtr bereits weitgehend überholt.
Da § 26 Abs. 1 RAnglG-DDR somit im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, braucht auf die vom LSG vorrangig entschiedenen Fragen nicht eingegangen zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen