Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 22.03.1994) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. März 1994 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 19. September 1990 auf Antrag der Klägerin folgende Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz an 1. Wirbelsäulen- und Schulter-Arm-Syndrom bei degenerativen Veränderungen 2. Rezidivierende Rachen- und Kehlkopfentzündungen 3. Belastungsinsuffizienz des Herzens und setzte einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest. Gegen diesen Bescheid erhob die anwaltlich vertretene Klägerin Widerspruch mit dem Antrag, den GdB mit 50 festzustellen. Anläßlich der Begründung ihres Rechtsbehelfs beantragte sie, die im Rahmen ihrer Berentung durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eingeholten Gutachten beizuziehen. Nachdem dies geschehen war, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 5. September 1991 außer den vorgenannten Behinderungen noch eine Depression fest und bezifferte den GdB – wie beantragt -mit 50.
Die Klägerin betrachtete daraufhin das Verfahren als in der Hauptsache erledigt. Mit „Kostennote” ihres Prozeßbevollmächtigten vom 30. September 1991 machte sie beim Beklagten die Erstattung von Verfahrenskosten in Höhe von 672,60 DM geltend. Diesem Kostenansatz legte sie mit 550,00 DM die Mittelgebühr des auf zwei Drittel gekürzten Gebührenrahmens nach § 116 Abs 1 Nr 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGebO) zugrunde, dessen Höchstbetrag aus § 116 Abs 1 Nr 1 sie allerdings nach Abs 3 Satz 2 iVm § 24 BRAGebO um 50 vH (von ca 710,00 DM auf ca 1.060,00 DM) erhöht hatte. Daneben machte sie nur noch eine Auslagenpauschale in Höhe von 40,00 DM und die Umsatzsteuer geltend. Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 15. Januar 1992 bezifferte der Beklagte die von ihm zu erstattenden Kosten mit 478,80 DM. Dabei war er von zwei Dritteln der Mittelgebühr aus § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO (von ihm berechnet mit 380,00 DM) ausgegangen, wobei er die Mittelgebühr ohne Erhöhung des Gebührenrahmens (§ 116 Abs 3 Satz 2 iVm § 24 BRAGebO) berechnet hatte. In der Folgezeit beantragte die Klägerin die Überprüfung dieses Bescheides nach § 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X). Mit angefochtenem Bescheid vom 25. Mai 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1992 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Speyer (SG) mit Urteil vom 26. Januar 1993 ab: maßgebend sei der n i c h t gemäß § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGebO e r h ö h t e Gebührenrahmen. Denn es habe an einer Mitwirkungshandlung des Rechtsanwalts iS des § 24 BRAGebO gefehlt. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) machte die Klägerin unter anderem geltend, der Prozeßbevollmächtigte habe sehr wohl eine Tätigkeit iS des § 24 BRAGebO entfaltet. Denn nach Übersendung des Abhilfebescheides vom 5. September 1991 sei zwischen ihr und ihrem Anwalt die Frage erörtert worden, ob über den GdB von 50 hinaus noch die Erteilung des Merkzeichens „G” angestrebt werden solle. Auf die Geltendmachung dieses Nachteilsausgleiches habe sie auf Anraten ihres Anwalts verzichtet.
Mit Urteil vom 22. März 1994 wies das LSG die Berufung zurück. In den Entscheidungsgründen führt es im wesentlichen aus, der Anwalt der Klägerin habe insbesondere nicht auf die Klägerin eingewirkt, sich mit einem Teilabhilfebescheid zufrieden zu geben. In einem Einwirken auf den Mandanten, die Angelegenheit im Hinblick auf einen voll abhelfenden Bescheid für erledigt zu erklären, liege keine Mitwirkungshandlung iS des § 24 BRAGebO. Das gelte auch dann, wenn der Auftraggeber des Rechtsanwalts nachträglich weitere Punkte in das Verfahren habe einbeziehen wollen, die bisher nicht Streitgegenstand gewesen seien.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das LSG sei auf ihre Argumentation nicht eingegangen, ihr Anwalt habe sie veranlaßt, von der Geltendmachung des Merkzeichens „G” im Verwaltungsvorverfahren abzusehen. Insoweit habe es ihr das rechtliche Gehör verweigert und notwendige Aufklärungsmaßnahmen (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) unterlassen.
Sie beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. März 1994 und des Sozialgerichts Speyer vom 26. Januar 1993 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Mai 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1992 zu verurteilen, unter entsprechender Rücknahme des Kostenfestsetzungsbescheides vom 15. Januar 1992 zusätzliche Kosten des Vorverfahrens in Höhe von 193,80 DM zu erstatten.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Er hält das Urteil des LSG für richtig.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, daß der Beklagte die Aufhebung seines Kostenbescheides vom 15. Januar 1992 ablehnen durfte. Bei dem angefochtenen Ablehnungsbescheid vom 25. Mai 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. September 1992 handelt es sich um die Ablehnung einer Zugunstenaufhebung iS des § 44 Abs 2 SGB X, weil es nicht um die Gewährung von Sozialleistungen oder die Erhebung von Beiträgen geht. Das Ergebnis dieser Überprüfung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Bescheide des Beklagten vom September und Mai 1992 unbeanstandet gelassen. Denn der Bescheid vom 15. Januar 1992 entsprach der Sach- und Rechtslage.
Gemäß § 116 Abs 3 Satz 1 BRAGebO erhält der Rechtsanwalt im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit keine besonderen Gebühren nach § 23 BRAGebO (Vergleichsgebühr) und § 24 BRAGebO (Erledigungsgebühr). Statt dessen werden in diesen Fällen die Höchstbeträge der in § 116 Abs 1 BRAGebO vorgesehenen Gebührenrahmen um 50 vH erhöht (§ 116 Abs 3 Satz 2 BRAGebO).
Zutreffend hat das LSG § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGebO auch auf den für das Vorverfahren geltenden Gebührenrahmen angewendet. Für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Vorverfahren nach dem SGG (§§ 78 ff SGG) sieht die BRAGebO aufgrund einer Gesetzeslücke keine besondere Gebühr vor. Für diesen Fall gilt der auf zwei Drittel ermäßigte Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO (BSG SozR 1300 § 63 Nrn 2 und 3). In Kenntnis dieser durch die Rechtsprechung geklärten Rechtslage hat der Gesetzgeber mit der durch das Gesetz vom 20. August 1990 (BGBl I S 1765) eingeführten Vorschrift des § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGebO für die Bevollmächtigten der Beteiligten einen Anreiz geschaffen, Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ohne Entscheidung in der Hauptsache zu erledigen (vgl BT-Drucks 11/6715 S 4), um so die Gerichte zu entlasten. Es spricht nichts dagegen, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGebO auch den Höchstsatz des (um ein Drittel ermäßigten) Gebührenrahmens für das isolierte Vorverfahren zu erhöhen. Zu der mit § 24 BRAGebO bezweckten Entlastung der Gerichte kommt es nämlich auch, wenn sich Streitfragen bereits im Vorverfahren ohne streitige Entscheidung vollständig erledigen, weil dann sich möglicherweise anschließende Klageverfahren vermieden werden.
Der Senat hat allerdings bereits mit Beschluß vom 13. Dezember 1994 – 9 BVs 48/94 – (AnwGeb 1995, 65) im Anschluß an den 14. Senat (BSG SozR 3-1930 § 116 Nr 4) entschieden, daß nach § 116 Abs 3 Satz 2 iVm § 24 BRAGebO von dem Bevollmächtigten ein besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreites verlangt wird und dafür weder die Begründung des Rechtsbehelfs noch die bloße Erledigungserklärung ausreicht; daran ist auch für den Fall festzuhalten, daß § 116 Abs 3 Satz 2 iVm § 24 BRAGebO auf das Widerspruchsverfahren entsprechend angewendet wird. Dabei führen Umfang, Schwierigkeit und Intensität der Tätigkeit eines Bevollmächtigten in keinem Fall zu einer zusätzlichen Erfolgsgebühr iS der § 116 Abs 3 Satz 2 iVm § 24 BRAGebO, selbst wenn der Verwaltung dadurch eigene Ermittlungen weitgehend erspart werden. Eine Sondergebühr für besondere Bemühungen kennt die BRAGebO nicht. Ein Bevollmächtigter ist gegenüber seinem Mandanten stets verpflichtet, das Vorverfahren gewissenhaft, sorgfältig und gründlich zu betreiben (§ 43 Abs 1 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung). Diese Tätigkeit wird durch eine Gebühr innerhalb des auf zwei Drittel herabgesetzten Rahmens nach § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGebO vollständig abgegolten. Der Bevollmächtigte darf allerdings bei der Gebührenbestimmung im Rahmen des § 12 Abs 1 BRAGebO Umfang und Schwierigkeit der Angelegenheit berücksichtigen. Das kann in aufwendigen und komplizierten Angelegenheiten zu einer weitgehenden Ausschöpfung des Gebührenrahmens führen.
Das LSG hat zu Recht eine gebührenrechtlich erhebliche Mitwirkungshandlung des Bevollmächtigten der Klägerin verneint. Diese lag weder bereits in dem Betreiben des Vorverfahrens noch in der Einwirkung auf die Klägerin, sich mit dem erteilten Abhilfebescheid zufrieden zu geben. Auch eine sonstige gebührenrechtlich erhebliche Mitwirkungshandlung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin lag nicht vor. Das Mitwirken des Bevollmächtigten bei der Erledigung einer Rechtssache führt nämlich nur dann zu einer Gebührenerhöhung, wenn der Streit wegen der Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens zwar nicht der Form, wohl aber dem Inhalt nach vergleichsweise beigelegt wird, und das auf die Mitwirkung des Prozeßbevollmächtigten zurückgeht. Die Erhöhung des Gebührenrahmens, die anstelle der Zusatzgebühr nach § 24 BRAGebO im sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen ist, soll der Tatsache Rechnung tragen, daß hier ebenso wie im allgemeinen Verwaltungsverfahren eine gütliche Beilegung häufig nicht durch förmlichen Vergleich, der dort eine Gebühr nach § 23 BRAGebO auslöst, sondern durch Teilabhilfe und anschließende Rücknahme oder Erledigterklärung des Rechtsbehelfs im übrigen erfolgt. Ein solcher Fall ist hier schon deswegen nicht gegeben, weil es am beiderseitigen Nachgeben als Grundlage für einen Vergleich fehlt. Das Vorverfahren hat für die Klägerin mit einem vollen Erfolg geendet. Die – schlüssige – Erledigungserklärung des Widerspruchs hatte nur noch deklaratorischen Charakter, nachdem der Beklagte den GdB auf 50 angehoben hatte. Damit war dem von der Klägerin im Widerspruchsverfahren erhobenen Antrag entsprochen.
Wenn die Klägerin nunmehr geltend macht, sie habe auf die – an sich mögliche -Geltendmachung weiterer Ansprüche – hier Erteilung des Merkzeichens „G” – im Widerspruchsverfahren verzichtet, und darin ein „Nachgeben” erblickt, so muß sie sich entgegenhalten lassen, daß die Verfolgung eines derartigen Anspruchs im Widerspruchsverfahren vor dessen Abschluß nicht erkennbar geworden ist. Inwiefern ein Abhilfebescheid dem Widerspruchsbegehren tatsächlich vollständig abgeholfen hat, kann nur nach den im Widerspruchsverfahren gestellten Anträgen beurteilt werden, die ggf auszulegen sind. Hier hat die Klägerin im Verwaltungsvorverfahren lediglich die Erhöhung des GdB auf 50 beantragt. Dagegen war der Nachteilsausgleich G niemals Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen, und konnte insoweit auch eine Einwirkung des Rechtsanwalts auf die Klägerin, von der Geltendmachung weiterer Ansprüche abzusehen, nicht zur Erledigung des Verfahrens führen (vgl insoweit auch Kunze in Deutsche Angestellten-Versicherung 1994, S 335, 337 oben).
Die Rüge, das LSG habe das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt, ist unbegründet. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist das LSG auf Bl 15 seines Urteils auch auf die Frage eingegangen, ob sich die Anwendung des § 116 Abs 3 iVm § 24 BRAGebO wegen der Nichtgeltendmachung des Merkzeichens „G” rechtfertigt. Diese Frage hat es schlüssig dadurch beantwortet, daß es die gebührenrechtliche Relevanz von Streitpunkten verneint hat, die im erledigten Streitverfahren nicht geltend gemacht wurden.
Die Gebühr, die im Rahmen des § 12 BRAGebO vom Rechtsanwalt zu „bestimmen” war, ist unbillig, weil sie den gegebenen Gebührenrahmen außer Acht läßt. Nach der genannten Vorschrift hat der Rechtsanwalt das Recht, die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 12 Abs 1 Satz 1 BRAGebO). Wird das Ermessen in unbilliger Weise ausgeübt, geht das Bestimmungsrecht auf den Gebührenschuldner über (BSG SozR 1300 § 63 Nr 4). Die Festsetzung des Beklagten im Bereich der Mittelgebühr des einfachen Gebührenrahmens ist angemessen, da es sich um eine in den wesentlichen Kriterien allenfalls durchschnittliche sozialrechtliche Streitsache handelte und Gesichtspunkte, die zur Überschreitung der Mittelgebühr führen könnten, auch von der Klägerin nicht geltend gemacht worden sind; der Anwalt hat – allerdings innerhalb eines unzutreffenden Rahmens – auch nur die Mittelgebühr veranschlagt.
Nach allem konnte die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen