Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 8. April 1997 und des Sozialgerichts Stralsund vom 30. Oktober 1996 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. April 1994, soweit dort eine Überzahlung festgestellt wurde, und der Bescheid vom 5. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1995 aufgehoben.
Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über einen Rückforderungsanspruch wegen überzahlter Witwerrente.
Nachdem seine Ehefrau im Juni 1991 verstorbenen war, stellte der Kläger im Oktober 1992 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) einen Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente, den diese zuständigkeitshalber an die Beklagte weiterleitete. Diese gewährte daraufhin mit Bescheid vom 26. Oktober 1993 eine große Witwerrente, und zwar ab Januar 1992 in Höhe von 4,72 DM, ab Juli 1993 in Höhe von 4,73 DM. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Das anzurechnende Einkommen des Klägers (ab Januar 1992 Krankengeld in Höhe von 1.795,20 DM) sei höher als die monatliche Rente. Die Höhe der Witwerrente ergebe sich allein aus einer Höherversicherung seiner verstorbenen Ehefrau. Weiter wurde unter der Überschrift „Mitteilungspflichten” ausgeführt: Änderungen in den Einkommensarten müßten mitgeteilt werden; die Meldung von Veränderungen erübrige sich jedoch bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Darüber hinaus wurde der Kläger aufgefordert, sein Einkommen ab Dezember 1992 mitzuteilen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und übersandte gleichzeitig der Beklagten ein Schreiben der BfA über einen monatlichen Vorschuß auf seine Erwerbsunfähigkeits(EU-)Rente ab Juli 1993 in Höhe von 838,– DM sowie über eine Nachzahlung für die Zeit von Januar bis Juni 1993 in Höhe von 728,– DM monatlich. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 3. Dezember 1993 mit, daß die angegebene Änderung seines Einkommens eine Neuberechnung der Witwerrente zur Folge habe, und bat ihn um Übersendung der Rentenanpassungsmitteilung ab Januar 1994 sowie ggf des endgültigen Rentenbescheides der BfA. In seinem Antwortschreiben vom 20. Dezember 1993 gab der Kläger sein monatliches Einkommen bis Juni 1993 mit 728,– DM, ab Juli 1993 mit 832,– DM an. Dazu fügte er nur die Rentenanpassungsmitteilung der BfA zum Januar 1994 bei, die noch auf der Vorschußgewährung (862,28 DM monatlich) basierte, obwohl er den Bescheid der BfA vom 10. November 1993 über die Gewährung einer EU-Rente (für Dezember 1992 in Höhe von 1.229,53 DM, ab Januar 1993 in Höhe von 1.304,50 DM, ab Juli 1993 in Höhe von 1.490,27 DM und ab Januar 1994 in Höhe von 1.544,47 DM) zwischenzeitlich erhalten hatte.
Auf der Grundlage der eingesandten Unterlagen berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Klägers neu (Bescheid vom 19. Januar 1994). Danach beliefen sich die monatlichen Zahlbeträge ab Januar 1993 auf 209,22 DM, ab Juli 1993 auf 238,34 DM und ab Januar 1994 auf 246,84 DM. Für die Zeit von Januar 1993 bis Februar 1994 ergab sich eine Nachzahlung in Höhe von 3.127,12 DM, die dem Kläger ausgezahlt wurde. Gleichzeitig verständigte die Beklagte die BfA von der Gewährung der Witwerrente und machte auf die zu zahlende EU-Rente einen Erstattungsanspruch geltend. Hierauf teilte die BfA der Beklagten im April 1994 die erfolgte EU-Rentenbewilligung mit und fügte hinzu: Die laufenden Zahlungen seien im Januar 1994 aufgenommen worden, von dem Nachzahlungsbetrag seien 8.281,19 DM bereits am 23. Februar 1994 an den Kläger, der Rest an die Seekrankenkasse ausgezahlt worden.
Daraufhin berechnete die Beklagte die Witwerrente des Klägers ab Januar 1993 neu. Es ergab sich nunmehr wegen der Einkommensanrechnung nur ein Zahlbetrag aus der Höherversicherung ab Januar 1993 in Höhe von monatlich 4,72 DM, ab Juli 1993 in Höhe von 4,73 DM; für die Zeit von Januar 1993 bis Mai 1994 wurde eine Überzahlung in Höhe von 3.839,21 DM festgestellt (Bescheid vom 28. April 1994). Schließlich hob die Beklagte ihren Rentenbescheid vom 19. Januar 1994 unter Bezugnahme auf § 18e Abs 4 Satz 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) auf und forderte den überzahlten Betrag zurück (Bescheid vom 5. Mai 1994).
Im Widerspruchsverfahren wies die Beklagte im Rahmen der Anhörung darauf hin, daß die Rückforderung des überzahlten Betrages nunmehr auf § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützt werde. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1995; Urteil des Sozialgerichts Stralsund ≪SG≫ vom 30. Oktober 1996). Im sozialgerichtlichen Verfahren waren die Beteiligten darauf hingewiesen worden, daß der Neufeststellungsbescheid der Beklagten vom 19. Januar 1994 nach § 45 SGB X zurückzunehmen gewesen sei. Die Berufung des Klägers wurde durch Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LSG) vom 8. April 1997 mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen:
Der Rentenbescheid vom 19. Januar 1994 sei bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen, soweit dem Kläger eine höhere Witwerrente als monatlich 4,72 DM bzw 4,73 DM gewährt worden sei, da die EU-Rente anzurechnen gewesen sei und der Kläger somit lediglich einen Rentenanspruch aus der von seiner verstorbenen Ehefrau abgeschlossenen Höherversicherung habe. Er habe den Erhalt des endgültigen Bescheides der BfA vom 10. November 1993 iS von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X vorsätzlich oder zumindest außergewöhnlich grob fahrlässig unterdrückt. Sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes vom 19. Januar 1994 sei daher nicht schutzwürdig. Eine Bösgläubigkeit sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Hinterbliebenenrentenbescheide der Beklagten Hinweise enthielten, daß zwar Einkommensänderungen mitzuteilen seien, eine solche Pflicht aber gerade bezüglich Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bestehe. Wenn ein Rentenberechtigter dazu aufgefordert werde, seine Einkünfte mitzuteilen, dürfe er keine falschen Angaben machen. Da er bei der Abfassung seines Antwortschreibens vom 20. Dezember 1993 bereits im Besitz des Rentenbescheides der BfA vom 10. November 1993 gewesen sei, habe er entweder diesen Bescheid bewußt und in Kenntnis, daß dieser für die Höhe der Witwerrente ungünstig sei, nicht an die Beklagte übersandt oder er habe die Bedeutung dieses Bescheides zumindest grob fahrlässig ignoriert, obwohl sich diese gerade für ihn nach dem vorangegangenen Schriftwechsel mit der Beklagten haben aufdrängen müssen.
Im vorliegenden Fall sei ausnahmsweise im Rahmen des § 45 SGB X kein Ermessen auszuüben. Die angefochtenen Bescheide seien nicht deshalb rechtswidrig, weil es die Beklagte unterlassen habe, spätestens im Widerspruchsverfahren Ermessenserwägungen anzustellen. Zwar sei auch bei Bösgläubigkeit des Empfängers grundsätzlich Ermessen auszuüben. Das Ermessen sei aber auf Null reduziert gewesen, da keine Gesichtspunkt vorhanden seien, die die Beklagte zugunsten des Klägers zu berücksichtigen gehabt habe. Der Senat schließe sich der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Januar 1994 an, wonach kein Ermessen auszuüben sei, wenn einerseits der Leistungsempfänger in einer das gewöhnliche Maß weit überschreitenden Weise schuldhaft gehandelt habe und andererseits keine Gesichtspunkte zu seinen Gunsten, insbesondere kein Mitverschulden der Behörde, ersichtlich seien (Bezug auf BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16). Das sei vorliegend der Fall gewesen. Hätte sich der Kläger korrekt verhalten, wäre es gar nicht zu der fehlerhaften Rentenberechnung gekommen. Aus der Sicht der Beklagten habe kein Anlaß bestanden, die erhöhte Witwerrente nicht vorbehaltlos zu gewähren. Die Fristen des § 45 SGB X seien gewahrt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 24 und 45 SGB X. Dazu führt er aus:
Vor Erlaß des Aufhebungsbescheides der Beklagten vom 5. Mai 1994 sei die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil in dem Anhörungsschreiben die falsche Rechtsgrundlage genannt worden sei. Die Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 1994 hätte auf § 45 und nicht auf § 48 SGB X gestützt werden müssen.
Darüber hinaus habe das LSG im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes nach § 45 SGB X nicht berücksichtigt, daß aufgrund der Mitteilung der BfA über die Einbehaltung der Rentennachzahlung der Meinung gewesen sei, die BfA werde sich mit der Beklagten in Verbindung setzen und er dürfe deshalb von einer Übersendung des Bescheides absehen. Außerdem habe die Beklagte nicht die erforderlichen Ermessenserwägungen vorgenommen. Die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null hätten nicht vorgelegen, zumal ihn nur der Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit treffe und der Beklagten ein Mitverschulden anzulasten sei, weil ihr die Zahlung des Vorschusses auf die EU-Rente durch die BfA bekannt gewesen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 8. April 1997 und des SG Stralsund vom 30. Oktober 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. April 1994, soweit dort eine Überzahlung festgestellt wurde, und den Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1995 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend und trägt darüber hinaus ergänzend vor:
§ 24 SGB X sei nicht verletzt. Eine Anhörung setze nur voraus, daß dem Kläger die maßgeblichen Tatsachen, von denen die Behörde ausgehe, mitgeteilt würden. Eine richtige Angabe der Rechtsgrundlage sei nicht erforderlich. Im übrigen habe sich der Kläger zum Vertrauensschutz geäußert, obwohl im Anhörungsschreiben davon nicht die Rede gewesen sei.
Auch ein Verstoß gegen § 45 SGB X liege nicht vor. Beim Kläger habe grob fahrlässige Unkenntnis iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X vorgelegen. Das Unterlassen von Angaben stehe im übrigen unvollständigen Angaben gleich, wenn berechtigterweise nach Angaben gefragt werde. Dem Kläger hätte ohne weitere Überlegungen klar sein müssen, daß er ihr, der Beklagten, den Rentenbescheid über die Gewährung einer EU-Rente hätte übersenden müssen. Soweit der Kläger der Auffassung gewesen sei, die BfA werde sich mit ihr, der Beklagten, vor Auszahlung der Nachzahlung in Verbindung setzen, habe das Schreiben vom 3. Dezember 1993 hierzu keinen Anlaß gegeben.
Zu Recht habe das LSG auch eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen. Sie, die Beklagte, treffe kein Mitverschulden. Bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 103 SGB X handele es sich um das übliche Verwaltungsverfahren.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet.
Gegenstand der Revision ist zunächst der Bescheid vom 5. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1995 über die Aufhebung und Rückforderung eines Teiles der Witwerrente des Klägers. Einbezogen ist ferner die in dem Bescheid der Beklagten vom 28. April 1994 ausgesprochene Feststellung der Überzahlung der Witwerrente in Höhe von 3.839,21 DM für den Zeitraum von Januar 1993 bis Mai 1994, nicht jedoch die dort auch getroffene Neufeststellung der Witwerrente für die Zukunft, dh ab Juni 1994. Insoweit hat der Kläger den Neufeststellungsbescheid vom 28. April 1994 nicht angefochten.
Die vorinstanzlichen Urteile können keinen Bestand haben, da sie die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Unrecht bestätigt haben.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind die streitbefangenen Verwaltungsakte allerdings in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere ist ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren iS von § 24 SGB X durchgeführt worden. Nach Abs 1 dieser Vorschrift ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Unter den in § 24 Abs 2 SGB X genannten Voraussetzungen kann von einer Anhörung abgesehen werden.
Die zunächst vor Erlaß des Feststellungsbescheides vom 28. April 1994 und des Rückforderungsbescheides vom 5. Mai 1994 fehlerhaft unterbliebene Anhörung ist im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden (Schreiben der Beklagten vom 1. Februar 1995); der Verfahrensmangel ist damit gemäß § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X geheilt worden (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 11).
Die durchgeführte Anhörung ist auch nicht allein deshalb rechtswidrig, weil in dem Anhörungsschreiben – im nachhinein betrachtet – eine unzutreffende Rechtsgrundlage für die beabsichtigte Aufhebung, dh § 48 anstatt § 45 SGB X, genannt worden ist. Die Anhörung erfordert grundsätzlich, daß die Behörde alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitteilt, auf die es nach materiell-rechtlicher Ansicht der Behörde objektiv ankommt (vgl BSGE 69, 247, 252 f = BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 4; BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 11). Entscheidend ist insoweit, daß der anschließende Verwaltungsakt nicht auf neue Gesichtspunkte gestützt wird. Selbst wenn man im Rahmen der Anhörung auch einen Hinweis auf die von der Behörde für maßgeblich gehaltene Rechtsgrundlage als erforderlich ansehen wollte, hat sich die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1995 an ihre mit dem Anhörungsschreiben vom 1. Februar 1995 gemachten Angaben gehalten. Ein Auswechseln der Begründung oder eine Umdeutung des Verwaltungsaktes (vgl § 43 SGB X) im anschließenden Gerichtsverfahren wird durch § 24 SGB X nicht ausgeschlossen (vgl Schneider-Danwitz in SGB-Sozialversicherungs-GesamtKomm, § 24 SGB X Anm 28).
Die angefochtenen Bescheide verstoßen auch nicht gegen § 35 SGB X. Nach Abs 1 dieser Vorschrift ist ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muß auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Bei der Frage, ob es sich bei den streitigen Verwaltungsakten in diesem Sinne um Ermessensentscheidungen handelt, ist auf die materielle Rechtsauffassung der Beklagten bei Erlaß der Bescheide abzustellen. Da die Beklagte keine Ermessensentscheidungen treffen wollte, kann ihr auch nicht vorgeworfen werden, daß die Begründung der Bescheide insoweit unzureichend sei.
Die angegriffenen Bescheide sind jedoch materiell rechtswidrig, soweit sie sich auf eine Neufeststellung und Rückforderung der Witwerrente für die Zeit von Januar 1993 bis Mai 1994 beziehen. Zu Unrecht hat die Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 1994 zunächst auf § 18e Abs 4 Satz 3 SGB IV gestützt. Eine Aufhebung nach dieser Vorschrift setzt eine vorläufige Festsetzung eines nicht bekannten Einkommens iS des Abs 4 Satz 1 dieser Vorschrift voraus (vgl Seewald in Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, § 18e SGB IV RdNr 14), während hier das Einkommen des Klägers aufgrund seiner Angaben (Schreiben vom 20. Dezember 1993) in dem Neufeststellungsbescheid endgültig zugrunde gelegt worden ist. Deshalb hat die Beklagte sich zu Recht im Widerspruchsverfahren hierauf auch nicht mehr berufen.
Aber auch § 48 SGB X, den die Beklagte sodann im Widerspruchsverfahren im Rahmen der Anhörung nachgeschoben hat, scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (mit Wirkung für die Zukunft) aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine derartige Änderung ist in der Zeit nach dem Erlaß des Bescheides vom 19. Januar 1994 nicht zu verzeichnen. Die Beklagte hat die mit den angefochtenen Bescheiden erfolgte Neufeststellung darauf gestützt, daß im Hinblick auf die Gewährung der EU-Rente bei der Berechnung der Witwerrente höhere Einkommensbeträge zu berücksichtigen seien. Zwar hat der Kläger den Nachzahlungsbetrag von der BfA erst im Februar 1994 erhalten, den maßgeblichen Rentenbewilligungsbescheid vom 10. November 1993 hatte er jedoch nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) bereits im Dezember 1993 in den Händen. Spätestens auf diesen Zeitpunkt ist hier abzustellen. Für die Anrechnung von Einkommen gemäß § 97 Abs 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm §§ 18a ff SGB IV kommt es grundsätzlich nicht auf den Zeitpunkt des Zuflusses, sondern auf das gleichzeitige Bestehen von materiellen Ansprüchen auf Hinterbliebenenrente und Einkommen an (vgl Gürtner in Kasseler Komm, § 97 SGB VI RdNr 7; Udsching in SGB-Sozialversicherungs-GesamtKomm, § 97 SGB VI Anm 5; allgemein dazu auch BSGE 61, 278, 280 = SozR 1300 § 45 Nr 29).
Die angegriffenen Bescheide könnten deshalb nur dann aufrechtzuerhalten sein, wenn sie in rechtmäßige Bescheide umgedeutet werden könnten. Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlaß erfüllt sind. Unabhängig davon, ob § 43 SGB X auch im Gerichtsverfahren unmittelbar Anwendung finden kann (vgl dazu BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1; BSG SozR 1300 § 43 Nr 1 und § 48 Nr 25; BVerwGE 48, 81 ff; 82, 235, 242; offengelassen in BSG, Urteil vom 19. März 1998 – B 7 AL 86/96 R –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), ist das Gericht jedenfalls gehalten, entsprechend § 43 SGB X zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt unter Heranziehung einer anderen Rechtsgrundlage gehalten werden kann.
Hier kommt eine Umdeutung der streitigen Bescheide in einen auf § 45 SGB X gestützten Verwaltungsakt in Betracht. Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs 1). Der Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstige auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Abs 2 Satz 1). Das Vertrauen ist in der Regel nicht schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Abs 2 Satz 2). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte insbesondere nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Abs 2 Satz 3 Nr 2) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Abs 2 Satz 3 Nr 3 Halbsatz 1). In diesen Fällen wird der Verwaltungsakt nach § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Rücknahme für die Vergangenheit ist nur innerhalb der in Abs 3 der Vorschrift genannten Fristen möglich, dh gemäß Satz 1 kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt nach Abs 2 grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Nach Abs 4 Satz 2 derselben Vorschrift muß die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Auch wenn die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Beseitigung eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, kann ein nach § 48 SGB X ergangener Bescheid nicht ohne weiteres in einen solchen nach § 45 SGB X umgedeutet werden. Hinzukommen muß, daß der vorliegende Bescheid auch alle Voraussetzungen erfüllt, die für den Erlaß des Bescheides vorliegen müßten, in den umgedeutet werden soll. Insofern ist vor allem zu beachten, daß es sich bei § 48 SGB X in der Regel um eine gebundene Entscheidung handelt, während § 45 SGB X grundsätzlich eine Ermessensentscheidung bedingt.
Vorliegend sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X im engeren Sinne erfüllt. Der Bescheid vom 19. Januar 1994 war zum Zeitpunkt seines Erlasses objektiv rechtswidrig, da die gemäß § 97 SGB VI iVm § 18a Abs 3 Satz 1 Nr 2, § 18b Abs 3 SGB IV auf die Witwerrente des Klägers anzurechnende EU-Rente, die zu diesem Zeitpunkt bereits bewilligt war, nicht (vollständig) angerechnet worden ist. Unter Berücksichtigung der EU-Rentenbeträge hätte sich keine Witwerrente in Höhe von 246,84 DM errechnet, sondern es hätten sich nur die Beträge aus der Höherversicherung der Ehefrau in Höhe von 4,72 DM (ab Juli 1993 in Höhe von 4,73 DM) ergeben.
Auch die Rücknahmefristen sind eingehalten; die Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 1994 durch die Bescheide vom 28. April 1994 bzw 5. Mai 1994 lag sowohl innerhalb der Zweijahresfrist des § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X als auch innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X.
Die Voraussetzungen des § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X für eine Rücknahme des Bescheides vom 19. Januar 1994 mit Wirkung für die Vergangenheit, dh die Tatbestandsmerkmale des Abs 2 Satz 3, liegen ebenfalls vor. Der Kläger kann keinen Vertrauensschutz iS von § 45 Abs 2 SGB X beanspruchen. Ob die Voraussetzungen von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 1 oder 3 SGB X gegeben sind, kann offenbleiben, denn in jedem Fall ist § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X erfüllt. Der Kläger hat unrichtige bzw unvollständige Angaben iS dieser Vorschrift gemacht. Der objektive Umfang der Mitteilungspflicht des Klägers ergab sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 3. Dezember 1993, worin er aufgefordert worden war, seine aktuellen Einkommensverhältnisse darzulegen. Dem ist der Kläger nur ungenügend nachgekommen, indem er der Beklagten nicht den bereits ergangenen EU-Rentenbescheid der BfA vom 10. November 1993 übersandte, sondern nur die nicht mehr aktuelle Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Januar 1994 betreffend die Vorschußgewährung auf seine EU-Rente. Das Verhalten des Klägers war zumindest grob fahrlässig iS von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X. Denn das Anforderungsschreiben der Beklagten vom 3. Dezember 1993 zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse war eindeutig formuliert. Der Kläger hat dessen Sinn auch nachvollzogen, wie die Tatsache, daß er die Rentenanpassungsmitteilung übersandt hat, belegt. Da er nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den EU-Rentenbescheid spätestens am 10. Dezember 1993 erhalten hatte, war es ihm auch möglich, diesen seinem Schreiben vom 20. Dezember 1993 an die Beklagte beizufügen.
Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit ist – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht bereits deshalb entfallen, weil der Witwerrentenbescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1993 Hinweise dahin enthielt, daß Einkommensänderungen grundsätzlich mitzuteilen seien, dies bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung jedoch nicht erforderlich sei. Denn für den Kläger war ohne weiteres erkennbar, daß diese standardmäßigen Hinweise durch die zeitlich spätere und konkrete Anfrage der Beklagten überholt waren, er letztere also unabhängig davon ordnungsgemäß zu beantworten hatte. Jedenfalls hatte er aufgrund der allgemeinen Hinweise im Bescheid vom 26. Oktober 1993 keine Veranlassung, unter dem 20. Dezember 1993 gegenüber der Beklagten falsche Angaben zu machen.
Auch durfte der Kläger angesichts des Hinweises der BfA über die Einbehaltung der EU-Rentennachzahlung nicht davon ausgehen, dieser Versicherungsträger werde sich vor Auszahlung der Nachzahlung mit der Beklagten in Verbindung setzen; er selbst brauche letzterer folglich den endgültigen EU-Rentenbescheid nicht zu übersenden. Abgesehen davon, daß sich der Kläger nicht einfach auf die Richtigkeit einer derartigen Vermutung verlassen konnte, hätte er einen diesbezüglichen Irrtum spätestens nach Erhalt des Neufeststellungsbescheides der Beklagten vom 19. Januar 1994, der die von ihm angegebenen Vorschußbeträge zugrunde legte, und erst recht nach Erhalt der Abrechnung über die Rentennachzahlung der BfA erkennen müssen. Gleichwohl hat er den BfA-Rentenbescheid auch dann noch nicht der Beklagten vorgelegt. Auch sonst ist eine etwaige Fehlvorstellung des Klägers betreffend eine mögliche Kommunikation zwischen der BfA und der Beklagten über die Auszahlung des Nachzahlungsbetrages nicht geeignet, die Annahme einer grob fahrlässigen Mitteilungspflichtverletzung zu widerlegen. Denn der Kläger hat die Anfrage der Beklagten vom 3. Dezember 1993 – was an sich konsequent gewesen wäre – nicht einfach unbeantwortet gelassen, sondern mit dem Schreiben vom 20. Dezember 1993 falsch beantwortet. Zu einer derartigen aktiven Fehlinformation der Beklagten bestand unter keinen Umständen Anlaß.
Zwar liegen somit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X für die (Teil-)Rücknahme des Bescheides vom 19. Januar 1994 vor, soweit es die bei Erlaß der angefochtenen Verwaltungsakte in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeiträume von Januar 1993 bis Mai 1994 betrifft. Eine Umdeutung scheitert jedoch daran, daß die Beklagte von dem ihr gemäß § 45 Abs 1 SGB X eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat. Dies ergibt sich aus der insoweit maßgebenden Begründung der Bescheide vom 28. April 1994 und 5. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1995, die keine Gesichtspunkte erkennen läßt, von denen die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen sein könnte (vgl § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X).
Zwar hat das BSG auf dem Gebiet des Versorgungsrechts mehrfach entschieden, daß im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X in der Regel kein Spielraum für eine Ermessensentscheidung bleibe, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen im engeren Sinne erfüllt seien (vgl BSGE 60, 147, 150 f = SozR 1300 § 45 Nr 24; BSG SozR 1300 § 45 Nr 46; BSG, Urteile vom 23. Juni 1993 – 9/9a RVs 1/92 –, 13. Dezember 1994 – 9 RVs 1/94 – und 5. November 1997 – 9 RV 20/96 –; anders BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 18). Auf dem Gebiet der Sozialversicherung sind Ermessenserwägungen jedoch grundsätzlich erforderlich (vgl BSGE 67, 232, 234 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2; BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16; BSG, Urteil vom 30. Oktober 1997 – 4 RA 71/96 –). Eine solche Ermessensbetätigung ist auch in den Fällen der Bösgläubigkeit iS von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X nicht von vornherein kraft Gesetzes ausgeschlossen (vgl dazu BSG, Urteil vom 29. September 1987 – 7 RAr 22/86 –; BSG SozR 3-1300 § 50 Nrn 16 und 17).
Allerdings führt ein Ermessensmangel ausnahmsweise dann nicht zur Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsaktes, wenn auch bei Ausübung von Ermessen jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (vgl BVerwG Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr 54). Eine solche Ermessensreduzierung auf Null kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn ermessensrelevante Gesichtspunkte weder vom Kläger geltend gemacht noch sonstwie ersichtlich sind (vgl dazu BSG, Urteil vom 30. Oktober 1997 – 4 RA 71/96 –). Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Es lassen sich durchaus Umstände feststellen, welche der Beklagten bei einer Ermessensausübung zulässigerweise hätten Veranlassung geben können (nicht müssen), die Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 1994 zugunsten des Klägers, uU auch nur dem Umfang nach, zu beschränken (vgl dazu BSG, Urteile vom 12. April 1984 – 7 RAr 34/83 – und 23. November 1988 – 7 RAr 126/87 –).
Zum einen ist nach den Feststellungen des LSG nicht davon auszugehen, daß hier ein Fall betrügerischer Leistungserschleichung vorliegt (vgl dazu BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2). Da der Kläger wußte, daß die Höhe seiner Rentenbezüge aus eigener Versicherung für die Berechnung der Witwerrente von Bedeutung war, und er der Beklagten dementsprechend bereits den Erhalt von Vorschußzahlungen auf die zu erwartende EU-Rente angezeigt hatte, konnte er nicht damit rechnen, daß der endgültige Rentenbescheid der BfA der Beklagten lange verborgen bleiben würde. Dazu hat er sogar geltend gemacht, er sei davon ausgegangen, die BfA werde den von ihr festgestellten Rentennachzahlungsbetrag mit der Beklagten direkt abrechnen.
Zum anderen weist auch der Verfahrensablauf gewisse Besonderheiten auf, die im Rahmen einer Ermessensabwägung hätten berücksichtigt werden können: Der Beklagten war bei Erteilung ihres Bescheides vom 19. Januar 1994 bekannt, daß der Kläger bereits seit Januar 1993, also seit über einem Jahr, von der BfA Rentenvorschußzahlungen erhielt. Angesichts der bereits recht langen Dauer des Rentenverfahrens bei der BfA mußte sie damit rechnen, daß praktischer jederzeit ein endgültiger BfA-Rentenbescheid ergehen konnte und sogar in der Zeit seit dem 20. Dezember 1993 (Schreiben des Klägers an die Beklagte) inzwischen ergangen war. Dabei war zu erwarten, daß der Rentenbetrag deutlich höher liegen würde als die Vorschußzahlung und somit eine erhebliche Nachzahlung für die Vergangenheit festgestellt werden würde. Es bestand demnach am 19. Januar 1994 auch aus der Sicht der Beklagten die Möglichkeit, daß sie Rentenleistungen gewährte, die dem Kläger von vornherein nicht zustanden oder jedenfalls bei Beginn der – höheren – laufenden Leistungen am 1. März 1994 nicht mehr zustehen würden. Abgesehen von einer möglichen Überflüssigkeit der Rentenneufeststellung ging die Beklagte damit auch – wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt – ein nicht unerhebliches Rückabwicklungsrisiko ein. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, daß sie den Nachzahlungsbetrag an den Kläger überwies, ohne vorher die Antwort der BfA auf die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs abzuwarten.
Nach alledem hat das Fehlen einer Ermessensentscheidung der Beklagten zur Folge, daß der Bescheid der Beklagten vom 28. April 1994, soweit dort eine Überzahlung – für die Vergangenheit – festgestellt wurde, sowie der Bescheid vom 5. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1995 – unter Aufhebung auch der vorinstanzlichen Urteile – aufzuheben waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen