Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung der Arbeitslosenhilfe. erzielbares Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG
Orientierungssatz
1. Zur Bemessung der Arbeitslosenhilfe nach § 136 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 1 in der bis 31.12.1985 geltenden Fassung.
2. Abzustellen ist im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG darauf, ob der Arbeitslose eine realistische Chance hat, das Arbeitsentgelt zu verdienen, das der Bemessung der Lohnersatzleistung zugrunde gelegt wird. Dies setzt zum einen voraus, daß auf dem erreichbaren Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für die entsprechende Beschäftigung in nennenswertem Umfang vorhanden sind, bedeutet zum anderen aber auch, daß der Arbeitslose die persönlichen und beruflichen/fachlichen Fähigkeiten für die Ausübung der Beschäftigung, so wie sie angeboten wird, besitzt. Welche Einstellungsvoraussetzungen im einzelnen erfüllt sein müssen, richtet sich nicht allein nach formalen, in Ausbildungsordnungen vorgeschriebenen Kriterien, sondern wird insbesondere von den in Betracht kommenden Arbeitgebern festgelegt (vgl BSG vom 26.9.1989 11 RAr 29/88).
Normenkette
AFG § 136 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 1, § 112 Abs 7
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.03.1987; Aktenzeichen L 7 Ar 247/86) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 15.05.1986; Aktenzeichen S 4a Ar 341/84) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 2. April 1984 bis 31. Juli 1986.
Die 1949 geborene Klägerin studierte von Oktober 1967 bis Januar 1976 Englisch, Französisch und Erziehungswissenschaften. Nach dreieinhalbmonatiger Tätigkeit als Erzieherin in einem Kinderheim und Durchführung des praktischen Vorbereitungsdienstes war sie von Februar 1979 bis März 1984 als Studienassessorin im Beamtenverhältnis auf Probe beschäftigt. Mit Ablauf des 31. März 1984 wurde sie wegen Nichtbewährung mit der Begründung entlassen, ihr mangele die Fähigkeit, Schüler zur Mitarbeit anzuhalten, Kenntnisse zu vermitteln und in erforderlichem Maße zu festigen, Klassen zu führen und dem Erziehungsauftrag gerecht zu werden (Entlassungsverfügung der Bezirksregierung Weser-Ems vom 15. Februar 1984). Ab 1. August 1986 war die Klägerin im Rahmen einer bis zum 31. Juli 1987 befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) mit 30 Wochenstunden (3/4 Stelle) beim P V e.V. O (Selbsthilfegruppe arbeitsloser Pädagogen und Pädagoginnen) beschäftigt. Die - durch einen hundertprozentigen Zuschuß von der Beklagten finanzierte - nach BAT Vgr IVa zuzüglich 100,-- DM Zulage entlohnte Tätigkeit umfaßte die Erteilung von kostenlosem Förderunterricht für Kinder aus sozial benachteiligten Familien in den Fächern Englisch und Französisch und die Erteilung von kostenlosen Kursen für Erwachsene.
Auf die Arbeitslosmeldung der Klägerin bewilligte ihr die Beklagte ab 2. April 1984 Alhi in Höhe von wöchentlich 198,-- DM unter Zugrundelegung eines gerundeten Bemessungsentgelts von wöchentlich 535,-- DM (Bescheid vom 16. April 1984, Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1984). Sie ging davon aus, daß die Klägerin als Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst (BAT Vgr VII) einen Tariflohn von 2.308,11 DM monatlich verdienen könne. Aufgrund ihrer Entlassung aus dem Schuldienst und unter Berücksichtigung der von ihr überreichten ärztlichen Bescheinigung vom 17. Januar 1984, wonach die Tätigkeit als Lehrerin sie gesundheitlich überfordert habe, sei die Klägerin im pädagogischen Bereich nicht mehr einsetzbar und könne demnach das zuletzt bezogene Arbeitsentgelt von 3.985,06 DM monatlich nicht mehr erzielen. Mit Bescheiden vom 16. April 1985 und 12. Mai 1986 dynamisierte die Beklagte das Bemessungsentgelt ab 2. April 1985 auf wöchentlich 555,-- DM und ab 2. April 1986 auf wöchentlich 570,-- DM.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alhi unter Zugrundelegung eines Arbeitsentgeltes nach BAT Vgr III zu zahlen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 15. Mai 1986). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil, die Bescheide vom 16. April 1984, 16. April 1985 und 12. Mai 1986 sowie den Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1984 abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, der Klägerin Alhi nach einem Bemessungsentgelt von wöchentlich 715,-- DM ab 2. April 1984 unter Anpassung nach § 112a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ab 2. April 1985 und vom 2. April bis 31. Juli 1986 zu zahlen (Urteil vom 10. März 1987). Es hat ausgeführt: Das im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG maßgebliche höchste erzielbare Entgelt sei das tarifliche Entgelt für eine Beschäftigung als Lektorin von 3.103,-- DM monatlich. Dem entspreche ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 715,-- DM, das ab 2. April 1985 und 2. April 1986 nach §§ 112a, 134 Abs 4 AFG jeweils anzupassen sei. Für eine Tätigkeit als Studienberaterin an Universitäten und Hochschulen komme die Klägerin trotz Erfüllung der formalen Voraussetzungen nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht in Betracht, da für eine derartige Beschäftigung in den letzten Jahren weitere von der Klägerin nicht erfüllte Qualifikationen gefordert würden. Nicht zugrunde gelegt werden könne auch das der Klägerin in der ABM gezahlte Entgelt nach BAT Vgr IVa, weil nach § 112 Abs 7 AFG nur die auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen Beschäftigungen und auf Dauer vorgesehene Arbeitsentgelte maßgeblich sein könnten.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 112 Abs 7 AFG iVm §§ 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2, 134 Abs 1 Nr 4b AFG. Sie ist der Auffassung, der Bemessung ihrer Alhi sei ein Arbeitsentgelt nach BAT Vgr III zugrunde zu legen. Wie das LSG festgestellt habe, besitze sie die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und erfülle auch die formalen Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Studienberaterin an Universitäten und Hochschulen. Ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der Arbeitsuchenden einerseits und der offenen Stellen andererseits könne nicht dazu führen, eine bestimmte Tätigkeit im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG außer acht zu lassen. Deshalb dürfe in diesem Zusammenhang auch nicht berücksichtigt werden, daß als Folge eines Überangebots an überdurchschnittlich qualifizierten Bewerbern zusätzliche Qualifikationsanforderungen für eine Einstellung in dem Beruf der Studienberaterin an Universitäten und Hochschulen gestellt würden. Zumindest aber sei von dem während der ABM erzielten Arbeitsentgelt auszugehen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Mai 1986 zurückzuweisen; hilfsweise, ihr eine höhere Arbeitslosenhilfe, als sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, zuzusprechen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung der Streitsache an das LSG begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen eine abschließende Entscheidung darüber nicht zu, ob der Klägerin für die Zeit vom 2. April 1984 bis 31. Juli 1986 mehr an Alhi zusteht, als ihr zugesprochen worden ist.
Gegenstand des Verfahrens sind der streitige Bescheid vom 16. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1984 sowie die Bescheide vom 16. April 1985 und 12. Mai 1986. Mit den beiden letztgenannten Bescheiden hat die Beklagte nach den Feststellungen des LSG das Bemessungsentgelt der Arbeitslosenhilfe ab 2. April 1985 auf 555,-- DM wöchentlich und ab 2. April 1986 auf 570,-- DM wöchentlich gemäß § 112a AFG angepaßt. Insoweit haben diese Bescheide den ursprünglich angefochtenen Bescheid für die Bezugszeiträume ab 2. April 1985 und 2. April 1986 abgeändert und treten in diesem Umfang an dessen Stelle. Zu Recht hat das LSG gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch über sie entschieden (vgl BSGE 27, 146, 148 f = SozR Nr 21 zu § 96 SGG). Ob mit diesen Bescheiden außerdem Alhi nach Ablauf des Bewilligungsabschnittes (§ 139a AFG) weiter bewilligt worden ist, läßt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Nicht ersichtlich ist auch, ob nach Klageerhebung weitere Bescheide ergangen sind, die gemäß § 96 SGG ebenfalls Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden sind, was allerdings mangels Rüge durch einen der Beteiligten für das Revisionsverfahren unerheblich ist.
Die der Klägerin dem Grunde nach zustehende Alhi beträgt nach § 136 Abs 1 AFG in den hier maßgeblichen Fassungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 (HBegleitG 1984) vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532, 1556) und des Siebten Gesetzes zur Änderung des AFG (7. AFG-ÄndG) vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) für Arbeitslose in bestimmten Fällen 58 vH und sonst 56 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Der Leistungssatz im Einzelfall, der sich nach näherer Maßgabe der jeweiligen AFG-Leistungsverordnung ergibt, ist neben dem Arbeitsentgelt (Bemessungsentgelt) und der Nettolohnersatzquote von der Leistungsgruppe des Arbeitslosen abhängig (§ 136 Abs 3 Satz 2, § 111 Abs 2 Satz 2 AFG). Ist Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen (§ 134 Abs 1 Nr 3, § 137 Abs 1, 2 und 2a, § 138 AFG), vermindert sich der Alhi-Leistungssatz um den zu berücksichtigenden Betrag.
Ein auf höhere Leistung gerichtetes Klagebegehren erfordert daher, daß alle Leistungsmerkmale daraufhin untersucht werden, ob sie das Klageziel zu begründen vermögen. Dies setzt die Kenntnis aller Tatsachen voraus, die für die einzelnen Berechnungsfaktoren nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften von Bedeutung sind.
Ob der Klägerin hiernach eine höhere Alhi zusteht, läßt sich anhand des festgestellten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilen. Denn das angefochtene Urteil enthält lediglich Angaben zum Arbeitsentgelt und - für die Zeit vom 2. April 1984 bis 1. April 1985 - zur Leistungshöhe. Ausdrückliche Feststellungen zum Bewilligungszeitraum und zur Höhe der in der Zeit vom 2. April 1985 bis 31. Juli 1986 gewährten Alhi fehlen hingegen ebenso wie solche zur Leistungsgruppe, zur Nettolohnersatzquote und zur Bedürftigkeit. Durch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Alhi für die Zeit vom 2. April 1984 bis 31. Juli 1986 hat das LSG zwar inzidenter die Bedürftigkeit der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum als Anspruchsvoraussetzung bejaht. Hieran ist der Senat unter Beachtung des Verbots der reformatio in peius (vgl hierzu BSGE 2, 229, 234; 7, 178, 179) gebunden (§ 202 SGG iVm §§ 536, 559 der Zivilprozeßordnung -ZPO-). Ebensowenig darf zu Lasten der Klägerin als Rechtsmittelführerin von dem daraus resultierenden und bisher bewilligten Alhi-Zahlbetrag abgewichen werden. Ob jedoch zu ihren Ungunsten eine zu niedrige Leistung zuerkannt worden ist, kann mangels der hierzu erforderlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht überprüft werden. Diese waren schon deshalb veranlaßt, weil die Beklagte - wie sich aus den vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten ergibt - jedenfalls ab 2. April 1985 Beträge aus dem Einkommen des Vaters der Klägerin auf deren Alhi angerechnet hat. Ob die Voraussetzungen für eine derartige Einkommensanrechnung vorlagen, insbesondere ob die Klägerin einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater hatte, läßt sich aber ohne Feststellung der dazu erforderlichen Tatsachen nicht beurteilen. Allein die - von der Beklagten angenommene - Unterhaltsfähigkeit des Vaters rechtfertigt nicht die Fiktion eines Unterhaltsanspruches gemäß § 138 Abs 1 Nr 1 AFG (BSGE 64, 47, 52 = SozR 4100 § 138 Nr 22; BSGE 64, 52, 58 f = SozR aaO Nr 23). Mangels eindeutiger Feststellungen der Vorinstanz ist dem Senat eine Überprüfung, ob, für welche Zeit und in welchem Umfang Einkommen anzurechnen ist und ob der Klägerin durchgehend die zutreffende Leistungsgruppe und Nettolohnersatzquote eingeräumt worden ist, nicht möglich.
Eine Prüfung der einzelnen Berechnungsfaktoren ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Klägerin sich - wie das LSG eingangs seines Urteils ausgeführt hat - nur gegen die Höhe des der Leistung zugrunde gelegten Bemessungsentgeltes gewandt hat. Gegenstand eines Rechtsstreits sind nicht Fragen rechtlicher oder tatsächlicher Art, über deren Beantwortung die Beteiligten uneins sind; Streitgegenstand ist vielmehr der mit der Klage geltend gemachte Anspruch. Wenn - wie hier - eine höhere Leistung begehrt wird als bewilligt ist, genügt es nicht, nur diejenigen Faktoren für die Bemessung der Leistung zu untersuchen, deren Berechtigung oder Bewertung beanstandet werden. Vielmehr ist nach gefestigter Rechtsprechung die Begründetheit des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt zu prüfen, wobei grundsätzlich gegebenenfalls auch solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, auf die die Beteiligten bislang nicht aufmerksam geworden sind (BSG SozR 4100 § 138 Nr 14; BSG aaO § 136 Nrn 5 und 7; BSG-Urteile vom 12. Juli 1989 - 7 RAr 58/88 und vom 16. August 1989 - 7 RAr 136/88; vgl auch das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des erkennenden Senats vom 26. September 1989 - 11 RAr 131/88).
Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, obwohl das Urteil nicht zu beanstanden ist, soweit das LSG der Klägerin Alhi nach einem Bemessungsentgelt von wöchentlich 715,-- DM ab 2. April 1984 unter Dynamisierung zum 2. April 1985 und 2. April 1986 zugesprochen hat. Die Klägerin hat nämlich für die Zeit vom 2. April 1984 bis 31. Juli 1986 keinen Anspruch auf Alhi unter Zugrundelegung eines Arbeitsentgeltes nach BAT Vgr III oder IVa.
Arbeitsentgelt ist in einem Fall, in dem - wie hier - der Anspruch auf Alhi nicht auf dem Vorbezug von Arbeitslosengeld (Alg) beruht, das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG (§ 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Halbs 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung -aF-). Die durch das 7. AFG-ÄndG modifizierte Fassung des § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AFG findet keine Anwendung, da der Alhi-Anspruch der Klägerin vor dem 1. Januar 1986 entstanden ist (§ 242f Abs 8 AFG). Nach § 112 Abs 7 AFG, der wegen der Verweisung des § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Halbsatz 1 AFG aF auf die hier geregelten Rechtsfolgen anzuwenden ist (vgl BSGE 64, 174, 175 = SozR 4100 § 112 Nr 42 mwN), ist von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen (§ 129 AFG) maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Maßgebend ist somit nicht das von der Klägerin erzielte, sondern das von ihr ab 2. April 1984 erzielbare Arbeitsentgelt.
Ausgangspunkt für die Bestimmung des erzielbaren Einkommens ist zunächst die Feststellung, für welche Beschäftigung die Klägerin in Betracht kam (BSGE 64, 174, 175 = SozR aaO; BSG DBlR Nr 2786a zu § 44 AFG). Nach den weder von der Beklagten noch von der Klägerin beanstandeten und deshalb für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG hätte die Klägerin außer der von der Beklagten zugrunde gelegten Tätigkeit als Verwaltungsangestellte nach BAT Vgr VII eine Tätigkeit als Lektorin oder als Lehrerin an privaten Sprachschulen für Erwachsene verrichten können. Für die Unterrichtung minderjähriger Schüler an allgemeinbildenden öffentlichen oder privaten Schulen sowie für eine Beschäftigung als Fremdsprachenkorrespondentin wäre sie nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts dagegen wegen mangelnder Leistungsfähigkeit bzw fehlender Kenntnisse und Fertigkeiten nicht in Betracht gekommen. Auch eine Tätigkeit als Studienberaterin an Universitäten und Hochschulen hat das LSG in Auswertung der Auskunft der Universität O wegen der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes - als sichere Prognose - für ausgeschlossen gehalten. Hierbei handelt es sich um die Feststellung einer hypothetischen Tatsache (BSG SozR 4100 § 112 Nr 2), an die der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen ebenfalls gebunden ist. Die Entscheidung, ob der festgestellte Sachverhalt die Prognose erlaubt, daß wegen erhöhter Anforderungen des Arbeitsmarktes eine Vermittlung in eine derartige Tätigkeit unmöglich ist, gehört nicht zur Rechtsanwendung, sondern zur Tatsachenfeststellung (vgl hierzu im einzelnen BSG SozR 4100 § 44 Nr 47). Rechtsanwendung ist jedoch, ob die vom Arbeitsmarkt über die allgemeinen Anforderungen hinaus geforderten weiteren Qualifikationen im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG berücksichtigt werden dürfen. Dies hat das LSG zu Recht bejaht.
Die Wendung "nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes" ist mit Wirkung ab 1. August 1979 in § 112 Abs 7 AFG aufgenommen worden. Während bis dahin für die fiktive Entgeltbestimmung nur auf die individuellen Verhältnisse des Arbeitslosen abgestellt wurde, sollte nach der amtlichen Begründung mit dieser Einfügung klargestellt werden, daß bei der Bemessung der Lohnersatzleistung auch die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zu berücksichtigen ist (BT-Drucks 8/2624 S 28 zu Nr 31 Buchst c). Es sollte also nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich auf solche Beschäftigungen zurückgegriffen werden, denen der Arbeitslose auf dem ihm erreichbaren Arbeitsmarkt tatsächlich nachgehen kann. Dies rechtfertigt - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - allerdings nicht die Annahme, daß bereits bei einem Mißverhältnis zwischen der Zahl der Arbeitsuchenden und der offenen Stellen die Lage des Arbeitsmarktes einer Beschäftigung in dem betroffenen Beruf entgegensteht. § 112 Abs 7 AFG stellt nicht auf die Tätigkeit ab, in die eine Vermittlung am leichtesten und bequemsten erfolgen oder für die am wahrscheinlichsten ein Arbeitsplatz erlangt werden kann (vgl BSG SozR 4100 § 136 Nr 3; Gagel, AFG, § 112 Anm 389). Andererseits würde es aber dem Prinzip der Arbeitslosenversicherung, den wegen Arbeitslosigkeit ausfallenden Lohn teilweise zu ersetzen, widersprechen, im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG die Lohnersatzleistung an einer Beschäftigung zu orientieren, in die eine Vermittlung nach der Lage des Arbeitsmarktes auf keinen Fall realisierbar ist (vgl Eckert in GK-AFG, § 112 RdNr 73; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl, § 112 RdNr 50). Abzustellen ist deshalb darauf, ob der Arbeitslose eine realistische Chance hat, das Arbeitsentgelt zu verdienen, das der Bemessung der Lohnersatzleistung zugrunde gelegt wird. Dies setzt zum einen voraus, daß auf dem erreichbaren Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für die entsprechende Beschäftigung in nennenswertem Umfang vorhanden sind, bedeutet zum anderen aber auch, daß der Arbeitslose die persönlichen und beruflichen/fachlichen Fähigkeiten für die Ausübung der Beschäftigung, so wie sie angeboten wird, besitzt. Welche Einstellungsvoraussetzungen im einzelnen erfüllt sein müssen, richtet sich nicht allein nach formalen, in Ausbildungsordnungen vorgeschriebenen Kriterien, sondern wird - wie das BSG zum Bereich der Förderung der beruflichen Bildung bereits entschieden hat - insbesondere von den in Betracht kommenden Arbeitgebern festgelegt (vgl BSG SozR 4100 § 36 Nr 14; BSGE 44, 54, 60 = SozR aaO Nr 16; vgl auch das Urteil des erkennenden Senats vom 26. September 1989 - 11 RAr 29/88 -).
Nur diese Auslegung wird durch Sinn und Zweck des § 112 Abs 7 AFG gedeckt. Die Frage des erzielbaren Arbeitsentgelts, auf die es im Rahmen dieser Vorschrift ankommt, steht in unlösbarem Zusammenhang mit den Fragen, für welche Beschäftigung der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§ 100 Abs 1, § 103 AFG) und auf welche Beschäftigungen sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten, die grundsätzlich Vorrang vor der Gewährung von Leistungen haben (§ 5 AFG), erstrecken (BSGE 64, 174, 176 = SozR aaO). Ihrem in § 14 Abs 1 Satz 1 AFG normierten Auftrag, darauf hinzuwirken, daß Arbeitsuchende Arbeit und Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitskräfte erhalten, kann die Beklagte nur gerecht werden, wenn sie neben den Interessen des Arbeitslosen auch arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen Rechnung trägt und ihre Vermittlungsbemühungen an den von den Arbeitgebern geforderten Einstellungsvoraussetzungen (Qualifikationsanforderungen) ausrichtet. Demgemäß hat sie in Runderlaß 48/84 zur Höhe des fiktiven Arbeitsentgelts ua folgendes bestimmt: "Maßgebend ist die Beschäftigung, auf die die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit (Leistungsvermögen) unter billiger Berücksichtigung seines Berufsschicksals und seiner Ausbildung (Eignung), seiner persönlichen Verhältnisse (Bindungen, Einschränkungen der Mobilität) sowie seiner Neigung und seiner Vermittlungswünsche (§ 14 AFG) in erster Linie zu richten sind. Beschäftigungen, in die der Arbeitslose nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes voraussichtlich nicht oder nur in Ausnahmefällen vermittelt werden könnte, bleiben außer Betracht".
Im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG kann auch die von der Klägerin während der ABM verrichtete Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Diese umfaßte die Erteilung von kostenlosem Unterricht für Kinder aus sozial benachteiligten Familien und für Erwachsene. Aus dem Zusammenhang der vom LSG getroffenen Feststellungen ergibt sich, daß Arbeitsplätze für eine derartige Beschäftigung auf dem für die Klägerin erreichbaren Arbeitsmarkt - abgesehen von den ausschließlich im Rahmen von ABM vom P V e.V. O vergebenen Stellen - nicht vorhanden waren und sind. Das von der Klägerin in der ABM bezogene Entgelt ist daher kein nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes "erzielbares" Arbeitsentgelt. Entgegen der Auffassung der Revision läßt sich auch aus § 112 Abs 2 bis 5 AFG nichts gegenteiliges entnehmen. Diese Bestimmungen stellen für den Bezug der Versicherungsleistung Alg im wesentlichen auf das vorher - auch während einer beitragspflichtigen Beschäftigung in einer ABM - tatsächlich bezogene Arbeitsentgelt ab. Ob in einem nennenswerten Umfang Arbeitsplätze mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten vorhanden sind, ist - anders als bei der fiktiven Entgeltbestimmung nach § 112 Abs 7 AFG - hier unerheblich.
Kommt die Klägerin demnach sowohl für eine Beschäftigung als Verwaltungsangestellte nach BAT Vgr VII, als Lektorin und als Lehrerin an privaten Sprachschulen für Erwachsene in Betracht, so ist nach dem sogenannten Günstigkeitsprinzip von der Beschäftigung mit dem höchsten Arbeitsentgelt auszugehen (BSGE 64, 174, 177 = SozR aaO; Gagel, aaO, § 112 Anm 222 und 389; Eckert aaO § 112 RdNrn 60 und 73; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, § 112 RdNr 44). Dies ist - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - die Tätigkeit einer Lektorin. Daß die von der Beklagten zugrunde gelegte Beschäftigung einer Verwaltungsangestellten nach BAT Vgr VII mit einem monatlichen Entgelt von 2.308,11 DM schlechter entlohnt ist als die einer Lektorin mit einem - vom LSG festgestellten - monatlichen Arbeitsentgelt von 3.103,-- DM, bedarf keiner Darlegung. Nicht zu beanstanden ist auch die Beurteilung des LSG, daß die Klägerin als Lehrerin für Sprachen im Bereich der Erwachsenenbildung weniger verdient hätte. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wäre in diesem tarifvertraglich nicht geregelten Bereich, in dem nur Teilzeitkräfte auf Honorarbasis beschäftigt werden, nur unter Berücksichtigung der höchsten angebotenen Arbeitszeit (30 Wochenstunden) und des höchsten Stundenlohnes (25,-- DM) ein höheres monatliches Entgelt als 3.103,-- DM erzielbar gewesen. Ein derartiges, nur in Ausnahmefällen unter den allergünstigsten Bedingungen gezahltes Arbeitsentgelt darf bei der fiktiven Entgeltbestimmung jedoch nicht berücksichtigt werden, weil es nicht das für die Beschäftigung ortsübliche Entgelt iS des § 112 Abs 7 AFG ist.
Die Höhe des von der Klägerin erzielbaren Arbeitsentgeltes richtet sich, wie aus § 112 Abs 7 AFG weiter hervorgeht, nach dem für die Tätigkeit einer Lektorin am Wohnsitz der Klägerin maßgeblichen tariflichen Arbeitsentgelt. Das LSG hat die Höhe dieses tariflichen Entgelts unangegriffen mit 3.103,-- DM monatlich (Tarifgruppe 5 nach § 4 des ab 1. April 1984 gültigen Gehaltstarifvertrages für Buch- und Zeitschriftenverlage in Niedersachsen) bzw 716,-- DM wöchentlich (3.103,-- DM x 3 : 13) festgestellt. Demzufolge hat es der Klägerin ab 2. April 1984 zu Recht Alhi unter Zugrundelegung eines gemäß §§ 112a, 134 Abs 4 AFG zum 2. April 1985 und 2. April 1986 zu dynamisierenden Bemessungsentgeltes von 715,-- DM wöchentlich (§§ 112 Abs 9, 134 Abs 4 AFG) zugesprochen.
Für die erneute Entscheidung, die auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu umfassen hat, wird auf § 96 SGG hingewiesen.
Fundstellen