Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstige Einnahmen zum Lebensunterhalt iS § 180 Abs 4 RVO
Leitsatz (amtlich)
Die Witwengrundrente nach dem BVG und der Beitragszuschuß nach AVG § 83e Abs 1 (= RVO § 1304e Abs 1) gehören zu den "sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt" (RVO § 180 Abs 4 S 1) und sind deshalb auch bei freiwillig Krankenversicherten beitragspflichtig.
Orientierungssatz
Der Begriff der "sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt" ist im wesentlichen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen; es sind ihm also alle Einnahmen zuzurechnen, die dem Versicherten zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.
Normenkette
RVO § 180 Abs 4 S 1 Fassung: 1977-06-27, § 1304e Abs 1 Fassung: 1977-06-27; AVG § 83e Abs 1 Fassung: 1977-06-27; BVG § 40 Abs 1 Fassung: 1950-12-20
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 25.10.1978; Aktenzeichen S 29 Kr 85/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Berechnung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung der Klägerin die ihr nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gezahlte Witwengrundrente und der ihr aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährte Beitragszuschuß zur Krankenversicherung als sonstige Einnahmen zu berücksichtigen sind.
Im Hinblick auf die ab 1. Juli 1977 geltende Neufassung des § 180 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Art 1 § 1 Nr 5 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) - § 180 Abs 4 nF - hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 14. Juli 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1977 die von der Klägerin für ihre freiwillige Krankenversicherung zu zahlenden Beiträge neu festgestellt und bei der Bemessung des Grundlohnes iSd § 180 Abs 4 RVO nF die der Klägerin nach § 40 BVG gezahlte Witwengrundrente und den ihr aus der Rentenversicherung gewährten Beitragszuschuß als sonstige Einnahmen zum Lebensunterhalt berücksichtigt.
Auf die Klage der Klägerin hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 25. Oktober 1978 die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit die Beklagte die Witwengrundrente als sonstige Einnahme zum Lebensunterhalt berücksichtigt hat; die weitergehende Klage hat es abgewiesen: Die Witwengrundrente nach dem BVG sei eine Form der immateriellen Entschädigung der Hinterbliebenen und gehöre daher nicht zu den dem Grundlohn zuzurechnenden sonstigen Einnahmen. Hingegen sei der vom Rentenversicherungsträger zu zahlende Beitragszuschuß zur Krankenversicherung bei der Ermittlung des Grundlohnes zu berücksichtigen, weil er gezahlt werde, um das Krankheitskostenrisiko und damit einen bestimmten Teil der Lebenshaltungskosten des Versicherten abzudecken.
Dieses Urteil ist der Klägerin am 12. Dezember 1978 und der Beklagten am 7. Dezember 1978 zugestellt worden. Auf Antrag der Beklagten vom 4. Januar 1979 hat das SG mit Beschluß vom 9. März 1979 die Sprungrevision zugelassen. Beide Beteiligten haben Sprungrevision eingelegt. Sie wenden sich jeweils gegen den für sie ungünstigen Teil des angefochtenen Urteils. Die Klägerin macht geltend, die auf § 1304e Abs 1 RVO beruhenden Beitragszuschüsse seien keine sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt; es handele sich weder um Einkünfte iSd Steuerrechts noch um sonstige Teile des Gesamteinkommens.
Die Klägerin beantragt,
1) das Urteil des SG Dortmund vom 25. Oktober 1978
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
bei der Festsetzung des Grundlohnes den der Klägerin
vom Rentenversicherungsträger gezahlten Zuschuß
zum Krankenversicherungsbeitrag nicht zur
Grundlohnbestimmung heranzuziehen.
2) Die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
1) Die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
2) Das Urteil des SG Dortmund vom 25. Oktober 1978
aufzuheben, soweit die angefochtenen Bescheide
aufgehoben worden sind, und die Klage in vollem
Umfange abzuweisen.
Sie meint, daß auch die nach § 40 BVG gezahlte Witwengrundrente dem Lebensunterhalt diene und daher bei der Bemessung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung als Grundlohn iSd § 180 Abs 4 Satz 1 RVO berücksichtigt werden müsse. Im übrigen entspreche das angefochtene Urteil der Rechtslage.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- ).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der beklagten ist begründet. Entgegen der vom SG vertretenen Ansicht ist die nach § 40 BVG gezahlte Witwengrundrente - anders als die Beschädigten-Grundrente - in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Feststellung des Grundlohnes eines freiwillig Versicherten zu berücksichtigen.
Nach § 180 Abs 4 Satz 1 RVO nF gehört zum Grundlohn für freiwillig Versicherte - soweit hier von Bedeutung - auch der auf den Kalendertag entfallende Teil "sonstiger Einnahmen zum Lebensunterhalt". Welche Einnahmen im einzelnen hierunter fallen, ist im Gesetz nicht festgelegt. Auch § 16 der Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung im Vierten Buch des Sozialgesetzbuchs vom 23. Dezember 1976 -SGB IV- (BGBl I 3845) kann zur Inhaltsbestimmung nicht herangezogen werden. In dieser Norm ist das "Gesamteinkommen" als die Summe der Einkünfte iSd Einkommensteuerrechts definiert. Der Gesetzgeber hat aber bei der Neufassung des § 180 Abs 4 RVO durch das erst nach dem Inkrafttreten des SGB IV erlassene KVKG den Begriff des Gesamteinkommens iSd § 16 SGB IV bewußt nicht verwendet, weil mit den in § 180 Abs 4 Satz 1 RVO nF genannten "Einnahmen zum Lebensunterhalt" nicht nur die Summe der Einkünfte iSd Einkommensteuerrechts, sondern - darüber hinausgehend - "alle wiederkehrenden Bezüge und geldwerten Zuwendungen" erfaßt werden sollten (vgl BT-Drucks 8/338, S 60 zu § 180 RVO). Demgemäß ist der Begriff der sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt im wesentlichen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen; es sind ihm also alle Einnahmen zuzurechnen, die dem Versicherten zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat allerdings bereits einschränkend darauf hingewiesen (Urteil vom 21. Oktober 1980 - 3 RK 53/79 - BSGE 50, 243 = SozR 2200 § 180 Nr 5), daß § 180 Abs 4 RVO nF nach den Gesetzesmaterialien, dem Wortlaut der Vorschrift, ihrer Zweckbestimmung und dem gesetzlichen Zusammenhang nur "Einnahmen" erfaßt, die - wie das in § 180 Abs 4 RVO in erster Linie genannte Arbeitsentgelt - für den allgemeinen Lebensunterhalt bestimmt sind, nicht dagegen solche, die einen besonderen schädigungs- oder behinderungsbedingten Mehrbedarf abdecken sollen; unter den in § 180 Abs 4 RVO dem Arbeitsentgelt gleichgestellten sonstigen Einnahmen seien nur solche zu verstehen, die an die Stelle des fehlenden Arbeitsentgelts träten; dagegen seien zweckbestimmte Zuwendungen, die lediglich einen besonderen Mehraufwand abdecken sollten, dem Grundlohn eines freiwilligen Mitgliedes ebensowenig zuzurechnen wie dem Grundlohn eines anderen Mitgliedes der gesetzlichen Krankenversicherung. In folgerichtiger Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat der 5. Senat des erkennenden Gerichts in dem Urteil vom 25. November 1981 - 5a/5 RKn 18/75 - das Kindergeld und das Wohngeld, das freiwillig Krankenversicherten gezahlt wird, nicht zu ihren "sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt" iSd § 180 Abs 4 S 1 RVO gerechnet; hierbei handele es sich um zweckbestimmte, wegen einer besonderen Bedürftigkeit gewährte Sozialleistungen, die auch nicht geeignet seien, die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Anspruchsberechtigten im Vergleich zu anderen Versicherten zu verbessern. Dieser Beurteilung hat sich der erkennende Senat hinsichtlich des Kindergeldes in seinem Urteil vom 9. Dezember 1981 - 12 RK 55/81 - angeschlossen. Nach den gleichen Kriterien ist auch die Frage zu beantworten, ob die einer Witwe nach § 40 BVG gezahlte Grundrente zu den sonstigen Einnahmen iSd § 180 Abs 4 Satz 1 RVO nF gehört.
Dabei ist davon auszugehen, daß den Grundrenten der Kriegsopferversorgung neben einer gewissen ideellen überwiegend wirtschaftlichen Funktion zukommt (vgl BSGE 50, 196, 199 f mwN). So soll die dem Beschädigten selbst gezahlte Grundrente ihn für den Verlust an körperlicher Integrität entschädigen und wirtschaftlich die Mehraufwendungen ausgleichen, die ihm durch die Schädigung in allen Lebenslagen erwachsen (BSGE aaO S 200 unter Hinweis auf BT-Drucks I/1333 S 43, 56; III/1239 S 29; IV/1831 S 13). Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung hat auch der 3. Senat des erkennenden Gerichts in dem schon genannten Urteil vom 21. Oktober 1980 die Beschädigten-Grundrente nicht als Einnahme zum Lebensunterhalt iSd § 180 Abs 4 Satz 1 RVO nF angesehen.
Demgegenüber hat der Gesetzgeber die Gewährung einer Grundrente an Hinterbliebene damit gerechtfertigt, daß sie "einen gewissen Ausgleich für den durch die Folgen der Schädigung vorzeitig eingetretenen Verlust des Ehemannes, Vaters und Ernährers" (BT-Drucks I/1333 S 59) bzw eine Entschädigung für die "im einzelnen nicht wägbaren Schäden" darstelle, die für die Witwe und die Waisen durch den Verlust des Ernährer eingetreten seien (BT-Drucks III/1239, S 22). Damit ergeben sich schon aus den Gesetzesmaterialien erhebliche Unterschiede in der Zielsetzung des Gesetzgebers. Während er die Beschädigten-Grundrente vor allem zum Ausgleich der schädigungsbedingten Mehraufwendungen gewährt, dient die Witwengrundrente im wesentlichen dazu, den vorzeitigen Verlust des Ernährers und damit eine wirtschaftliche Folge der Schädigung auszugleichen (vgl dazu auch BVerfGE 17, 38, 45 ff, wo die Hinterbliebenenversorgung als ausschließlich materielle Versorgungsleistung mit Unterhaltscharakter verstanden worden ist, ferner Scheffler, Grundgesetz und soziale Sicherung der Hinterbliebenen, in: Ehe und Familie im Sozialversicherungs- und Versorgungsrecht, Schriftenreihe des deutschen Sozialgerichtsverbandes, Bd II, S 47, 50 ff). Diese unterschiedliche Zielsetzung der Beschädigten- und der Witwengrundrente liegt auch den Vorschriften des BVG zugrunde, in denen es sich um die Bemessung der einkommensabhängigen Leistungen handelt. Anders als die Grundrente des Beschädigten, die beim Berufsschadensausgleich nicht als sonstiges Einkommen zu berücksichtigen ist (§ 30 Abs 4 BVG), wird beim Schadensausgleich der Witwe (§ 40a BVG) die Grundrente als schadensmindernde Leistung berücksichtigt. Insbesondere deshalb haben das Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- (Urteil vom 26. Januar 1966 - V C 128/65 -, VerwRspr 18, 231), vor allem aber auch seit jeher die KOV-Senate des BSG die Hinterbliebenenversorgung als Unterhaltsersatzleistung angesehen (BSGE 5, 26, 30; 9, 36, 38). Dementsprechend hat der 3. Senat des erkennenden Gerichts mit eingehender Begründung (Urteil vom 21. Oktober 1980 - 3 RK 21/80 -, BSGE 50, 250 = SozR 2200 § 182a Nr 2, zu § 182a RVO = Sgb 81, 552 mit zustimmender Anm von Fries und Trenk-Hinterberger) die Witwengrundrente den verfügbaren finanziellen Mitteln der Witwe zugeordnet (ebenso der 11. Senat, Urteil vom 29. Januar 1981 - 11 RK 14/79 -, SozR 2200 § 182a Nr 3, zu § 14 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte).
Da die nach § 40 BVG gezahlte Witwengrundrente somit im Unterschied zur Beschädigten-Grundrente Unterhaltsersatzfunktion hat, gehört sie auch zu den der Befriedigung der allgemeinen Lebensbedürfnisse dienenden Sozialleistungen, die als sonstige Einnahmen zum Lebensunterhalt iSd § 180 Abs 4 Satz 1 RVO nF bei der Bestimmung des Grundlohnes zu berücksichtigen sind.
Die Sprungrevision der Klägerin ist dagegen unbegründet. Der Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag nach § 1304e Abs 1 RVO (= § 83e Abs 1 AVG), den der Rentenversicherungsträger den nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtigen Rentnern zu zahlen hat, ist eine zusätzlich zur Rente gezahlte Sozialleistung, die auch dem freiwillig krankenversicherten Rentner die Aufbringung der Kosten für die Krankenversicherung ganz oder teilweise abnehmen soll (Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Auflage 1978, Anm 1 zu § 1304e). Damit ist der Beitragszuschuß zwar eine zweckbestimmte Leistung, die aber gerade der Deckung des Beitrages zur Krankenversicherung dient und allein schon wegen dieser besonderen Zielsetzung als Teil des Grundlohnes iSd § 180 Abs 4 S 1 RVO zu berücksichtigen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen