Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff "Dauer"
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Ermächtigung in BVG § 64 Abs 2, Versorgung in angemessenem Umfang zu gewähren und auch ihre Dauer festzulegen, umfaßt die Befugnis, den Rentenbeginn abweichend von BVG § 60 Abs 1 zu regeln.
2. Zum Begriff "Dauer" :
Der Begriff "Dauer" in BVG § 64 Abs 2 S 3 erfaßt sowohl den Beginn als auch das Ende der Versorgung und enthält damit eine von BVG § 64 Abs 1 iVm § 60 Abs 1 abweichende Regelung.
Normenkette
BVG § 64 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1966-12-28, § 60 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 64 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Durch Bescheid vom 24. Oktober 1967 gewährte der Beklagte der in Rumänien lebenden Klägerin Elternrente nach ihrem im 2. Weltkrieg gefallenen Sohn D Sch gemäß § 64 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG); der Rentenbeginn wurde auf den 1. Januar 1967 festgesetzt. Die Klägerin hatte schon am 27. August - eingegangen am 9. September 1965 - die Gewährung der Elternrente beantragt. Die Bearbeitung verzögerte sich dadurch, daß die Klägerin Anfragen längere Zeit unbeantwortet ließ bzw. die erbetenen Unterlagen nicht alsbald vorlegte. Der Widerspruch, mit dem Rentennachzahlung für die Monate Oktober bis Dezember 1966 begehrt wurde, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1968), weil nach § 64 e Abs. 1 BVG nur Teilversorgung, und zwar rückwirkend für ein Jahr von dem Monat der laufenden Zahlung an gewährt werde und damit ein anderer Rentenbeginn als in § 64 Abs. 1 BVG festgelegt worden sei.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 24. Juni 1969 die angefochtenen Verwaltungsbescheide abgeändert, den Beklagten verurteilt, Teilversorgung auch für die Zeit vom 1. September 1965 bis 31. Dezember 1966 zu gewähren, im übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Vorschrift des § 64 Abs. 1 BVG sei eine Leitnorm. Deshalb könne der Beklagte den Termin der Leistungen nicht abweichend festlegen; vielmehr sei der Antragsmonat maßgebend.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Bundesrepublik Deutschland beigeladen. Durch Urteil vom 14. April 1971 hat das LSG auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin Teilversorgung zu gewähren. Insoweit hat es die Klage abgewiesen, im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Die Klägerin sei deutsche Volkszugehörige und nach dem BVG zum Bezuge von Elternrente berechtigt, denn sie erhalte grundsätzlich nach § 64 Abs. 1 BVG Versorgung wie Berechtigte im Geltungsbereich des BVG. Nach § 64 e Abs. 1 BVG könne die Leistung an die Klägerin der Höhe nach beschränkt werden, und zwar gemäß § 64 Abs. 2 Satz 3 BVG auch hinsichtlich der Dauer. Unter diesem Ausdruck des Gesetzes werde Beginn und Ende der Leistungen erfaßt. Insoweit sei die Auffassung des SG, "Dauer" bedeute lediglich den "Zeitablauf von einem fixierten Zeitpunkt ab", nicht richtig. Der im § 64 verwendete Begriff der "besonderen Gründe" sei ein unbestimmter Rechtsbegriff und müsse aus dem Gesetz selbst ausgelegt werden. Dabei könnten Richtlinien und Erlasse des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) nur als Erläuterung für die Anwendung des Gesetzes angesehen werden. Als besondere Gründe kämen insbesondere die Rechts- und Lebensverhältnisse im Aufenthaltsstaat, also in Rumänien, in Betracht. Es sei eine möglichst einheitliche Versorgung der Berechtigten in sämtlichen Ostblockländern zu erstreben. Nach den Richtlinien des BMA vom 1. Januar 1971 seien Leistungen grundsätzlich mit dem Antragsmonat, jedoch frühestens ein Jahr rückwirkend vom Bewilligungsmonat an, zu gewähren. Bei einer Bearbeitungsdauer von mehr als zwei bzw. drei oder vier Jahren vor dem Bewilligungsmonat werde der Nachzahlungszeitraum jeweils auf 16, 20 bzw. 24 Monate verlängert. Diese Regelung sei hier anzuwenden, weil der Bescheid noch nicht bindend geworden sei. Es liege ein Bearbeitungszeitraum von über zwei Jahren vor. Auf die Gründe der langwierigen Bearbeitung komme es nicht an. Die Verzögerung liege jedenfalls nicht überwiegend im Bereich der Versorgungsverwaltung. Infolgedessen komme hier nach den Richtlinien des BMA eine Rückwirkung von 16 Monaten seit dem Bewilligungsmonat in Betracht. Der Bescheid, welcher den Beginn der Teilversorgung auf den 1. Januar 1967 festgesetzt habe, stimme mit den geltenden Richtlinien nicht überein. Deshalb habe ihn das SG im Ergebnis zu Recht als ermessensfehlerhaft abgeändert. Die Versorgungsverwaltung werde entsprechend der Auffassung des LSG einen neuen Bescheid zu erlassen und unter Berücksichtigung der bestehenden Richtlinien die Teilversorgung auch für die Zeit ab 1. Juni 1966 zu bewilligen haben. Da die Teilversorgung eine Ermessensleistung sei, habe das LSG nicht zur Leistung verurteilen können.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Münster vom 24. Juni 1969 zurückzuweisen.
Sie rügt mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 64 Abs. 1, 64 e Abs. 1, 64 Abs. 2 und 3 BVG idF des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG) sowie des § 54 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Ihrer Ansicht nach umfaßt der in § 64 Abs. 2 Satz 3 BVG gebrauchte unbestimmte Rechtsbegriff "Dauer" lediglich den Zeitablauf von einem fixierten Zeitpunkt an, nämlich dem Antragsmonat des § 60 Abs. 1 BVG. Dies gelte auch für § 64 e - in Verbindung mit § 64 Abs. 2 Satz 2 bis 4 BVG -. Die Entscheidung des SG sei also im Ergebnis richtig, jedoch werde der Beklagte einen neuen Bescheid zu erteilen haben.
Der Beigeladene und der Beklagte beantragen,
die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1971 als unbegründet zurückzuweisen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Klägerin hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Ihr zulässiges Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben.
Der Beklagte hat den Bescheid im Oktober 1967 erteilt. Deshalb war von §§ 64 ff idF des 3. NOG auszugehen. Nach § 64 Abs. 1 BVG erhalten Deutsche und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Staaten haben, mit denen die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, Versorgung wie Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes, soweit die §§ 64 a bis 64 f nichts Abweichendes bestimmen. Nach § 64 e BVG erhalten diese Berechtigten unter besonderen Voraussetzungen, die hier unstreitig vorliegen (besondere Rechts- und Lebensverhältnisse im Aufenthaltsstaat) eine Teilversorgung nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 Satz 2 bis 4. Danach kann ihnen mit Zustimmung des BMA Versorgung in angemessenem Umfange gewährt werden. Wird Versorgung gewährt, so ist sie nach Art, Höhe und Dauer festzulegen. Die Versorgung kann aus besonderen Gründen wieder eingeschränkt oder entzogen werden. Den Begriff "Dauer" im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 3 BVG (idF des 3. NOG) hat das LSG zutreffend ausgelegt. Die Revision rügt zwar auch eine Verletzung des § 64 Abs. 2 idF des 2. NOG. Da dort aber der Begriff "Dauer" nicht enthalten ist, ist davon auszugehen, daß die Klägerin eine ihr günstigere Regelung aus der Fassung des § 64 Abs. 2, wie er sie im 3. NOG erhalten hat, ableiten möchte. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu.
§ 64 Abs. 2 BVG idF des 2. NOG bestimmte lediglich, daß in diesen Fällen Versorgung "in angemessenem Umfang gewährt" werden kann. Diese Bestimmung ist in die Fassung des 3. NOG übernommen (Satz 2) und durch den neuen Satz 3 (Art, Höhe und Dauer) nur näher erläutert worden. Denn diese Ergänzung bringt, wie es in der Amtlichen Begründung zum Entwurf des 3. NOG heißt (vgl. Dt. Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucks. V/1012 S. 29 zu Nr. 52 (§ 64 Buchst. b), eine nähere Bestimmung des Begriffs des angemessenen Umfangs. Wenn der Begriff "Dauer" hier derart allgemein und ohne Einschränkung gebraucht wird, so erfaßt er sowohl den Beginn als auch das Ende der Versorgung und enthält damit eine von § 64 Abs.1 i.V.m. § 60 Abs. 1 BVG abweichende Regelung. Im angefochtenen Urteil ist deshalb unter Hinweis auf die maßgebenden Richtlinien des BMA zutreffend eine (eingeschränkte) Rückwirkung von 16 Monaten vor Bewilligung der Leistungen festgesetzt worden. Gegen die Ermächtigung, welche dem BMA in § 64 Abs. 2 Satz 2 BVG erteilt ist, bestehen keine Bedenken; solche sind auch nicht geltend gemacht, wenn man von der Auslegung des Begriffs "Dauer" absieht. Insoweit sind die Richtlinien aber - wie dargelegt - nicht zu beanstanden.
Wie das LSG weiter zutreffend ausgeführt hat, kommt es - jedenfalls grundsätzlich - nur auf die Zeitspanne der verzögerten Bearbeitung, nicht aber auf die Umstände, welche zur Verzögerung geführt haben, an. Dafür, daß die Versorgungsbehörde willkürlich die Bearbeitung zum Nachteil der Klägerin verzögert hätte, ist nichts dargetan; eher könnte man von einer Nachlässigkeit der Klägerin sprechen. Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Klägerin, nur um eine größere Nachzahlung zu erreichen, etwa die Beantwortung der Anfragen absichtlich verzögert hätte. Eine solche Annahme verbietet sich schon deshalb, weil die Klägerin durch ihre Verzögerung sich selbst geschadet hat, denn dadurch ist nicht nur der Zeitpunkt der Rentengewährung, sondern auch der Erhalt der Rente und der Nachzahlung hinausgezögert worden.
Der Senat konnte dahingestellt sein lassen, ob die Anwendung der letzten Richtlinien vom 1. Januar 1971, die - soweit sie hier von Bedeutung sind - bereits seit dem 1. Januar 1970 gelten (vgl. Schreiben des BMA vom 18. Februar 1970 V 1/- 5193. 31 N - 310/70, Ziff. 8) etwa Bedenken begegnet. Hierdurch sind die anzuwendenden Vorschriften neu gefaßt worden. Da der materielle Anspruch infolge des Widerspruchs und der gerichtlichen Verfahren noch nicht bindend geregelt worden war, hat das LSG die materielle Rechtslage berücksichtigt, wie sie zur Zeit seiner Entscheidung durch diese letzte, erst im Berufungsverfahren ergangene Regelung gestaltet worden war. Selbst wenn in dieser Hinsicht Zweifel bestünden, ergäbe sich nichts anderes, da nur eine Revision des Beklagten zu einer dahingehenden Änderung der angefochtenen Entscheidung führen könnte. Dieser aber hat seine Revision zurückgenommen. Infolgedessen besteht keine Möglichkeit, die Entscheidung des LSG hinsichtlich des Beginns der Nachzahlung zum Nachteil der Klägerin abzuändern. Diese würde nach den Richtlinien Ost vom 1. April 1967 schlechter gestellt sein, da hiernach für Rumänien nur eine 1-jährige Nachzahlung (vgl. S. 14, Nr. 15 Abs. 2) vorgesehen war.
Nach alledem war, wie geschehen, zu erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen