Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtsermittlungspflicht. Verschlechterung des Sehvermögens. neues Sachverständigengutachten
Orientierungssatz
Trägt der Kläger jedoch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich vor, daß sich sein Gesundheitszustand in letzter Zeit verschlechtert habe und beantragt er deshalb einen neuen ärztlichen Befund einzuholen, so hat das Gericht diesem Antrag stattzugeben. Ein Urteil, das dieser Tatsache nicht Rechnung trägt, beruht auf einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht.
Normenkette
SGG § 103 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 18.02.1982; Aktenzeichen L 16 Ar 180/80) |
SG Regensburg (Entscheidung vom 07.02.1980; Aktenzeichen S 8 Ar 150/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 RVO zusteht.
Der Kläger, der die Schlosserlehre nicht erfolgreich beendet hat, war bis zu seinem 1966 erlittenen Verkehrsunfall als Lager- und Gepäckabfertigungsarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn und danach in verschiedenen Berufen tätig, zuletzt bis 1974 als Hausdiener. Seinen Rentenantrag vom 12. September 1977 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 1978 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 7. Februar 1980 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 18. Februar 1982 zurückgewiesen. Es hat den Kläger weder für erwerbsunfähig noch für berufsunfähig erachtet, weil er nach den vorliegenden medizinischen Gutachten noch vollschichtig erwerbstätig sein könne. Ihm seien beispielsweise Tätigkeiten als Fahrstuhlführer, Pförtner in einer Behörde oder als Parkplatzwächter, vor allem in sogenannten Parkhäusern nach § 1246 Abs 2 RVO zumutbar, weil er nicht zur Gruppe der Facharbeiter gehöre.
Mit der - vom erkennenden Senat durch Beschluß vom 15. Juli 1982 zugelassenen - Revision rügt der Kläger, das LSG habe § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Über die behauptete Verschlechterung seines Seh- und Hörvermögens hätte es weiteren Beweis erheben müssen, zumal entsprechende Beweisanträge gestellt worden seien und die letzten fachärztlichen Untersuchungen schon längere Zeit zurückgelegen hätten.
Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ab 1. Oktober 1977 die gesetzlichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit zu gewähren; hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat sich zur Revision weder geäußert noch einen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, weil das Berufungsurteil auf der vom Kläger gerügten Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) beruht.
Wie der erkennende Senat bereits in seinem die Revision zulassenden Beschluß vom 15. Juli 1982 ausgeführt hat, hätte das LSG sich gedrängt fühlen müssen, über den Gesundheitszustand des Klägers und seine Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben weitere Beweise zu erheben. Zwar mag das LSG die ihm vorliegenden Gutachten zutreffend gewürdigt haben. Diese Gutachten reichten jedoch zur abschließenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht aus.
Der letzte Befund über das Sehvermögen des Klägers, auf den sich das LSG gestützt hat, lag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits mehr als eineinhalb Jahre zurück. Der Zeitablauf allein ist zwar solange kein zwingender Grund für eine weitere Beweiserhebung, als Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes fehlen. Nach der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 1982 hatte der Kläger aber ausdrücklich vorgetragen, der Befund seines rechten Auges habe sich in letzter Zeit verschlechtert; er hatte deshalb beantragt, einen neuen augenärztlichen Befund einzuholen. Deshalb und wegen der Erblindung des Klägers auf dem linken Auge sowie der bereits vorher festgestellten Beeinträchtigung des Sehvermögens auf dem rechten Auge hätte das LSG dies nicht ablehnen dürfen. Die Ablehnung des Beweisantrages unter Berufung auf die vorliegenden augenärztlichen Befunde läßt die behauptete Verschlechterung des Sehvermögens auf dem rechten Auge außer Betracht.
Da das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht und auch nicht aus anderen Gründen richtig ist, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht mehr darauf an, ob das LSG auch über die behauptete Verschlechterung des Hörvermögens hätte Beweis erheben müssen und ob in der Verwertung der eigenen Wahrnehmung des LSG hierzu ein weiterer Verfahrensmangel (etwa eine fehlerhafte Beweiswürdigung oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs) liegt.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG entsprechend dem Ausgang des Rechtsstreits vorbehalten.
Fundstellen