Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 16.04.1991) |
Tenor
Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. April 1991 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte für ein auf Privatrezept verordnetes Mittel (Krallendorntee) im Rahmen der Familienversicherung Kostenerstattung zu leisten und dieses Mittel künftig als Sachleistung zu erbringen hat.
Der bei der beklagten Ersatzkasse pflichtversicherte Kläger ist der Ehemann der Klägerin. Diese leidet seit 1976 an einer Multiplen Sklerose (MS), aufgrund deren sie ua gehunfähig und ständig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Der Grad der Behinderung ist mit 100 % festgestellt. Am 2. Juli 1987 verordnete ihr der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. … auf Privatrezept 120 g Krallendorntee (radix unicariae tomentosae). Am 6. Juli 1987 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung der für das Mittel verauslagten 230,– DM und bat ferner um baldige Entscheidung, da die verordnete Menge nur für ca 3 Monate reiche und eine Unterbrechung der (für einen längeren Zeitraum vorgesehenen) Einnahme vermieden werden solle. Den Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß es an einer vertragsärztlichen Verordnung fehle. Auch lasse das Sachleistungsprinzip eine Kostenerstattung nicht zu. Im übrigen scheitere der Antrag auch daran, daß Krallendorntee kein vertragsärztlich verordnungsfähiges Arzneimittel sei (Bescheid vom 9. Juli 1987; Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1987).
Die hiergegen erhobene Klage des Klägers, mit der er neben der Kostenerstattung auch die Versorgung seiner familienhilfeberechtigten Ehefrau mit Krallendorntee als Sachleistung beansprucht hatte, hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Kiel vom 15. August 1989). Den im Berufungsverfahren auf die Gewährung von Kostenerstattung beschränkten Antrag des Klägers und den Antrag der Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, sie in Zukunft mit Krallendorntee zu versorgen, wies das Landessozialgericht ≪LSG≫ zurück (Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 16. April 1991). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Die Berufung des Klägers sei nicht nach § 144 Abs 1 Nr 1 oder 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. Da der Kostenerstattungsanspruch voraussetze, daß ein entsprechender, hier auch für die Zukunft geltend gemachter Sachleistungsanspruch bestehe, beträfen beide Ansprüche in demselben Versicherungsfall wurzelnde, gleichartige wiederkehrende Leistungen. Unerheblich für die Frage des Berufungsausschlusses sei der Wechsel der Aktivlegitimation aufgrund des Übergangs von der Familienhilfe nach § 205 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu der Familienversicherung aufgrund des § 10 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V), die der Klägerin seit 1. Januar 1989 einen eigenständigen Anspruch eingeräumt habe. Denn die auf die Rechtsänderung zurückzuführende Personenverschiedenheit der auf der Aktivseite Prozeßführenden bilde für die Beklagte einen einheitlichen Leistungsfall. Die Berufung sei jedoch unbegründet. Zwar sei sowohl die Klage auf Kostenerstattung als auch die Klage auf künftige Leistung nach § 202 SGG iVm § 259 ZPO zulässig, weil die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Verordnungsfähigkeit des Krallendorntees verneint habe und damit die Besorgnis gerechtfertigt sei, daß sie mit Mitteln des Kassenarztrechts der Versorgung der Klägerin mit Krallendorntee künftig entgegenwirken werde. Die Klagen seien jedoch weder nach altem noch nach neuem Recht begründet, weil Krallendorntee nach Nr 16 der hier anwendbaren Arzneimittelrichtlinien (AMR) im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht habe verordnet werden dürfen; denn dessen therapeutisch wirksame Bestandteile seien nicht gemäß § 10 Abs 1 Nr 8 des Arzneimittelgesetzes (AMG) qualitativ und quantitativ deklariert worden. Die Arzneimittelrichtlinien konkretisierten im Grundsatz den Leistungsanspruch des Versicherten; denn dieser könne nicht mehr fordern, als die Kasse erbringen und der Arzt verordnen dürften (Hinweis auf BSGE 63, 163, 165 f und BSG SozR 2200 § 182 Nr 88 S 183). Zwar gelte dies nicht, wenn richtlinienkonforme Mittel entweder nicht zur Verfügung stünden oder im Einzelfall ungeeignet seien; dann müßten andere Rezepturen erwogen werden, wobei es ausreiche, wenn nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft eine postitive Wirkung für möglich gehalten werde. Eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Therapiemöglichkeit biete der Krallendorntee jedoch bei Multiple Sklerose nicht. Der in erster Instanz gehörte medizinische Sachverständige Dr. H., … habe ausgeführt, daß die Wirkweise der im Krallendorntee enthaltenen Stoffe in der Literatur unbekannt sei und greifbare Anhaltspunkte für positive Auswirkungen auf Lähmungserscheinungen bei MS auch aus der „Informationsschrift Keplinger” (Bl 26 bis 28 der SG-Akte) nicht hervorgingen. Die darin beschriebenen Erfolge könnten bei dieser – schubweise verlaufenden – Krankheit mit und ohne Medikation auftreten. Unter solchen Umständen fehle die für eine wissenschaftliche Hypothese notwendige gedankliche Kausalkette zwischen Krallendorntee einerseits und einer Linderung spastischer Funktionseinschränkungen andererseits. Hierzu lasse das Gutachten keine Fragen offen, denen nachzugehen wäre.
Mit ihren Revisionen machen die Kläger (sinngemäß) eine Verletzung des § 182 RVO aF und der §§ 2, 12, 27 SGB V geltend und führen aus, ihre Ansprüche seien nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Wirksamkeit des Medikaments nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt sei. Die Anwendung eines solchen Medikaments könne vom Arzt dann in Betracht gezogen werden, wenn im Einzelfall keine anderen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden und ein Therapieerfolg wenigstens medizinisch-wissenschaftlich möglich erscheine. Untergesetzliche Regelungen wie die Arzneimittelrichtlinien könnten insoweit nicht zu einer Verkürzung des gesetzlich zugesicherten Anspruchs führen; eine eigene Normativität komme ihnen nicht zu. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Hinweis auf das Urteil vom 9. Februar 1989 – 3 RK 19/87 –) sei ein strenger Nachweis der kausalen Wirksamkeit eines Medikamentes jedenfalls dann nicht zu erbringen, wenn die Ursachen der zu behandelnden Krankheit – wie bei der hier vorliegenden MS – unbekannt seien und das Mittel wenigstens die Möglichkeit eines Behandlungserfolgs biete. Dafür müsse es ausreichen, wenn der Krallendorntee mittelbar in der Weise wirke, daß von einem Patienten die psychischen Belastungen, die auch Krankheitscharakter hätten, genommen würden. Das LSG sei insoweit seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachgekommen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. April 1991 und des Sozialgerichts Kiel vom 15. August 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1987 aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten des für seine Ehefrau beschafften Präparates Krallendorntee in Höhe von 230,– DM zu erstatten,
die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der vorgenannten Entscheidungen zu verurteilen, ihr künftig das Mittel Krallendorntee als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor:
Entgegen der Ansicht der Kläger setze der Kostenerstattungsanspruch wenigstens eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Therapiemöglichkeit voraus, an der es bei dem streitigen Krallendorntee fehle. Bei diesem handele es sich nicht um ein – im einzelnen umstrittenes – Mittel zur Behandlung der MS und deren Symptome, sondern um ein Mittel, dem in der fachlichen Diskussion ernstlich überhaupt keine positiven Wirkungen zugeschrieben würden. Auch reiche es nicht aus, daß durch die Anwendung des streitigen Mittels die psychische Belastung der Klägerin gelindert werde. Die Krankenkasse könne nicht verpflichtet sein, im Hinblick auf einen möglichen „Placeboeffekt” Kosten für ein Mittel aufzuwenden, bei dem ein objektiver Therapieerfolg ausgeschlossen und etwaige Nebenwirkungen nicht erforscht seien.
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen der Kläger sind unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Kostenerstattung wegen des im Juli 1987 auf Privatrezept verordneten Krallendorntees hat und daß die Klägerin nicht Versorgung mit diesem Mittel als Sachleistung verlangen kann.
Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers als zulässig angesehen, obwohl er im Berufungsverfahren nur noch Kostenerstattung für das für seine mitversicherte Ehefrau einmalig verordnete, für ca 3 Monate reichende Mittel im Rahmen der Familienhilfe (§ 205 RVO) begehrt. Dabei handelt es sich weder um eine einmalige Leistung iS von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG noch um eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (3 Monaten) iS von § 144 Abs 1 Nr 2 SGG. Denn der für die Zulässigkeit der Berufung maßgebliche Prozeßanspruch ist nicht der sich in einer einmaligen Zahlung erschöpfende Kostenerstattungsanspruch, sondern der zugrundeliegende Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln (BSGE 19, 270, 272; BSG SozR 1500 § 144 Nrn 10 und 35), der hier von vornherein auf wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen gerichtet war. Ist bei einer ärztlichen Behandlung von vornherein zu erwarten, daß sie sich auf einen längeren Zeitraum erstrecken wird, können die einzelnen Leistungen der Krankenpflege – einschließlich der Versorgung mit Arzneimitteln – nicht jede für sich als einmalige Leistung angesehen werden (BSGE 19, 270, 271 f = SozR Nr 2 zu § 368d RVO). Die Versorgung mit Arzneimitteln in kürzeren, nicht notwendig regelmäßigen zeitlichen Abständen hat daher den Charakter wiederkehrender Leistungen (BSG SozR 1500 § 144 Nr 35; ferner BSG SozR 2200 § 182a Nr 4 und § 182f Nr 1). Vorliegend sollte die Behandlung mit Krallendorntee über einen längeren Zeitraum erfolgen. Die im Juli 1987 verordnete Menge sollte zunächst für ca 3 Monate reichen, danach sollte die Verordnung in entsprechenden Abständen wiederholt werden. Daher ist die Versorgung mit dem genannten Mittel – als Teil einer längeren Krankenbehandlung – insgesamt als wiederkehrende Leistung von mehr als dreimonatiger Dauer anzusehen. Sie unterliegt auch nicht deshalb dem Berufungsausschluß des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG, weil der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren im Hinblick auf die durch § 10 SGB V zum 1. Januar 1989 geänderte Rechtslage auf den Kostenerstattungsanspruch eingeschränkt und es der Klägerin überlassen hat, den auf ihre künftige Versorgung mit dem streitigen Mittel gerichteten Sachleistungsanspruch im eigenen Namen geltend zu machen. Denn diese Ansprüche, die für beide Kläger in demselben Versicherungsfall wurzeln, sind zusammen auf wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen gerichtet. Die Rechtsprechung hält eine Zusammenrechnung der von mehreren prozessualen Ansprüchen umfaßten Zeiträume, selbst wenn sie nicht zusammenhängend verlaufen, jedenfalls dann für zulässig, wenn diese Ansprüche auf den gleichen Entstehungsgrund zurückgehen und zu gleichartigen, wiederkehrenden Leistungen führen (BSG SozR 1500 § 144 Nr 1 und Nr 18; SozR 4100 § 119 Nr 12). Dies muß auch in einem Sonderfall wie dem vorliegenden gelten, in dem es aufgrund der Ablösung der Familienhilfeberechtigung des Versicherten nach § 205 Abs 1 RVO durch die Familienversicherung nach § 10 SGB V, die dem Familienangehörigen einen eigenständigen Anspruch eingeräumt hat, zu einem Übergang der Anspruchsberechtigung auf die Klägerin und dementsprechend einem Parteiwechsel gekommen ist, soweit es um die künftige Versorgung der Klägerin mit dem streitigen Mittel geht. Trotz dieses Beteiligtenwechsels, der nicht kraft Gesetzes, sondern „gewillkürt” eingetreten ist und daher als Klageänderung – auch noch in der Berufungsinstanz (BSGE 8, 113; 10, 218) – zulässig war, weil er sachdienlich war und sich die Beklagte widerspruchslos in die abgeänderte Klage eingelassen hat (§ 99 Abs 1 und 2 SGG; vgl zum Parteiwechsel Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, § 99 RdNr 6 bis 8), handelt es sich bezüglich des Klagebegehrens insgesamt um einen einheitlichen Leistungsfall; er kann hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung nicht anders behandelt werden, als wenn der Kläger – wie ursprünglich geschehen – neben der Kostenerstattung auch die weitere Versorgung mit dem streitigen Mittel als Sachleistung im Rahmen des § 205 RVO beansprucht hätte. Daß also der Kläger seinen Anspruch im Berufungsverfahren im Zuge des Parteiwechsels auf Kostenerstattung beschränkt hat, die lediglich eine Verordnung von Krallendorntee für ca 3 Monate betraf, schließt die Zulässigkeit seiner Berufung nicht aus.
Die erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklagen sind gemäß § 54 SGG zulässig. Das gilt nicht nur für die Klage des Klägers, der hinsichtlich der geltend gemachten Kostenerstattung durch die ablehnenden Bescheide unmittelbar beschwert ist;
auch die auf Sachleistung gerichtete Klage der Klägerin ist zulässig, weil sie ihrerseits durch die in den angefochtenen Bescheiden sinngemäß enthaltene Ablehnung der Beklagten, ihre Versorgung mit Krallendorntee auch künftig sicherzustellen, beschwert ist. Zwar war sie selbst nicht Adressat der angefochtenen Bescheide, weil bei deren Erlaß der Kläger alleiniger Inhaber der Familienhilfeansprüche war (§ 205 RVO). Gleichwohl ist die Klägerin in ihrer eigenen Rechtsposition beeinträchtigt, weil sie seit 1. Januar 1989 im Rahmen der Familienversicherung selbst krankenversichert ist und seitdem bezüglich des Teils der wiederkehrenden Leistungen, der nach dem 31. Dezember 1988 zu erbringen ist, selbst anspruchsberechtigt ist (vgl Peters in KassKomm, § 10 SGB V, RdNr 32); das gilt unabhängig davon, daß der Leistungsfall – wie hier – bereits vorher eingetreten und der Sachleistungsanspruch in der Person des damals allein anspruchsberechtigten Klägers entstanden ist. Denn der Zweck des § 10 SGB V, es künftig den Angehörigen des Kassenmitglieds zu ermöglichen, Versicherungsansprüche aus eigenem Recht geltend zu machen und zu verfolgen, schließt bereits entstandene Ansprüche nicht aus (vgl BR-Drucks 200/88, S 161 zu § 10 des Entwurfs des GRG).
Daß der auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Sachleistungsanspruch der Klägerin erst nach Erlaß des Revisionsurteils fällig werdende Leistungen betrifft, weil der Sachleistungsanspruch naturgemäß auf die Zukunft bezogen ist (die Klägerin hat bis zur endgültigen Klärung der Kostenfrage mit der Einnahme des Mittels ausgesetzt), steht der Zulässigkeit ihrer Leistungsklage nicht entgegen. Denn nach § 258 ZPO iVm § 202 SGG kann bei wiederkehrenden Leistungen auch wegen der erst nach Erlaß des Urteils fällig werdenden Leistungen Klage auf künftige Entrichtung erhoben werden. Im übrigen steht der Leistungsklage der Klägerin auch nicht entgegen, daß der von ihr geltend gemachte Sachleistungsanspruch bereits Gegenstand der gleichzeitig anhängigen (einen anderen Zeitraum betreffenden) Leistungsklage des Klägers ist; denn dessen Kostenerstattungsanspruch könnte bereits an formalen Gründen scheitern, ohne daß über den zugrundeliegenden Sachleistungsanspruch entschieden werden müßte.
Auch in der Sache hat das LSG die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche zu Recht verneint. Dabei kann der Senat offenlassen, ob wegen des im Juli 1987 eingetretenen Behandlungsfalls ausschließlich oder jedenfalls hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers das damals geltend gewesene Recht – insbesondere § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b, Abs 2, § 368e RVO bzw die damit übereinstimmenden Leistungsbestimmungen der Beklagten –, anzuwenden ist (vgl dazu das Urteil des erkennenden Senats vom 26. November 1991 – 1/3 RK 25/90 – = SozR 3-2500 § 48 Nr 1), oder ob neues Recht – das ab 1. Januar 1989 geltende SGB V – jedenfalls (auch) insoweit heranzuziehen ist, als die Klägerin einen in die Zukunft gerichteten Sachleistungsanspruch geltend macht. Sowohl bei Anwendung des alten wie bei der Anwendung des neuen Rechts sind die geltend gemachten Ansprüche nicht begründet.
Bezüglich des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers läßt der erkennende Senat ferner ausdrücklich offen, ob dieser Anspruch bereits daran scheitert, daß er sich den Krallendorntee für seine damals familienhilfeberechtigte Ehefrau selbst – auf Privatrezept – beschafft hat, ohne sich zuvor mit der beklagten Krankenkasse ins Benehmen zu setzen (vgl dazu das Urteil des erkennenden Senats in der Sache 1 RK 31/92 vom gleichen Tag). Auch der Kostenerstattungsanspruch setzt voraus, daß dem Versicherten ein entsprechender Sachleistungsanspruch, hier dem Kläger ein Anspruch auf Versorgung seiner Ehefrau mit Krallendorntee gegen die Beklagte zustand. Der Versicherte hatte gemäß § 182 Abs 1 RVO iVm § 205 RVO dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Krankenhilfe, die nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO die Versorgung mit Arzneimitteln umfaßte, soweit diese nicht nach § 182f RVO eingeschränkt war. Krallendorntee ist zwar ein Arzneimittel iS des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO, weil seine bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen, zu lindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten (vgl BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32). Der Anspruch auf Versorgung mit diesem Mittel war aber gemäß § 182 Abs 2 iVm § 368e RVO ausgeschlossen. Denn Krallendorntee ist kein zweckmäßiges Arzneimittel iS dieser Bestimmungen.
Die bisherige, noch zu § 182 Abs 2, § 368e RVO ergangene Rechtsprechung des BSG hat zwar angenommen, daß eine Methode oder Medikation, deren generelle Wirksamkeit (noch) nicht gesichert war, auch dann „zweckmäßig” war, wenn anerkannte Behandlungsmethoden fehlten (dem Versicherten mithin innerhalb der sog Schulmedizin nicht mehr zu helfen war) oder im Einzelfall ungeeignet waren und bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich der Möglichkeit eines Behandlungserfolges erfüllt waren (vgl insbesondere die Urteile des 3. Senats vom 9. Februar 1989, BSGE 64, 255, 257 f = SozR 2200 § 182 Nr 114 – Thymusextrakte; vom 23. März 1988, BSGE 63, 102, 103 = SozR 2200 § 368e Nr 11 – Kuf-Reihen; Urteile vom 22. Juli 1981, BSGE 52, 70, 74 f = SozR 2200 § 182 Nr 72 und vom 22. September 1981, BSGE 52, 134, 136 = SozR 2200 § 182 Nr 76; zuletzt Urteil vom 21. November 1991 – 3 RK 17/90 – SozR 3-2500 § 13 Nr 2 – Herdtherapie). Insbesondere sind auch sog Außenseitermethoden, deren generelle Wirksamkeit noch nicht gesichert war, zu berücksichtigen gewesen, wenn die Genese der Krankheit – wie hier bei der MS – unbekannt war und die alternative Methode im Einzelfall zu einem Behandlungserfolg geführt hat oder dieser wissenschaftlich zumindest eine gute Möglichkeit hatte. Diese Voraussetzungen hat das LSG bei dem hier streitigen Mittel, dessen Anwendung nach den ersten 3 Monaten ausgesetzt wurde und deshalb eine rückschauende Beurteilung des Behandlungserfolges ohnehin nicht zuläßt, rechtsfehlerfrei verneint. Es hat – unangegriffen und daher für den Senat bindend (§ 163 SGG) – festgestellt, daß der Krallendorntee eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Therapiemöglichkeit bei MS nicht biete; die Wirkweise der Inhaltsstoffe des Krallendorntees sei in der Literatur unbekannt und es fehlten greifbare Anhaltspunkte für positive Auswirkungen auf die durch die MS bewirkten Lähmungserscheinungen. Insgesamt fehle die für eine wissenschaftliche Hypothese notwendige gedankliche Kausalkette zwischen Krallendorntee einerseits und einer Linderung spastischer Funktionseinschränkungen andererseits. Auch wurde der Nachweis nicht als geführt angesehen, daß es gerade aufgrund der Einnahme des Krallendorntees in Einzelfällen zu einer Besserung gekommen ist, weil bei einer schubweise verlaufenden Krankheit wie der MS Besserungen auch ohne Medikation auftreten können. Bestand aber bei dem bestehenden Krankheitsbild noch nicht einmal die Möglichkeit der Wirksamkeit des streitigen Mittels, mußte dieses aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge ausscheiden, daß den Klägern schon deshalb kein Kostenerstattungs- bzw Sachleistungsanspruch zustand.
Auch aus dem seit 1. Januar 1989 geltenden SGB V ergeben sich, was die sog Außenseitermethoden betrifft, jedenfalls keine weitergehenden Leistungsverpflichtungen der gesetzlichen Krankenkassen; eher sind ihnen bei der Anwendung solcher Methoden engere Grenzen gesetzt, als sie die Rechtsprechung zur alten Rechtslage vorgesehen hatte (vgl zB Schulin/ Enderlein, ZSR 1990, 502 f; Biehl/ Ortwein, SGb 1991, 529, 537 f; Schirmer in GK-SGB V, RdNrn 30 ff zu § 2 SGB V, Stand Februar 1991). Insbesondere läßt sich hinsichtlich der nicht allgemein nachgewiesenen Wirksamkeit einer Methode oder eines Mittels ein grundlegender Unterschied zum bisherigen Recht nicht aus der Hervorhebung der „besonderen Therapierichtungen” in § 2 Abs 1 Satz 2 SGB V entnehmen. Mit dieser Regelung, die erst auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in das Gesetz eingefügt worden ist, sollte lediglich klargestellt werden, daß die Ausrichtung der Gesundheitsleistungen am „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse” (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) die Leistungen der besonderen Therapierichtungen nicht ausschließt; den besonderen Therapierichtungen sollte hingegen keine Sonderstellung eingeräumt werden; allerdings sollte der besonderen Wirkungsweise der Mittel und Methoden der Naturheilkunde und der Vielfalt der therapeutischen Ansätze unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots und der Qualitätssicherung Rechnung getragen werden (vgl den Ausschußbericht zum GRG, BT-Drucks 11/3480, S 49). In der Regierungsbegründung zu § 2 Abs 1 SGB V, der den später durch den Ausschuß eingefügten Satz 2 noch nicht enthielt, heißt es hingegen, daß der „allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse” Leistungen ausschließe, die mit wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden erbracht würden; neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt seien, oder Außenseitermethoden, die zwar bekannt seien, sich aber nicht bewährt hätten, lösten keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus (BT-Drucks 11/2237, S 157). Der Senat läßt offen, ob angesichts dieser Materialien unorthodoxe Behandlungsmethoden oder Mittel, die – wie hier – weder der sog Schulmedizin noch den besonderen Therapierichtungen zugeordnet werden können (sog echte Außenseitermethoden), bereits nach § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V als ausgeschlossen zu gelten haben. Auch wenn anzunehmen wäre, daß sich eine Sperre erst bei Prüfung der Frage ergibt, ob die Außenseitermethode im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet, könnten sich für die Klägerin jedenfalls keine weitergehenden Rechte als nach bisherigem Recht ergeben. Dann können allenfalls die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung herangezogen werden: Lediglich in Fällen, in denen allgemein anerkannte Behandlungsmethoden fehlen oder im Einzelfall nicht geeignet sind, sind nach den „Regeln der ärztlichen Kunst”, auf die die leistungsrechtliche Vorschrift des § 28 Abs 1 Satz 1 SGB V – wie früher § 368e RVO – verweist, auch nicht allgemein anerkannte Methoden und Mittel in Betracht zu ziehen, wenn nach medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine Besserungschance mit einer nicht ganz geringen Erfolgsaussicht möglich erscheint (so zB Höfler in KassKomm, § 12 SGB V RdNr 8; Kirsten, SGb 1991,257, 258; Markgraf, DOK 1990, 667, 670). Fehlt es – wie hier – an dieser Möglichkeit, scheidet auch nach neuem Recht eine Leistungspflicht der Krankenkasse aus.
Auch soweit die Kläger geltend machen, es müsse ausreichen, daß der Krallendorntee jedenfalls mittelbar in der Weise wirke, daß er seelische Belastungen der Klägerin mindere oder beseitige, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Abgesehen davon, daß die Kläger selbst nicht behauptet haben, daß die angegebenen seelischen Belastungen nur durch die Behandlung mit Krallendorntee zu beheben oder zu bessern seien, entspricht ihre Rüge, das LSG habe hinsichtlich der Auswirkungen des streitigen Mittels auf die seelischen Belastungen der Klägerin seine Aufklärungspflicht verletzt, schon nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Denn es fehlt an jeglichen Darlegungen zu der Frage, warum sich das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen, welche Beweise es nicht erhoben hat und zu welchen Ergebnissen die Ermittlungen geführt hätten (vgl BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG).
Nach allem waren die Revisionen der Kläger zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen