Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufliche Fortbildung. Zeitpunkt des Vorliegens von Förderungsvoraussetzungen
Orientierungssatz
Die Voraussetzungen des AFG § 42 Abs 1 Nr 1 müssen bereits bei Beginn der Maßnahme vorliegen. Maßnahmen der beruflichen Bildung haben das Ziel, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Aus dieser Zielsetzung folgt, daß es sich bei der beruflichen Fortbildung um Maßnahmen handelt, die an berufliche Kenntnisse anknüpfen, die bereits vor Antritt der Maßnahme vorhanden sind. Daraus folgt auch, daß die in AFG § 42 Abs 1 Nr 1 geforderte berufliche Tätigkeit von 3 Jahren bereits bei Beginn der Maßnahme vorgelegen haben muß, damit die Teilnahme an der Maßnahme gefördert werden kann.
Normenkette
AFG § 42 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1975-12-18, § 41 Abs 1 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 19.10.1978; Aktenzeichen L 5 Ar 18/78) |
SG Bremen (Entscheidung vom 01.02.1978; Aktenzeichen S Ar 105/77) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 19. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Förderung seiner Teilnahme an dem von ihm von April 1976 bis Herbst 1978 besuchten Industriemeister-Lehrgang. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen des § 42 Abs 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) schon bei Lehrgangsbeginn vorliegen müssen.
Der 1950 geborene Kläger schloß am 22. Juni 1973 seine Lehre im Schiffsbau-Handwerk ab. Er war in der Folgezeit in diesem Beruf tätig.
Im März 1976 beantragte er die Förderung seiner Teilnahme an einem Abendkursus zur Erlangung der Qualifikation "Industriemeister", der vom Seminar für technische Ausbildung eV in B als berufsbegleitende Maßnahme ab 6. April 1976 angeboten wurde und fünf Semester umfaßte. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Kläger nach dem Abschluß seiner Berufsausbildung bisher lediglich 33 Monate und 15 Tage, nicht jedoch mindestens drei Jahre (36 Monate) beruflich tätig gewesen sei. Damit sei eine Förderung gemäß § 42 Abs 1 AFG ausgeschlossen (Bescheid vom 22. April 1976; Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1976).
Der Kläger stellte im Oktober 1976 erneut den Förderungsantrag mit dem Hinweis darauf, daß er nunmehr - zu Beginn des zweiten Semesters - die erforderliche Dauer der nach § 42 Abs 1 AFG vorausgesetzten Berufspraxis erfülle. Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag ab, weil die mindestens dreijährige Berufspraxis vor Beginn der Maßnahme vorliegen müsse (Bescheid vom 13. Oktober 1976; Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1977).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen vom zweiten Semester an zu gewähren (Urteil vom 1. Februar 1978).
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 19. Oktober 1978 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt:
Entgegen der Auffassung des SG werde der Anspruch auf Förderung durch § 42 Abs 1 Nr 1 AFG ausgeschlossen. Dem Sinn und Zweck des Gesetzes sei zu entnehmen, daß die notwendige dreijährige Berufspraxis schon bei Beginn der Maßnahme vorliegen müsse.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 42 Abs 1 Nr 1 AFG . Er vertritt weiterhin die Auffassung, daß es ausreiche, wenn die von § 42 Abs 1 Nr 1 AFG vorausgesetzte dreijährige Berufspraxis während des Laufes des Lehrgangs vollendet werde.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 1. Februar 1978 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Anspruch des Klägers auf Förderung seiner Teilnahme an dem Abendkursus zur Erlangung der Qualifikation "Industriemeister" ist unbegründet.
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß es sich für den Kläger bei dem Abendkursus um eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung iS des § 41 AFG handelt. Nach § 41 Abs 1 AFG dienen Maßnahmen dann der beruflichen Fortbildung, wenn sie das Ziel haben, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Aus dieser Zielsetzung folgt, daß es sich bei der beruflichen Fortbildung um Maßnahmen handelt, bei denen an beruflich erworbene Kenntnisse angeknüpft wird, die bereits vor Eintritt in die Maßnahme vorhanden sind. Das war hier der Fall; denn der Kläger konnte seine Kenntnisse als Schiffsbauer in den Beruf als Industriemeister übernehmen (Bundessozialgericht - BSG - SozR 4100 § 41 Nrn 11 und 28) und damit einen beruflichen Aufstieg verbinden.
Zu Recht hat das LSG aber dennoch angenommen, daß der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 42 Abs 1 Nr 1 AFG idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des AFG und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I, 3113) erfüllt. Nach dieser Vorschrift werden in bezug auf nach dem 1. Januar 1976 beginnende Maßnahmen (Art 1 § 2 Abs 1, Art 5 § 1 HStruktG-AFG ) Antragsteller mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung gefördert, wenn sie danach mindestens drei Jahre beruflich tätig waren.
Wie das LSG festgestellt hat, haben dem Kläger, als die Maßnahme begann, über zwei Monate an drei Jahren gefehlt.
Bei den in § 42 Abs 1 Nr 1 AFG idF des HStruktG-AFG bezeichneten Voraussetzungen kommt es darauf an, ob diese im Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme vollständig vorgelegen haben.
Ein allgemeiner Grundsatz, daß die Teilnahme an einer Maßnahme nur gefördert wird, wenn die Förderungsvoraussetzungen schon alle bei Beginn der Maßnahme vorgelegen haben, besteht allerdings nicht. So werden nach § 20 Abs 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 23. März 1976 ( ANBA 1976, 559 ) Leistungen nur auf Antrag gewährt. Wird der Antrag erst nach dem Eintritt in eine Maßnahme gestellt, werden Leistungen frühestens vom Zeitpunkt der Antragstellung an gewährt (§ 20 Abs 1 Satz 3 AFuU 1976). Da der Antrag materiell-rechtliche Voraussetzung des Leistungsanspruches ist (BSG SozR Nr 1 zu § 21 AFuU 1969), bedeutet dies, daß der Leistungsanspruch auch dann entstehen kann, wenn einzelne Voraussetzungen der Leistungen erst nach Eintritt in die Maßnahme erfüllt werden. Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, daß ein Anspruch dann entsteht, wenn seine Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind.
Das BSG hat auch bisher nicht verlangt, die Voraussetzungen der Förderung müßten stets bei Beginn der Maßnahme vorliegen. Zu dieser Frage hat sich das BSG noch nicht geäußert. Wohl hat der Senat ausgesprochen, daß der Begriff "Förderungsdauer" in § 6 Abs 1 Satz 3 der AFuU 1969 gleichbedeutend mit "Dauer der zu fördernden Maßnahme" ( BSGE 36,1 ) ist. Wenn ein Antragsteller die Teilnahme an einer Maßnahme gefördert zu erhalten wünscht, die nach dem Gesetz nur eine bestimmte Dauer haben darf, so ist das allerdings ein Merkmal, das bereits bei Beginn der Maßnahme vorliegen muß. Die Dauer einer Maßnahme ist eine Eigenschaft, die der Maßnahme von Anbeginn bis Ende anhaftet. Das ist der Grund dafür, daß diese Eigenschaften schon bei Beginn der Maßnahme vorliegen muß. Die Rechtsprechung ist sonst im Gegenteil eher davon ausgegangen, das das Vorliegen oder Fehlen persönlicher Voraussetzungen zu einer "Teilförderung" führen kann. So hat der 12. Senat des BSG ausgesprochen, daß ein Teilnehmer, der das Lehrgangsziel nicht erreichen kann, weil er zur Abschlußprüfung nicht zugelassen wird, für eine weitere Teilnahme von diesem Zeitpunkt an nicht mehr geeignet ist (SozR 4100 § 151 Nr 7). Das ergibt sich ferner aus der Entscheidung des Senates (SozR 4100 § 41 Nr. 1 AFG ), daß die Eignung des Teilnehmers an einer beruflichen Bildungsmaßnahme auch nach den von ihm während der Maßnahme erzielten Unterrichtsergebnissen beurteilt werden kann; denn diese Unterrichtsergebnisse könne schwanken. Sie können sich zu Guten wie zum Schlechten hin verändern.
Aus dem AFG kann nur dann hergeleitet werden, daß ein bestimmtes Merkmal schon bei Beginn der Maßnahme vorgelegen haben muß, wenn die Vorschrift, die dieses Merkmal fordert und beschreibt, dies ergibt. Der Wortlaut des § 42 Abs 1 Nr 1 AFG läßt allerdings nicht eindeutig erkennen, daß die der Förderung des Antragstellers vorausgehende berufliche Tätigkeit von drei Jahren schon in dem Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme vorgelegen haben muß, an der der Betreffende teilnehmen will oder teilnimmt. Auch der Zusammenhang des § 42 Abs 1 Nr 1 AFG mit anderen Vorschriften spricht nicht ohne weiteres für eine solche Auslegung. Das AFG sagt in seinem zweiten Abschnitt aus, wann eine Teilnahme an einer Maßnahme gefördert wird. Es fördert also im Rahmen der individuellen Förderung der beruflichen Bildung nicht Bildungsmaßnahmen als solche, sondern die Teilnahme an ihnen. Unter den Voraussetzungen der Förderung dieser Teilnahme lassen sich solche Voraussetzungen erkennen, die Merkmale der Maßnahme beschreiben, etwa das Erfordernis, daß die Maßnahme eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzen muß ( § 41 Abs 1 AFG , BSGE 36, 48 ), daß die Maßnahme nicht länger als zwei Jahre dauern darf ( § 41 Abs 3 Satz 2 AFG ) und daß sie geeignet sein muß ( § 34 Abs 1 Satz 2 AFG ). Daneben sind Voraussetzungen erkennbar, die Merkmale der an der Maßnahme teilnehmenden Person darstellen, etwa die Geeignetheit des Antragstellers ( § 36 Abs 1 Nr 2 AFG ), das Erfordernis, daß der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Maßnahme mindestens zwei Jahre eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt oder innerhalb einer gewissen Zeit Arbeitslosengeld (Alg) bezogen haben muß ( § 46 Abs 1 AFG ) sowie auch die Voraussetzung des § 42 Abs 1 Nr 1 AFG , daß der Antragsteller nach der abgeschlossenen Berufsausbildung mindestens drei Jahre beruflich tätig gewesen sein muß. Daneben gibt es noch Merkmale, die die Teilnahme als solche beschreiben ( § 43 Abs 2, § 36 Nr 3 AFG ), solche des Verfahrens (§ 20 AFuU 1976) usw. Während es bei den Merkmalen, die eine Maßnahme beschreiben, eher naheliegt, anzunehmen, daß sie für die ganze Dauer der Maßnahme, also von deren Beginn an, vorliegen müssen, und zwar, weil die geforderte Eigenschaft der Maßnahme etwa von Anfang an anhaften oder ihr fehlen kann, könnte im einzelnen der Schluß möglich sein, daß Merkmale der teilnehmenden Person nicht schon bei Beginn der Maßnahme gegeben sein müssen. Persönliche Voraussetzungen und Beginn der Maßnahme haben an sich grundsätzlich keinen Bezug zueinander. In diesem Zusammenhang ist aber anzumerken, daß § 46 Abs 1 AFG , der ähnlich dem § 42 Abs 1 Nr 1 AFG eine vorangegangene Beschäftigung fordert, ausdrücklich vorsieht, daß diese Beschäftigung "vor Beginn der Maßnahme" gelegen haben muß.
Sinn und Zweck, die das HStruktG-AFG dem § 42 Abs 1 Nr 1 AFG gegeben haben, verlangen aber, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift schon bei Beginn der Maßnahme vorgelegen haben. Der § 42 AFG in seiner früheren Fassung forderte lediglich, daß der Antragsteller vor seiner Förderung eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt hatte oder eine solche Beschäftigung ausüben wollte. Durch das HStruktG-AFG hat der § 42 AFG seine heutige Fassung erhalten. Wie die amtliche Begründung hierzu aussagt (BT-Drucks VII/4127, S 49, Nr 5 - § 42 Abs 1 - 3 AFG -), soll die neue Vorschrift sicherstellen, daß nur Arbeitnehmer mit einer angemessenen Berufspraxis die Förderungsleistungen in Anspruch nehmen. Der Charakter der beruflichen Fortbildung setzt danach die vorherige Ausübung einer Berufstätigkeit voraus. Die während der Berufstätigkeit gewonnenen Erfahrungen sollen dem Teilnehmer die Aufnahme des in der Fortbildungsmaßnahme gebotenen Stoffes erleichtern. In den Motiven ist weiter ausgeführt: "Sogenannte Durchstarter, die unmittelbar im Anschluß an die schulische oder betriebliche Berufsausbildung weiterführende Schulen besuchen oder ihre Ausbildung durch die Teilnahme an Lehrgängen vertiefen oder erweitern wollen, werden damit von der Förderung der Fortbildung ausgeschlossen". Die Begründung, wie sie im Entwurf des HStruktG-AFG enthalten ist, zeigt, daß es der Wille des Gesetzgebers war, daß die Zwischentätigkeit des § 42 Abs 1 AFG schon bei Beginn der neuen Maßnahme abgeschlossen gewesen sein sollte (so auch Hoppe-Berlinger, Förderung der beruflichen Bildung, § 42 AFG Anm 4; Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum AFG § 42 RdNr 19). Da diese Voraussetzung vom Kläger nicht erfüllt wird, ist seine Revision unbegründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz .
Fundstellen