Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsregelung. Besitzstandswahrung
Orientierungssatz
Aufgrund der Übergangsregelung des AFGHStruktG Art 1 § 2 Abs 3 Nr 2, die eine Besitzstandswahrung vorsieht, ist der Leistungssatz nach der AFGLeistungsV 1975 weiterhin maßgebend, wenn der Leistungssatz nach der AFGLeistungsV 1976 für einen bereits im Unterhaltsgeldleistungsbezug stehenden Antragsteller niedriger wäre, als der diesem Antragsteller am 1975-12-31 zustehende Leistungssatz nach der AFGLeistungsV 1975.
Normenkette
AFGHStruktG Art 1 § 2 Abs 3 Nr 2 Fassung: 1975-12-18; AFGLeistungsV 1975 Fassung: 1975-01-02; AFGLeistungsV 1975 Fassung: 1976-01-02
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1978 und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 1. September 1977 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zustehenden Unterhaltsgeldes (Uhg). Der Kläger begehrt über den 1. Januar 1976 hinaus das Uhg in der ihm von der Beklagten für die Zeit der Maßnahme bewilligen Höhe samt den von der Beklagten im voraus vorgenommenen Anpassungen ( § 112 a Arbeitsförderungsgesetz - AFG -), während die Beklagte sich wegen der infolge des Inkrafttretens des Haushaltsstrukturgesetzes-AFG (HStruktG-AFG) eingetretenen Herabsetzungen des Uhg-Satzes als zu einer Änderung ihrer Bescheide nach § 151 AFG berechtigt ansieht.
Der Kläger nahm in der Zeit von November 1975 bis Juni 1977 an einer Umschulungsmaßnahme zum Maschinenschlosser teil. Mit Bescheid vom 7. November 1975 bewilligte die Beklagte ihm Uhg in Höhe von wöchentlich 348,- DM für die Zeit vom 3. November 1975 bis 31. März 1976 und darüber hinaus in Höhe von wöchentlich 385,80 DM für die Zeit ab 1.April 1976.
Als die Beklagte dem Kläger in der Zeit nach dem 1. April 1976 nicht den erhöhten Betrag von 385,80 DM auszahlte, sondern lediglich den schon für 1975 bewilligten Wochenbetrag von 348,- DM, bat der Kläger im November 1976 schriftlich um Auszahlung des erhöhten Uhg.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 1976 lehnte die Beklagte die Erhöhung des Uhg ab und berief sich darauf, daß durch das HStruktG-AFG vom 18. Dezember 1975 § 44 AFG geändert worden und das Uhg für eine Umschulungsmaßnahme mit Wirkung vom 1. Januar 1976 von bisher 90 vH auf 80 vH des Nettoarbeitsentgeltes, das vor Beginn der Maßnahme erzielt wurde, herabgesetzt worden sei. Unter Berücksichtigung der Dynamisierung des Einheitslohnes betrage der wöchentliche Leistungssatz nach der Leistungsverordnung 1976 nur 333,60 DM, jedoch bewirke die Übergangsregelung, daß aufgrund der Besitzstandswahrung das Uhg gemäß dem Stichtag 31. Dezember 1975 mit wöchentlich 348,- DM für das Jahr 1976 weiter zu gewähren sei. Mit förmlichem Bescheid vom 9. Februar 1977 wiederholte die Beklagte diese Auffassung und verblieb auch im Widerspruchsbescheid vom 22. März 1977 dabei.
Der Kläger hatte zunächst Leistungsklage sowie Untätigkeitsklage erhoben. Nach Ergehen der Bescheide vom 9. Februar und 22. März 1977 wandte er sich gegen diese Bescheide und vertrat die Auffassung, daß die in Art 1 § 2 Abs 3 Ziff 2 HStruktG-AFG vorgesehene Besitzstandswahrung sich nicht nur auf den am 31. Dezember 1975 ausgezahlten Betrag beziehe, sondern daß bei Vorliegen der in diesem Gesetz genannten Voraussetzungen unter Zugrundelegung der in der Leistungsverordnung 1975 vorgesehenen Dynamisierung das Uhg insgesamt nach dieser Leistungsverordnung weiter zu gewähren sei.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 1. September 1977 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. April 1976 Uhg in Höhe von wöchentlich 385,80 DM anstelle der gewährten Leistungen zu zahlen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 19.Mai 1978 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen des § 151 Abs 1 AFG lägen nicht vor. Im Sinne dieser Bestimmung fielen Leistungsvoraussetzungen nur weg, wenn sich die Umstände änderten, die das konkrete individuelle Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten bestimmten, nicht dagegen bei der Änderung bloßer abstrakter Rechtsnormen, etwa in der Gestalt des HStruktG. Aus Art 1 § 2 Abs 3 Ziff 2 HStruktG-AFG ergebe sich, daß der Leistungssatz der Leistungsverordnung 1975 auch im Jahre 1976 weiterhin maßgebend sei, wenn dies für den Antragsteller günstiger sei.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 151 AFG und des Art 1 § 2 Abs 3 des HStruktG-AFG . Wegen des Sachvortrages wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Münster vom 1. September 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ( § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht seit dem 1. Januar 1976 dem Grunde nach lediglich das Uhg in der (durchweg geringeren) Höhe zu, die das AFG idF des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen HStruktG-AFG vorsieht. Dem Kläger war aber am 31. Dezember 1975 gemäß den bisherigen Vorschriften schon auf seinen Antrag ein höherer Betrag für seine Teilnahme an der bereits damals laufenden Maßnahme bewilligt worden, als ihm nach der Rechtslage zustand, wie sie ab 1. Januar 1976 galt. Aufgrund der Übergangsregelung des Art 1 § 2 Abs 3 Nr 2 HStruktG-AFG , die eine Besitzstandswahrung vorsieht, hatte es deshalb solange bei dieser höheren Zahlung zu bleiben, bis die späteren Anhebungen des Uhg den Betrag erreicht hatten, den der Kläger bis dahin weiterbezog. Dieser Regelung entsprechend hat die Beklagte auch gehandelt.
Der Anpassung der Leistungen an die neue Rechtslage stand nicht entgegen, daß dem Kläger für die Zeit nach dem 1. April 1976 bereits bindend Zahlungen in Höhe von 385,80 DM bewilligt waren. Bindungswirkung genießen Verwaltungsakte nach § 77 SGG nur, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". Für die Leistungen nach dem AFG sieht § 151 Abs 1 AFG aber die Möglichkeit vor, Bescheide ständig der Rechtslage anzupassen und versehentliche Entscheidungen zu berichtigen. Diese Vorschrift findet entgegen der Auffassung des LSG auch Anwendung, wenn durch Gesetz die Voraussetzungen der Leistungen geändert worden sind (Urteil des Senats vom 15. Februar 1979 - 7 RAr 69/78 -). Aufgrund des § 151 Abs 1 AFG konnte die Beklagte daher grundsätzlich der Herabsetzung der Leistungen aufgrund des HStruktG-AFG Rechnung tragen und das schon bewilligte Uhg des Klägers kürzen.
Nach Art 1 § 2 Abs 3 Nr 2 HStruktG-AFG ist aber der Leistungssatz nach der Leistungsverordnung 1975 weiterhin maßgebend, wenn der Leistungssatz nach der Leistungsverordnung 1976 für einen bereits im Uhg-Leistungsbezug stehenden Antragsteller niedriger wäre, als der diesem Antragsteller am 31. Dezember 1975 zustehende Leistungssatz nach der Leistungsverordnung 1975. Das bedeutet für den Kläger, daß er gemäß der Leistungsverordnung 1976 nur noch 333,60 DM zu erhalten hätte, aber 348,- DM bezog, weil er diesen Betrag schon am 31. Dezember 1975 erhalten hat.
Dem Kläger stand auch nicht ab 1. April 1976 ein höherer Betrag als 348,- DM wöchentlich zu, weil das ihm gewährte Uhg gemäß § 112 a AFG zu dynamisieren war. Die Übergangsvorschrift des Art 1 § 2 HStruktG-AFG ist lediglich dahin zu verstehen, daß sie den Ende 1975 bereits im Leistungsbezug stehenden Uhg-Bezieher vor einer Herabsetzung durch die Änderungen des HStruktG-AFG schützen wollte. Sie wollte ihm aber nicht die Dynamisierung auf der Grundlage des einmal bewilligten Uhg gewährleisten (Urteil des Senats vom 15.Februar 1979 - 7 RAr 69/78 -).
Allerdings unterliegt auch das Uhg weiterhin der Regelung des § 112 a AFG . Zwar enthält § 44 AFG seit der Neufassung des § 44 Abs 2 AFG durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 2. Dezember 1974 (BGBl I 3656) nicht mehr die ausdrückliche Verweisung auf § 112 a AFG . Dessen Weitergeltung ergibt sich aber aus § 44 Abs 7 AFG (Urteil des Senats vom 15. Februar 1979 - 7 RAr 69/78 -). Danach gelten die Vorschriften des 4.Abschnitts über das Arbeitslosengeld (Alg) entsprechend, soweit die Besonderheiten des Uhg nicht entgegenstehen. Hinsichtlich der Zweckbestimmung des § 112 a AFG enthält das Uhg insoweit aber keine Besonderheiten gegenüber dem Alg; denn es ist wie jenes zur Unterhaltssicherung bestimmt und rechtfertigt deshalb ebenfalls seine Anpassung an die Lohnentwicklung (Urteil des Senats vom 15. Februar 1979). Im übrigen verweist § 44 Abs 2 AFG idF des EG-EStRG als Bemessungsmaßstab auf das Arbeitsentgelt iS von § 112 AFG . Dieses wiederum ist jeweils ein nach § 112 a AFG erhöhtes Arbeitsentgelt.
Für diejenigen, die aufgrund der Besitzstandsklausel des Art 1 § 2 Abs 3 Nr 2 HStruktG-AFG insofern begünstigt sind, als sie entgegen den neuen Sätzen des HStruktG und der darauf gegründeten Leistungsverordnung 1976 geringere Beträge als 1975 zu erhalten hätten, aber dennoch weiter die schon 1975 bewilligten Sätze weiterbeziehen, bedeutet das, daß sie die schon 1975 bewilligten Beträge weiter erhalten, bis die Dynamisierung auf der neuen Grundlage ihre Leistungen der Höhe nach erreicht hat. Danach wirkt sich die Dynamisierung auf der neuen Grundlage zu ihren Gunsten aus.
Die Regelungen des HStruktG-AFG über die Herabsetzung des Uhg verstoßen auch nicht gegen das Grundgesetz (Urteil des Senats vom 15. Februar 1979 - 7 RAr 69/78 -).
Der Revision der Beklagten ist damit stattzugeben. Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1, 4 SGG .
Fundstellen