Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsfreiheit von Studienreferendaren im Beamtenverhältnis auf Widerruf. Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
- Die Streichung der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe begründet nicht die verfassungsrechtliche Pflicht, für Lehramtsbewerber, die im Beamtenverhältnis auf Widerruf ausgebildet werden, die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung vorzusehen.
- Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe ist auch verfassungsmäßig, soweit die besondere Anspruchsvoraussetzung durch ein Dienstverhältnis als Beamter am 1.1.2000 erfüllt war (Fortsetzung von BSG vom 29.1.1997 – 11 RAr 43/96 = SozR 3-4100 § 242q Nr 1).
Normenkette
SGB III § 27 Abs. 1 Nr. 1, § 190 Abs. 1 Nr. 4, § 191 Fassung: 1999-12-22; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; SGB3ÄndG 3 Art. 1 Nr. 9
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ab 1. Mai 2000 nach Dienst als Lehramtsanwärter (im Beamtenverhältnis) vom 1. November 1998 bis 30. April 2000.
Der 1962 geborene Kläger war vom 26. Mai bis 30. Oktober 1998 als LKW-Fahrer beschäftigt. Vom 1. November 1998 bis 30. April 2000 war er Referendar an einer berufsbildenden Schule. Er meldete sich am 28. März 2000 zum 1. Mai 2000 arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. März 2000 ab, weil mit Wirkung ab 1. Januar 2000 Ansprüche auf Alhi, die auf Beschäftigungszeiten als Beamter, Wehr- oder Zivildienstzeiten oder des Bezuges von Sozialleistungen folgten, nicht mehr gegeben seien.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, Eingriffe in Leistungen wegen Arbeitslosigkeit, die im Anschluss an eine Ausbildung vorgesehen seien, dürften nicht nach Beginn einer solchen Ausbildung vorgenommen werden, wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2000 zurück. Die Übergangsregelung des § 434b Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) sehe die durch das 3. SGB III- Änderungsgesetz (3. SGB III-ÄndG) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2624) mit Wirkung ab 1. Januar 2000 gestrichene originäre Alhi nur dann noch bis zum 31. März 2000 vor, wenn ihre Anspruchsvoraussetzungen in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 vorgelegen hätten. Dies treffe für den Kläger nicht zu.
Im Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, seinen Antrag auch als Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) zu bescheiden. Mit Bescheid vom 27. Februar 2001 lehnte die BA diesen Antrag ab, weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20. Februar 2001 abgewiesen.
Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, die Abschaffung der originären Alhi verwehre im Beamtenverhältnis stehenden Gerichts- und Lehramtsreferendaren, sich gegen Arbeitslosigkeit zu schützen. Der Gesetzgeber habe seine Absicht, Referendare aus sozialpolitischen Erwägungen in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, nicht verwirklicht. Aus dem Wegfall der originären Alhi ergebe sich eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, weil Referendare ohne rechtfertigenden Grund als einzige Gruppe gänzlich ohne Schutz gegen Arbeitslosigkeit seien. Es stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber nach Wegfall der originären Alhi verpflichtet sei, diese Gruppe in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen. Soweit Referendare – wie in einzelnen Bundesländern – im Angestelltenverhältnis versicherungspflichtig ausgebildet würden, seien keine hinreichenden Gründe für die unterschiedliche Behandlung von beamteten Referendaren ersichtlich.
Mit Urteil vom 14. Mai 2002 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Alhi ab 1. Mai 2000, weil er innerhalb der einjährigen Vorfrist nicht Alg bezogen habe. Während dieser Zeit sei er als Referendar im Lehramt beschäftigt gewesen. Auf die Übergangsvorschrift des § 434b Abs 1 SGB III könne er sich nicht berufen, denn einen Anspruch auf Alhi habe er in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 aus den gleichen Gründen nicht gehabt. Die Änderung der besonderen Anspruchsvoraussetzungen durch das 3. SGB III-ÄndG verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) sei nicht verletzt, weil der Kläger Alhi noch nicht bezogen habe. Bloße Erwartungen auf Sozialleistungen seien verfassungsrechtlich nicht geschützt. Der Gleichheitssatz sei nicht verletzt, weil der Kläger während seiner Ausbildung nicht versicherungspflichtig gewesen sei.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Rechte weiter. Er rügt eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG iVm Art 2, 20 GG durch § 25 Abs 1 iVm § 27 Abs 1 Nr 1 SGB III, weil Studienreferendare (Lehramtsanwärter) von der Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen seien. Die Revision führt aus, die Versicherungsfreiheit von beamteten Referendaren sei zwar in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG gebilligt worden. Mit dem Wegfall der originären Alhi durch das 3. SGB III-ÄndG sei die Frage aber erneut einer verfassungsrechtlichen Prüfung zuzuführen. Nach Wegfall der originären Alhi sei die Versicherungsfreiheit von Beamten in Ausbildungsverhältnissen wegen Verstoßes gegen Art 3 GG verfassungswidrig. Die Erwägung des BVerfG, Referendare seien weniger schutzbedürftig, weil sie nach Abschluss ihrer Ausbildung als Beamte, Anwälte oder Angestellte in höheren Gehaltsgruppen nicht versicherungspflichtig tätig seien, bedürfe der Überprüfung. Sie reiche zu einer unterschiedlichen Behandlung gegenüber anderen Auszubildenden nicht mehr aus. Die Willkürlichkeit der Behandlung werde insbesondere deshalb deutlich, weil der Gesetzgeber “seine eigene finanzielle Interessenlage” (Haushaltslage) im Auge gehabt habe. Nunmehr entlaste sich der Gesetzgeber gänzlich von der Finanzierung des Schutzes gegen Arbeitslosigkeit.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Mai 2002 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 20. Februar 2001 aufzuheben;
- die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 29. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2000 und des Bescheids vom 27. Februar 2001 zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Mai 2000 Arbeitslosengeld – hilfsweise Arbeitslosenhilfe – in gesetzlicher Höhe zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht weder auf einer Gesetzes- noch auf einer Verfassungsverletzung.
1. Die Revision räumt selbst ein, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg nach §§ 117, 123 SGB III seien nicht gegeben. Der Kläger hat die Anwartschaftszeit von mindestens zwölf Monaten nicht erfüllt, weil er in der Rahmenfrist vom 1. Mai 1997 bis 30. April 2000 allenfalls vom 26. Mai bis 30. Oktober 1998 als LKW-Fahrer versicherungspflichtig war. Als Referendar des Lehramts vom 1. November 1998 bis 30. April 2000 war er Beamter auf Widerruf und damit versicherungsfrei (§ 27 Abs 1 Nr 1 SGB III). Die Beteiligten und die Vorinstanzen gehen jedenfalls nach ihren Rechtsausführungen davon aus, der Kläger sei Beamter gewesen. Für die Zeit vom 1. Mai 1997 bis 25. Mai 1998 hat der Kläger im Antragsvordruck – möglicherweise wegen seines Studiums – keine Angaben über eine Beschäftigung gemacht. Unter diesen Umständen bedurfte es keiner Ermittlungen über etwaige Zeiten, in denen eine Versicherungspflicht bestanden haben könnte (BSGE 81, 259, 262 f = SozR 3-4100 § 128 Nr 5).
2. Der Senat kann sich auch nicht die Überzeugung bilden, dass die Versicherungsfreiheit von Beamten in Ausbildungsverhältnissen (Referendar des Lehramts, Beamter auf Widerruf), verfassungswidrig ist. Als Prüfungsmaßstab kommt insoweit – wovon auch die Revision ausgeht – allein der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) in Betracht.
2.1 Im Anschluss an Rechtsprechung des BVerfG geht der Senat davon aus, dass mit dem allgemeinen Gleichheitssatz auch die Rechtsetzungsgleichheit gewährleistet und damit der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eine Grenze gesetzt ist. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht allerdings gerade darin, “diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will” (BVerfGE 90, 226, 239 mwN). Der darin liegenden Gefahr eines Zirkelschlusses (Schoch DVBl 1988, 875) ist zu begegnen, indem die verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz im Hinblick auf die Eigenart des Normbereichs präzisiert wird. Ohnehin lässt sich nur in Bezug auf bestimmte Merkmale, nicht aber abstrakt und allgemein feststellen, ob Sachverhalte gleich oder verschieden zu behandeln sind. Unter welchen Voraussetzungen die Zuordnung von Rechtsfolgen zu Sachverhalten sachgerecht, vertretbar oder willkürlich ist, ist jeweils sachbereichsbezogen auszuweisen (BVerfGE 90, 226, 239; 101, 54, 101; 103, 310, 318 ff; BSGE 76, 224, 227 ff = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 4 mwN).
2.2 Die von der Revision jetzt für Referendare des Lehramts erneut aufgeworfene Frage der Verfassungswidrigkeit der Versicherungsfreiheit von Beamten auf Widerruf (im Rahmen ihrer Berufsausbildung) hat das BVerfG für Justizreferendare verneint (BVerfG SozR 4100 § 169 Nr 4). Als sachgerechten – die Willkür ausschließenden – Differenzierungsgrund gegenüber anderen Auszubildenden hat das BVerfG angesehen, dass Referendare nach ihrer Ausbildung als Beamte, Selbstständige oder höher verdienende Angestellte der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung (nach damaligem Recht) nicht angehören werden. Als Versicherung, die auf dem Solidarprinzip beruhe sei die Arbeitslosenversicherung auf eine dauerhafte Mitgliedschaft und dauerhafte Beitragsleistung angewiesen, sodass dem Grundsatz der Kontinuität der Mitgliedschaft Bedeutung zukomme. Ob diese Argumentation für Justizreferendare überzeugt, kann dahinstehen. Die Referendarausbildung ist auch für andere juristische Berufe (sog Volljurist) als den höheren öffentlichen Dienst unerlässlich, weshalb einige Länder von der seit 1. Juli 1997 bestehenden Möglichkeit nach § 14 Abs 1 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) idF des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 (BGBl I 322) Gebrauch gemacht haben und Rechtsreferendare nunmehr in “einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses” ausgebildet werden. Eine solche Entscheidung für die Organisation der Ausbildung im öffentlichen Dienst führt allerdings bereits nach geltendem Recht zur Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung, es sei denn, die besonderen Voraussetzungen des § 27 Abs 1 Nr 1 SGB III für die Versicherungsfreiheit sind erfüllt. Einen entsprechenden Schritt haben die Länder für die Ausbildung von Lehrern bisher nicht getan. Die unterschiedliche Organisation der Ausbildung von Juristen (im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses) und Lehrern (im Beamtenverhältnis) beruht weiterhin auf einem hinreichenden sachlichen Grund, weil der Vorbereitungsdienst von Lehrern – anders als bei Juristen – “ganz überwiegend oder sogar ausschließlich der Vorbereitung auf den Beruf des Lebenszeitbeamten dient” (Lecheler ZBR 2000, 325, 328; Ziegler NVwZ 1985, 547, 549). Auch wenn es Beschäftigungsmöglichkeiten für Lehrer an Ersatz- oder Ergänzungsschulen gibt, die jedenfalls praktisch – aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit – die öffentliche Lehrerausbildung voraussetzen (vgl dazu: BAGE 53, 137, 144 f), ist ein solcher Berufsweg untypisch. Der Gesetzgeber kann diesen Umstand ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz vernachlässigen. Vor allem aber bestehen zwischen juristischem und pädagogischem Vorbereitungsdienst hinsichtlich “Ausgestaltung, Aufgabenstellung und rechtlicher Wertigkeit” grundlegende Unterschiede (Ziegler aaO 549): Während der Rechtsreferendar typischerweise vorbereitende Arbeiten (Entwürfe) für seinen Ausbilder anzufertigen hat und die selbstständige Wahrnehmung von Terminen die Ausnahme bildet, hat der Lehramtsanwärter schon zu einem großen Anteil Lehraufgaben und damit hoheitliche Funktionen selbstständig wahrzunehmen (Ziegler aaO; vgl auch die Darstellung von Aufgaben in: BVerwGE 47, 365, 369). Gerade dieser Umstand erklärt und rechtfertigt weiterhin die Lehrerausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Rechtsprechung, die bereits unabhängig von der Änderung von § 14 Abs 1 BRRG und landesgesetzlichen Rechtsgrundlagen im Wege der Rechtsfortbildung die Begründung von Ausbildungsverhältnissen außerhalb des Beamtenverhältnisses erwogen oder für zulässig erachtet hat (BVerfGE 39, 334, 372 ff; BAGE 36, 344, 349 f; 40, 1, 9 f; 53, 137, 143 ff), um die freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art 12 GG) zu gewährleisten, im Schrifttum auf Kritik gestoßen (vgl Ziegler NVwZ 1985, 547 ff).
2.3 Die Gleichheit vor dem Gesetz ist auch nicht durch die allgemeine Versicherungsfreiheit von Beamten in der Arbeitslosenversicherung (§ 27 Abs 1 Nr 1 SGB III) verletzt, die nicht unterscheidet, ob der Beamte auf Lebenszeit, auf Probe oder auf Widerruf (zur Ausbildung) berufen wird. Das Gesetz unterscheidet auch nicht danach, ob dem Beamten bei Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis eine auch nur übergangsweise Versorgung (Übergangsgeld) aus dem Beamtenverhältnis zusteht. Die bei dauerhaftem Ausscheiden eintretende Rechtsfolge der Nachversicherung betrifft lediglich die Rentenversicherung (§§ 8, 184 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung). Das Risiko der Arbeitslosigkeit war bis zur Änderung des § 190 Abs 1 Nr 4 und Aufhebung des § 191 durch das 3. SGB III-ÄndG vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2624) jedenfalls bei Bedürftigkeit bedacht. Dieser Schutz bei Arbeitslosigkeit hatte zur Rechtfertigung der Versicherungsfreiheit von Beamten eine Rolle gespielt. Ein Schutzbedürfnis kann allerdings nicht nur bei Beamten auf Widerruf bestehen, sondern immer wenn Beamte ohne Versorgung aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden, ohne einen Anschlussarbeitsplatz zu finden. Der Hinweis auf die originäre Alhi im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Versicherungsfreiheit von Beamten führt auch nach dem Wegfall der originären Alhi nicht zur Verfassungswidrigkeit der Versicherungsfreiheit. Das BSG hat den fehlenden Versicherungsschutz bei der Arbeitslosigkeit für bestimmte Personengruppen unabhängig von einer Sicherung durch die originäre Alhi für verfassungsmäßig gehalten (BSGE 65, 281, 292 f = SozR 4100 § 134 Nr 38; vgl auch: BSG SozR 3-4100 § 104 Nr 3). Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Befristung originärer Alhi auf ein Jahr durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353) hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Lebensunterhalt bei Bedürftigkeit weiterhin aus Mitteln der Sozialhilfe gewährleistet sei. Der Verlust von Alhi führe zu einem Wechsel in ein anderes in wesentlichen Grundvoraussetzungen vergleichbares Sozialleistungssystem, ohne dass eine Sicherung des Lebensunterhalts durch staatliche Leistungen entfiele (BSG SozR 3-4100 § 242q Nr 1; vgl auch: BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2). Die Streichung der originären Alhi begründet deshalb verfassungsrechtlich nicht die Notwendigkeit, die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung auf den bisher in diesem Sicherungssystem geschützten Personenkreis auszudehnen.
2.4 Es trifft auch nicht zu, dass Referendare des Lehramts die einzige Personengruppe sind, für die nach Ende ihrer Ausbildung kein Schutz bei Arbeitslosigkeit besteht. Dies trifft vielmehr allgemein für Beamte im Vorbereitungsdienst zu, die – aus welchen Gründen auch immer – aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden. Außerdem sind in gleicher Weise die Personengruppen betroffen, die früher nach §§ 1 bis 5 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO) vom 7. August 1974 (BGBl I 1929) originäre Ansprüche auf Alhi ohne eine vorausgehende, die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung, zB durch Schul-, Fachholschul- oder Hochschulbesuch, bis zum Inkrafttreten des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) erwerben konnten. Durch § 134 Abs 2 und 3 Arbeitsförderungsgesetz idF des Art 1 Nr 54 Buchst b AFKG hatte nur ein Teil der nach §§ 1 bis 5 Alhi-VO berechtigten Personengruppen weiterhin die Möglichkeit behalten, ohne vorherige Beschäftigung oder Bezug von Alg Ansprüche auf Alhi zu erwerben. Die übrigen verloren ihre bis dahin bestehende Rechtsposition, weil Art 16 § 1 AFKG die §§ 1 bis 5 Alhi-VO aufgehoben hat.
2.5 Ein Schutzbedürfnis all dieser Personengruppen wie der Lehramtsbewerber bei Arbeitslosigkeit nach Beendigung ihrer Ausbildung ist nicht zu bestreiten. Ob und in welcher Weise diesem im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme Rechnung getragen wird, ist indes von der sozialpolitischen Entscheidung des Gesetzgebers abhängig. Ein allgemeiner Satz, wonach für vom Risiko der Arbeitslosigkeit bedrohten Personen lückenlos Versicherungsschutz zu begründen sei, ist der Verfassung aber nicht zu entnehmen. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit und der Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme hat der Gesetzgeber anerkannter Maßen gerade auch wegen der noch in anderem Zusammenhang zu erörternden Finanzierbarkeit einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfGE 103, 242, 262 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2).
3. Auch ein Anspruch auf Alhi steht dem Kläger ab 1. Mai 2000 nicht zu. Der Gesetzgeber hat nach § 190 Abs 1 Nr 4 idF des 3. SGB III-ÄndG mit Wirkung ab 1. Januar 2000 die besonderen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi auf Fälle des Vorbezugs von Alg (sog Anschluss-Alhi) beschränkt. In der Vorfrist 1. Mai 1999 bis 30. April 2000 hat der Kläger jedoch Alg nicht bezogen. Die weiteren anspruchsbegründenden Tatbestände des § 191 SGB III in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung sind ersatzlos entfallen. Die ab 1. Januar 2000 geltende Fassung des Gesetzes ist hier anzuwenden, denn im Sozialrecht ist grundsätzlich das zum Zeitpunkt des Leistungsfalls geltende Recht maßgeblich, sofern keine abweichende gesetzliche Regelung besteht (BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 12).
4. Die Abschaffung der originären Alhi durch die Aufhebung des § 191 SGB III unterliegt auch nicht durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
4.1 Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob das Institut der Alhi dem Schutz der Eigentumsgarantie (Art 14 GG) unterliege (dazu: Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 13 RdNr 31, 36 f) kann offen bleiben. Die konkrete Reichweite eines solchen Schutzes ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die Aufgabe des Gesetzgebers ist (BVerfGE 72, 9, 22 mwN). Die Eigentumsgarantie wird nicht verletzt, wenn eine Regelung durch Gründe öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Die Abschaffung der originären Alhi hat der Gesetzgeber zur unumgänglichen Sanierung des Bundeshaushalts getroffen und die Alhi für Personen abgeschafft, die bis dahin überhaupt nicht oder nur kurze Zeit als Arbeitnehmer tätig waren (BT-Drucks 14/1523 S 205). Die Eignung und Erforderlichkeit der Regelung zum Erreichen des angestrebten Ziels der Haushaltssanierung steht außer Zweifel. Da der Kläger selbst Beiträge, die einen Anspruch hätten begründen können, nicht geleistet hat und der notwendige Lebensunterhalt – seine Bedürftigkeit unterstelt – durch Sozialhilfe gewährleistet ist, ist der Eingriff auch nicht unverhältnismäßig (BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2).
4.2 Dem Kläger steht Alhi auch nicht auf Grund des im Rechtsstaatsprinzips begründeten Vertrauensschutzes zu. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 3. SGB III-ÄndG am 1. Januar 2000 kann auf Grund der am 1. November 1998 aufgenommenen Referendarausbildung eine “verfestigte Rechtsposition” entstanden sein, die die Erwartung begründete, nach Beendigung der Ausbildung einen Anspruch auf Alhi zu haben (BVerfGE 72, 9, 21 f). Das mag rechtfertigen, die Grundsätze über die sog unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) heranzuziehen. Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist aber unter Berücksichtigung der Schranke des Rechts- und Sozialstaatsprinzips iS des Art 20 GG innerhalb sachlicher Grenzen zulässig, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und dem daraus folgenden Vertrauensschutz ergeben. Bei der Bestimmung dieser Grenzen sind das schutzwürdige Interesse des betroffenen Personenkreises an einem Fortbestand der bisherigen Rechtslage und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen (BSG SozR 3-4100 § 242q Nr 1). Die Abwägung muss im Hinblick auf die unumgängliche Sanierung des Bundeshaushalts, die schwach ausgebildete Rechtstellung des Klägers und die Sicherung seines Lebensunterhalts durch Sozialhilfe im Falle der Bedürftigkeit zu Gunsten der getroffenen Regelung ausfallen. Hier greifen die gleichen Erwägungen ein, die der Senat in seinem Urteil zur Befristung des Anspruchs auf Alhi angestellt hat und die das BVerfG bestätigt hat (BSG SozR 3-4100 § 242q Nr 1; BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2). Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, weiter gehende Übergangsregelungen zu Gunsten derjenigen zu schaffen, die im Zeitpunkt der Rechtsänderung bereits eine Ausbildung im Beamtenverhältnis aufgenommen hatten (vgl dazu: BSGE 85, 161, 176 = SozR 3-5050 § 22 Nr 7; Boecken SGb 2002, 357, 362). Eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie der originären Alhi in ihrem jeweiligen Stand ist nicht anzuerkennen (BVerfGE 39, 302, 314; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 1981, 293 ff). Eine solche Annahme schränkte den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei notwendigen Entscheidungen zur Finanzlage des Bundes in nicht begründbarem Umfang ein (vgl auch Papier SGb 1994, 105 ff; Jaeger SGb 1994, 111).
4.3 Aus im Wesentlichen den gleichen Erwägungen ist auch die Rechtsetzungsgleichheit nach Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt. Im Übrigen hat der Senat bereits in seiner Entscheidung zur zeitlichen Begrenzung des Anspruchs auf originäre Alhi auf die sachlichen Unterschiede gegenüber der Anschluss-Alhi hingewiesen, die sich aus dem engeren Bezug zum Arbeitsmarkt ergeben. Darauf wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen (BSG SozR 3-4100 § 242q Nr 1; zur Ausgestaltung des Sicherungssystems vgl auch: BVerfGE 89, 365, 376 ff).
5. Die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung zu Gunsten des Klägers oder eine Vorlage an das BVerfG (Art 100 GG) sind danach nicht gegeben. Da die Entscheidung des LSG nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NWB 2003, 2374 |
BuW 2004, 210 |
FA 2004, 30 |
NZA 2004, 424 |
SozR 4-4300 § 27, Nr. 1 |
GuS 2003, 62 |