Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld, einkommensabhängig. voraussichtliches Einkommen. Teilzeitarbeit. Geringfügigkeitsgrenze. geringfügige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Anspruch auf Erziehungsgeld in der einkommensabhängigen Bezugszeit bleibt das vom Erziehenden im vorletzten Jahr vor der Geburt des Kindes erzielte Erwerbseinkommen nur bei vollständiger Aufgabe einer Erwerbstätigkeit unberücksichtigt; bei Teilzeit-Erwerbstätigkeit ist das Erwerbseinkommen im vorletzten Jahr voll zu berücksichtigen.
2. Für den Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem Einkommen im aktuellen Jahr bleibt bei Teilzeit-Erwerbstätigkeit das im aktuellen, Jahr erzielte Erwerbseinkommen unberücksichtigt, soweit es das mit der Teilzeit-Erwerbstätigkeit fiktiv zu erzielende Jahreseinkommen übersteigt.
Normenkette
BErzGG § 6 Abs. 4 (Fassung 6.12.1991), Abs. 4, 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.02.1992; Aktenzeichen L 9 Eg 741/90) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 24.01.1990; Aktenzeichen S 13 Eg 1163/89) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Februar 1991 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld (Erzg) nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für die einkommensabhängige Bezugszeit.
Die Klägerin war bis zur Geburt ihres Kindes (am 22. Juni 1988) voll erwerbstätig. Ab dem 1. September 1988, insbesondere während des streitigen Bezugszeitraums vom 7. bis zum 12. Lebensmonat des Kindes (Dezember 1988 bis Mai 1989), übte sie eine Teilzeitarbeit von wöchentlich 8 Stunden aus und bezog hierfür nach ihren Angaben ein Gehalt von 430 DM im Monat. Die beklagte Landeskreditbank lehnte Erzg für die Zeit vom 7. bis zum 12. Lebensmonat ab, da die Einkommensanrechnung nach § 6 BErzGG keinen Zahlbetrag ergebe (Bescheid vom 19. August 1988, Widerspruchsbescheid vom 24. April 1989). Nach den Einkommensteuerbescheiden des Finanzamtes für das vorletzte Kalenderjahr vor der Geburt (historisches Jahr, hier; 1986) und für das Kalenderjahr, in dem der 7. Lebensmonat des Kindes begann (aktuelles Jahr, hier: 1988), bezogen die Klägerin nach Abzug von Werbungskosten, Arbeitnehmer- und Weihnachtsfreibetrag Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 42.256 DM (1986) bzw 24.247 DM (1988) und ihr Ehegatte positive Einkünfte von insgesamt 40.276 DM (1986) bzw 41.305 DM (1988). Das BErzGG erlaubt nach Auffassung der Beklagten die Nichtberücksichtigung des vor der Geburt erzielten Erwerbseinkommens nur im Falle des vollständigen Verzichts auf eine Erwerbstätigkeit; im Falle einer Teilzeitbeschäftigung in den Grenzen des § 2 BErzGG sei eine Nichtberücksichtigung weder für das historische Jahr noch für das aktuelle Jahr zulässig.
Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 24. Januar 1990; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 26. Februar 1991). Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 6 Absätze 3 und 4 BErzGG sowie des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG, das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Erzg über den 6. Lebensmonat hinaus zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin hatte im Sinne der Zurückverweisung Erfolg. Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob auch die Einkommensverhältnisse im Jahre 1988 die Zahlung von Erzg ausschließen, da das LSG keine Feststellungen dazu getroffen hat, inwieweit Erwerbseinkommen der Klägerin im Kalenderjahr 1988 in der Zeit vor der Geburt und in der Zeit nach der Geburt erzielt wurde.
Nach § 4 Abs. 1 BErzGG in der Fassung vom 6. Dezember 1985 (BGBl I 2154) wird Erzg für Kinder, die nach dem 31. Dezember 1987 geboren werden, bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats gewährt. Die späteren Änderungen dieser Vorschrift, zunächst durch Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften (BErzGGÄndG) vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1297) betreffen Kinder, die nach dem 30. Juni 1989 geboren sind, und sind deshalb hier nicht anzuwenden. Nach § 5 BErzGG vom 6. Dezember 1985 (BErzGG 1985), der insoweit unverändert gilt, beträgt das Erzg monatlich 600 DM (Abs. 1) und ist vom Beginn des 7. Lebensmonats an zu mindern, wenn das Einkommen iS des § 6 bei Verheirateten, die von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, 29.400 DM zuzüglich 4.200 DM für jedes weitere zu berücksichtigende Kind übersteigt (Abs. 2), und zwar um den zwölften Teil von 40 vH des die Grenze übersteigenden Einkommens (Abs. 3).
Zur Berücksichtigung des Einkommens des Berechtigten bestimmt § 6 Abs. 3 BErzGG 1985: Ist der Berechtigte in der Zeit, in der das Erzg einkommensabhängig ist, nicht erwerbstätig, bleiben sein im vorletzten Kalenderjahr erzieltes Erwerbseinkommen und die darauf entfallende Einkommen- und Kirchensteuer unberücksichtigt. Für das im aktuellen Kalenderjahr erzielte Einkommen war im BErzGG 1985 keine besondere Regelung getroffen.
Mit Art. 1 Nr. 6 Buchst c BErzGGÄndG vom 30. Juni 1989 wurde in § 6 Abs. 4 nach Satz 1 als Satz 2 eingefügt; „Hierbei ist Abs. 3 entsprechend anzuwenden,” und zwar nach Art. 8 Abs. 1 BErzGGÄndG mit Wirkung vom 1. Juli 1989, so daß er auf die hier streitige Bezugszeit von Dezember 1988 bis Mai 1989 dem reinen Wortlaut nach keine Anwendung finden kann.
Das LSG hat in Anwendung des § 6 BErzGG den Anspruch zunächst nach Maßgabe des im vorletzten Kalenderjahr erzielten Einkommens geprüft mit dem zutreffenden Ergebnis, daß sich auf dieser Grundlage kein Zahlungsanspruch ergibt. Es hat bei der Berechnung nach dem historischen Einkommen zutreffend das von der Klägerin in 1986 erzielte Erwerbseinkommen berücksichtigt. Das BErzGG 1985 unterscheidet zwischen dem Tatbestand keiner Erwerbstätigkeit und dem Tatbestand keiner vollen Erwerbstätigkeit insbesondere in § 1 Abs. 1 Nr. 4 BErzGG mit der Formulierung „keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.” Schon das schließt es aus, in § 6 Abs. 3 die Worte „nicht erwerbstätig” als „nicht oder nicht voll erwerbstätig” zu lesen. Es ist nach Sinn und Zweck der Regelung auch kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, das vor der Geburt erzielte Erwerbseinkommen bei späterer Teilzeitarbeit vollständig unberücksichtigt zu lassen und nicht nur mit dem das Teilzeiteinkommen übersteigenden Betrag. Überdies bestätigen die Gesetzesmaterialien, daß der Gesetzgeber bei der Fassung des § 6 Abs. 3 BErzGG die Teilzeitproblematik nicht übersehen hat. Schon in der Regierungsbegründung zu § 6 heißt es, „war der Berechtigte im vorletzten Kalenderjahr erwerbstätig, dann ist, wenn er während des Erziehungsurlaubs nicht erwerbstätig ist, sein damaliges Erwerbseinkommen nicht zu berücksichtigen,” und, „die Möglichkeit der Aktualisierung steht auch dann zur Verfügung, wenn der Berechtigte im vorletzten Kalenderjahr vor der Antragstellung erwerbstätig war und während des Bezuges von Erziehungsgeld nur noch im verminderten Umfang erwerbstätig ist” (BT-Drucks 10/3792 S 17). Das Gesetz will den Besonderheiten der Teilzeitarbeit nicht bei der Ermittlung des Einkommens im vorletzten Kalenderjahr, sondern nur bei der Ermittlung des aktuellen Einkommens Rechnung tragen. Das schließt in bezug auf das Erwerbseinkommen im historischen Jahr die Annahme einer Gesetzeslücke hinsichtlich einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit von vornherein aus.
Zum Anspruch auf Erzg nach Maßgabe des aktuellen Einkommens schreibt § 6 Abs. 4 BErzGG 1985 vor: „Auf Antrag ist das Einkommen des Kalenderjahres zugrunde zu legen, in dem der 7. Lebensmonat des Kindes beginnt, wenn es voraussichtlich geringer ist als im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt. Für diesen Fall wird das Erzg unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt.” Die späteren Änderungen dieser Vorschrift erfassen nach ihrem zeitlichen Geltungsbereich nicht den hier streitigen Zeitraum von Dezember 1988 bis Mai 1989. Zwar bestimmt § 39 Abs. 2 BErzGG, eingefügt durch Artikel 4 Nr. 8 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte – Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) – vom 23. Juni 1993 (BGBl I 1993, 944), daß für die vor dem 1. Juli 1993 geborenen Kinder ua § 6 BErzGG in der bis zum 30. Juni 1993 geltenden Fassung weiter anzuwenden ist. Nach § 39 BErzGG in der vor dem FKPG geltenden Fassung durch das Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und anderer Gesetze (BSHGuaÄndG) vom 7. Juli 1992 (BGBl I 1992, 1225) sind auf Berechtigte, die Anspruch auf Erzg für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind haben, die Vorschriften des BErzGG in der zuvor geltenden Fassung, mit Ausnahme des § 6 Abs. 4, weiter anzuwenden. Damit soll die Anwendung des § 6 Abs. 4 BErzGG idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften (2. BErzGG-ÄndG) vom 6. Dezember 1991 (BGBl I 1991, 2142) auf vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder für Bezugszeiten ab Anfang 1992 ermöglicht werden (BT-Drucks 12/2705 Seite 8 zu Artikel 4). Eine Rückwirkung auf länger zurückliegende Bezugszeiten war nicht beabsichtigt.
Der in § 6 Abs. 4 BErzGG 1985 angeordnete Vorbehalt der Rückforderung besagt zwar zunächst nur, daß der Anspruch auf Erzg nach Maßgabe des später im Steuerbescheid ausgewiesenen Einkommens maßgebend ist, wenn dieses höher ist als das voraussichtliche Einkommen. Der Anspruch auf Erzg ist aber auch dann nach dem steuerlichen Einkommen endgültig festzusetzen, wenn dieses geringer ist als das voraussichtliche Einkommen, so daß eine Nachzahlung stattzufinden hätte (vgl. hierzu BSG Urteil vom 10. August 1993 – 14b/4 REg 3/91 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), was der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 10/3792 S 17), der überwiegenden Meinung (Wiegand, BErzGG, § 6 Rdnr 33; Grüner/Dalichau, BErzGG, Anm. I; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl. § 6 BErzGG Rdnr 21) und der Verwaltungspraxis entspricht (Dienstanweisung der Bundesanstalt für Arbeit zum BErzGG – BA RdErl 10/85 Nr. 6, 16; Bundesministerium für Familie und Senioren, Richtlinien zur Durchführung des BErzGG, nicht veröffentlicht, Stand 1. Juli 1992 ≪RL-BErzGG≫, zu § 6, Nr. 3.4 Seite 64). Demgemäß beurteilt sich ein Anspruch auf ErzG unter Zugrundelegung des aktuellen Einkommens dann nicht mehr nach dem bei Antragstellung voraussichtlichen Einkommen, wenn nachträglich eine endgültige Steuerfestsetzung erfolgt. Dann ist über das Erzg sogleich endgültig ohne Vorbehalt nach Maßgabe des steuerlichen Einkommens zu entscheiden, wie vom LSG zutreffend ausgeführt.
Das LSG hat bedenkenfrei und von der Revision unangegriffen angenommen, auch bei der Berechnung des im aktuellen Kalenderjahr erzielten Einkommens sei das vor der Geburt des Kindes erzielte Erwerbseinkommen des Berechtigten in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 3 BErzGG jedenfalls dann unberücksichtigt zu lassen, wenn der Berechtigte zu Beginn des 7. Kalendermonats nach der Geburt überhaupt keine Erwerbstätigkeit ausübe. Hätte der Gesetzgeber mit der im BErzGGÄndG getroffenen Regelung, daß die entsprechende Anwendung des Abs. 3 im Rahmen des Abs. 4 erst ab dem 1. Juli 1989 gelten soll, in der Tat für die vorangehende Zeit eine entsprechende Anwendung ausschließen wollen, so hätte das einen Niederschlag in den Gesetzesmaterialien gefunden.
Das LSG hat es abgelehnt, bei der gebotenen entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 3 im Rahmen des § 6 Abs. 4 BErzGG das vor der Geburt erzielte Erwerbseinkommen bei Teilzeit-Erwerbstätigkeit des Erziehenden nur nach Maßgabe des Teilzeiteinkommens anzurechnen. Das LSG hat hierzu nicht verkannt, daß die Lage der Geburt in der ersten oder in der zweiten Hälfte eines Jahres hinsichtlich der Berechnung des historischen Einkommens ohne Auswirkung bleibt, da immer das vorletzte Jahr vor der Geburt maßgebend ist, daß aber bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung die Lage der Geburt hinsichtlich der Berechnung des aktuellen Einkommens darüber entscheidet, ob das vor der Geburt erzielte Erwerbseinkommen, soweit es das nach der Geburt erzielte Teilzeit-Erwerbseinkommen übersteigt, anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist. Nach Auffassung des LSG ist bei Geburten in der ersten Jahreshälfte das vor der Geburt erzielte Einkommen voll zu berücksichtigen, wahrend bei Geburten in der zweiten Jahreshälfte das Folgejahr maßgebend wird, was nur die Berücksichtigung des nach der Geburt erzielten Teilzeiteinkommens zuläßt. Das führt nach Auffassung des LSG, bezogen auf den vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß die Klägerin bei der tatsächlich am 22. Juni 1988 erfolgten Geburt kein Erzg erhält, aber bei sonst unverändertem Sachverhalt Erzg in voller Höhe von 600 DM monatlich für sechs Monate erhalten würde, wenn ihr Kind 10 Tage später am 1. Juli 1988 zur Welt gekommen wäre.
Der Annahme des LSG, der Gesetzgeber habe die insoweit auftretenden Härten gesehen und aus Gründen der Typisierung im Interesse einer Verwaltungsvereinfachung in Kauf genommen, vermag der Senat nicht zu folgen. Das Gesetz enthält vielmehr zur Berechnung nach Maßgabe des Einkommens im aktuellen Jahr hinsichtlich des bei Teilzeitarbeit anzurechnenden Erwerbseinkommens eine Lücke. Der Gesetzgeber hat zwar zum Erwerbseinkommen im historischen Jahr sowohl an den vollständigen Verzicht des Erziehenden auf eine Erwerbstätigkeit als auch an eine zulässige Teilzeitarbeit gedacht. Letzteres belegt der Hinweis in den Gesetzesmaterialien, daß bei Teilzeitarbeit das aktuelle Jahr zugrunde zu legen sei. Der Gesetzgeber hat gleichwohl bei der für das aktuelle Jahr getroffenen Regelung zunächst (beim BErzGG 1985) beide Tatbestände übersehen. Das ist für die vollständige Aufgabe einer Erwerbstätigkeit mit Rücksicht auf die späteren Rechtsänderungen zweifelsfrei. Unter diesen Umständen kann der zum historischen Einkommen erfolgte Hinweis auf eine Teilzeitarbeit nur dahin verstanden werden, daß die Teilzeitproblematik durch Heranziehung der aktuellen Einkommensverhältnisse einer gerechten Lösung zugeführt werde, wobei Vorstellungen über den genauen Inhalt dieser Lösung fehlten. Hätte der Gesetzgeber gewollt, daß jede Gelegenheits- oder Teilzeitarbeit bei der Berechnung nach dem Einkommen im aktuellen Jahr zur vollen Berücksichtigung des im aktuellen Jahr vor der Geburt erzielten Erwerbseinkommens führen soll, und hätte er die insoweit verstärkt auftretenden Zufallsergebnisse in Kauf nehmen wollen, so hätte das einen Niederschlag in den Gesetzesmaterialien gefunden. Da das zur Lösung als Maßstab heranzuziehende Erwerbseinkommen aus der Teilzeitarbeit nur im aktuellen Jahr anfällt, kann dessen Höhe in der Tat eher auf das aktuelle Einkommen als auf das historische Einkommen bezogen werden.
In der Verwaltungspraxis ist schon unmittelbar nach Inkrafttreten des BErzGG erkannt worden, daß die Regelung über die Anrechnung von Erwerbseinkommen insbesondere bei bloßen Gelegenheitstätigkeiten zu ungewollten Härten führt und als lückenhaft anzusehen ist. Nach dem Gesetzeswortlaut kann auch eine völlig unbedeutende Erwerbstätigkeit, im Extremfall für eine einzige Stunde oder gar mit einem Erwerbseinkommen von nur 1,00 DM, die in den 6 Monaten nach Beginn des 7. Lebensmonats ausgeübt wird, zum vollständigen Wegfall des Anspruchs führen. Denn hinsichtlich des vollständigen Fehlens einer Erwerbstätigkeit stellt das Gesetz in Durchbrechung des in § 5 Abs. 1 Satz 3 BErzGG festgelegten Grundsatzes, daß die Verhältnisse zu Beginn des 7. Lebensmonats maßgebend sind, auf die gesamte Dauer des einkommensabhängigen Erzg-Bezuges ab (SozR 3-7833 § 6 Nr. 1). Nach § 6 Abs. 3 ist der Anspruch auf Erzg nur dann ohne Berücksichtigung des Erwerbseinkommens zu berechnen, „wenn der Berechtigte in der Zeit, in der das Erzg einkommensabhängig ist,” nicht erwerbstätig ist. Eine kurzfristige Erwerbstätigkeit kann also zum nachträglichen Wegfall des Anspruchs auf einkommensabhängiges Erzg für die Zeit vorher führen, und eine Aufgabe der Erwerbstätigkeit kann den Anspruch für die Restzeit der 6 Monate nicht begründen (Wiegand, BErzGG, § 6 Rz 30). Um dieses unbillige Ergebnis zu vermeiden, hat die Verwaltungspraxis stets ein völlig unbedeutendes Erwerbseinkommen unberücksichtigt gelassen (BA RdErl 10/86 DA 6.3; nunmehr RL-BErzGG zu § 6 Nr. 5 Seite 67).
Die insoweit von der Verwaltung zu Recht angenommene Gesetzeslücke ist indes auf der Grundlage der im BErzGG getroffenen Wertungen – abweichend von der angeführten Verwaltungsübung – dahin zu schließen, daß für die im aktuellen Jahr nach der Geburt verrichtete Teilzeitarbeit das mutmaßliche Jahreseinkommen ermittelt wird, bei Saisonarbeiten wie etwa der Mithilfe bei der Jahresinventur also das nach den Umständen im Jahr zu erwartende Einkommen, und dieses fiktive Jahreseinkommen bildet die Obergrenze, bis zu der das im aktuellen Jahr erzielte steuerliche Erwerbseinkommen anzurechnen ist. Der Gesetzgeber hat in der Ausgestaltung des § 5 BErzGG durch gleitende Übergänge vermieden, daß eine geringfügige Überschreitung der Einkommensgrenze den gesamten Anspruch auf Erzg ausschließt. Ihm war bewußt, daß eine starre Einkommensgrenze zwar verwaltungsmäßig leichter zu handhaben ist, aber zu der Unbilligkeit führen kann, daß eine Erhöhung des Bruttoeinkommens eine Senkung des Nettoeinkommens bewirkt. Eine solche „Brutto-Netto-Umkehrung” wurde bei der Beratung späterer Änderungen des BErzGG im Bundestag unwidersprochen als unbillig bezeichnet (vgl. Stenographischer Bericht, Deutscher Bundestag, 11. Wahlperiode, 150. Sitzung S 11260 B, Abgeordneter Eimer ≪Fürth≫ und entsprechend 12. Wahlperiode, 50. Sitzung S 4103 C, ebenfalls Abgeordneter Eimer). Wenn der Gesetzgeber gleichwohl bewußt die vom LSG zutreffend herausgestellten Zufallsergebnisse hätte in Kauf nehmen wollen, so wäre das in den Gesetzesmaterialien angesprochen.
Die Berücksichtigung des vor der Geburt erzielten Erwerbseinkommens bis zur Höhe des Einkommens aus der Teilzeitarbeit entspricht der Wertung des Gesetzgebers, daß ein vor der Geburt erzieltes Erwerbseinkommen, das nach der Geburt nicht mehr erzielt wird, unberücksichtigt bleibt, und vermeidet zugleich die Brutto-Netto-Umkehrung. Denn dann kann nur ein das Erzg übersteigendes Teilzeiteinkommen den vollständigen Wegfall des Erzg bewirken. Sie ist deswegen der von der Verwaltung vorgenommenen Lückenfüllung vorzuziehen.
Die Verwaltung läßt das Erwerbseinkommen des Erziehenden bei einer unbedeutenden Tätigkeit vollständig, also nicht nur nach dem Maßstab des Teilzeiteinkommens, unberücksichtigt. Dabei war zunächst an ein Einkommen weit unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze gedacht (BA RdErl 10/86 DA 6.3). Nunmehr kann nach der Verwaltungspraxis, wenn diese den RL-BErzGG folgt, das Erwerbseinkommen auch bei einem weit höheren Teilzeiteinkommen unberücksichtigt bleiben: Wird während des Erzg-Bezuges eine Teilzeittätigkeit mit einem Verdienst von nicht mehr als 520,00 DM monatlich ausgeübt und versteuert der Arbeitgeber diesen Lohn gemäß § 40 a Einkommensteuergesetz (EStG) pauschal, so ist nach den RL-BErzGG (zu § 6 Nr. 5 Seite 67) bei Aktualisierung kein Erwerbseinkommen der Erziehungsberechtigten bei der Bestimmung des maßgebenden Einkommens anzusetzen. Nach § 40 Abs. 3 EStG (idF vom 27. Februar 1987) bleiben der pauschal besteuerte Arbeitslohn und die pauschale Lohnsteuer bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer außer Ansatz, Eine pauschale Versteuerung war nach § 40 a Abs. 1 EStG zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber laufend beschäftigt wird, die Tätigkeit jedoch während der Beschäftigungsdauer 20 Stunden und der Arbeitslohn 120 Deutsche Mark wöchentlich nicht übersteigt. Das war nach den Angaben der Klägerin der Fall. Ihr Teilzeiteinkommen von 430,00 DM monatlich überstieg nicht die Obergrenze von 120,00 DM wöchentlich (= 520,00 DM monatlich).
Die von der Verwaltung vorgenommene Lückenfüllung verschiebt indes nur die vom Gesetzeswortlaut auf 0,00 DM festgelegte Grenze auf 520,00 DM, ohne etwas daran zu ändern, daß letztlich 1,00 DM zum Wegfall des gesamten Anspruchs führen kann. Überdies schafft diese Lückenfüllung neue Ungerechtigkeiten, da der Erziehende regelmäßig keinen Einfluß darauf hat, ob sein Teilzeiteinkommen pauschal versteuert wird. Auch steht die Voraussetzung, daß eine Pauschalversteuerung tatsächlich vorgenommen wurde, mit dem Umfang der ausgeübten Teil-Erwerbstätigkeit in keinem Zusammenhang. Der Senat hat erwogen, statt auf die Pauschalversteuerung auf die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze zurückzugreifen. Denn das von der Klägerin erzielte Teilzeiteinkommen von 430,00 DM monatlich lag unter der Geringfügigkeitsgrenze, die für 1988 monatlich 440,00 DM betrug (vgl. § 8 SGB Viertes Buch iVm § 2 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 1988 – Sozialversicherungs-Bezugsgrößenverordnung 1988 – vom 7. Dezember 1987 ≪BGBl I 1987, 2530≫). Der Senat sieht jedoch sowohl den Rückgriff auf die Pauschalversteuerung als auch den auf die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze als gesetzwidrig an. Der Begriff der Erwerbstätigkeit in § 6 Abs. 3 BErzGG setzt nicht voraus, daß ein sozialversicherungspflichtiges Entgelt oder der Einkommensteuer-Veranlagung unterliegende Einnahmen (vgl. § 40 Abs. 3 EStG) erzielt werden. Eine solche Lückenfüllung mildert nicht die mit der Forderung einer vollständigen Aufgabe der Erwerbstätigkeit verbundenen Härten, sondern verstärkt diese noch. Denn beim Unterschreiten der Grenze bleiben nicht nur das vorgeburtliche Ewerbseinkommen, sondern auch die Teilzeitbezüge selbst unberücksichtigt, Demgegenüber führt eine Anrechnung des im aktuellen Jahr erzielten Erwerbseinkommens mit dem Einkommen als Obergrenze, das mit der in der einkommensabhängigen Bezugszeit aufgenommenen Teilzeitarbeit mutmaßlich im Jahr zu verdienen ist, zu gleitenden Übergängen, vermeidet also eine Brutto-Netto-Umkehrung und macht eine kasuistische Rechtsprechung zum „unbedeutenden Erwerbseinkommen” entbehrlich.
Der Verwaltungsaufwand hinsichtlich der Berechnung von Einkommen und anteiliger Steuer geht nur geringfügig über den Aufwand hinaus, der bei einer vollständigen Aufgabe der Erwerbsarbeit entsteht. Er ist geringer als der Aufwand bei der Ermittlung des historischen Einkommens, wenn einer oder beide Eheleute im vorletzten Jahr vor der Geburt noch anderweitig verheiratet war bzw waren. Denn in einem solchen Fall kann das Einkommen auch nicht unmittelbar dem Steuerbescheid entnommen werden. Das Einkommen der nunmehr verheirateten Ehegatten ist vielmehr aus zwei Steuerbescheiden unter anteiliger Verteilung der Steuerlast herauszurechnen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber den Rückgriff auf das vorletzte Kalenderjahr vor der Geburt auch für den Fall zugelassen, daß die Eheleute damals noch anderweitig gemeinsam veranlagt wurden. Mit der Höhe des Verwaltungsaufwands kann die Annahme, der Gesetzgeber habe für den Fall der Teilzeitarbeit stillschweigend eine Brutto-Netto-Umkehrung in Kauf genommen, nicht begründet werden.
Auch die späteren Änderungen des § 6 BErzGG in der hier anzuwendenden vor dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung schließen die angeführte ergänzende Auslegung nicht aus. Sie bestätigen vielmehr, daß in Abs. 4 der Fall des vollen oder teilweisen Verzichts auf Erwerbstätigkeit zunächst versehentlich gar nicht geregelt war. Die dann später getroffenen Regelungen lassen auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, daß der Gesetzgeber für den Fall der Teilzeitarbeit das vor der Geburt erzielte Erwerbseinkommen voll berücksichtigen und damit die vom LSG aufgezeigten Zufallsergebnisse in Kauf nehmen wollte. Damit entfällt die Frage, mit welchem Ergebnis ein solcher Wille bei der Auslegung des zuvor geltenden Rechts zu berücksichtigen wäre.
Die mit Wirkung vom 1. Juli 1989 durch Gesetz vom 30. Juni 1989 erfolgte Einfügung von Satz 2 in § 6 Abs. 4 BErzGG, wonach Abs. 3 entsprechend, also nicht unverändert, für das aktuelle Jahr gilt, läßt eine Auslegung im Sinne einer begrenzten Anrechnung bei Teilzeitarbeit zu. Durch das 2. BErzGG-ÄndG wurde die Regelung in § 6 Abs. 3 wie folgt gefaßt: (3) Ist der Berechtigte in der Zeit, in der das Erzg einkommensabhängig ist, nicht erwerbstätig, bleibt sein vor oder nach dieser Zeit erzieltes Erwerbseinkommen und die darauf entfallende Einkommen- und Kirchensteuer unberücksichtigt. In § 6 Abs. 4 entfiel die in Satz 2 ausgesprochene Verweisung auf Abs. 3. Beide Regelungen, die frühere Verweisung auf Abs. 3 und die Neufassung des Abs. 3, sollen für den vollständigen Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Nichtberücksichtigung des aktuellen Erwerbseinkommens vorschreiben (BT-Drucks 11/4687 S 7 und 12/1495 S 21). Dem Gesetz und den Gesetzesmaterialien ist jedoch kein Anhalt dafür zu entnehmen, daß der Gesetzgeber hierbei an die Teilzeitproblematik gedacht hat. Das gilt entsprechend für die im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands –Einigungsvertrag– vom 31. August 1990 (BGBl II 1990, 889) in Anlage I Kap X H III enthaltene Maßgabe zum BErzGG, wonach bei der Berechnung des Einkommens abweichend von § 6 Abs. 1 Satz 1 BErzGG für die in den Jahren 1991 und 1992 geborenen Kinder das voraussichtliche Einkommen des Jahres zugrundegelegt wird, in dem das Kind geboren ist; zur Berechnung des Einkommens hat der Antragsteller die monatlichen Einkünfte seines Ehegatten und, falls er in der Zeit, in der das Erzg einkommensabhängig ist, „erwerbstätig ist”, seine eigenen monatlichen Einkünfte glaubhaft zu machen.
Soweit die Klägerin das aktuelle Erwerbseinkommen bei zulässiger Teilzeitarbeit nicht nur mit dem das Teilzeiteinkommen übersteigenden Betrag sondern vollständig unberücksichtigt lassen will, haben dies beide Vorinstanzen zu Recht als zu weitgehend abgelehnt. Insoweit kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß ihre Teilzeitbezüge pauschal versteuert wurden, und daß die Verwaltungspraxis den RL-BErzGG folgend in einem solchen Fall das Erwerbseinkommen vollständig unberücksichtigt läßt. Denn eine solche Verwaltungsübung wäre rechtswidrig, wie ausgeführt, und eine rechtswidrige Verwaltungsübung kann, von möglichen Ausnahmen bei einer in Kenntnis der Rechtsprechung fortgesetzten Übung abgesehen, einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht begründen.
Das LSG hat aufgrund der Rechtsauffassung, daß das für 1988 im Steuerbescheid ausgewiesene Erwerbseinkommen voll zu berücksichtigen sei, folgerichtig lediglich die Angabe der Klägerin unterstellt, sie habe mit der Teilzeitbeschäftigung monatlich 430,00 DM verdient, ohne Feststellungen dazu, ob dies zutrifft.
Die Klägerin hätte mit der behaupteten Teilzeitarbeit im Jahr (12 × 430,00 =) 5.160,00 DM verdient. Anhaltspunkte dafür, daß die Arbeit im Verlauf eines Jahres nur in bestimmten Monaten ausgeübt werden sollte (Saisonarbeit), liegen nicht vor. Zur Bildung der Obergrenze ist dabei das Teilzeiteinkommen auch dann heranzuziehen, wenn es wegen Pauschalversteuerung nicht im steuerpflichtigen Einkommen enthalten ist.
Wird das von der Klägerin im Kalenderjahr 1988 erzielte steuerliche Erwerbseinkommen nur bis zu dieser Obergrenze berücksichtigt, und bleibt der überschießende Betrag und die hierauf entfallende Steuer und Kirchensteuer unberücksichtigt, so verbleibt ein Anspruch auf Erzg. Der Rechtsstreit war daher an das LSG zurückzuverweisen, das in der abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 927588 |
BSGE, 47 |