Leitsatz (amtlich)
Der Bezug des besonderen Knappschaftsruhegeldes nach RKG § 4, Abs 1 Nr 2 bewirkt keine Versicherungsfreiheit nach RVO § 1229 Abs 1 Nr 1 für eine Beschäftigung in außerknappschaftlichen Betrieben.
Normenkette
RVO § 1229 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RKG § 48 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revisionen der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Juni 1965 werden zurückgewiesen.
Die Beklagten haben dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu gleichen Teilen zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Wirksamkeit von Beiträgen des Klägers zur Rentenversicherung der Arbeiter (ArV) in der Zeit von März 1959 bis Februar 1962.
Dem im Jahre 1899 geborenen Kläger, der bis dahin die Knappschaftsrente alten Rechts bezogen hatte, bewilligte die beklagte Knappschaft vom 1. März 1959 an das besondere Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Er war schon im Jahre 1950 aus der knappschaftlich versicherten Tätigkeit ausgeschieden und vom 30. Juli 1951 bis zum 29. März 1962 außerhalb des Bergbaus als Hilfsarbeiter beschäftigt; während dieser Zeit wurden Beiträge zur ArV entrichtet. Nachdem Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden war, bewilligte ihm die Knappschaft auf seinen Antrag hin die Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung (knRV) und der ArV zunächst durch Bescheid vom 23. Juli 1963 mit Wirkung vom 21. Juni 1962 an und dann durch Bescheid vom 24. Oktober 1963 mit Wirkung bereits vom 1. März 1962 an. Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte sie außer den knappschaftlichen Beiträgen nur die bis zum 28. Februar 1959 zur ArV entrichteten Beiträge. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. In diesem Bescheid wurden die für die Zeit nach dem 28. Februar 1959 entrichteten Beiträge mit der Begründung beanstandet, der Kläger sei seit Beginn des Knappschaftsruhegeldes versicherungsfrei gewesen.
Das Sozialgericht (SG) Gießen hat die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen (jetzt Beklagte zu 2) zum Verfahren beigeladen. Es hat die Beklagte zu 1), die ausdrücklich an der von ihr bereits in dem Widerspruchsbescheid ausgesprochenen Beanstandung festhielt, verurteilt, diese von ihr beanstandeten Beiträge bei Festsetzung der Gesamtleistung zu berücksichtigen.
Gegen dieses Urteil haben die Knappschaft und die LVA Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) der Kreise O und U (jetzt Beklagte zu 3) beigeladen; die AOK hatte zuvor dem Kläger unter Rechtsmittelbelehrung mitgeteilt, seine vom 1. März 1959 an zu Unrecht entrichteten Beiträge bedürften der Beanstandung bzw. der Rückzahlung durch den Rentenversicherungsträger. Die beklagte LVA hat während des Berufungsverfahrens durch Bescheid vom 24. März 1965 diese Beiträge als rechtsunwirksam beanstandet. Der Kläger hat gegen beide Bescheide erfolglos Widerspruch eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG beschränkte der Kläger den Klageantrag auf die Beitragszeit bis zum 28. Februar 1962. Ferner beantragte er, die Beanstandungsbescheide und Widerspruchsbescheide der LVA und den AOK aufzuheben. Das LSG hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß bei Festsetzung der Rente nur die bis zum 28. Februar 1962 entrichteten Beiträge zu berücksichtigen sind; es hat ferner die vorgenannten Bescheide und Widerspruchsbescheide der nunmehr auch im Urteilskopf als Beklagte bezeichneten bisherigen Beigeladenen aufgehoben. Ebenso wie das SG hält es den Kläger in der streitigen Zeit nicht wegen des Bezuges des Knappschaftsruhegeldes nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG für versicherungsfrei. Die Auffassung, nach § 1229 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei auch der Bezieher eines solchen Ruhegeldes versicherungsfrei, werde dem Sinn und Zweck dieser besonderen knappschaftlichen Leistung, die wegen der besonderen Härte, Schwere und Gefährlichkeit der Untertagearbeit gewährt werde, nicht gerecht. Für diese Rente dürften nur knappschaftliche Versicherungszeiten auf die Wartezeit angerechnet und bei der Feststellung berücksichtigt werden. Sie setze ferner voraus, daß der Versicherte die Arbeit in einem knappschaftlichen Betrieb aufgegeben habe, während eine Beschäftigung außerhalb des Bergbaus, anders als bei den sonstigen vorgezogenen Ruhegeldern (§ 1248 Abs. 2, 3 RVO, § 25 Abs. 2, 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -, § 48 Abs. 2, 3 RKG) keine Auswirkungen auf das Ruhegeld habe. Das besondere Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG sei seiner Natur nach nicht so sehr ein Altersruhegeld, sondern eher eine weitere Stufe der Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres, die wegen einer gewissermaßen vermuteten, typisch bergmännischen verminderten Erwerbsfähigkeit gewährt werde. Die aufgeführten Umstände rechtfertigten es, daß Versicherungszeiten, die nach Bewilligung der Leistung außerhalb knappschaftlicher Betriebe zurückgelegt werden, sowohl für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wie für das "echte" Ruhegeld berücksichtigt würden. Die nach dem 28. Februar 1959 entrichteten Beiträge seien hiernach zu Unrecht beanstandet worden; sie müßten bei der Feststellung der Erwerbsunfähigkeitsrente berücksichtigt werden. Demgemäß seien die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) zurückzuweisen und gleichzeitig die Beanstandungs- und Widerspruchsbescheide der Beklagten zu 2) und 3) aufzuheben. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben alle drei Beklagten Revision eingelegt. Sie rügen übereinstimmend die Verletzung des § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO; nach dieser Vorschrift sei der Kläger während des streitigen Zeitraums versicherungsfrei gewesen. Das RKG kenne, so führt die Beklagte zu 1) aus, als Alterssicherung nur eine Leistung, das Knappschaftsruhegeld. Bei dem vorzeitigen Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG und dem Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres handele es sich nicht um zwei verschiedene Renten. Mit der Feststellung eines der in § 48 RKG vorgesehenen Ruhegelder sei das Versicherungsverhältnis abgeschlossen; der Bezieher sei nach § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherungsfrei. Bei dem insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift sei für die vom Berufungsgericht gefundene Auslegung kein Raum. Die gleiche Auffassung wird von den Beklagten zu 2) und 3) vertreten.
Die Beklagten beantragen inhaltlich übereinstimmend,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. Januar 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig. Er weist darauf hin, daß der Empfänger des besonderen Knappschaftsruhegeldes nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG ebenso wie der Bezieher einer Bergmannsrente nur eine Leistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung, aber noch keine Leistung aus Versicherungszeiten in den anderen Rentenversicherungszweigen erhalte. Dadurch unterscheide sich dieses Knappschaftsruhegeld von den anderen Ruhegeldern, in denen eine Gesamtleistung aus allen Rentenversicherungszweigen gewährt werde. Daher sei hier auch nicht die Auffassung gerechtfertigt, daß das Versicherungsverhältnis in allen Zweigen der Rentenversicherung abgeschlossen sei und daher Versicherungsfreiheit auch außerhalb der knappschaftlichen Versicherung bestehen müsse. Die Gewährung des besonderen Knappschaftsruhegeldes würde sonst ihren Zweck nicht erfüllen, sondern dem Bergmann Nachteile bringen.
II
Die Revision der beklagten Versicherungsträger ist nicht begründet.
Das LSG hat zutreffend erkannt, daß die während der streitigen Zeit zur ArV entrichteten Beiträge des Klägers bei der Feststellung der Gesamtleistung zu berücksichtigen sind. Diese Beiträge sind im Sinne von § 1250 Abs. 1 a RVO wirksam, d. h. zu Recht auf Grund von Versicherungspflicht entrichtet worden; der Kläger war zu dieser Zeit nicht nach § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherungsfrei. Nach dieser Vorschrift sind Personen, die ein Altersruhegeld aus der ArV, der AV oder der knRV beziehen, versicherungsfrei vom Rentenbeginn an. Da der Kläger während der hier streitigen Zeit das Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG bezogen hat, kommt es also darauf an, ob es sich bei dieser Leistung um ein Altersruhegeld im Sinne der genannten Vorschrift handelt.
Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob auch die vorzeitigen Altersruhegelder nach § 1248 Abs. 2 und 3 RVO und die entsprechenden Ruhegelder der AV und knRV Altersruhegelder in diesem Sinne sind (verneinend: Jantz/Zweng, Rentenversicherung, 2. Aufl. Anm. II 1 Abs. 2 zu § 1229; bejahend: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. III S. 624 d mit weiteren Nachweisen), ist hierfür nicht von entscheidender Bedeutung. Die verneinende Auffassung wird nämlich damit begründet, diese Ruhegelder setzten ja voraus, daß keine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wird, und somit komme eine Versicherungspflicht für die Bezieher ohnehin praktisch nicht in Betracht. Dieses Argument paßt aber gerade nicht auf das besondere Knappschaftsruhegeld, das eine an sich versicherungspflichtige Beschäftigung in außerknappschaftlichen Betrieben gestattet.
Man wird den Begriff "Altersruhegeld" in § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO dahin einschränkend auslegen müssen, daß damit die in der RVO selbst (§ 1248) aufgeführten Ruhegelder der ArV und die diesen "entsprechenden" Ruhegelder der AV und der KnRV gemeint sind (s. Verbands-Kommentar Anm. 3 zu § 1229 RVO). Für die hiernach erforderliche Abgrenzung muß man auf Sinn und Zweck der auszulegenden Vorschrift zurückgehen. Der Sinn der Versicherungsfreiheit liegt darin, daß mit der Gewährung des Altersruhegeldes, also nach Eintritt des höchsten Versicherungsfalls, das Versicherungsverhältnis für den Versicherten regelmäßig seinen endgültigen Abschluß gefunden hat (vgl. BSG 18, 212, 213); daraus ergibt sich die "Sperrwirkung für weitere Beiträge" (BSG 20, 48, 50). Die Besonderheit des Knappschaftsruhegeldes nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG, durch die es sich in dieser Hinsicht wesentlich von den Altersruhegeldern der RVO und den "entsprechenden" Ruhegeldern der AV und des RKG unterscheidet, liegt nur darin, daß es in jeder Beziehung ausschließlich auf den Bereich der knRV beschränkt ist. Zunächst handelt es sich dabei um eine besondere, nur in der knRV vorkommende Leistung, während die anderen Versicherungsfälle, die zum Ruhegeldbezug berechtigen, gleichlautend in allen Rentenversicherungszweigen geregelt sind, so daß der Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalls bei Wanderversicherten gleichzeitig auch für die anderen Zweige gilt. Auf die Wartezeit für das besondere Knappschaftsruhegeld dürfen nach § 100 Abs. 1 RKG nur knappschaftliche Versicherungszeiten angerechnet werden, während bei den anderen Ruhegeldern zum gleichen Zweck alle Versicherungszeiten zusammengerechnet werden. Dementsprechend werden diese Ruhegelder auch als Gesamtleistung aus allen Versicherungszweigen gewährt, während das besondere Knappschaftsruhegeld nur aus der knRV gewährt wird. Während schließlich bei anderen vorgezogenen Ruhegeldern vorausgesetzt wird, daß allgemein keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr ausgeübt wird, gilt das bei dem besonderen Knappschaftsruhegeld nur für eine Beschäftigung in knappschaftlichen Betrieben; dagegen hat eine sonstige versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit auf diese Leistung keine Auswirkung. Diese Regelung entspricht der besonderen Personallage im Bergbau, der stets Schwierigkeiten hatte, ältere bergfertige Bergleute in Beschäftigungen über Tage unterzubringen; es soll daher deren Absicht begünstigt werden, eine Beschäftigung außerhalb des Bergbaus aufzunehmen.
Die isolierte Stellung, die hiernach das besondere Knappschaftsruhegeld innerhalb des sonst einheitlichen Systems der gesetzlichen Altersrenten einnimmt, läßt es nicht zu, mit seiner Gewährung bereits das Versicherungsleben des Berechtigten mit Wirkung für alle Versicherungszweige als endgültig abgeschlossen anzusehen. Solange nicht aus einem auch in den anderen Versicherungszweigen maßgeblichen Versicherungsfall die höchste Leistung gewährt wird, kann vielmehr nur das knappschaftliche Versicherungsverhältnis eines solchen Ruhegeldempfängers als endgültig abgeschlossen gelten. Das entspricht auch allein der Interessenlage. Die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen verliert nur dann ihren Sinn, wenn der höchste Versicherungsfall bereits eingetreten ist und weitere Versicherungszeiten daher nicht mehr bei Versichertenrenten angerechnet werden können. Der Empfänger des reinen Knappschaftsruhegeldes hat aber noch alle in den anderen Versicherungszweigen möglichen Versicherungsfälle vor sich, bei deren Eintritt seine inzwischen zurückgelegten Versicherungszeiten auf die danach zu gewährenden Leistungen angerechnet werden können. Dem stehen auch keine berechtigten Interessen der außerknappschaftlichen Versicherungsträger entgegen. Der Umstand, daß ein in ihrem Versicherungsbereich Beschäftigter bereits das besondere Knappschaftsruhegeld bezieht, ist für sie ohne wesentliche Bedeutung. Es ist daher kein Grund dafür ersichtlich, den Empfänger dieser knappschaftlichen Sonderleistung auch in den außerknappschaftlichen Rentenversicherungen versicherungsfrei zu stellen.
Hiernach kann festgestellt werden, daß das besondere Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG, wenn es auch - entgegen der Auffassung des LSG - im Rahmen der knappschaftlichen Leistungen ein echtes Ruhegeld darstellt, nicht den in der RVO vorgesehenen Ruhegeldern "entspricht". Man kann weiter davon ausgehen, daß der Gesetzgeber bei der Fassung des § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO nur die der Regelung in diesem Gesetz entsprechenden Altersruhegelder im Auge gehabt hat. Bei dem besonderen Knappschaftsruhegeld handelt es sich nämlich um eine auch in der knRV neuartige Leistung, die erst durch das Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG), das zudem jüngeren Datums als das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) ist, eingeführt worden ist. Unter diesen Umständen ist eine Auslegung des § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO dahin statthaft und geboten, daß das besondere Knappschaftsruhegeld nicht zu den dort angesprochenen Altersruhegeldern gehört.
Die Beanstandungen der in der streitigen Zeit entrichteten Beiträge durch die Beklagten zu 1) bis 3) sind daher zu Unrecht erfolgt; diese Beiträge sind bei Feststellung der Gesamtleistung zu berücksichtigen.
Die Revisionen der Beklagten waren daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen