Entscheidungsstichwort (Thema)
Brautversorgung. Mittelbarer wirtschaftlicher Schaden
Leitsatz (redaktionell)
Ein "wirtschaftlicher Schaden" für die hinterbliebene Braut (als eine der Voraussetzungen der Brautversorgung) kann auch dadurch entstehen, daß der Tod des Verlobten zu einem psychischen oder physischen Schaden geführt hat und deshalb zB ein Ausbildungs- oder Berufsweg nicht begonnen oder nicht planmäßig weitergeführt werden kann.
Normenkette
BVG § 89 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. April 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin war mit dem am 18. Oktober 1941 gefallenen Peter Sch (S.) seit Weihnachten 1940 verlobt. Sie war von März bis Dezember 1941 als Näherin, 1952 und von Januar 1962 bis August 1967 mit kürzeren Unterbrechungen als Haushälterin, Wirtschafterin, Küchenhilfe und Hausangestellte berufstätig. Vorher und dazwischen arbeitete sie im elterlichen Haushalt. Seit September 1967 erhält sie Erwerbsunfähigkeitsrente.
Im Oktober 1968 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenversorgung im Wege des Härteausgleichs. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 1968 im Hinblick auf den Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 11. Juli 1966 ab, weil aus der Verbindung der Klägerin mit S. kein Kind hervorgegangen sei. Der Widerspruch wurde unter Berücksichtigung des Rundschreibens des BMA vom 21. Oktober 1968 zurückgewiesen (Bescheid vom 4. März 1970), weil die Klägerin anläßlich der Verlobung weder einen Beruf aufgegeben noch Vermögensaufwendungen anderer Art gemacht habe, die die Annahme einer besonderen Härte rechtfertigen könnten.
Das Sozialgericht (SG) wies die hiergegen erhobene Klage mit der Begründung ab, die Klägerin sei durch die Verlobung nicht in eine ähnliche Lage wie eine versorgungsberechtigte Witwe geraten, sie habe im Zeitpunkt der Verlobung keinen Beruf ausgeübt und im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung keine Vermögensverfügungen getroffen; der Umstand allein, daß die Ehe durch Kriegsereignisse verhindert worden sei, stelle keine besondere Härte i. S. des § 89 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) dar (Urteil vom 15. Januar 1971).
Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung, mit der die Klägerin erstmals behauptete, sie habe durch den Tod des Verlobten 1941 einen Schock erlitten, der nicht mehr abgeklungen sei, mit Urteil vom 26. April 1972 zurück. Es führte aus: Die Klägerin sei im Zeitpunkt der Verlobung im elterlichen Haushalt tätig gewesen, sie habe erst im März 1941 eine Tätigkeit außerhalb des Hauses aufgenommen, die sie mit mehreren Unterbrechungen bis 1967 ausgeübt habe. Bei diesem Verlauf sei nicht zu erkennen, inwiefern die Verlobung die Absichten der Klägerin über ihre berufliche Entwicklung beeinflußt haben könnte. Es sei unwahrscheinlich, daß der 1941 erlittene Schock die wesentliche Ursache für die ab 1967 eingetretene Erwerbsunfähigkeit sei. Nach dem Gutachten des Dr. K sei die Klägerin erwerbsunfähig wegen einer Psychoneurose, bei der neben einem Schlüsselereignis auch ein anlagemäßiger Neurotizismus mit vegetativer Dystonie eine Rolle spiele. Der Schock im Jahre 1941 käme nur dann als rechtserhebliche Bedingung für die Erwerbsunfähigkeit in Betracht, wenn er in der Entwicklung der Neurose den Anfangs- oder Endpunkt dargestellt oder zumindest ihre Entwicklung erheblich beeinflußt hätte. Dies sei aber schon allein aus dem zeitlichen Ablauf unwahrscheinlich. Denn der Schwerpunkt der Berufstätigkeit der Klägerin habe eindeutig in der Zeit von 1962 bis 1967 gelegen, während die neurotische Symptomatik bei der Klägerin bis in die Kindheit zurückverfolgt werden könne. Zwar werde von Dr. K auch das Ereignis im Jahre 1941 als Erlebnisreaktion genannt, jedoch messe dieser Gutachter neben den anlagebedingten Faktoren dem Ereignis von 1965 (nervöser Erschöpfungszustand) besondere Bedeutung bei. Daher liege die Annahme nahe, daß das Erlebnis im Jahre 1965 die Neurose in einem so starken Maße gefördert habe, daß sie die Erwerbsunfähigkeit bedingte. Im übrigen könne ein Schock im Jahre 1941 auch aus rechtlichen Gründen keine besondere Härte i. S. des § 89 BVG begründen. Denn der wegen des Todes des Verlobten geltend gemachte gesundheitliche Schaden sei kein auf eigenem Handeln oder Unterlassen beruhender, durch den Tod des Verlobten ausgelöster wirtschaftlicher Schaden, auch wenn er wirtschaftliche Folgen haben könne. Es fehle an einem wirtschaftlich bedeutsamen Handeln oder Unterlassen vor dem Tode des Verlobten, auch werde die Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG nur für die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen des Todes des Ernährers gewährt, während die gesundheitlichen Folgen außer Betracht blieben. Diese Versorgungsgrundlage gelte auch für eine Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 89 BVG. Sie könne zwar nicht bestreiten, daß sie wegen der Verlobung weder einen Beruf, irgendwelche Erwerbsaussichten oder Einkommensquellen aufgegeben noch in anderer Weise Vermögen aufgewendet habe; auch könne sie sich nicht erfolgreich gegen die Feststellung des LSG wenden, sie habe mit Rücksicht auf die beabsichtigte Eheschließung keine Entschlüsse verwirklicht und Opfer erbracht, die wegen des Todes ihres Verlobten zu einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden geführt hätten. Sie erbitte lediglich eine Überprüfung, soweit der aus Anlaß des Todes des Verlobten erlittene Schock, der in der Folgezeit zu schweren wirtschaftlichen Verlusten geführt habe, nicht als besondere Härte gewertet worden sei. Dieser Schock sei die wesentliche Ursache ihrer frühzeitig eingetretenen Erwerbsunfähigkeit gewesen. Ohne ihn wäre ihr mit Sicherheit eine andere berufliche Entwicklung und eine bessere wirtschaftliche Sicherstellung ihres Lebensabends möglich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats einen neuen Bescheid über die begehrte Hinterbliebenenversorgung zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er schließt sich dem Urteil des LSG an.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist aber unbegründet.
Streitig ist, ob der Klägerin ab Antragstellung (Oktober 1968) Hinterbliebenenversorgung im Wege des Härteausgleichs zu gewähren ist. Die Vorinstanzen haben die dafür erforderliche materiell-rechtliche Voraussetzung einer besonderen Härte mit Recht verneint.
Nach der hier anzuwendenden Fassung des § 89 BVG (3. NOG vom 28.12.1966, BGBl I, 750) kann, sofern sich aus einzelnen Vorschriften dieses Gesetzes "besondere Härten" ergeben, mit Zustimmung des BMA ein Ausgleich gewährt werden. Eine solche Zustimmung wurde für Fälle der Brautversorgung nach § 89 Abs. 2 BVG mit dem Rundschreiben des BMA vom 11. Juli 1966 (BVBl 1966, 82) unter bestimmten Voraussetzungen, die im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erleichtert worden sind (Rundschreiben vom 21. Oktober 1968 - BVBl 1968, 150 -), allgemein erteilt. Danach ist im Ausschluß einer nach dem Kriegstod des Verlobten hinterbliebenen Braut von der Witwenversorgung allgemein dann eine besondere Härte i. S. des § 89 Abs. 1 BVG zu sehen, wenn die Braut durch das Verlöbnis und den nachfolgenden Kriegstod des Verlobten einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat und dadurch in eine Lage geraten ist, die der einer versorgungsberechtigten Witwe nahekommt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die übrigen in dem Rundschreiben aaO genannten Voraussetzungen, nämlich ein echtes Verlöbnis und eine ernsthafte Heiratsabsicht, deren Verwirklichung allein durch Kriegsereignisse verhindert worden ist, vorgelegen haben. Die Klägerin hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils auch nur insoweit begehrt, als dieses den von ihr anläßlich des Todes ihres Verlobten erlittenen Schock nicht als wesentliche Bedingung für die Unterlassung einer Erwerbstätigkeit bzw. ihre Erwerbsunfähigkeit angesehen hat. Es kommt im vorliegenden Fall deshalb allein darauf an, ob die Klägerin einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat und ob dieser mit der Verlobung und dem nachfolgenden Tod des Verlobten in ursächlichem Zusammenhang steht. Dabei genügt es nicht, daß die Braut durch den Tod des Verlobten den ihr sonst sicheren Status einer Witwe mit dem sich hieraus ergebenden Rechtsanspruch auf Versorgung nicht erlangt hat. Deshalb kann bei einer allein aus Alters- oder Krankheitsgründen später bedürftig gewordenen Braut eine besondere Härte nicht angenommen werden (BSG 27, 286; 31, 83; Urteile des 8. Sen. vom 25.7.1968 - 8 RV 191/67 -, des erkennenden Senats vom 25.1.1972 und vom 14.3.1972 = SozR Nr. 5 und Nr. 6 zu § 89 BVG).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die von der Revision nicht angegriffen und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), war die Klägerin vor der Verlobung an Weihnachten 1940 im elterlichen Haushalt tätig gewesen und nahm erst danach (März 1941) eine Erwerbstätigkeit als Näherin auf, die sie nach dem Tod des Verlobten noch fortsetzte und dann im Dezember 1941 aus gesundheitlichen Gründen aufgab. Sodann war sie, von einer Tätigkeit als Hausgehilfin 1952 abgesehen, bis 1962 wieder im elterlichen Haushalt beschäftigt. Von 1962 an übte sie mit Unterbrechungen Tätigkeiten als Haushälterin, Wirtschafterin und Köchin aus, bis sie 1965 an nervösen Erschöpfungszuständen erkrankte und 1967 wegen einer Neurose erwerbsunfähig wurde. Seit September 1967 bezieht sie Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Soweit das LSG in Würdigung dieses Verlaufes gemeint hat, ein Schock der Klägerin anläßlich des Todes ihres Verlobten stelle deshalb keine besondere Härte dar, weil auch die Witwenversorgung nicht wegen eines etwa durch den Tod des Ehemannes ausgelösten Gesundheitsschadens, sondern wegen des dadurch entstandenen wirtschaftlichen Schadens gewährt werde und deshalb bei der hinterbliebenen Braut ein ihr entstandener wirtschaftlicher Schaden nur dann als besondere Härte anzusehen sei, wenn er auf eigenem Handeln oder Unterlassen der Verlobten beruhe, kann dem nicht zugestimmt werden. Sowohl in der Rechtsprechung des BSG aaO als auch im Erlaß des BMA aaO ist nur beispielhaft angeführt, welche näheren Umstände für einen "wirtschaftlichen Schaden" in Betracht kommen; als entscheidend wird angesehen, daß der wirtschaftliche Schaden in ursächlichem Zusammenhang mit dem Tod des Verlobten stehen muß. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn der Tod des Verlobten zu einem psychischen oder physischen Schaden geführt hat, deshalb z. B. ein Ausbildungs- oder Berufsweg nicht begonnen oder nicht planmäßig weitergeführt werden kann und dadurch - also mittelbar - ein wirtschaftlicher Schaden für die hinterbliebene Braut entsteht. Einer abschließenden Erörterung dieser Frage bedarf es aber im vorliegenden Falle deshalb nicht, weil das LSG selbst aus anderen Erwägungen im Ergebnis zu Recht eine besondere Härte und damit die Voraussetzungen der Brautversorgung verneint hat. Das LSG hat unter Würdigung des Gutachtens des Dr. K einen betrieblichen Vorfall im Jahre 1965 als wesentliche Bedingung der Verschlimmerung und schließlich zur Erwerbsunfähigkeit der Klägerin führenden Neurose angesehen und der Erlebnisreaktion im Jahre 1941 neben einer vorhandenen Krankheitsdisposition nur nachrangige Bedeutung beigemessen. Diese dem Tätigkeits- und Krankheitsverlauf entsprechende Beurteilung hat das LSG ohne Verstoß gegen § 128 SGG dem im Verfahren über die Versichertenrente erstatteten Gutachten des Dr. K entnehmen dürfen. Auch ein Verstoß des LSG gegen die in der Kriegsopferversorgung geltende Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung ist in seiner Beurteilung nicht zu erblicken. Denn das LSG hat unter Abwägung der von Dr. K dargestellten Faktoren die einzelnen Bedingungen des eingetretenen Erfolges (Erwerbsunfähigkeit) gegeneinander abgewogen (Disposition-Schock durch den Tod des Verlobten - nervöser Erschöpfungszustand im Jahre 1965 durch betriebliche Vorfälle) und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß der Tod des Verlobten nur eine, aber nicht die wesentliche Bedingung für den Verlauf des Berufslebens der Klägerin und damit keine Ursache (Mitursache) für ihre wirtschaftliche Lage gewesen ist. Sind aber die Erwerbsunfähigkeit bzw. die nur mit Unterbrechungen ausgeübte Erwerbstätigkeit der Klägerin und ihre darauf beruhenden ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durch ein schädigendes Ereignis verursacht oder mitverursacht, dann kann eine besondere Härte i. S. des § 89 BVG nicht bejaht werden; damit entfällt die Gewährung einer Brautversorgung. Das Urteil des LSG ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Revision der Klägerin ist unbegründet; sie muß daher zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen