Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung nach Inkrafttreten des 2. Änderungsgesetzes zum SGG
Orientierungssatz
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl BSG 1958-09-04 11/9 RV 1144/55 = BSGE 8, 135) ist in den Fällen, in denen das Rechtsmittel der Berufung unter der Herrschaft des SGG in seiner alten Fassung eingelegt worden ist, die Zulässigkeit der Berufung vom LSG nach diesen Vorschriften zu beurteilen, weil abgeschlossene Prozeßhandlungen mangels abweichender Vorschriften durch ein neues Verfahrensgesetz nicht erfaßt werden.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; SGGÄndG 2
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 07.10.1958) |
SG Berlin (Entscheidung vom 06.12.1955) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 1958 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Dem Ehemann der Klägerin war mit Bescheid vom 27. Mai 1952 als Schädigungsfolge im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) doppelseitige inaktive Obergeschoßtuberkulose anerkannt, Rente jedoch nicht gewährt worden, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) einen rentenberechtigenden Grad nicht erreiche. Sein Einspruch hiergegen blieb erfolglos. Während des Laufes dieses Verfahrens starb er am 4. Mai 1953. Als Todesursache ist in der Sterbeurkunde Lungenkrebs rechts, postoperatives Totalemphysem und Lungenblutung eingetragen. Die Klägerin erhob als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes Klage und beantragte, "für das anerkannte Versorgungsleiden unter Einbeziehung eines tuberkulosebedingten Lungenkrebses und Lungenödemen die MdE. mit mindestens 50 v.H. zu bewerten und Versorgungsgebührnisse nach diesem Grad ab 1.Oktober 1950 zu zahlen."
Mit Urteil vom 6. Dezember 1955 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, für die doppelseitige inaktive Obergeschoßtuberkulose Versorgung nach einer MdE. um 40 v.H. zu gewähren. Soweit die Klägerin die Anerkennung des Krebsleidens und der Lungenödeme begehrte, hat es die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG.) hat die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 7. Oktober 1958 als unzulässig verworfen und die Revision zugelassen. Nach seiner Auffassung ist nach dem Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin 1958 S. 587 = SGG n.F.) die Berufung dann nicht zulässig, wenn sie nur noch Versorgung für abgelaufene Zeiträume betrifft. Die Berufung sei zwar nach altem Recht zulässig gewesen, da das angefochtene Urteil nicht nur Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum betroffen sondern auch noch über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Gesundheitsstörungen - abschlägig - entschieden habe. Jedoch werde eine bei ihrer Einlegung zulässige Berufung unstatthaft, wenn während des Rechtsmittelverfahrens die Vorschriften über den Ausschluß des zweiten Rechtszuges geändert werden und danach die Berufung nicht mehr statthaft ist. Für seine Rechtsauffassung hat das LSG. auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Juni 1955 (BSG. 1 S.62) hingewiesen. Das Urteil ist am 24. November 1958 zugestellt worden.
Der Beklagte hat mit einem beim Bundessozialgericht am 6. Dezember 1958 eingegangenen Schriftsatz form- und fristgerecht Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 24. Februar 1959 mit einem am 29. Januar 1959 eingegangenen Schriftsatz begründet. Er hat beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise,
unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts Berlin die Klage im vollen Umfange abzuweisen.
In seiner Begründung wendet er sich gegen die Rechtsauffassung des LSG. und führt aus, daß § 148 Nr. 2 SGG nicht in seiner neuen, sondern in seiner alten Fassung anzuwenden sei, da die Prozeßhandlung (Einlegung der Berufung) bereits vor dem Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung des SGG abgeschlossen war. Die Berufung sei demnach statthaft gewesen, denn das Urteil des Sozialgerichts habe neben der Versorgung über bereits abgelaufene Zeiträume auch die Anerkennung weiterer Versorgungsleiden betroffen. Zu Unrecht habe das LSG. daher eine Prozeßentscheidung anstelle eines Sachurteils erlassen.
Die Klägerin hat beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die vom LSG. gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie mußte auch Erfolg haben.
Das LSG. ist zu Recht davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall das Urteil des Sozialgerichts außer Versorgung für bereits abgelaufenen Zeitraum auch noch den ursächlichen Zusammenhang (Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen) betroffen hat (§ 150 Abs.1 Nr.3 SGG). Es hat ebenso zutreffend festgestellt, daß die Prozeßhandlung (Einlegung der Berufung) vor dem Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung des SGG abgeschlossen war.
Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß in den Fällen, in denen das Rechtsmittel der Berufung unter der Herrschaft des SGG in seiner alten Fassung eingelegt worden ist, die Zulässigkeit der Berufung vom LSG. nach diesen Vorschriften zu beurteilen ist, weil abgeschlossene Prozeßhandlungen mangels abweichender Vorschriften durch ein neues Verfahrensgesetz nicht erfaßt werden (BSG. 8 S. 135 ff., SozR. SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 3, Beschluß des BSG. vom 29.11.1958 - 5 RKn 29/57 - und Beschluß des erkennenden Senats vom 23.7.1959 - 10 RV 275/59 -). Die Bezugnahme des LSG. in seinem Urteil auf die Entscheidung des 8. Senats vom 16. Juni 1955 geht deshalb fehl, weil es sich dabei um einen Übergangsfall nach § 215 Abs. 3 SGG gehandelt hat (Beschluß des BSG. vom 21.9.1959 - 11 RV 116/59 -). Der erkennende Senat hatte daher keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzuweichen.
War aber das SGG in seiner alten Fassung anzuwenden, dann greift die Rüge durch, daß das LSG. eine Prozeßentscheidung statt einer Sachentscheidung getroffen hat. Nach dem SGG a.F. war die Berufung jedenfalls in den Fällen zulässig, in denen das Urteil des Sozialgerichts - wie hier - neben dem Streit über abgelaufenen Zeitraum (§ 148 Nr. 2 SGG) auch noch über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit dem Wehrdienst (§ 150 Nr. 3 SGG) entschieden hat. Bei der Anwendung des § 150 Nr. 3 SGG a.F. kommt es nämlich ebenfalls darauf an, daß der ursächliche Zusammenhang nach dem Urteil des Sozialgerichts streitig war (BSG. 3 S. 271). Die Berufung war somit aus diesem Grunde statthaft, so daß es dahingestellt bleiben kann, ob die Zulässigkeit der Berufung auch deshalb gegeben war, weil - wie der Beklagte meint - neben dem Anspruch auf Rente für einen abgelaufenen Zeitraum auch noch die Frage der Schwerbeschädigteneigenschaft bzw. der Grundrechte streitig war.
Wegen dieses Verfahrensmangels, dessen Rüge die Revision statthaft gemacht hat, ist die Revision auch begründet. Auf ihm beruht das Prozeßurteil, an dessen Stelle eine Sachentscheidung zu ergehen hatte.
Das Urteil mußte daher aufgehoben werden. Da Feststellungen, die einem Sachurteil zugrunde gelegt werden könnten, vom LSG. nicht getroffen worden sind, konnte der Senat nicht selbst entscheiden (§ 170 SGG). Die Sache war daher zur erneuten Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen