Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 16.09.1969) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. September 1969 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Beklagte wurde 1953 vom Vorstand der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) Schwaben zum Geschäftsführer gewählt und war ab Oktober 1957 in gleicher Funktion gemäß § 13 Abs. 2 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (GAL 1957) bei der klagenden Alterskasse tätig. Auf Grund seiner Wahl zum Geschäftsführer wurde der Beklagte 1954 in das Beamtenverhältnis des Freistaates Bayern berufen; er war zuletzt Oberregierungsdirektor. Im August 1960 untersagte ihm die Aufsichtsbehörde wegen des Verdachts von Dienstpflicht Verletzungen die Führung seiner Amtsgeschäfte. Im Januar 1961 wurde der Beklagte als Geschäftsführer der LBG und der Klägerin abberufen. Nach seiner Bestrafung wegen Vergehen nach dem Selbstverwaltungsgesetz vom 22. Februar 1951 – GSv – (BGBl I 124) und wegen Betruges verurteilte ihn die Dienststrafkammer Augsburg im März 1965 zur Entfernung aus dem Dienst.
Die Klägerin verlangte mit der Klage von dem Beklagten Ersatz des Schadens, der ihr durch seine Tätigkeit als Geschäftsführer entstanden sei. Sie hat die Klage auf § 7 Abs. 5 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 GSv gestützt.
Durch Urteil vom 9. Februar 1967 hat das Sozialgericht (SG) Augsburg den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 47.036,53 DM nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen, und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die – zugelassene – Berufung des Beklagten und der beigeladenen Versicherungsgesellschaften hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) den Rechtsstreit an das Landgericht Augsburg verwiesen. Das LSG hält den Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig. Nach seiner Auffassung hat § 7 Abs. 1 Satz 1 GSv iVm § 7 Abs. 5 GSv einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch zum Gegenstand.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie hält nach wie vor den Sozialrechtsweg für gegeben. Das LSG habe die Rechtsnatur des Haftungsanspruchs nach § 7 GSv verkannt, wenn es aus dem Hinweis des Gesetzes, der Geschäftsführer hafte dem Versicherungsträger wie der Vormund seinem Mündel, geschlossen habe, der Anspruch sei zivilrechtlicher Natur. Die Bezugnahme auf bürgerlich-rechtliche Haftungsgrundsätze sei nur für den Umfang der Ersatzpflicht bedeutsam, der Haftungsgrund beruhe dagegen in den öffentlich-rechtlichen Beziehungen des Geschäftsführers zum Versicherungsträger.
Der Beklagte und die beigeladenen Versicherungsunternehmen haben beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der beigeladene Freistaat Bayern hat keinen Antrag gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG den Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit verneint.
Die Klägerin stützt ihren Anspruch – iVm § 13 Abs. 3 GAL 1957 (vgl. auch § 32 GAL 1965) – auf § 7 Abs. 1 und 5 GSv in der hier maßgeblichen Fassung vom 13. August 1952, die im wesentlichen dem § 14 Abs. 1 und 2 des Selbstverwaltungsgesetzes in der heute gültigen Fassung vom 13. August 1967 (SVwG) entspricht. Hierzu hat der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) – und zwar in dem Verfahren auf die Schadensersatzklage der LBG gegen den Kläger – mit Urteil vom 23. November 1971 (7/2 RU 206/69) inzwischen entschieden, daß eine auf die genannten Vorschriften der GSv gestützte Klage eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung betrifft. Diese Auffassung hat der 7. Senat wie folgt begründet: Angelegenheiten der Sozialversicherung seien alle Streitigkeiten, die in den Sozialversicherungsgesetzen ihre Grundlage hätten. Hierzu gehöre auch das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger. Das Rechtsverhältnis, aus dem der Klageanspruch abgeleitet werde, gehöre dem öffentlichen Recht an. Die Rechtsstellung des Beklagten als Geschäftsführer der Klägerin habe auf § 8 GSv beruht. Nach dieser Vorschrift habe der Geschäftsführer einen gesetzlich umschriebenen selbständigen Wirkungskreis. Er habe eine organrechtliche Stellung im weiteren Sinne inne. Dieses Organverhältnis beruhe auf Rechtssätzen, die der Gesetzgeber zur Verwirklichung der Aufgaben der Versicherungsträger geschaffen habe. Ein auf § 7 Abs. 1 und 5 GSv gestützter Haftungsanspruch sei eine Folge dieses Rechtsverhältnisses und deshalb ebenfalls dem öffentlichen Recht zuzurechnen. Der Hinweis auf die Haftung des Vormundes nach bürgerlichem Recht lassen den Haftungsgrund unberührt. Dem stünden auch die abweichende Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) zu § 23 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und die Regelung des § 640 RVO nicht entgegen. Die Rechtsprechung des RVA erkläre sich nur daraus, daß die Rechtsprechungsorgane im Sozialversicherungsrecht vor dem Grundgesetz noch nicht allen Anforderungen einer unabhängigen Gerichtsbarkeit genügten. Der Haftungsanspruch nach § 640 RVO sei mit dem nach § 7 GSv nicht vergleichbar. Ferner schließe auch § 40 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht den Sozialrechtsweg aus. Der Schadensersatzanspruch leite sich zwar „aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten” her; § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO wolle jedoch nur für solche Ersatzstreitigkeiten den Zivilrechtsweg erhalten, in denen ein enger Sachzusammenhang mit einer Enteignung oder Amtshaftung bestehe. Keinesfalls sollten alle Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten den Zivilgerichten zugewiesen werden. Bei der hiernach gebotenen einschränkenden Auslegung erfasse § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO den Anspruch der Klägerin nicht.
Das Urteil des 7. Senats, in dem diese Rechtsauffassung noch näher erläutert wird, ist den Beteiligten bzw. ihren Prozeßbevollmächtigten bekannt. Der erkennende Senat hält die Auffassung, daß für Ansprüche nach § 7 Abs. 5 iVm § 7 Abs. 1 GSv der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist, für zutreffend. Der Senat hat dabei auch die – dem 7. Senat noch nicht bekannte – ausführliche Abhandlung von Schallen: Die Stellung der Geschäftsführer von Sozialversicherungsträgern, (Fortbildung und Praxis, Schriftenreihe der Zeitschrift „Wege zur Sozialversicherung”, Nr. 74, 1971) berücksichtigt. Schallen macht darin die wesentlichen Änderungen deutlich, die die Rechtsstellung der Geschäftsführer durch das SvG (SwVG) erfahren hat. Er unterscheidet zutreffend die dienstrechtliche und die organrechtliche Stellung, was zum „Auseinanderfallen des Rechtsweges” führen könne. Bei organrechtlichen (selbstverwaltungsrechtlichen) Maßnahmen bejaht auch er den Sozialrechtsweg. Zu Unrecht meint er nur, daß die haftungsrechtlichen Grundlagen sich beim Geschäftsführer aus dem jeweiligen Dienstrecht ergäben, so daß für Haftungsstreitigkeiten – anders als bei ehrenamtlichen Organmitgliedern – der Sozialrechtsweg nicht in Betracht komme (S. 79 f). Schallen übersieht hierbei, daß Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer ihre Rechtsgrundlage auch in dessen öffentlich-rechtlicher Organstellung haben können.
Hiernach ergibt sich, daß das LSG den Rechtsstreit nicht an das Landgericht Augsburg verweisen durfte, vielmehr selbst in der Sache entscheiden mußte. Da das LSG keine ausreichenden Feststellungen über die Einzelheiten des Schadensersatzanspruchs getroffen hat, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
In dem abschließenden Urteil hat das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Unterschriften
Heyer, Dr. Reinhold, Dr. Buss
Fundstellen