Leitsatz (amtlich)
1. Die Revisionszulassung zur Prüfung der Frage, ob und wie ein spezieller Erfahrungssatz bei der Beurteilung von "Lebensverhältnissen" anzuwenden ist, kann nicht als "offenbar" gesetzwidrig angesehen werden (Abgrenzung zu BSG 1975-08-07 10 RV 313/74 = SozR 1500 § 162 Nr 7).
2. Spricht ein Erfahrungssatz allgemein dafür, daß der Beschädigte sich nach seinen Lebensverhältnissen (BVG § 30 Abs 4) ohne die Schädigung von einem bestimmten Beruf gelöst haben würde, so ist trotzdem nach besonderen Umständen des Einzelfalls zumal dann zu forschen, wenn der Beschädigte den Berufsschadensausgleich zunächst unter Zugrundelegung gerade dieses Berufs beantragt hatte (Fortführung von BSG 1975-06-10 9 RV 124/74 = SozR 3100 § 30 Nr 7).
3. Der Anspruch auf Gewährung von Berufsschadensausgleich setzt voraus, daß ein konkreter wirtschaftlicher Schaden betragsmäßig nachweisbar ist (Anschluß an BSG 1974-01-25 10 RV 261/73 = BSGE 37, 80).
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 103 Fassung: 1953-09-03, § 128 Fassung: 1953-09-03; BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1972-07-24, Abs. 4 S. 1 Fassung: 1971-12-16, Abs. 3 u 4 DV § 3 Fassung: 1968-02-28, Abs. 3 u 4 DV § 5 Fassung: 1968-02-28, § 3 0Abs 3 u 4 DV § 9 Fassung: 1968-02-28
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. Februar 1974 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der 1919 geborene Kläger übernahm 1949 die elterliche Landwirtschaft mit einer Betriebsgröße von rd. 6 ha zuzüglich rd. 4 ha Pachtland. Er bezog ursprünglich Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H. Ab Dezember 1963 wurde die MdE im allgemeinen Erwerbsleben auf 50 v. H. und unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im erlernten und ausgeübten Beruf eines selbständigen Landwirtes auf 60 v. H. erhöht. Seit Juli 1972 bezieht der Kläger wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 70 v. H.
Seinen Antrag auf Berufsschadensausgleich von Januar 1969 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 1969 ab, weil der Kläger im angestrebten Beruf eines Landwirtes auch nach der Schädigung tätig und in der Lage gewesen sei, den Betrieb auszubauen und zu leiten. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Mit seiner Klage machte der Kläger zunächst geltend, er erleide dadurch einen Einkommensverlust, daß er wegen der Schädigungsfolgen keine schweren landwirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben könne; ihm gebühre deshalb ein Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 Bundesbesoldungsgesetz. In der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 1973 änderte er sein Vorbringen und beantragte Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung des Durchschnittseinkommens als Arbeiter in der gesamten Industrie, Leistungsgruppe 2. Das Sozialgericht (SG) Marburg verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Das Landessozialgericht (LSG) wies die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten am 5. Februar 1974 zurück und ließ die Revision zu. Zur Begründung führte es - im wesentlichen mit dem SG übereinstimmend - aus: Der Kläger habe nach der Schulentlassung den Beruf eines Landwirtes angestrebt und dieses Ziel mit der Übernahme des elterlichen Anwesens 1949 erreicht. Für die Frage nach dem Einkommensverlust in dem Beruf, den der Kläger ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich ausüben würde, dürfe aber die in der Folgezeit geänderte wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft, insbesondere von Betrieben bis etwa 10 ha nicht übersehen werden. Wie aus zahlreichen entschiedenen Fällen, in denen Sachverständige gehört wurden, bekannt sei, reiche ein landwirtschaftlicher Betrieb von etwa 10 ha für den vollen Lebensunterhalt einer bäuerlichen Familie nicht mehr aus. Es bedürfe einer Betriebsgröße von etwa 30 bis 40 ha, weil kleinere Betriebe der Konkurrenz größerer Höfe nicht gewachsen seien. Allgemein bekannt - wie vom Kläger vorgetragen - sei auch der ständige zahlenmäßige Rückgang kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe und die hierdurch bedingte Aufnahme von Beschäftigungen in der Industrie und im Baugewerbe, wobei die Felder nur noch in der Freizeit und mit der Ehefrau und den Kindern bewirtschaftet würden. Daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen gehindert gewesen sei, wie seine Berufskollegen eine unselbständige Tätigkeit aufzunehmen, ergebe sich aus der Schwere seiner körperlichen Beeinträchtigung. Da der Kläger keinen handwerklichen Beruf erlernt habe, wäre er in der Industrie oder im Baugewerbe zunächst als Hilfsarbeiter eingesetzt worden und hätte sich im Hinblick auf sein erhebliches Berufsstreben und den gezeigten Ausbildungswillen im Laufe der Zeit, vor allem aber nach Erreichen des 45. Lebensjahres zu einer qualifizierteren Arbeit mit größeren Kenntnissen und Fertigkeiten aufgeschwungen. Hierdurch rechtfertige sich seine Einstufung in die Leistungsgruppe 2.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte die unrichtige Anwendung des § 30 Abs. 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und Verstöße des LSG gegen die §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe einen bestimmten Zeitpunkt für die Änderung der wirtschaftlichen Lage in der Landwirtschaft nicht festgelegt, auf den es aber, selbst bei Unterstellung der Richtigkeit der Rechtsauffassung des LSG deshalb entscheidend ankomme, weil der Kläger bis 1. Dezember 1963 nur Rente nach einer MdE um 40 v. H. bezogen habe und daher durch die Schädigungsfolgen nicht gehindert gewesen sei, eine hauptberufliche Tätigkeit in der Industrie aufzunehmen. Da er dies nicht einmal nebenberuflich getan habe, könne nur vom landwirtschaftlichen Beruf ausgegangen werden. Den vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 10. Oktober 1972 (9 RV 748/71) aufgestellten allgemeinen Erfahrungssatz, bei Kleinbetrieben um etwa 9 ha könne wegen der allgemein ungünstigen Lage in der Landwirtschaft regelmäßig ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht festgestellt werden, habe sich das LSG in den von ihm angeführten Fällen anhand von Sachverständigengutachten zu eigen gemacht, während es im vorliegenden Fall unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung zu einem gegenteiligen Ergebnis gelange. Das LSG hätte sich überdies nicht ohne wörtliche Wiedergabe der Sachverständigenäußerungen auf diese berufen dürfen, sondern die betreffenden Akten beiziehen müssen, vor allem, wenn es andere Schlußfolgerungen als in den von ihm angeführten Fällen habe ziehen wollen. Es gebe auch keinen Erfahrungssatz des Inhaltes, daß nahezu alle kleineren Landwirte hauptberuflich Industriearbeiter seien, die ihre Landwirtschaft nur nebenbei betrieben. Vielmehr habe das BSG aaO gerade festgestellt, gesunde Kleinlandwirte bewirtschafteten bei der allgemein ungünstigen Lage in der Landwirtschaft trotz aller Schwierigkeiten ihre Betriebe auch weiterhin. Das LSG hätte sich mit der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers nicht begnügen dürfen, sondern nähere Einzelheiten im örtlichen Bereich und für den konkreten Fall des Klägers ermitteln müssen. Schließlich habe das LSG, obwohl gemäß § 30 Abs. 3 BVG nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 25. Januar 1974, BSG 37, 80 = SozR 3100 Nr. 1) zunächst ein konkreter betragsmäßig nachzuweisender wirtschaftlicher Schaden gefordert werde, ohne nähere Prüfung die Gewährung des Berufsschadensausgleichs unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 2 zuerkannt. Dabei sei ferner unbeachtet geblieben, daß die MdE des Klägers, der 1964 das 45. Lebensjahr vollendet habe, bis Dezember 1963 nur 40 v. H. betragen habe, ihn also nicht gehindert hätte, eine hauptberufliche Arbeitertätigkeit auszuüben.
Der Beklagte beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch rechtzeitig begründete Revision des Beklagten (§§ 164, 166 SGG) ist vom LSG nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG (in der bis zum 31.12.1974 geltenden Fassung) zugelassen worden. Obwohl die Beteiligten insoweit keine Bedenken vorgetragen haben, bedarf es der Prüfung, ob die Zulassung der Revision wirksam ist.
Anlaß hierfür bietet schon die Ähnlichkeit des hier zu entscheidenden Falles mit der Revisionssache 10 RV 313/74, worin das BSG mit dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 7. August 1975 entschieden hat, die offenbar gesetzwidrig - nämlich zwecks inhaltlicher Überprüfung eines speziellen Erfahrungssatzes - erfolgte Zulassung binde das Revisionsgericht nicht; die Erwägungen in den Gründen dieses Urteils, denen der erkennende Senat beipflichtet, würden auch hier die Unwirksamkeit der Revisionszulassung dartun, wenn in den Berufungsentscheidungen - es handelte sich beide Male um den 4. Senat des Hessischen LSG - die Zulassung gleichlautend begründet worden wäre. Eine gewisse Übereinstimmung scheint nun zwar auf den ersten Blick zu bestehen, bei näherer Betrachtung zeigt sich indessen, daß das LSG die grundsätzliche Bedeutung der jeweils an die Revisionsinstanz heranzutragenden Rechtsfrage unter verschiedenen Aspekten gesehen hat: In dem Urteil vom 5. März 1974 (L 4 V 535/73), mit dem sich der 10. Senat zu befassen hatte, sind zwei derartige Fragen formuliert worden, nämlich 1) "ob ein Erfahrungssatz, daß Landwirte mit einem Betrieb um etwa 10 ha sich von dieser Nebenbeschäftigung einer den Erwerb sichernden Hauptbeschäftigung zugewendet haben, besteht" und 2) "ob dieser Erfahrungssatz auch bei entgegenstehender Schilderung der wahrscheinlichen Berufsentwicklung durch den Rentenbewerber zu berücksichtigen ist". Die in der zu 1) angeführten Frage erkennbare Ungewißheit des LSG über das Bestehen eines Erfahrungssatzes kommt in dem Berufungsurteil vom 5. Februar 1974 (L 4 V 602/73), worüber hier zu entscheiden ist, nicht zum Ausdruck; hier wird vielmehr die besondere wirtschaftliche Lage der kleinen Landwirtschaftsbetriebe (bis etwa 10 ha), welche die Inhaber solcher Kleinbetriebe zur hauptberuflichen Ausübung unselbständiger Erwerbstätigkeiten nötige, als zweifelsfrei feststehend bezeichnet, und die Revision ist zugelassen worden, "weil die Berücksichtigung der allgemeinen Entwicklung landwirtschaftlicher Tätigkeiten in Hessen eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung" betreffe. Diese undeutliche Formulierung, die erst unter Berücksichtigung der Urteilsgründe überhaupt verständlich wird, kann besagen, daß das LSG grundsätzlich geklärt wissen möchte, ob und wie der von ihm festgestellte spezielle Erfahrungssatz bei der Beurteilung eines Anspruchs auf Berufsschadensausgleich anzuwenden ist; dem BSG wird damit nicht etwa eine Durchführung tatsächlicher Feststellungen, sondern die Prüfung von Rechtsfragen zugewiesen, was dem Aufgabengebiet des Revisionsgerichts entspricht.
Im Hinblick auf das nur einen Monat später ergangene Urteil des gleichen LSG-Senats, woraus hervorzugehen scheint, daß das LSG selbst noch keine hinreichenden Erfahrungen zum Problem des Einkommensverlustes in der Landwirtschaft gesammelt hat (so BSG, Urt. vom 7.8.1975 - 10 RV 313/74 -), könnte freilich bezweifelt werden, ob das LSG im vorliegenden Fall wirklich von der Revisionsentscheidung nicht doch eine Klärung von Tatfragen erwartet. Solche Zweifel, deren Berechtigung der Senat nicht verkennt, sind aber jedenfalls noch nicht geeignet, die Revisionszulassung als "offenbar" gesetzwidrig (BSG 10, 240; Urt. vom 7.8.1975) zu qualifizieren und damit die auf den Prinzipien der Rechtsmittelklarheit und Rechtsmittelsicherheit beruhende Bindung des Revisionsgerichts an die von der Vorinstanz ausgesprochene Zulassung (vgl. BVerwG, Beschl. vom 23.6.1975 - MDR 1975, 868 m. w. Nachw.) zu durchbrechen.
Wegen der hiernach wirksamen Zulassung durch das LSG ist also die Revision des Beklagten statthaft. Sie hat auch insoweit Erfolg, als die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen ist.
Die vom Kläger begehrte Versorgungsleistung soll nach § 30 Abs. 3 BVG einen schädigungsbedingten "Einkommensverlust" ausgleichen. Dieser Verlust ergibt sich nach § 30 Abs. 4 BVG aus einer Gegenüberstellung des "derzeitigen Bruttoeinkommens" mit einem nach bestimmten, später zu erörternden Merkmalen ermittelten "Vergleichseinkommen". Eine solche Gegenüberstellung ist in den Urteilen beider Vorinstanzen unterblieben; die bei Ansprüchen auf Berufsschadensausgleich vorweg zu prüfende Frage, ob überhaupt ein konkreter, betragsmäßig nachzuweisender wirtschaftlicher Schaden vorliegt (vgl. BSG 29, 208, 212; 37, 80, 82, 87; BSG, Urt. vom 15.12.1970, BVBl 1971, 95; Urt. vom 10.10.1972 - 9 RV 748/71 -), ist demnach offengelassen worden. Wie das Hessische LSG selbst in seinem Urteil vom 5. März 1974 (L 4 V 535/73) angenommen hat, ist die Streitsache bei diesem Stand des Verfahrens noch nicht spruchreif. Schon wegen dieser von der Revision zutreffend gerügten unrichtigen Rechtsanwendung kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.
Das Vergleichseinkommen (§ 30 Abs. 4 BVG) bestimmt sich nach der "Einstufung" des Schwerbeschädigten in diejenige Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher er ohne die Schädigung wahrscheinlich angehört hätte; als maßgebendes Kriterium hierfür bezeichnet das Gesetz u. a. die "Lebensverhältnisse" des Beschädigten, wie sie sich - ohne die Schädigung - auf seine berufliche Entwicklung vermutlich ausgewirkt haben würden. Einen Teilausschnitt aus diesem Bereich bilden die für bestimmte Personenkreise typischen wirtschaftlich-sozialen Geschehensabläufe, wie beispielsweise für die in den Gebieten östlich der Bundesrepublik angesiedelt gewesenen selbständigen Landwirte der Verlust des Landwirtschaftsbetriebes durch Vertreibung oder Flucht mit der in den meisten Fällen gegebenen Unmöglichkeit, einen solchen Betrieb im Bundesgebiet wieder zu erlangen (vgl. BSG 32, 1, 7; 34, 216, 220; SozR 3100 § 30 Nr. 7). Mit den in dieser Rechtsprechung dargelegten Gedankengängen steht es durchaus in Einklang, die Entwicklung der Agrarstruktur in der Bundesrepublik seit 1945, insbesondere einen wirtschaftlichen Niedergang von Kleinbetrieben zu berücksichtigen und bei den Lebensverhältnissen der zu dieser sozialen Schicht gehörenden Beschädigten zu prüfen, ob sie - ohne die Schädigung - gegenwärtig auch weiterhin als Kleinlandwirte tätig sein oder aber sich einem anderen Hauptberuf zugewandt haben würden.
Was das LSG in den Gründen des angefochtenen Urteils zur strukturellen Schwächung von kleinen Landwirtschaftsbetrieben (unterhalb einer existenzsichernden Mindestgröße, seien es nun 40, 30 oder 20 ha) ausgeführt hat, entspricht Feststellungen, die auch außerhalb Hessens getroffen werden konnten (z. B. Nordrhein-Westfalen: BSG, Urt. vom 10.10.1972, 9 RV 748/71 und das darin bestätigte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5.8.1971). Hiergegen wendet die Revision auch nichts ein. Ihrer Auffassung, das LSG habe sich mit der von ihm angeführten eigenen Rechtsprechung in Widerspruch gesetzt, weil in diesen Entscheidungen die Ansprüche auf Berufsschadensausgleich abgelehnt worden waren, kann nicht beigepflichtet werden; denn wenn der Berufsstand "Kleinlandwirte" wegen der allgemein ungünstigen Lage keine Anhaltspunkte für einen schädigungsbedingten Einkommensverlust hergibt, ist es nur folgerichtig, weiter zu prüfen, ob die Lebensverhältnisse des hierzu gehörenden Personenkreises einen Übertritt zu anderen Berufen - zumal in abhängiger Beschäftigung - nahelegen.
Einen solchen, für die Anwendung des § 30 Abs. 4 BVG relevanten Berufswechsel glaubt das LSG als einen in der hessischen Kleinlandwirtschaft typischen Vorgang feststellen zu können, freilich ohne nähere Einzelheiten über den Beginn dieser Entwicklung mitzuteilen; eine wenigstens annähernde zeitliche Fixierung erscheint aber deshalb geboten, weil es hiervon abhängen kann, ob im Einzelfall ein Beschädigter auf Grund seines Lebensalters überhaupt noch als fähig anzusehen ist, sich einer solchen Entwicklung anzuschließen. Ob im übrigen die vom LSG angeführten Unterlagen - u. a. auch die vom Kläger in der Berufungsverhandlung vorgelegte, mit behördlichen Bestätigungsvermerken versehene Aufstellung vom 30. Januar 1974 - für den sicheren Nachweis des vom LSG angenommenen Erfahrungssatzes ausreichen, kann dahingestellt bleiben. Denn auch wenn dieser Erfahrungssatz durch umfassendere Ermittlungen noch weit stärker untermauert sein würde, dürfte er nicht so schematisch gehandhabt werden, wie es im angefochtenen Urteil geschehen ist.
Das LSG hat nicht die geringste Erwägung in der Richtung angedeutet, ob denn der Kläger nach seinen persönlichen Lebensverhältnissen jemals gewillt gewesen wäre, seinen Bauernhof nur noch nebenbei zu betreiben und sich eine Hauptbeschäftigung in Baugewerbe oder Industrie zu suchen. Auch der obengenannte, für heimatvertriebene Landwirte geltende Erfahrungssatz ist aber nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls anwendbar, wie der erkennende Senat im Urteil vom 10. Juni 1975 (SozR 3100 § 30 Nr. 7) entschieden hat. Nachforschungen darüber, ob ein Kleinlandwirt ohne die Schädigung zu einer unselbständigen Tätigkeit übergegangen wäre oder aber - entgegen allgemeinen Zeitströmungen - seinen Hof auf jeden Fall hauptberuflich weiter bewirtschaften wollte oder - z. B. aus familiären Gründen - mußte, hätte in erster Linie das Versorgungsamt bei der Bearbeitung eines entsprechend motivierten Antrags auf Berufsschadensausgleich anzustellen; hierzu konnte es aber in diesem Verwaltungsverfahren von vornherein nicht kommen, weil ja der Kläger den Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7, also gerade mit Einstufung als Selbständiger (§ 5 DVO zu § 30 Abs. 3 u. 4 BVG) beantragt hatte. Dieses Begehren verfolgte er zunächst auch mit der Klage und gab damit nicht zu erkennen, daß nach seinen persönlichen Lebensverhältnissen ein Übertritt in einen anderen Beruf auf Grund des vom LSG festgestellten Erfahrungssatzes in Betracht zu ziehen sei. Wenn der Kläger sodann - offenbar auf richterliche Anregung, über die freilich den SG-Akten nichts zu entnehmen ist - sein Klagevorbringen auf die völlig abweichende Grundlage eines Einkommensverlustes als unselbständig in der privaten Wirtschaft Tätiger (§ 3 DVO) gestellt hat, so waren unter diesen Umständen nunmehr die Gerichte gehalten, die bisher unterlassene Prüfung nachzuholen, ob die persönlichen Lebensverhältnisse des Klägers mit den allgemeinen Lebensverhältnissen seiner Berufskollegen übereinstimmten oder etwa ausnahmsweise nicht.
Hiernach erweist sich die Revision als begründet. Einer eingehenden Stellungnahme zum sonstigen Rügevorbringen des Beklagten bedarf es nicht; immerhin sei kurz bemerkt, daß es der Senat nicht als entscheidungserheblich ansieht, ob das Anwesen des Klägers 6 ha oder knapp über 10 ha umfaßt; auch daß die schädigungsbedingte MdE bis 1963 nur mit 40 v. H. bewertet gewesen ist, dürfte bei der Art der Schädigungsfolgen kaum ins Gewicht fallen.
Mangels ausreichender Feststellungen muß der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückverwiesen werden, dem auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten bleibt. Im erneuten Berufungsverfahren wäre es wohl angebracht, daß das LSG den von ihm untersuchten Erfahrungssatz über die berufliche Lage der Kleinlandwirte in Hessen nicht - wie bislang - durch fragmentarische Bezugnahmen auf einzelne Parallelfälle, sondern durch das zusammenfassende Gutachten eines Sachverständigen genauer ergründet. Hinsichtlich der noch vorzunehmenden Ermittlung des derzeitigen Bruttoeinkommens wird auf § 9 DVO zu § 30 Abs. 3 u. 4 BVG und die hierzu ergangene Rechtsprechung (SozR Nr. 59 zu § 30 BVG, Nr. 3 zu § 9 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 u. 4 BVG) hingewiesen.
Fundstellen