Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 AFG. Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
Orientierungssatz
1. Die Anbindung des für die Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs maßgeblichen Lohnes an den Eintrag der Lohnsteuerklasse in die Steuerkarte des Arbeitslosen und die deswegen nach § 111 Abs 2 S 1 Nr 1 folgende Auswirkung (hier: verheirateter Versicherter mit Steuerklasse V) steht mit dem GG in Einklang (so auch BSG 1980-11-13 7 RAr 14/80).
2. Im Wege des Herstellungsanspruchs kann die Vornahme einer gesetzwidrigen Amtshandlung nicht begehrt werden (vgl BSG 1977-06-23 8 RU 36/77 = BSGE 44, 114).
3. Außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialleistungsträgers liegende Tatbestandsvoraussetzungen lassen sich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht ersetzen (vgl BSG 1980-05-13 12 RK 18/79 = SozR 2200 § 1233 Nr 17).
Normenkette
AFG § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 Fassung: 1975-12-18; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 14.11.1977; Aktenzeichen L 1 Ar 705/77) |
SG Kassel (Entscheidung vom 24.05.1977; Aktenzeichen S 5 Ar 75/76) |
Tatbestand
Die Klägerin, die verheiratet ist, begehrt ein höheres Arbeitslosengeld (Alg). Sie ist der Auffassung, die Beklagte müsse bei dessen Berechnung die Leistungsgruppe A zugrundelegen.
Die Klägerin stand bis zum 31. Dezember 1975 in einem Beschäftigungsverhältnis. Für dieses Jahr war auf ihrer Lohnsteuerkarte die Steuerklasse IV eingetragen. Im November 1975 wählte sie für das Jahr 1976 für sich die Steuerklasse V - ihr Ehemann erhielt die Steuerklasse III -. Am 23. Dezember 1975 meldete sie sich mit Wirkung ab 1. Januar 1976 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Dieses bewilligte die Beklagte jeweils nach der Leistungsgruppe D für die Zeit ab 29. Januar 1976 mit Bescheid vom 15. Januar 1976 und für die Zeit vom 1. bis 28. Januar 1976 mit Bescheid vom 29. Januar 1976. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin die Zahlung von Alg unter Berücksichtigung der Steuerklasse IV begehrte, wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1976 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 24. Mai 1977 unter Abänderung der Bescheide vom 15. und 19. Januar 1976 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1976 Alg nach der Leistungsgruppe A der AFG-Leistungsverordnung 1976 zu zahlen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. November 1977 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, daß sie nicht genau 68 vH ihres letzten Netto-Arbeitsentgeltes erhalte. § 111 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) berechne die Höhe des Alg aufgrund von einfach zu handhabenden Durchschnittswerten. Eine Verfassungswidrigkeit dieser pauschalen Berechnung sei nicht ersichtlich. Die Klägerin könne auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs den Differenzbetrag zur Leistungsgruppe A verlangen. Sie habe im Jahre 1976 zu keiner Zeit eine Lohnsteuerkarte mit der Lohnsteuerklasse IV gehabt. Eine Aufklärungspflicht der Beklagten erstrecke sich darüber hinaus nur darauf, welche Folge die Wahl einer Steuerklasse auf die Höhe des jeweiligen Alg-Anspruchs habe. Abgesehen davon hätte am 22. Dezember 1975 von dem Bediensteten der Beklagten nicht verlangt werden können, das neue Gesetz, das am 20. Dezember 1975 verkündet worden sei, in die Beratung der Klägerin einzubeziehen. Die Unterlassung einer entsprechenden Beratung am 5. Januar 197ö - an diesem Tage hatte die Klägerin das Antragsformular für das Alg bei dem Arbeitsamt abgegeben - hätte wegen der Regelung des § 113 AFG nicht mehr ursächlich dafür sein können, daß der Klägerin Alg lediglich nach der Leistungsgruppe D gezahlt worden sei. Ein Organisationsverschulden der Beklagten liege gleichfalls nicht vor. Im übrigen wäre es für die Klägerin praktisch gar nicht mehr möglich gewesen, ihre Lohnsteuerklassenkombination bis zum Beginn des Jahres 1976 noch ändern zu lassen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, ihr stehe aufgrund der Neufassung, die § 113 Abs 2 AFG durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (5. AFG-ÄndG) erfahren habe, der geltend gemachte Anspruch zu. Diese Vorschrift habe für den vorliegenden Fall rückwirkende Geltung. Darüber hinaus habe das LSG § 111 Abs 1 AFG nicht hinreichend beachtet. Danach betrage das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG). Der Hinweis auf § 112 AFG mache deutlich, daß für die Bemessung des Alg auf das letzte Arbeitsentgelt, das vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abgerechnet worden sei, abgestellt werde. Hieraus folge, daß § 111 Abs 1 AFG nicht nur für die Feststellung des Brutto-Arbeitsentgelts, sondern auch für die Feststellung des Leistungssatzes Bedeutung habe. Deshalb könne hier für die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe nur die Lohnsteuerkarte für das Jahr 1975 maßgebend sein. Wenn man dieser Ansicht nicht folge, stehe der Klägerin der geltend gemachte Anspruch in Form eines sozialrechtlichen Schadensersatzanspruchs zu. Der Bedienstete der Beklagten habe, als sich die Klägerin am 22. Dezember 1975 arbeitslos meldete, dieser nicht mehr ein Merkblatt über die Höhe des Alg nach einer überholten Rechtslage aushändigen dürfen. Er hätte sie vielmehr auf die geänderte Rechtslage hinweisen und darauf aufmerksam machen müssen, daß ab 1. Januar 1976 die Höhe des Alg entscheidend mit abhängig sei von der Lohnsteuerklasse, die in der Lohnsteuerkarte für das Jahr 1976 eingetragen worden sei. Die unterbliebene richtige Beratung könne nicht damit gerechtfertigt werden, daß dem Bediensteten der Beklagten, der die Klägerin beraten habe, die neue Rechtslage am 22. Dezember 1975 noch nicht bekannt gewesen sei. Das möge zwar den Bediensteten entlasten, berühre aber nicht die Pflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin auf Erteilung einer zutreffenden Auskunft und Beratung. Entgegen der Ansicht des LSG sei ein Verschulden der Beklagten nicht Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Schadensersatzanspruch. Wenn auch dieser Gesichtspunkt nicht durchschlage, so sei zu berücksichtigen, daß die Zuordnung verheirateter Geldleistungsempfänger nach dem AFG in fünf verschiedene Leistungsgruppen der Leistungstabellen verfassungswidrig sei. § 111 Abs 2 Nr 1 AFG verstoße gegen Art 3 Abs 1, 6 Abs 1 und 20 Grundgesetz (GG). Deshalb sei der Rechtsstreit gegebenenfalls dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
vom 14. November 1977 aufzuheben und die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Kassel vom 24. Mai 1977 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Auffassung, daß auch die rückwirkende Neuregelung des § 113 Abs 2 AFG zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis führe. Nach dem Wortlaut des Gesetzes könne ein Steuerklassenwechsel, der tatsächlich nicht erfolgt sei, nicht berücksichtigt werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, kein höheres Alg zu.
Die Beklagte hat das der Klägerin ab 1. Januar 1976 zustehende Alg nach den §§ 111, 113 AFG zutreffend festgestellt. Diese Vorschriften sind hier in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) anzuwenden, das insoweit am 1. Januar 1976 in Kraft getreten ist (Art 5 § 1 HStruktG-AFG). Übergangsvorschriften sind nur für Arbeitslose getroffen worden, deren Anspruch auf Alg oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) vor Inkrafttreten des Gesetzes bereits entstanden war (Art 1 § 2 Abs 10 HStruktG-AFG). Hieraus folgt zugleich, daß für Arbeitslose, deren Anspruch bei oder nach Inkrafttreten des HStruktG-AFG entstanden ist, die durch dieses Gesetz getroffene neue Regelung gelten soll.
Anspruch auf Alg hat nach § 100 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Da das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG bis zum 31. Dezember 1975 gedauert hat, ist sie erst am 1. Januar 1976 arbeitslos geworden. Ein Anspruch auf Alg kann ihr somit vor diesem Zeitpunkt nicht zustehen.
Nach § 111 Abs 1 AFG beträgt das Alg grundsätzlich 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts, wobei der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nach § 111 Abs 2 AFG ermächtigt ist, die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung zu bestimmen unter Beachtung der in § 111 Abs 2 Satz 2 AFG aufgeführten Sachverhalte. Nach § 111 Abs 2 Nr 1 Buchst d AFG ist danach bei verheirateten Arbeitnehmern, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, als Lohnsteuer die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse V zugrunde zu legen und demgemäß die Leistungsgruppe D mit bestimmten Leistungssätzen zu bilden. Dies ist für das Kalenderjahr 1976 durch die AFG-Leistungsverordnung 1976 vom 2. Januar 197ö (BGBl I 17) geschehen. Maßgebend für die Frage, nach welcher Leistungsgruppe sich die Höhe eines geltend gemachten Anspruchs auf Alg richtet, ist - soweit dies von der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse abhängt - grundsätzlich die Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Im Falle der Klägerin ist dies die Lohnsteuerklasse V; denn diese war auf ihrer Lohnsteuerkarte für das Jahr 1976 mit Wirkung ab 1. Januar 1976 eingetragen. Zwar sieht das Gesetz in bestimmten Fällen auch die Berücksichtigung späterer Änderungen der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte vor (vgl § 113 Abs 1 Sätze 2 und 3, § 113 Abs 2 AFG). Eine solche Änderung der Eintragung ist nach den Feststellungen des LSG, die die Klägerin nicht angegriffen hat und an die der Senat deshalb gebunden ist (§ 163 SGG), auf Lohnsteuerkarten der Klägerin nach dem 1. Januar 1976 nicht vorgenommen worden, so daß eine Anwendung der oa Regelungen zu ihren Gunsten nicht in Betracht kommt. Das gilt auch für die Neufassung, die § 113 Abs 2 AFG durch das 5. AFG-ÄndG erfahren hat. Aus diesem Grunde brauchte der Senat sich gleichfalls nicht mit der Frage zu befassen, ob sich Auswirkungen auf den Anspruch der Klägerin aus § 113 Abs 2 iVm Abs 4 AFG idF des am 1. Januar 1981 in Kraft tretenden Art 3 des Steuerentlastungsgesetzes 1981 (StEntlG 1981) vom 16. August 1980 (BGBl I 1381) ergeben können; denn auch § 113 Abs 2 AFG idF des StEntlG 1981 setzt voraus, daß überhaupt ein Steuerklassenwechsel nach dem nach § 113 Abs 1 Satz 1 AFG maßgeblichen Zeitpunkt stattgefunden hat.
War sonach mit Wirkung ab 1. Januar 1976 auf der Lohnsteuerkarte der verheirateten Klägerin die Lohnsteuerklasse V eingetragen und wurde dieser Eintrag später nicht geändert, so hat die Beklagte die Höhe ihres Alg-Anspruchs ab 1. Januar 1976 zutreffend der Leistungsgruppe D entnommen (§§ 111 Abs 2 Nr 1 Buchst d, 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Entgegen der Auffassung der Klägerin kann bei Versicherten, die zum Jahresende arbeitslos werden, nicht die Eintragung auf der Steuerkarte des vorausgegangenen Kalenderjahres maßgeblich sein. Dem steht schon der eindeutige Wortlaut des § 113 Abs 1 AFG entgegen, wonach für die Höhe des Alg die Lohnsteuerklasse maßgebend ist, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist. Daß eine solche Auslegung auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich aus der Begründung zur Änderung des § 113 AFG durch das 5. AFG-ÄndG. Hiernach soll die Änderung Härten ausschließen, die sich ergeben können, wenn die Ehegatten zu Beginn des Kalenderjahres eine Lohnsteuerklassenkombination gewählt haben, die dem Verhältnis ihrer Arbeitslöhne offensichtlich nicht entspricht (BR-Drucks 1/79 S 28 Nr 33).
Nach Auffassung des Senats steht die Anbindung des für die Höhe des Alg-Anspruchs maßgeblichen Lohnes an den Eintrag der Lohnsteuerklasse in der Steuerkarte des Arbeitslosen und die deswegen nach § 111 Abs 2 Nr 1 AFG folgende Auswirkung auf einen Sachverhalt wie den vorliegenden mit dem GG in Einklang, so daß es entgegen der Meinung der Klägerin keiner Vorlage gem Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG bedarf. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. November 1980 (7 RAr 14/80) im wesentlichen gleichlautend mit der nachfolgenden Begründung entschieden.
Die Klägerin sieht in der oa Regelung in erster Linie einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 GG, weil die Anknüpfung an die Lohnsteuerklassen sachlich nicht gerechtfertigt und deshalb willkürlich sei. Sie macht auch einen Verstoß gegen Art 6 GG geltend, der den Schutz von Ehe und Familie gewährleistet und der als eine Konkretisierung des Gleichheitssatzes hier vorrangig zu prüfen ist, weil es für den streitigen Sachverhalt um die (unterschiedliche Höhe des Alg-Anspruchs von Ehepartnern geht (vgl BVerfGE 3, 225, 240; 18, 257, 269).
Soweit die Klägerin rügt, daß sie mit der Steuerklasse V bei der Berechnung des Alg anders eingestuft wird als verheiratete Versicherte mit den Lohnsteuerklassen III oder IV, kann sich kein Schutz aus Art 6 Abs 1 GG ergeben; denn für einen Vergleich der Behandlung verschiedener Ehepaare und Familien bietet Art 6 Abs 1 GG keinen Maßstab (vgl BVerfGE 43, 108, 118; 45, 104, 12ö). Dasselbe gilt für den Hinweis der Klägerin auf die sich aus dem sogenannten Splitting-Verfahren (§§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes -EStG-) ergebenden Auswirkungen für Eheleute in steuerlicher Hinsicht einerseits und im Hinblick auf die Höhe des Alg andererseits; denn auch insoweit betreffen die Behandlungsmaßstäbe jeweils Eheleute und nicht das Verhältnis Verheirateter zu Nichtverheirateten. Allerdings ist auch für Nichtverheiratete am Ende des Steuerjahres eine steuerliche Ausgleichsberechnung vorgesehen, wenn auch von geringerer wirtschaftlicher Bedeutung. Abgesehen davon, daß diese gegenüber Eheleuten insofern nicht verschieden behandelt werden, als auch bei ihnen die Leistungssätze im Falle der Arbeitslosigkeit an die steuerliche Belastung anknüpfen (vgl § 111 Abs 2 Nr 1 Buchst a und b AFG), enthielte eine etwa vorhandene Begünstigung der Nichtverheirateten gegenüber Ehepartnern keine Verletzung des Art 6 Abs 1 GG.
Die Vorschrift hat mehrere Schutzfunktionen, zB Institutsgarantie der Ehe, Benachteiligungsverbot oder Förderungsgebot von Ehe und Familie (vgl die Übersicht bei Leibholz-Rinck, Komm zum GG, Art 6 Anm 1). Der vorliegende Fall betrifft die Frage der Benachteiligung von Ehegatten durch Nichtberücksichtigung des Splitting-Verfahrens im AFG. Darin könnte eine Benachteiligung von Ehe und Familie in dem von Art 6 Abs 1 GG garantierten Schutzbereich nur dann liegen, wenn sich einleuchtende sachliche Gründe hierfür nicht finden ließen (vgl BVerfGE 17, 210, 217; 24, 104, 109; 28, 324, 347; 29, 104, 112; 32, 260, 268). Diese Gründe sollen sich aus der besonderen Lage der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft ergeben; eine Diskriminierung der Ehe darf nicht erfolgen. Letztlich geht es dabei, wie bei der Frage nach einer Verletzung des Art 3 GG (vgl BVerfGE 9, 291, 294) darum, ob sich der Gesetzgeber nach dem Inhalt der ihm gestellten Aufgabe sachlich vernünftiger rechtlicher Mittel bedient hat.
Die Anknüpfung der Leistungshöhe in § 111 Abs 2 AFG an die verschiedenen Steuerklassen wurde erst durch das HStruktG-AFG geschaffen. In früher gültiger Fassung des AFG sowie im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) war das Alg aus dem Hauptbetrag (im AVAVG zunächst: "Hauptunterstützung") und den Familienzuschlägen zusammengesetzt. Den Familienzuschlag für Ehegatten erhielt der Arbeitslose, wenn er insbesondere während der Arbeitslosigkeit eine rechtliche oder sittliche Pflicht zur Unterhaltsgewährung im Falle seiner Leistungsfähigkeit haben würde (vgl § 103 Abs 2 und 3 AVAVG idF vom 16. Juli 1927, RGBl I 187; § 89 Abs 2 und 3 idF vom 3. April 1957, BGBl I 322). Durch das Siebente Änderungsgesetz zum AVAVG vom 10. März 1967 (BGBl I 266) wurde der Nachweis der familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung des Arbeitslosen durch die Eintragung der Lohnsteuerklasse III auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen ersetzt. Bei der Ablösung des AVAVG durch das AFG vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) wurde das Erfordernis der familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung fallengelassen. Einzige Voraussetzung für die Gewährung des Familienzuschlages für den Ehegatten des Arbeitslosen war, daß die Ehegatten nicht dauernd getrennt lebten (§ 113 AFG Abs 1 Satz 1 Nr 1). Durch Art 27 Nr 11 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656 - EG-EStRG -) wurde § 113 AFG gestrichen. Den Leistungssätzen des Alg war aber bei Verheirateten die Steuer nach der Einkommensteuer-Splitting-Tabelle zugrunde zu legen (Art 27 Nr 8 EG-EStRG). Aufgrund dieser Fassung des AFG konnte ein Arbeitsloser, der die Lohnsteuerklasse V hatte, ein im Verhältnis zum letzten Netto-Arbeitsentgelt erheblich höheres Alg beziehen als ein Arbeitsloser mit der Lohnsteuerklasse III, obwohl gerade dieser Arbeitslose typischerweise eher zum Unterhalt verpflichtet ist.
Der § 113 AFG idF des HStruktG-AFG knüpft an die Lohnsteuerklassen an. Die Einstufung in die Leistungsgruppe D führt dazu, daß der verheiratete Arbeitslose ein wesentlich geringeres Alg erhält als jeder ledigliche Arbeitslose, der ein gleich hohes Brutto-Arbeitsentgelt bezogen hat. Für diese Differenzierung zu Lasten den Verheirateten besteht aber ein einleuchtender Grund. Alle Arbeitslosen werden nämlich insoweit gleichbehandelt, als sie nach dem Grundsatz des § 111 Abs 1 AFG ein Alg in Höhe von 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts erhalten sollen. Diese Regelung entspricht den Zielvorstellungen des Gesetzgebers in sachgerechter Weise. Die Berechnung des Alg in Höhe von 68 vH des "Nettolohnes" konnte nicht auf den jeweils individuell erzielten Nettolohn bezogen werden, weil dieser durch Freibeträge uä "manipulierbar" ist und daher bei der Bemessung des Alg zu nicht gerechtfertigten Unterschieden hätte führen können. Die Pauschalierung der Steuerabzüge nach den bei Arbeitnehmern "gewöhnlich" anfallenden Steuerabzügen, die über die Lohnsteuerklassen erfolgt, besagt insoweit, daß nur diejenigen steuerlichen Freibeträge und Kostenpauschalen bei der Bemessung des Alg Berücksichtigung finden sollen, die bereits in die der jeweiligen Lohnsteuerklasse zugeordnete Lohnsteuertabelle eingearbeitet und daher beim laufenden Lohnsteuerabzug bereits berücksichtigt sind (vgl §§ 38b, 38c Abs 1 Nrn 1-7 EStG). Hingegen bleiben alle sonstigen - individuellen - Freibeträge, die kraft besonderer Eintragung auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abgezogen werden können (§ 39a EStG) sowie sonstige Steuervergünstigungen, die erst im Lohnsteuerjahresausgleich zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich unberücksichtigt. Für eine derartige pauschalierende bzw typisierende Regelung bestehen sachlich einleuchtende Gründe: Nach der Zweckbestimmung des Alg, das ausfallenden Lohn ersetzen soll, besteht die Notwendigkeit zu schneller Berechnung und Auszahlung dieser Leistung. Für eine praktische Handhabung der Leistungsfeststellung bieten sich die nach Lohnsteuerklassen aufgebauten Leistungssatztabellen als klare Berechnungsgrundlage an. Darüber hinaus ist das Alg nach seiner Funktion am letzten "erzielten" Nettolohn orientiert, dh, es sollen an sich nur die bei Eintritt der Arbeitslosigkeit beim laufenden Steuerabzug gewöhnlich bereits erfaßten Steuerentlastungen Berücksichtigung finden. Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz des Rechts der Arbeitsförderung, daß nachträgliche Änderungen der Bemessungsgrundlage bei der Höhe der Leistung nicht berücksichtigt werden. Einkommen, das bei Eintritt der Arbeitslosigkeit gewöhnlich tatsächlich noch nicht zur Verfügung steht, ist unbeachtlich; denn die Zahlung von Alg erfüllt ihren Zweck nur während der - im Regelfall relativ kurzen - Arbeitslosigkeit; etwaige Ausgleichszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt würden diesen Zweck verfehlen (vgl dazu BSG SozR 4100 § 112 Nrn 1, 3, 5).
Die angeführten Gründe des Gesetzgebers für die Berechnung des Alg gelten auch für Ehegatten, die beide berufstätig sind. Bei Berechnung des Alg an Hand der Steuerklasse, die der Ehegatte hat, der arbeitslos wird, werden den Ehegatten prinzipiell 68 vH des Einkommens ersetzt, das durch die Arbeitslosigkeit des einen Ehegatten entfallen ist. Würde das Splitting-Verfahren als solches oder seine steuerlichen Ergebnisse bei der Alg-Berechnung zu berücksichtigen sein, ließen sich die dargestellten Ziele nicht verwirklichen. Die Beachtung des Splitting-Ergebnisses bei der Berechnung des Alg unmittelbar mit Eintritt der Arbeitslosigkeit wäre wiederum nur durch eine pauschale Lösung möglich. Abgesehen davon, ob darauf abgestellte Durchschnittswerte des Einkommens überhaupt errechnet werden könnten, wäre nur eine Lösung denkbar, die ebenfalls individuelle Besonderheiten vernachlässigen müßte. Würde man aber einen Ausgleich erst nach Ablauf des Steuerjahres durchführen, wäre dies für eine Mehrzahl von Arbeitslosen erst nach Beendigung der Arbeitslosigkeit möglich. Etwaige Ausgleichszahlungen ließen sich dann jedoch mit keiner Zweckrichtung des Alg mehr vereinbaren. Die Zahlung von Alg in einer gewissen Höhe des Nettoeinkommens, damit der Arbeitslose in seiner Lebenshaltung nicht zu stark absinkt, erfüllt ihren Zweck nur während der Zeit der tatsächlichen Arbeitslosigkeit. Ebenso kann die Voraussetzung, das Alg so zu bemessen, daß eine erneute Arbeitsaufnahme gefördert wird, nur für die Zeit gelten, in der die Arbeitslosigkeit besteht. Etwaige Ausgleichszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt hätten mit diesem Zweck nichts mehr gemein und würden die Versichertengemeinschaft in systemwidriger Weise ungerechtfertigt belasten. Schließlich wären bei einer solchen Verfahrensweise auch Überzahlungen mit der Folge von Rückforderungsansprüchen nicht auszuschließen. Es erschiene aber kaum sachgerecht, eine solche Gefahr bereits in der Systematik für die Bemessung des Alg anzulegen, zumal da der Verwirklichung des angemessenen Rückflusses derart zu Unrecht erbrachter Leistungen durch die gegenwärtige Regelung des § 152 AFG erhebliche Hindernisse im Wege stünden.
Die von der Klägerin gewünschte vorzeitige Berücksichtigung des Ergebnisses eines Splitting-Ausgleiches würde deshalb erst recht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Arbeitslosen führen, was die gegenwärtige Regelung gerade vermeiden will, wenn sie jedem einen - wenn auch pauschal bestimmten - gleichen Satz des gegenwärtig tatsächlich ausfallenden Einkommens ersetzt. Sie würde bedeuten, daß die Aufrechterhaltung des Lebensstandards, soweit er vom Einkommen abhängig ist, nicht für alle in gleichem Maße gewährleistet wäre, daß der Antrieb und Druck, sich um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, unterschiedlich ausgeprägt, das Prinzip der Chancengleichheit damit verletzt wäre. Gerade die Vermeidung dieser Beeinträchtigung des Gleichbehandlungsgebotes hat aber Vorrang vor einer möglichen finanziellen Benachteiligung von Ehegatten, die beide berufstätig sind, zumal da diese nicht aus der Systematik der Alg-Bemessung, sondern aus der nach individuellen Gesichtspunkten erfolgten Wahl der beiderseitigen Steuerklassen folgt.
Aus den oa Gründen sieht der Senat in der von der Klägerin beanstandeten Regelung auch keine Verletzung des Art 3 GG. Soweit die Klägerin sich insoweit darauf berufen will, § 111 Abs 2 Nr 1 AFG stehe im Widerspruch zur Beitragsgerechtigkeit, übersieht sie, daß das BVerfG bereits im Beschluß vom 3. April 1979 (SozR 4100 § 112 Nr 10) entschieden hat, daß der Gesetzgeber nicht gehalten ist, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen. Gerade die individuellen Beiträge könnten angesichts der für die Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaftszeiten, des extrem kurzen Bemessungszeitraumes und der üblicherweise kurzen Leistungsbezugszeit nicht als vorrangiger Maßstab in Betracht kommen. Die Gesamtleistung an Alg stehe im Einzelfall typischerweise nicht in einer Beziehung zur jeweiligen Beitragsleistung. Das sei auch eine Folge dessen, daß alle Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung ihres individuellen Arbeitslosenrisikos gleichmäßig zur Beitragsleistung herangezogen würden.
Aufgrund dieser Erwägungen scheidet auch eine Verletzung des Art 14 Abs 1 GG wegen Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie bei Gewährung von staatlichen Leistungen, die auf Beiträgen beruhen, aus. Nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt ein Schutz aus Art 14 Abs 1 GG für Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung nur dann in Betracht, wenn die Leistung nicht ausschließlich auf staatlicher Gewährung, sondern auf eigener Leistung beruht (BVerfGE 14, 288, 293; 22, 241, 253). Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange dieser Schutz besteht, ist vom BVerfG bisher zwar nicht entschieden worden; er kommt sicherlich dann in Betracht, wenn der ein subjektiv-öffentliches Recht begründende Sachverhalt dem einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht und die so stark ist, daß ihre ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des GG widersprechen würde (BVerfGE 40, 65, 83 mwN). Nach Auffassung des Senats (vgl BSGE 43, 128, 131 = SozR 4100 § 100 Nr 1) gehört es nicht zum feststehenden Inhalt der Anwartschaft auf Alg, ob die Leistungsberechtigung vor, mit oder nach dem Erreichen einer Altersgrenze endet. Im vorliegenden Falle wird der Klägerin noch nicht einmal die Leistung entzogen; es geht vielmehr um die Modalitäten der Berechnung und damit um die Höhe des Alg, so daß der Eigentumsschutz nicht tangiert werden kann.
Die Anbindung des Alg an die Lohnsteuerklassen auch für den Fall, daß beide Ehegatten berufstätig sind, verstößt schließlich nicht gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG). Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt im wesentlichen dem Gesetzgeber (BVerfGE 1, 97, 105; 8, 274, 329; 36, 73, 84), dessen Entscheidungsfreiheit lediglich insoweit eingeschränkt ist, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (BVerfGE 40, 121, 133 f; BSGE 43, 128, 133 mwN). Die Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit durch die Leistungen des AFG sichert einen grundlegenden sozialen Mindestschutz; da auch durch die Anbindung der Berechnung des Alg an die Lohnsteuerklassen für jeden Arbeitslosen auf sein für die Zeit der Arbeitslosigkeit ausfallendes Arbeitsentgelt abgestellt wird, gibt es keine soziale Benachteiligung einzelner Gruppen (vgl auch BVerfG in SozR 4100 § 112 Nr 10).
Die von der Klägerin begehrte höhere Leistung läßt sich auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erreichen, wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat. Unterstellt, die Beklagte habe ihre Beratungs- oder Betreuungspflicht dadurch verletzt, daß sie die Klägerin nicht auf die Möglichkeit der Eintragung einer für ihren Alg-Anspruch günstigeren Steuerklasse hingewiesen hat, kann dies nicht zur Verurteilung zur Gewährung eines höheren Alg führen. Dagegen spricht, daß im Wege des Herstellungsanspruchs die Vornahme einer gesetzeswidrigen Amtshandlung nicht begehrt werden kann (BSGE 44, 114, 121 = SozR 2200 § 886 Nr 1 S 9). Das würde hier das Begehren der Klägerin zur Folge haben. Die Beklagte müßte entgegen den Vorschriften der §§ 111, 113 AFG von einer Lohnsteuerklasse ausgehen, die nicht auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragen ist. Ein solcher Herstellungsanspruch ließe sich nur dann durchsetzen, wenn die Lohnsteuerklasse IV auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin tatsächlich eingetragen wäre (§ 111 Abs 2 Nr 1 Buchst a AFG). Dem steht jedoch entgegen, daß für die Eintragung der Steuerklasse auf der Lohnsteuerkarte die Gemeinde als örtliche Landesfinanzbehörde zuständig ist (§ 39 Abs 3 und 6 EStG). Es handelt sich hierbei um eine Tatbestandsvoraussetzung, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Beklagten liegt und aus diesem Grunde im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht ersetzt werden kann (BSG Urteil vom 13. Mai 1980 - 12 RK 18/79 -, Gagel/Jülicher, AFG, § 15 Anm 17). Die Klägerin kann daher ihr Begehren allenfalls durch einen Schadensersatzanspruch in Geld erreichen. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, die gem § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Zuständigkeitsbereich der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehört, sondern um einen Amtshaftungsanspruch, über den gem § 40 Abs 2 S 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (BSGE 44, 114, 122 = SozR 2200 § 886 Nr 1 S 10).
Die Revision kann nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen