Orientierungssatz
Unwirksamkeit von entrichteten Pflichtbeiträgen - Beitragsnachentrichtung nach AnVNG Art 2 § 27 Abs 1 (= ArVNG Art 2 § 28 Abs 1) - notwendige Beiladung des Arbeitgebers.
Normenkette
RVÄndG 2 Art 2 § 1 Fassung: 1966-12-23; AnVNG Art 2 § 27 Abs 1 Fassung: 1969-07-28; ArVNG Art 2 § 28 Abs 1 Fassung: 1969-07-28; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.10.1980; Aktenzeichen L 6 An 667/80) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 28.01.1980; Aktenzeichen S 9 An 1708/78) |
Tatbestand
Streitig ist die Wirksamkeit von Pflichtbeiträgen, die von Juli 1972 bis Dezember 1975 für die Klägerin zur Angestelltenversicherung entrichtet worden sind; hiervon hängt es ab, ob die Klägerin - was außerdem streitig ist - zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 27 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (AnVNG) befugt ist.
Für die 1939 geborene Klägerin wurden von Januar 1954 bis Juni 1961 Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet. Diese Beiträge wurden ihr anläßlich ihrer Eheschließung am 1. Juli 1961 von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden erstattet. Nach der Eheschließung arbeitete die Klägerin im Friseursalon ihres damaligen Ehemannes zunächst als Friseuse. Am 31. März 1969 befreite sie die LVA Baden aufgrund von Art 2 § 1 des 2. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) von der "Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Arbeiter". Von Juli 1972 an wurde die Klägerin dann als Geschäftsführerin des Damensalons tätig. Daraufhin entrichtete der Ehemann für sie nunmehr Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten.
Im September 1976 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Nachentrichtungsantrag. Darauf beanstandete die Beklagte nach Beiziehung der Akten der LVA die von Juli 1972 bis Dezember 1975 geleisteten Beiträge als zu Unrecht entrichtet; sie seien "rechtsunwirksam", weil die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1967 von der Versicherungspflicht befreit worden sei; den Nachentrichtungsantrag lehnte sie ab (Bescheid vom 6. Mai 1977).
Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, daß zwischen der Klägerin und ihrem früheren Ehemann von Juli 1961 bis August 1977 ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis bestanden habe; auf dieses habe sich die Befreiung bezogen. In dem Befreiungsbescheid der LVA heiße es zwar irreführend, die Klägerin werde von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Arbeiter befreit. Daraus könne die Klägerin jedoch keine Rechte gegen die Beklagte herleiten; diese habe den Bescheid nicht erlassen, außerdem begründe eine unrichtige Auskunft für den Versicherten nur den Anspruch, so gestellt zu werden, als sei die Auskunft richtig erteilt worden. Ein Nachentrichtungsrecht stehe der Klägerin nicht zu, da es wegen der Unwirksamkeit der entrichteten Beiträge an der in Art 2 § 27 AnVNG geforderten Vorversicherungszeit fehle.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Art 2 § 1 Abs 1 des 2, RVÄndG, Art 2 § 27 Abs 1 AnVNG sowie der Grundsätze über die Auslegung und Bindungswirkung von Verwaltungsakten. Der Befreiungsbescheid habe sich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf die Rentenversicherung der Arbeiter bezogen. Eine gesetzliche Regelung, wonach sich eine solche Befreiung auch auf die Rentenversicherung der Angestellten erstrecke, gebe es nicht. Zudem habe das LSG den Begriff der Beschäftigung zu Unrecht arbeitsrechtlich und nicht sozialversicherungsrechtlich verstanden; es habe verkannt, daß ein Überwechseln von einer arbeiterrentenversicherungspflichtigen Tätigkeit zu einer angestelltenversicherungspflichtigen ein Ausscheiden aus der ersteren darstelle. Schließlich habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, daß eine vom Versicherungsträger eines Rentenversicherungszweiges ausgesprochene Befreiung über dessen Gebiet hinaus Auswirkungen nur haben könne, wenn sie sich nach dem Willen des Gesetzgebers ausnahmsweise auch auf andere Versicherungszweige beziehe. Ein solcher gesetzgeberischer Wille sei hier nicht erkennbar.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen sowie den angefochtenen Bescheid in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und festzustellen,
daß die für die Zeit vom 1. Juli 1972 bis 31. Dezember 1975
geleisteten Pflichtbeiträge wirksam sind und die Klägerin zur
Nachentrichtung nach Art 2 § 27 AnVNG berechtigt ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Die Zurückverweisung ist geboten, weil eine notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-, 2. Fall) unterblieben ist und damit das Verfahren an einem von Amts wegen zu beachtenden Mangel leidet (vgl SozR 1500 § 75 Nrn 1, 29; Urteil des erkennenden Senats vom 19. November 1981 - 11 RA 88/80 -), der in der Revisionsinstanz nicht zu beheben ist.
Gegenstand des Rechtsstreits und damit streitiges Rechtsverhältnis iS von § 75 Abs 2 SGG ist neben dem von der Klägerin geltend gemachten Recht der Nachentrichtung von Beiträgen die Rechtswirksamkeit der von der Beklagten Beanstandeten und für unwirksam erklärten Pflichtbeiträge für die Zeit vom 1. Juli 1972 bis 31. Dezember 1975. An einem solchen Rechtsverhältnis ist, wie der 12. Senat des BSG in seinem Urteil vom 24. Juni 1981 (SozR 2200 § 1423 Nr 13) näher ausgeführt hat, der Arbeitgeber des Versicherten, der die Beiträge entrichtet hat, in der in § 75 Abs 2 SGG bezeichneten Weise beteiligt. Denn im Falle der Unwirksamkeit der Beiträge hat auch er, soweit er die Beiträge getragen hat, einen Erstattungsanspruch; über die Wirksamkeit der Beiträge kann auch ihm gegenüber nur einheitlich entschieden werden. Das LSG hätte sonach den früheren Ehemann der Klägerin als deren damaligen Arbeitgeber beiladen müssen; es wird das nunmehr nachzuholen haben.
Angesichts dieser Verfahrenslage sieht der Senat von einer Stellungnahme in der Sache ab. Es erscheinen ihm jedoch zwei Hinweise angemessen. Der eine betrifft die Art der erhobenen Klagen. Das LSG hat für beide Begehren der Klägerin jeweils ein Zusammentreffen einer Anfechtungsklage mit einer Feststellungsklage angenommen. Hiergegen ist zwar hinsichtlich des Wirksamkeitsstreits um die Beiträge nichts einzuwenden; dieser Streit betrifft ein Rechtsverhältnis iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG (vgl auch Abs 2). Bei dem Nachentrichtungsbegehren dürfte es indessen wegen der dem erforderlichen Nachentrichtungsantrag (auch) zukommenden verfahrensrechtlichen Bedeutung näherliegen, die Klage gem § 123 SGG als eine verbundene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ("Zulassung zur Nachentrichtung") zu verstehen. Der zweite Hinweis betrifft den Befreiungsbescheid der LVA. Der Senat hat schon in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß solche Befreiungsbescheide konstitutive Bedeutung haben (SozR 2200 § 381 Nr 46, letzter Absatz). Sollte sich die konstitutive Wirkung in der Befreiung von einer Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung erschöpft haben, könnte der Klägerin die Berufung hierauf (die Ableitung von Rechten gegenüber der Beklagten, wie es im Berufungsurteil heißt) nicht deshalb versagt werden, weil nicht die Beklagte diesen Bescheid erlassen habe. Auch könnte wohl kaum ein unrichtiger Befreiungsbescheid in seinen Auswirkungen einer unrichtigen Auskunft gleichgestellt werden.
Nach alledem war, wie geschehen, zu erkennen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen