Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft. keine Arbeitnehmereigenschaft. Wirkung der Beitragsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
Ein bisher beitragsfreies Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft wird nicht allein dadurch beitragspflichtiger Arbeitnehmer der Aktiengesellschaft, daß es nach seiner Abberufung einseitig die Leistung abhängiger Arbeit anbietet und sein Gehalt als Vorstandsmitglied weiterbezieht.
Orientierungssatz
1. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind nicht gegen Entgelt beschäftigte Angestellte, daher nicht Arbeitnehmer und folglich nicht beitragspflichtig (Anschluß an BSG vom 4.9.1979 7 RAr 57/78 = BSGE 49, 22).
2. Die Beitragsfreiheit eines Vorstandsmitglieds bezieht sich nicht nur auf die Organstellung als solche, sondern auch auf das Dienstverhältnis, das zwischen der Aktiengesellschaft und dem Vorstandsmitglied im Hinblick auf die Ausübung der Vorstandstätigkeit durch Abschluß eines Anstellungsvertrages begründet wird (vergleiche § 84 Abs 1 S 5, Abs 3 S 5 AktG).
Normenkette
AFG § 168 Abs 1 S 1 Fassung: 1969-06-25; AktG § 84 Abs 1 S 5; AktG § 84 Abs 3 S 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger nach seiner Abberufung als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit war, solange er aufgrund des Anstellungsvertrages, der seiner Vorstandstätigkeit zugrunde lag, noch Bezüge erhielt.
Der Kläger war seit Gründung einer inzwischen im Handelsregister gelöschten Aktiengesellschaft (D und P G C - im Folgenden: AG -) zunächst deren alleiniges Vorstandsmitglied, später eines von zwei Vorstandsmitgliedern. Im Jahre 1977 schloß er mit der AG einen neuen Anstellungsvertrag. Darin war bestimmt, daß der Kläger als ordentliches Mitglied des Vorstandes die Geschäfte der Gesellschaft nach dem Gesetz, der Satzung und den Beschlüssen des Aufsichtsrates sowie der Geschäftsordnung des Vorstandes zu führen hatte (§ 1 Abs 1). Die AG verpflichtete sich außer zur Zahlung eines Jahresgehaltes, einer Gewinnbeteiligung und weiterer Nebenleistungen (§ 2) zum Abschluß einer Pensions- und einer Unfallversicherung (§ 3).
Der Kläger wurde mit Schreiben vom 16. April 1978 von seinen Pflichten entbunden und beurlaubt. Am 1. August 1978 entzog ihm die Alleinaktionärin das Vertrauen; der Aufsichtsrat beschloß die sofortige Abberufung und die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages. Der Widerruf der Vorstandsbestellung wurde am 10. Oktober 1978 ins Handelsregister eingetragen. Der Kläger unternahm dagegen nichts. Er klagte jedoch auf Weiterzahlung von Bezügen. Dem gab das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt durch rechtskräftiges Urteil vom 26. März 1980 (21 U 93/79) für die Zeit bis zum 31. Juli 1981 überwiegend statt. Es ging davon aus, der Anstellungsvertrag sei erst zu diesem Zeitpunkt wirksam gekündigt worden.
Im April 1979 hatte der Kläger beantragt, von der AG ab 1. August 1978 Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit einzuziehen. Die Beklagte lehnte das mit Bescheid vom 1. August 1979 ab. Er sei als Vorstandsmitglied nicht beitragspflichtig gewesen und habe auch nach seiner Abberufung nicht in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. November 1979).
Das Sozialgericht (SG) Frankfurt hat der Klage durch Urteil vom 24. April 1981 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) nach Beiladung der Bundesanstalt für Arbeit durch Urteil vom 9. Februar 1983 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben, die Klage abgewiesen und die auf Feststellung der Beitragspflicht vom 1. August 1978 bis zum 31. Juli 1981 gerichtete Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei als Vorstandsmitglied nicht beitragspflichtig gewesen. Der Umstand, daß das Dienstverhältnis die Organstellung überdauert habe, sei nicht geeignet gewesen, ihn zu einem beitragspflichtigen Angestellten werden zu lassen. Hierzu hätte es vielmehr, da der Anstellungsvertrag den Kläger ausschließlich zu einer Vorstandstätigkeit verpflichtet habe, der Übertragung anderer Aufgaben im Wege einer Vertragsänderung bedurft. An ihr fehle es. Die AG habe daher mit der Annahme abhängiger Arbeit nicht in Verzug geraten können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung von § 7 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Die Auffassung des LSG widerspreche der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Mai 1977 - 12/3 RK 68/75 - (SozR 2200 § 29 Nr 9). Danach begründe ein Beschäftigungsverhältnis schon dann Versicherungspflicht, wenn dem dienstbereiten Dienstverpflichteten ein Arbeitsentgelt allein deshalb geschuldet werde, weil er sich abrufbereit gehalten habe. Das sei bei ihm der Fall gewesen. Der Vorstandsvertrag habe der Verrichtung unselbständiger Arbeit nicht entgegengestanden, weil er konkludent beendet worden sei. Denn er, der Kläger, habe sich gegen seine Abberufung nicht gewehrt und die AG ihn nicht erneut berufen wollen. Eines neuen, auf eine abhängige Beschäftigung gerichteten Dienstverhältnisses habe es ebenfalls nicht bedurft. Vielmehr habe sich bereits mit der Abberufung als Vorstandsmitglied die ursprünglich auf selbständige Arbeit gerichtete Zielsetzung des Vorstandsvertrages in Richtung auch auf abhängige Arbeit geändert oder erweitert. Damit sei der AG das Recht zur Inanspruchnahme zwar noch zu konkretisierender, aber fremdbestimmter Arbeit schon mit der Beendigung der Vorstandstätigkeit erwachsen. Die Abrufmöglichkeit einerseits und seine Dienstbereitschaft andererseits hätten zur Beitragspflicht geführt. Frühere Vorstandsmitglieder seien auch schutzbedürftig, ihr Ausschluß von der Beitragspflicht unbillig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts abzuändern, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und festzustellen, daß er aufgrund seiner Anstellung bei der Firma D und P G C für die Zeit vom 1. August 1978 bis zum 31. Juli 1981 zur Beigeladenen beitragspflichtig gewesen ist, hilfsweise, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte, deren Auffassung sich die Beigeladene anschließt, beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und widerspricht der Ansicht des Klägers, die - nicht erfolgte - Änderung oder Erweiterung des Vertrages sei entbehrlich und die Verrichtung abhängiger Arbeit mit der Abberufung als Vorstandsmitglied vorgezeichnet gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das LSG hat zutreffend die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger war in der Zeit vom 1. August 1978 bis zum 31. Juli 1981 aufgrund seiner Beziehungen zu der AG nicht zur Beigeladenen beitragspflichtig.
Beitragspflichtig sind nach § 168 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen, unter anderem Personen, die als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Eine Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Mit dieser Definition der Beschäftigung war nicht beabsichtigt, zugleich die Versicherungspflicht zu regeln (Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks 7/4122, Begründung zu § 7, S 31), der hier die Beitragspflicht entspricht. Diese richtet sich vielmehr nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG. Nur auf diese Vorschrift könnte der Kläger daher seine Klage stützen. Ob im Sinne des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG im Einzelfalle Arbeit in abhängiger Stellung gegen Entgelt geleistet wird, soll sich, wie es in der Begründung des insoweit unverändert Gesetz gewordenen Entwurfs eines AFG heißt, nach den Grundsätzen entscheiden, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung entwickelt haben (BT-Drucks V/2291, Begründung zu § 164 Abs 1, S 91).
Vorstandsmitglieder einer AG sind nicht gegen Entgelt beschäftigte Angestellte, daher nicht Arbeitnehmer und folglich nicht beitragspflichtig. Das hat der 7. Senat des BSG durch Urteil vom 4. September 1979 - 7 RAr 57/78 - (BSGE 49, 22 = SozR 4100 § 168 Nr 10) bereits entschieden. In der eingehenden Begründung hat er für seine Auffassung vor allem § 3 Abs 1a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) herangezogen, wonach zu den Angestellten des § 3 Abs 1 AVG nicht die Mitglieder des Vorstandes einer AG gehören. Diese Regelung gehe davon aus, daß sie einen wirtschaftlichen und sozialen Status hätten, der es erlaube, sie vom Schutz der Sozialversicherung auszunehmen. Der erkennende Senat folgt dieser Ansicht, der auch die Literatur, soweit ersichtlich, einhellig beitritt (Gagel, Komm zum AFG, Stand: September 1983, § 168 RdNr 8; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand: Juli 1982, § 168 Anm 3; Krebs, Komm zum AFG, Stand: Mai 1983, § 168 RdNr 17; Schmitz/Specke/Picard, Komm zum AFG, Stand: November 1983, § 168 Anm 7, S 125; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, Stand: August 1973, § 168 RdNr 7). Die damit bestehende Beitragsfreiheit bezieht sich nicht nur auf die Organstellung als solche, sondern auch auf das Dienstverhältnis, das zwischen der AG und dem Vorstandsmitglied im Hinblick auf die Ausübung der Vorstandstätigkeit durch Abschluß eines Anstellungsvertrages begründet wird (vgl § 84 Abs 1 Satz 5, Abs 3 Satz 5 Aktiengesetz -AktG-; vgl im übrigen zur Unterscheidung von organschaftlicher Bestellung und Anstellungsvertrag sowie den Rechtsfolgen bei Beendigung allein der Bestellung Peltzer, BB 1976, 1249).
Der Kläger, der hiernach bis zu seiner Abberufung als Vorstandsmitglied nicht Arbeitnehmer war und das auch nicht für sich in Anspruch nimmt, wurde es auch nicht für die anschließende Zeit vom 1. August 1978 bis zum 31. Juli 1981, weil er noch Bezüge aus dem fortbestehenden Anstellungsvertrag (vgl BGH Lindenmaier- Möhring § 75 AktG Nr 5) zugesprochen erhielt. Eine Arbeitsleistung für die AG hat er in dieser Zeit nicht erbracht. In der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und des BSG ist allerdings anerkannt, daß ein die Versicherungspflicht (hier: Beitragspflicht) begründendes Beschäftigungsverhältnis auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung bestehen kann, wenn ein Arbeitsverhältnis vorhanden ist, aufgrund dessen dem dienstbereiten Arbeitnehmer ein Entgelt geschuldet wird (Großer Senat des RVA, Grundsätzliche Entscheidung -GE- Nr 3102 in Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung -AN- 1927, 581, 582 f; bestätigt vom Großen Senat des RVA in Entscheidungen und Mitteilungen 22, 238, 242; BSGE 36, 161, 163 f = SozR Nr 75 zu § 165 Reichsversicherungsordnung -RVO- und das vom Kläger erwähnte Urteil vom 26. Mai 1977 - 12/3 RK 68/75 - SozR 2200 § 29 Nr 9 sowie BSGE 52, 152, 156; vgl ferner BSGE 54, 136). Voraussetzung dafür ist dann jedoch, daß das Dienstverhältnis auf die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung gerichtet war. Hieran fehlt es beim Kläger. Sein Anstellungsvertrag verpflichtete ihn, wie das LSG festgestellt hat, zur Erfüllung der Aufgaben eines Vorstandsmitglieds und damit zu selbständigen Diensten. Die Abberufung änderte insofern den Vertragsinhalt nicht. Sie führte allein nicht dazu, daß der Kläger zu einem abhängig beschäftigten Angestellten wurde.
Die Ansicht des Klägers, es sei von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen, weil er die Leistung entsprechender Arbeiten angeboten habe und zu ihnen in der Lage gewesen sei, ist unzutreffend. Die AG war zur Entgegennahme unselbständiger Arbeit schon deshalb nicht verpflichtet, weil eine solche Leistung aufgrund des Anstellungsvertrages vom Kläger nicht geschuldet wurde. Es stand der AG frei, auf das Angebot des Klägers, im Wege einer Vertragsänderung die Verrichtung abhängiger Arbeit zu vereinbaren, einzugehen oder nicht. Sie hat ein entsprechendes Angebot nicht angenommen. In Annahmeverzug konnte sie nur insofern geraten, als sie die vertraglich geschuldeten selbständigen Dienste eines Vorstandsmitglieds nicht mehr entgegennahm. Der Kläger konnte aber nicht darüber hinaus durch ein Angebot abhängiger Arbeit, zu dessen Annahme die AG nicht verpflichtet war, einseitig seine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit erzwingen.
Die vom Kläger herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) vom 9. Februar 1978 (BB 1978, 520 = NJW 1978, 1435) stützt seine gegenteilige Auffassung nicht. Darin hat der BGH erwähnt, ein aus seiner Organstellung Abberufener (GmbH-Geschäftsführer) müsse sich mit der Weiterbeschäftigung unter ihm zumutbaren Bedingungen zufrieden geben, wenn er die sofortige Kündigung auch des Anstellungsvertrages vermeiden wolle. Damit ist indes nur gesagt, wie sich der Kläger zu einem ihm etwa unterbreiteten anderweitigen Arbeitsangebot der AG hätte stellen müssen, um die genannte Rechtsfolge zu vermeiden. Daß die AG ihrerseits ihm eine solche Arbeit hätte anbieten müssen, ist damit nicht gefordert worden. Billigkeitsüberlegungen allgemeiner Art können angesichts der dargestellten Rechtslage auch nicht dazu führen, den Kläger für beitragspflichtig zu halten. Zusammenfassend ist hiernach festzustellen: Ein - bisher versicherungs- und beitragsfreies - Vorstandsmitglied einer AG wird nicht allein dadurch zum versicherungs- und beitragspflichtigen Arbeitnehmer der AG, daß es nach Abberufung als Vorstandsmitglied einseitig - ohne eine entsprechende Abrede mit der AG - dieser die Leistung abhängiger Arbeit anbietet; das gilt auch dann, wenn er sein Gehalt als Vorstandsmitglied zunächst weiterbezieht.
Die Revision war daher mit Haupt- und Hilfsantrag zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen