Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der 1907 geborene Versicherte trat 1933 in den Dienst der politischen, später Geheimen Staatspolizei. Im März 1939 versetzte ihn der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei als Verbindungsbeamten zur italienischen Polizei mit dem Amtssitz bei der Deutschen Botschaft in Rom. 1942 wurde er zum Polizei-Attaché bei der Deutschen Botschaft ernannt und zum Kriminalrat und SS-Sturmbannführer befördert. Eine zum 1. Februar 1943 ausgesprochene Einberufung zur Wehrmacht, in der der Versicherte 1935 und 1936 Wehrübungen geleistet hatte, wendete der Reichsführer SS durch eine erneute Unabkömmlich-Stellung ab.
Nach dem Abschluß des italienischen Waffenstillstandes am 4. September 1943 stellte sich der Versicherte dem Oberbefehlshaber (OB) Südwest zur Verfügung und wurde zunächst dem Stadtkommandanten in Rom als Mitarbeiter zugeteilt. In der Folge war er Leiter des Außenkommandos Rom des Befehlshabers der Sicherheitskräfte Italien. Ihm oblag die Bekämpfung der Spionage, Sabotage und Terrortätigkeit im Operationsgebiet der 14. Armee. Im September 1943 erzwang er von der israelischen Kultusgemeinde die Herausgabe von 50 kg Gold und zwei Millionen Lire. Nach der Landung alliierter Truppen in der Nähe Roms Anfang 1944 übertrug der OB Südwest dem Versicherten die volle Verantwortung für die Sicherheit Roms, das zur offenen Stadt erklärt worden war und in dem sich Partisanen, Banden und frühere königstreue italienische Soldaten in großer Zahl befanden.
Nachdem am 23. März 1944 auf eine durch die Via Rasella marschierende Kompanie des Polizeibataillons Bozen ein Bombenanschlag verübt worden war, veranlaßte der Versicherte auf Befehl Hitlers die Erschießung von je zehn Italienern für jeden getöteten Angehörigen der Kompanie und nahm zeitweise an der Exekution in den ardeatinischen Höhlen teil. Nachträglich erfuhr er, daß infolge eines Zählfehlers statt der vorgesehenen 330 insgesamt 335 Personen erschossen worden waren.
Nach der Räumung Roms durch die deutschen Truppen war der Versicherte als Polizeiberater Mussolinis tätig. Er erhielt ein Soldbuch vom 20. September 1944, das ihn als SS-Obersturmbannführer bei einer SS-Ausbildungsabteilung auswies und in dem u.a. auch die Verleihung von Tapferkeitsauszeichnungen und des Verwundetenabzeichens in Schwarz vermerkt ist.
Etwa am 20. April 1945 begab sich der Versicherte nach Bozen, wo sich das deutsche Hauptquartier befand. Daß er in der Folgezeit militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet hat, vermochte das Landessozialgericht (LSG) nicht festzustellen. Am 10. Mai 1945 stellte sich der Versicherte den alliierten Streitkräften. Er wurde zunächst in Lagern festgehalten und am 15. Juli 1947 den italienischen Behörden ausgeliefert. Ein italienisches Militärgericht verurteilte den Versicherten am 20. Juli 1948 wegen fortgesetzten Mordes zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe und wegen willkürlicher Beschlagnahme zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren. Bei der Verhängung der erstgenannten Strafe wurde ihm die Erschießung von 15 Personen zur Last gelegt, die durch den Befehl Hitlers nicht gedeckt gewesen sei.
Rechtsmittel, Gnadengesuche und Bemühungen um eine vorzeitige Entlassung blieben ohne Erfolg. Am 14. August 1977 entkam der Versicherte mit Hilfe der Klägerin, die er während seiner Haft in Gaeta geheiratet hatte, und verstarb am 9. Februar 1978 an einem seit 1971 bestehenden bösartigen Leiden.
Bei der Berechnung der Witwenrente ließ die Beklagte die Zeit seit dem 9. Mai 1945 unberücksichtigt. Der dagegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht (SG) statt, das LSG wies sie ab. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG insbesondere ausgeführt, ein militärischer oder militärähnlicher Dienst des Versicherten vor der Kapitulation lasse sich nicht feststellen. Damit könne er sich auch nicht in Kriegsgefangenschaft befunden haben. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß er wegen einer aus militärischen Gründen angeordneten Erschießung in Haft gehalten worden sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, der Versicherte sei, wie aus dem Soldbuch vom 20. September 1944 zu entnehmen sei, nach der Räumung Roms zur Waffen-SS versetzt worden und habe, wie sich aus einer vom LSG unterlassenen Vernehmung des italienischen Staatsangehörigen B… ergeben hätte, mit dem Reichssicherheitshauptamt nichts mehr zu tun gehabt. Er könne nur als Angehöriger der Dienststelle des Bevollmächtigten Generals Italien, also einer Wehrmachtsdienststelle, in Gefangenschaft gekommen sein. Zu Unrecht habe es das LSG abgelehnt, in eine Nachprüfung der italienischen Militärgerichtsurteile einzutreten; der Grundsatz der Nichtnachprüfbarkeit gelte nur für die Urteile britischer, amerikanischer und französischer Militärgerichte.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet; die Ansicht des LSG, daß die Klägerin keinen Anspruch auf eine Anrechnung weiterer Zeiten hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Für den Monat Mai 1945 gilt der Versicherte als nachversichert; dieser Monat ist bereits als Beitragszeit berücksichtigt, so daß lediglich eine Anrechnung der Folgezeit als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in Betracht kommt (vgl. § 28 Abs. 2 Satz 1 AVG). Die Verneinung des Vorliegens einer solchen Ersatzzeit durch das LSG läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG sind Ersatzzeiten u.a. Zeiten der Kriegsgefangenschaft und einer anschließenden Krankheit. Unter Kriegsgefangenschaft ist dabei ein Gewahrsam in feindlicher Gewalt wegen der Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband zu verstehen (SozR 2200 § 1251 Nr. 82 m.w.N.; § 1251 Nr. 85). Die eine Kriegsgefangenschaft auslösende Zugehörigkeit zu einem militärähnlichen Verband bestimmt sich allein nach § 3 Bundesversorgungsgesetz - BVG - (BSGE 36, 171 f.; SozR 2200 § 1251 Nr. 82). Das bedeutet, daß dem Gewahrsam eine Zeit militärischen oder militärähnlichen Dienstes voraufgegangen sein muß. Dem Berufungsurteil zufolge hat der Versicherte einen solchen Dienst nicht ausgeübt. Soweit es sich dabei um dem Bereich des Tatsächlichen angehörende Feststellungen handelt, hat die Klägerin zulässige und begründete Revisionsgründe hiergegen nicht vorgebracht; insoweit ist der Senat an die getroffenen Feststellungen gebunden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Es ist aber auch nicht erkennbar, daß das LSG bei seinen Feststellungen von unrichtigen rechtlichen Anschauungen ausgegangen ist oder gegen die Denkgesetze verstoßen hat. Das gilt insbesondere für die im Widerspruch zu den ausdrücklichen Feststellungen des LSG stehenden Behauptungen der Klägerin, der Versicherte sei zur Waffen-SS versetzt worden und habe unmittelbar vor der Kapitulation der Dienststelle des Bevollmächtigten Generals Italien angehört. Hinsichtlich der erstgenannten Behauptung hat die Klägerin zwar im Berufungsverfahren Beweis dafür angetreten, daß der Versicherte mit dem Reichssicherheitshauptamt nichts mehr zu tun gehabt habe. Darauf kommt es jedoch nicht an; selbst wenn keine dienstliche Verbindung zwischen dem Versicherten und seiner früheren Dienststelle mehr bestanden haben sollte, würde das nicht den Schluß rechtfertigen, daß er nunmehr militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet haben müsse. Einen solchen Schluß brauchte das LSG, ohne dabei gegen die Denkgesetze zu verstoßen, auch nicht daraus zu ziehen, daß dem Versicherten ein Soldbuch ausgestellt worden war. Im übrigen würde der Versicherte, selbst wenn er zumindest von da an der Waffen-SS angehört hätte, nicht schon allein deswegen militärähnlichen Dienst verrichtet haben. Ein Angehöriger der Waffen-SS hat militärähnlichen Dienst nämlich nur dann geleistet, wenn er während des Krieges in einem Dienst gestanden hat, der, hätte es die Verbände der Waffen-SS nicht gegeben, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre (SozR 2200 § 1251 Nr. 73). Daß der Versicherte einen solchen Dienst geleistet haben könnte, ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Einem Verband der Waffen-SS, der wie ein solcher des Heeres eingesetzt war, hat der Versicherte auch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht angehört. Ob eine bloße Zugehörigkeit zur Dienststelle des Bevollmächtigten Generals einen Schluß auf eine Verrichtung militärähnlichen Dienstes rechtfertigen könnte, mag dahinstehen, da auch sie vom LSG nicht hat festgestellt werden können, ohne daß die Revision dagegen Verfahrensrügen vorgebracht hat; bloße Gegenbehauptungen sind nicht geeignet, die tatsächliche Grundlage des Berufungsurteils zu erschüttern (vgl. § 163 SGG). Soweit in diesem Zusammenhang dem Revisionsvorbringen entnommen werden könnte, der benannte Zeuge hätte auch über den Einsatz des Klägers Näheres bekunden können, fehlt die Darlegung, inwiefern das LSG zur Vernehmung gedrängt war.
Hat der Versicherte aber im Zeitpunkt der Begründung des Gewahrsams einem militärischen oder militärähnlichen Verband nicht angehört, so kann er sich auch in der Folgezeit nicht in Kriegsgefangenschaft befunden haben. Ob etwas anderes dann zu gelten hätte, wenn eine Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband von der Gewahrsamsmacht irrtümlich angenommen worden ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da es an einer solchen Fallgestaltung fehlt. Daran, daß der Versicherte kein Kriegsgefangener war, vermochten auch seine Auslieferung an die italienischen Behörden und seine Verurteilung nichts zu ändern. Auf die in diesem Zusammenhang angestellten Betrachtungen des LSG und der Beteiligten, insbesondere auch zur Frage des sogenannten automatischen Arrestes, kommt es mithin nicht an. Fehlt es aber an einer Kriegsgefangenschaft, so kann auch die Zeit der Krankheit während des Aufenthalts in Soltau nicht angerechnet werden.
Für eine Anwendung der Nrn. 2 und 3 des § 28 Abs. 1 AVG ist, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ebenfalls kein Raum.
Danach war die Revision mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).11 RA 28/82
Bundessozialgericht
Verkündet am
11. Mai 1983
Fundstellen