Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1957 wird aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger, der 1919 geboren wurde, leistete von 1940 bis zu seiner Rückkehr aus russischer Gefangenschaft im Jahre 1949 Wehrdienst. Durch Bescheid vom 19. April 1950 erkannte das Landesversorgungs- und -fürsorgeamt Rheinland-Pfalz als Schädigungsfolge beim Kläger an: "a) Zustand nach Dystrophie mit Herzklappenfehler und Leberstauung, b) Zustand nach Gehirnerschütterung", es gewährte vom 1. November 1949 an Vollrente, vom 1. Mai 1950 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 60 v.H. Durch Bescheid vom 15. August 1951 - Umanerkennung - gewährte das Versorgungsamt L wegen derselben Leiden die Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach demselben Grad der MdE. Auf Grund einer ärztlichen Nachuntersuchung erließ das Versorgungsamt am 17. Juli 1953 einen neuen Bescheid, der auf § 86 Abs. 3 BVG gestützt wurde; es stellte nach dem Ergebnis einer Nachuntersuchung durch Dr. V fest, die Dystrophie sei abgeklungen, eine Stauung der Leber bestehe nicht mehr, eine Gehirnerschütterung sei nicht mehr nachzuweisen; als Schädigungsfolge wurde nur noch anerkannt "ausgeglichene Schlußunfähigkeit der Zweizipfelklappe des Herzens", vom 1. September 1953 an wurde die Rente nach einer MdE. um 30 v.H. gewährt. Die Berufung des Klägers ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht Speyer über. Durch Urteil vom 19. Dezember 1955 hob das Sozialgericht (SG.) den Bescheid vom 17. Juli 1953 auf; es stellte als Schädigungsfolge fest, "a) Herzklappenfehler, leichte Blutdruckerhöhung und Durchblutungsstörungen der abhängigen Gliedmaßen, b) gesteigerte nervliche Erregbarkeit" und verurteilte den Beklagten, vom 1. September 1953 an Rente nach einer MdE. um 50 v.H. zu gewähren; es stützte sich dabei auf das Gutachten des Gerichtsarztes Dr. K, bewertete übereinstimmend mit dem Gutachter die MdE. im allgemeinen Erwerbsleben mit 40 v.H., gewährte aber mit Rücksicht auf eine weitere Erwerbsminderung "aus besonderer beruflicher Schädigung als Stanzer" Rente gemäß § 30 BVG nach einer MdE. um 50 v.H. Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 21. Januar 1957 das Urteil des SG. auf und wies die Klage ab: Im Streit seien lediglich noch die Gesundheitsstörungen, die das SG. über die in dem Bescheid vom 17. Juli 1953 anerkannten Gesundheitsstörungen hinaus als Schädigungsfolgen im Tenor seines Urteils festgestellt habe; soweit es sich um den Herzschaden handele, habe das SG. nur das Leiden ausführlicher bezeichnet; soweit das SG. auch die "nervliche Erregbarkeit" als Schädigungsfolge festgestellt habe, könne ihm nicht gefolgt werden; die MdE. für das Herzleiden sei in dem angefochtenen Bescheid zutreffend mit 30 v.H. bewertet. Die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung nach § 30 BVG lägen nicht vor; nach der Auskunft des Arbeitgebers des Klägers betrage die Verdiensteinbuße 13 v.H.; dieser Unterschied werde bei der Prüfung einer gleichwertigen Tätigkeit im Sinne des § 35 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) nach einhelliger Meinung noch als zumutbar angesehen, dies gelte entsprechend auch für die Kriegsopferversorgung; falls diese Verdiensteinbuße überhaupt auf Schädigungsfolgen zurückgehe, so handele es sich jedenfalls nicht um einen besonderen beruflichen Schaden.
Die Revision ließ das LSG. zu: es sei eine grundsätzliche Rechtsfrage, ob der Rechtsbegriff der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit im Sinne des § 35 RKG bei der Auslegung des § 30 BVG entsprechend herangezogen werden könne. Das Urteil wurde dem Kläger am 8. Februar 1957 zugestellt.
Am 27. Februar 1957 legte der Kläger Revision ein, er beantragte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Zur Begründung trug er - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis 8. Mai 1957 - am 6. Mai 1957 vor:
§ 35 RGK regele die Frage der speziellen Berufsunfähigkeit in knappschaftlich versicherten Betrieben und könne im Versorgungsrecht nicht angewandt werden; für die besondere berufliche Betroffenheit im Sinne von § 30 BVG komme es nicht allein darauf an, ob trotz eines Verdienstausfalles der Versorgungsberechtigte noch ein im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertiges Einkommen habe, bei der Feststellung des Grades der MdE. im Rahmen des § 30 BVG seien vielmehr die gesamten Umstände des Falles, also nicht allein wirtschaftliche, sondern auch soziale und berufsethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen; das LSG. habe zu Unrecht nicht dem Umstand Rechnung getragen, daß der Kläger infolge der Schädigungsfolgen beruflich vom Spezialarbeiter (Sohlenstanzer) zum Hilfsarbeiter abgestiegen sei, außerdem komme es auch für die Lohneinbuße nicht allein auf den absoluten Hundertsatz des Minderverdienstes an, sondern auch auf die absolute Höhe der Differenz, dabei dürften bei geringem Einkommen auch prozentual erheblich stärker beieinanderliegende Vergleichsbeträge nicht mehr als im wesentlichen gleichwertig angesehen werden; das LSG. habe auch weitere zusätzliche Auskünfte über das Berufsbild einholen müssen, etwa beim Arbeitsamt, der Handwerkskammer oder der zuständigen Gewerkschaft, insoweit habe es seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt.
Der Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), der Kläger hat sie frist- und formgerecht eingelegt und begründet, sie ist sonach zulässig. Sie ist auch begründet.
Das LSG. hat festgestellt, daß bei dem Kläger andere als die von dem Beklagten anerkannten Schädigungsfolgen nicht vorliegen; gegen diese Feststellung sind Revisionsrügen nicht erhoben sie ist daher für das Bundessozialgericht (BSG.) bindend (§ 163 SGG). Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob das LSG. zu Recht angenommen hat, der Kläger sei beruflich nicht besonders betroffen (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG in der Fassung durch die Bekanntmachung vom 6.6.1956 - BGBl. I S. 469, 637 -, n.F.).
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist die MdE. nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG n.F. ist die MdE. höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf besonders betroffen wird, es sei denn, daß zumutbare arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen im Sinne des § 26 BVG einen Ausgleich bieten. Der Beruf ist dann besonders zu berücksichtigen, wenn die Berücksichtigung der Körperschäden nach allgemeinen Grundsätzen, also für das allgemeine Erwerbsleben, nicht ausreicht, um die Nachteile auszugleichen, die dem Beschädigten gerade in seinem Beruf aus der Versehrtheit erwachsen sind (BSG., Urteil vom 18.2.1959 - 11/9 RV 1256/56; van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Teil IV S. 17). Dies ist nach den gesamten Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen, jedoch nicht - wie das LSG. angenommen hat - unter Heranziehung von § 35 RKG a.F. Nach § 35 RKG a.F. gilt als berufsunfähig der versicherte Arbeiter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit noch andere im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Hierzu hat das BSG. in dem Urteil vom 12. Juli 1956 - BSG. 3 S. 171 (179), - entschieden, daß dem Einkommen eines Hauers mit monatlich 454,25 DM der Lohn eines ersten Anschlägers im Bergbau, der monatlich 81,75 DM weniger betragen hat, noch wirtschaftlich gleichwertig ist; das BSG. hat in dieser Entscheidung aber ausdrücklich betont, es könne bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit zweier Tätigkeiten nicht allein auf den Vomhundertsatz des Minderverdienstes abgestellt werden, sondern es komme mindestens ebenso entscheidend auf die absolute Höhe der Differenz an, bei geringeren Einkommen dürften auch prozentual erheblich näher beieinander liegende Vergleichsbeträge nicht mehr als im wesentlichen gleichwertig angesehen werden. Auf diese Entscheidung hat das Urteil des LSG. schon deshalb nicht gestützt werden können, weil das LSG. die absolute Differenz zwischen dem früheren und dem jetzigen Einkommen des Klägers nicht berücksichtigt, sondern ausschließlich auf den Vomhundertsatz der Einkommensminderung (nach der Berechnung des LSG. 13 v.H.) abgestellt hat. Abgesehen davon kann jedoch die MdE. nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG n.F. auch dann höher zu bewerten sein, wenn die spätere Tätigkeit zwar nicht hinsichtlich des wirtschaftlichen Ertrags, wohl aber in der sozialen Wertung hinter der früheren Tätigkeit wesentlich zurückbleibt (van Nuis-Vorberg a.a.O. S. 25; Wilke, Die Kriegsopferversorgung, 1957 S. 66 und 1956 S. 3). Die Verwaltungsvorschrift Nr. 1 Abs. 2 zu § 30 BVG n.F. erläutert dies zutreffend dahin, daß der Beschädigte besonders betroffen ist, wenn er
"a) infolge der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann,
b) zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist,
c) infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist."
Daraus ergibt sich, daß unter Umständen der Beruf im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG selbst dann zu berücksichtigen ist, wenn der Beschädigte keine oder nur eine unwesentliche Einkommensminderung erlitten hat.
§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, erster Halbsatz, in der Fassung vor der Bekanntmachung vom 6. Juni 1956 (a.F.) hat bestimmt, daß die MdE. nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen ist; nach § 30 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz BVG a.F. ist der vor der Schädigung ausgeübte Beruf zu berücksichtigen gewesen. Auch nach dieser Fassung des Gesetzes sind für die Frage, ob die MdE. höher als nach der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben hat bewertet werden können, jedenfalls nicht allein wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend gewesen, sondern es ist zu prüfen gewesen, ob der wirtschaftliche Schaden zu einem sozialen Abstieg geführt hat (van Nuis-Vorberg a.a.O. S. 21 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; Wilke, Der Versorgungsbeamte, 1955 S. 113; van Nuis, Der Versorgungsbeamte, 1955 S. 102; Schiel, Die Kriegsopferversorgung, 1955 S. 20; Hülsmann, Zentralblatt für Sozialversicherung und Versorgung, 1954 S. 268; Gawin, Zentralblatt für Sozialversicherung und Versorgung, 1951 S. 231).
Unter einem "Beruf" im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG n.F. ist, ebenso wie nach der früheren Fassung, jede Beschäftigung zu verstehen, die der Beschädigte erlernt hat oder für die er in irgendeiner Weise angelernt ist; auch innerhalb eines einheitlichen Berufstandes gibt es Tätigkeiten, die sich hinsichtlich des wirtschaftlichen Ertrages oder in der sozialen Wertung voneinander unterscheiden; deshalb kann auch bei Personen, die vor Eintritt der Schädigungsfolgen Arbeiter gewesen und nach Eintritt dieser Folgen Arbeiter geblieben sind, die MdE. nach § 30 Abs. 1 BVG alter und neuer Fassung höher als im allgemeinen Erwerbsleben zu bewerten sein; insbesondere kann dies der Fall sein, wenn ein früherer Facharbeiter nach der Art der Schädigungsfolgen nur noch als Hilfsarbeiter Verwendung finden kann (van Nuis-Vorberg a.a.O. S. 17; Ankenbrank, die Kriegsopferversorgung, 1953 S. 49; van Nuis, Der Versorgungsbeamte, 1955 S. 102).
Das LSG. hat daher zunächst einmal prüfen müssen, ob der Umstand, daß der Kläger jetzt nur noch Hilfsarbeiter ist, durch die Art der Schädigung bedingt ist. Auch wenn dies zutrifft, hat das LSG. nicht allein darauf abheben dürfen, ob das Einkommen, das der Kläger vor Eintritt der Schädigungsfolgen erzielt hat, höher gewesen ist als das Einkommen, das er danach erzielt, und ob dieser Unterschied wirtschaftlich gesehen wesentlich ins Gewicht fällt; das LSG. hat vielmehr auch prüfen müssen, ob die jetzige Tätigkeit des Klägers der früheren Tätigkeit in der sozialen Wertung gleichkommt oder ob hierin ein wesentlicher Unterschied besteht. Das LSG. hat, wenn es dies nicht getan hat, gegen § 30 Abs. 1 BVG alter und neuer Fassung verstoßen, sein Urteil beruht auf der unrichtigen Anwendung dieser Vorschrift, es ist möglich, daß das LSG. bei richtiger Anwendung zu einem anderen Ergebnis kommt. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Da die Feststellungen des LSG. nicht ausreichen, kann der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden, die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG. vorbehalten.
Fundstellen