Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach ihrem am 18. März 1982 verstorbenen Ehemann Dr. … (Versicherter).
Der Versicherte - freiwilliges Mitglied der Beklagten - und die Klägerin betrieben als Ärzte für Allgemeinmedizin in Wuppertal eine Gemeinschaftspraxis. Im März 1982 nahmen beide an einer kunsthistorischen Studienfahrt nach Italien teil. Zwischen dem Leiter der Reisegruppe und dem Versicherten bestand eine Absprache, daß dieser sich um die ärztlich notwendige Versorgung kümmern werde. Auf der Fahrt zog sich eine Reiseteilnehmerin, Patientin des Versicherten in Wuppertal, am 15. März 1982 in Rom eine Oberschenkelhalsfraktur zu und wurde daraufhin in eine örtliche Klinik eingeliefert. Am folgenden Tag bat sie den Versicherten um einen Besuch, weil ihr die Versorgung im Krankenhaus unzureichend erschien. Nachdem am Abend noch immer keine Therapie eingeleitet worden war, besorgten ihr der Versicherte und die Klägerin ein Krankenbett in einer in Rom gelegenen Privatklinik. Um die Verlegung in die Wege zu leiten, sollte am darauffolgenden Tag um 11.00 Uhr eine Besprechung mit den behandelnden Ärzten stattfinden. Zu diesem Zweck fuhren der Versicherte und die Klägerin gegen 10.30 Uhr mit einem Taxi zur Klinik, nachdem sie vorher bei der Lufthansa AG Möglichkeiten eines Rücktransports erörtert hatten. Unterwegs mußten sie das Taxi wegen eines technischen Defekts wechseln und sich zu Fuß zum nächsten Taxistand begeben. Gleich nach dem Erreichen der Klinik brach der Versicherte zusammen. Die Ärzte diagnostizierten bei ihm ein Aneurysma dissecans der Aorta, an dessen Folgen er am 18. März 1982 verstarb.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 1983 und Widerspruchsbescheid vom 16. August 1984 lehnte die Beklagte die Gewährung von Witwenrente mit der Begründung ab, daß der Versicherte während seines Italienaufenthalts nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden habe. Ein Fall der Ausstrahlung der versicherten Tätigkeit gemäß § 4 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - (SGB IV) liege mangels einer Entsendung ins Ausland nicht vor.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Juli 1987). Der Versicherte habe zwar auf dem Weg zu seiner Patientin unter Versicherungsschutz gestanden, jedoch keinen Unfall erlitten. Er habe an einer so erheblichen Gefäßschädigung der Aorta gelitten, daß bereits ein Bagatelltrauma dem Symptom zum Durchbruch hätte verhelfen können. Die behauptete außergewöhnliche Belastung beim eiligen Zurücklegen des Weges zum Krankenhaus trete daher als rechtlich unwesentliche Ursache hinter der rechtlich allein erheblichen Vorschädigung zurück. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 8. August 1989). Zur Begründung hat es ausgeführt: Versicherungsschutz für den Versicherten habe nur bei den ärztlichen Tätigkeiten bestanden, die im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Selbständiger, d.h. mit seiner Praxis gestanden hätten. Daran mangele es hier, da der Weg des Versicherten zum Krankenhaus sein maßgebliches Gepräge durch private Umstände erhalten habe. So habe der Vorfall sich während der Zeit eines "Urlaubs von der Praxis" ereignet. Grund für die Bereitschaft des Versicherten zur Leistung ärztlicher Hilfe sei zum einen die Beziehung innerhalb der Reisegruppe gewesen und zum anderen seine Eigenschaft als Arzt, für den ohnehin in Notfällen die Pflicht zur Hilfeleistung bestanden habe. Daß es sich dabei um eine Patientin des Versicherten gehandelt habe, müsse als Zufall angesehen werden und könne allein keinen Versicherungsschutz begründen. Auch der beigeladene Unfallversicherungsverband scheide als Leistungsträger aus. Zwar habe es sich bei dem Unfall der Reiseteilnehmerin um einen Unglücksfall gehandelt. Die Hilfeleistung sei aber nicht "bei" diesem Unglücksfall erfolgt.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 548, 550 i.V.m. § 545 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 4 SGB IV sowie § 41 der Satzung der Beklagten. So habe es das LSG unterlassen, weitere Ermittlungen zur Aufklärung der medizinischen Zusammenhänge zwischen dem Aneurysma und der Anstrengung des Versicherten auf dem Weg zur Klinik durchzuführen. Außerdem kollidiere der Rechtsstandpunkt des LSG mit den Kausalitätsanforderungen der gesetzlichen Unfallversicherung, die langjährige Patientin-Arzt Beziehung zu lösen und statt dessen anzunehmen, der Versicherte habe ohne jeden Bezug zu seiner selbständigen Tätigkeit geholfen.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des SG Düsseldorf vom 21. Juli 1987 und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 8. August 1989 sowie den Bescheid vom 22. Dezember 1983 und den Widerspruchsbescheid vom 16. August 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin hat insoweit Erfolg, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Der Versicherte stand auf seiner Fahrt zur Klinik in Rom am 17. März 1982 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Für die Entscheidung, ob der Versicherte während dieser Fahrt einen Arbeitsunfall erlitten hat, der kausal für seinen Tod war, fehlt es an weiteren Tatsachenfeststellungen.
Der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente (§ 589 Abs. 1 Nr. 3 RVO) ist davon abhängig, ob der Versicherte gegen Arbeitsunfall versichert war, als er sich in Rom auf dem Weg zur Klinik, in der seine Patientin lag, befand. Das setzt zunächst voraus, daß er in Italien überhaupt dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung unterstand. Der Versicherte war als selbständig tätiger Arzt bei der Beklagten gemäß § 545 Abs. 1 Satz 1 RVO i.V.m. § 41 ihrer Satzung freiwillig gegen die Folgen von Arbeitsunfällen versichert. Eine Versicherung gegen Arbeitsunfälle ist nach § 3 Nr. 1 SGB IV nur dann gegeben, wenn die selbständige Tätigkeit im Geltungsbereich des SGB (Bundesrepublik Deutschland einschließlich Land Berlin) ausgeübt wird. Indem diese Vorschrift auf die selbständige Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland abstellt, wird damit gleichzeitig ausgesagt, daß eine selbständige Tätigkeit außerhalb des Bundesgebietes nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegt (s BSG SozR 2100 § 4 Nr. 3), soweit nicht - wie hier - bei Unfällen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften abweichende Regelungen gelten. Nach Art 14a Nr. 1 Buchst a) der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWG-VO Nr. 1408/71 - AmtsBl der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 149/2 vom 5. Juli 1971) i.d.F. der EWG-VO Nr. 1390/81 vom 12. Mai 1981 (AmtsBl der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 143/1 vom 29. Mai 1981) unterliegt eine Person, die eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaates ausübt, und die eine Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ausführt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 12 Monate nicht überschreitet. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt. Der Versicherte übte seine selbständige Tätigkeit als Arzt gewöhnlich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in Wuppertal, aus. Vorübergehend, und zwar ohne Aufgabe der Praxis in Wuppertal und im zeitlichen Rahmen des letzten Halbsatzes des Art 14a Nr. 1 Buchst a) EWG-VO Nr. 1408/71, war er zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Italien, für eine seiner Patientinnen ärztlich tätig. Weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist zu entnehmen, daß der Versicherte von vornherein mit dem Vorsatz nach Italien gefahren sein mußte, dort auch seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt nachzugehen. Dieser Entschluß kann vielmehr - wie hier - auch später nach Antritt der Reise getroffen werden, ohne daß eine förmliche Entsendung wie bei Versicherten in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis (s Art 14 EWG-VO Nr. 1408/71 sowie zum Begriff der Entsendung BSG SozR 2100 § 4 Nr. 3) erforderlich wäre. Dies gilt um so mehr, als nach den bindenden Feststellungen des LSG (s § 163 SGG) der Reiseleiter bei der Auswahl der Reiseteilnehmer dafür Sorge getragen hatte, daß der Gruppe jeweils ein Arzt - hier also der Versicherte - angehörte und dieser sich bereit erklärt hatte, im Bedarfsfall ärztlich tätig zu werden.
Die Anwendbarkeit des Art 14a Nr. 1 Buchst a) EWG-VO Nr. 1408/71 als einer alle Zweige des Systems der sozialen Sicherheit und damit auch die Unfallversicherung betreffenden Vorschrift (s Art 4 Abs. 1 Buchst e) EWG-VO Nr. 1408/71) hat demnach zur Folge, daß sich im vorliegenden Fall die Entscheidung über den Unfallversicherungsschutz des Versicherten nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland richtet. Voraussetzung ist danach, daß der Versicherte auf dem Weg zur Klinik in Rom einen Arbeitsunfall erlitten hat. Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Das setzt voraus, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Wertung), und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit dem Gegenstand der Versicherung bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Das war hier der Fall, als der Versicherte zum Krankenhaus fuhr, um die Verlegung seiner Patientin in die Wege zu leiten.
Der niedergelassene Arzt, der seinem Patienten über die eigentliche Behandlungstätigkeit hinaus Dienstleistungen zukommen läßt, die sich zwanglos in eine ärztliche Tätigkeit im weiteren Sinne einordnen lassen und einer üblichen Betreuung entsprechen, steht während dieser Tätigkeit unter Versicherungsschutz. Dabei hat der selbständige Arzt, ebenso wie andere freiwillig versicherte Unternehmer, für die Art, Weise und Umfang, wie er seine Praxis und damit die Betreuung der Patienten betreibt, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit (vgl. SozR 2200 § 548 Nrn 47 und 57; BSGE 52, 89, 91). Unerheblich ist, ob er für die Tätigkeit eine Entlohnung erhält oder zu beanspruchen hat. Um eine solche der Tätigkeit eines niedergelassenen Arztes angemessene und den Umständen entsprechende Dienstleistung hat es sich hier gehandelt. Der Versicherte befand sich auf dem Weg zur Klinik, in der die verletzte Reiseteilnehmerin mit einer bis zu diesem Zeitpunkt unbehandelten Schenkelhalsfraktur lag, um dort ihre Verlegung in eine vorher von ihm ausgesuchte Privatklinik vorzubereiten. Bei ihr handelte es sich dabei nicht nur um ein Mitglied der Reisegruppe, der er ebenfalls angehörte, und zu deren ärztlicher Versorgung er sich bereit erklärt hatte. Sie war - wie bereits erwähnt - gleichzeitig eine Patientin aus seiner Wuppertaler Praxis, so daß ihm schon aus diesem Grund an ihrer bestmöglichen medizinischen Versorgung, die in dem italienischen Krankenhaus als nicht gewährleistet angesehen wurde, in besonderem Maße gelegen sein mußte. Gerade im Arzt-Patienten Verhältnis ist es nicht nur üblich, sondern kann es geradezu notwendig sein, wenn der Arzt sich über seine eigene Behandlung hinaus um das medizinische Wohl des Patienten kümmert. Dazu gehören etwa auch die Bemühungen um eine gute Erst- und/oder Weiterversorgung der Patienten durch andere Ärzte, deren Veranlassung ihm als behandelnder Arzt häufig eher möglich ist als Außenstehenden. Es ist daher der versicherten ärztlichen Tätigkeit zuzurechnen, wenn der Arzt zur Vorbereitung einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus zu einer Besprechung mit den Ärzten fährt. An dieser Beurteilung ändert sich im vorliegenden Fall auch dadurch nichts, daß der Versicherte sich auf einer privaten Studienreise befand, als es zu dem Vorfall kam. Zwar ist der Urlaub grundsätzlich dem persönlichen - unversicherten - Lebensbereich zuzurechnen. Das schließt es jedoch nicht aus, daß während dieser Zeit eine Tätigkeit ausgeübt werden kann, die wesentlich betrieblichen Interessen dient und derentwegen Versicherungsschutz besteht, soweit wie hier eine nähere Beziehung zu der betrieblichen Sphäre dies rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 22. August 1974 - 8 RU 288/73 - USK 74118; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S. 485 d; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 121 S. 17). So ist der Arzt bei der Ausübung seiner - versicherten - Tätigkeit nicht auf die Räumlichkeiten seiner Praxis oder auf bestimmte Dienstzeiten begrenzt. Vielmehr kann er als Selbständiger grundsätzlich frei darüber bestimmen, wann und wo er seine Tätigkeit ausübt. In Notfällen kann sogar die Verpflichtung bestehen, außerhalb von Praxisräumen und Dienstzeiten tätig zu werden.
War mithin die Fahrt zur Klinik wesentlich der ärztlichen Tätigkeit des Versicherten und nicht seiner Urlaubsreise zuzurechnen, liegt der für den Versicherungsschutz notwendige innere Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit vor. Eine Entscheidung darüber, ob die Beigeladene nach § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst a RVO leistungspflichtig ist, braucht wegen der subsidiären Bedeutung dieser Vorschrift in den Fällen, in denen der Hilfeleistende aufgrund dieser Tätigkeit ohnehin zu den versicherten Personen gehört, nicht getroffen zu werden (vgl. BSG SozR Nr. 46 zu § 537 RVO aF; Brackmann a.a.O. S. 473d; Podzun a.a.O. Kennzahl 300 S. 13; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm. 59 Ziff 4 Buchst e).
Zu der weiteren Voraussetzung des Versicherungsschutzes, ob die Schädigung der Aorta und ihr folgend der Tod des Versicherten durch diese Tätigkeit verursacht wurde, hat das LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung keine eigenen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen kann das Revisionsgericht nicht nachholen, so daß der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen
BB 1990, 1912 |
NJW 1991, 775 |