Beteiligte
Allgemeine Ortskrankenkasse Hamburg |
Abteilungsdirektoren A. Schmitz und H. Schlüter beim Bundesverband der Ortskrankenkassen |
E. Dähne und A. Gnade beim Deutschen Gewerkschaftsbund |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 17. August 1965 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob das nach Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit nach § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) weggefallene Krankengeld wieder auflebt, wenn anschließend an die Erwerbsunfähigkeitsrente eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bewilligt wird.
Der Kläger ist gelernter Maurer und war in diesem Beruf versicherungspflichtig tätig. Er erkrankte am 26. Januar 1961 an einem Herzleiden und wurde arbeitsunfähig geschrieben. Die beklagte Krankenkasse gewährte ihm deswegen bis zum 26. Juli 1961 Barleistungen bzw. Krankenhauspflege für 182 Tage (26 Wochen).
Am 18. Mai 1961 stellte der Kläger Antrag auf Gewährung von Rente aus der Arbeiterrentenversicherung. Während des Rentenverfahrens bewilligte der Rentenversicherungsträger dem Kläger ein Heilverfahren vom 31. August bis zum 28. September 1961. Im Schlußbericht der Heilstätte ist vermerkt, der Kläger sei als Maurer berufsunfähig, er sei nach einer weiteren Arbeitsunfähigkeit von vier Wochen in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten auszuführen. Die Landesversicherungsanstalt gewährte nunmehr dem Kläger mit Bescheid vom 28. Februar 1962 rückwirkend für die Zeit vom 29. September 1961 bis zum 31. Oktober 1961 Erwerbsunfähigkeitsrente und ab 1. November 1961 eine Berufsunfähigkeitsrente auf unbestimmte Zeit.
Der Kläger beantragte im September 1962, ihm von 1. August 1961 an weiter Krankengeld für insgesamt 78 Wochen zu zahlen, weil er wegen derselben Krankheit auch weiterhin arbeitsunfähig gewesen sei. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 5. Oktober 1962 ab, da der Kläger vom 1. August 1962 an als Rentenbewerber pflichtversichert gewesen sei und dieser Personenkreis keinen Anspruch auf Krankengeld habe. Der Widerspruch wurde am 6. Dezember 1962 zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hat am 15. Januar 1964 die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, an den Kläger Krankengeld für die Zeit vom 1. August 1961 bis zum 28. September 1961 zu zahlen; es hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte verurteilt, den Kläger auch Krankengeld für die Zeit vom 29. September 1961 bis zum 30. Juni 1962 zu gewähren, und zwar unter Anrechnung der für die Zeit vom 29. September bis zum 31. Oktober 1961 gezahlten Erwerbsunfähigkeitsrente und der für die Zeit vom 1. November 1961 bis zum 30. Juli 1962 gezahlten Berufsunfähigkeitsrente. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Der Kläger habe über den 28. September 1961 hinaus Anspruch auf Krankengeld, da er auch anschließend arbeitsunfähig gewesen sei. Es sei nicht erforderlich, daß die Krankheit weiterhin ärztlicher Behandlung bedurft habe. Die Arbeitsunfähigkeit werde nicht dadurch ausgeschlossen, den Erwerb durch Übergang zu einer anderen Berufstätigkeit zu gewinnen. Der Kläger sei daher arbeitsunfähig, weil er nicht imstande sei, die vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verrichtete Arbeit als Maurer wieder auszuüben.
Nach dem Wortlaut des § 183 Abs. 3 RVO habe der Anspruch auf Krankengeld mit Zubilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geendet. Er sei aber hier an 1. November 1961 nach Wegfall der Zeitrente wieder aufgelebt. Durch die Regelung des § 183 Abs. 3 RVO solle der Doppelbezug von Leistungen mit voller Lohnersatzfunktion verhindert werden. Volle Lohnersatzfunktion hätten neben dem Krankengeld nur die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und das Altersruhegeld, nicht aber die Berufsunfähigkeitsrente. Jemand, der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beziehe, sei daher nicht auf das Krankengeld angewiesen. Anders sei das Ergebnis jedoch, wenn sich nach Beginn der Krankengeldzahlung alsbald ein Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente auf kurze Zeit einschiebe, den sich eine Berufsunfähigkeitsrente oder überhaupt keine Rente mehr anschließe. In diesem Falle dürfte der Krankengeldbezug nicht endgültig enden. Vielmehr lebe der Anspruch auf Krankengeld in Rahmen des noch nicht verbrauchten Teils der 78 Wochen nach Wegfall der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wieder auf. Die Beklagte müsse den Kläger so stellen, als wenn sie von vornherein das Gesetz richtig angewandt hätte; sie hätte ihm ab 1. August 1961 wieder mindestens solange Krankengeld zahlen müssen, bis den Beteiligten die Bewilligung der Rente bekannt gegeben worden sei. Dem Kläger habe daher noch Krankengeld bis zum 30. Juli 1962 zugestanden. Erst in diesem Zeitpunkt seien die 78 Wochen erreicht. Darauf müßte die vom 29. September 1961 bis zum 31. Oktober 1961 gezahlte Erwerbsunfähigkeitsrente und die von 1. November 1961 bis zum 30. Juli 1962 gezahlte Berufsunfähigkeitsrente nach § 183 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 RVO angerechnet werden. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor, die Auffassung, daß Krankengeld solange zu zahlen sei, als Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, habe solange ihre Berechtigung gehabt, als der Krankengeldanspruch auf 26 Wochen begrenzt gewesen sei. Nachdem er aber seit 1. August 1961 auf 78 Wochen ausgedehnt worden sei, passe dies nicht mehr in den veränderten Leistungsrahmen. Der Wegfall des Krankengeldanspruchs sei daher begründet, wenn die die Arbeitsunfähigkeit verursachende Krankheit in einen ärztlicher Behandlung nicht mehr zugänglichen Dauerzustand eingemündet sei. Der Kläger sei daher vier Wochen nach Beendigung seines Heilverfahrens, nämlich von Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente an, nicht mehr als arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung gewesen.
Darüber hinaus sei auch durch die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit der Krankengeldanspruch beendet worden, wie sich aus § 183 Abs. 3 RVO ergebe. Der Wortlaut des Gesetzes, daß der Krankengeldanspruch ende, sei eindeutig und nicht auslegungsfähig. Ein Wiederaufleben des Krankengeldes nach Wegfall der Rente sei daher ausgeschlossen. Das Ende des Krankengeldanspruchs werde ausschließlich von der Tatsache der Rentenzubilligung abhängig gemacht und nicht davon, daß die die Krankengeldzahlung auslösende Arbeitsunfähigkeit behoben sein müsse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 17. August 1965 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hamburg vom 22. Januar 1964 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Zunächst ist dem LSG insoweit beizutreten, als es für die Zeit vom 29. September 1961 an Arbeitsunfähigkeit angenommen hat, auch wenn das Leiden des Klägers nicht mehr behandlungsbedürftig und er berufsunfähig geworden war. Wie der Senat in seinem Urteil von 30. Mai 1967 – 3 AK 15/65 – näher dargelegt hat, muß an den bisherigen Begriff der Arbeitsunfähigkeit trotz der Umgestaltung des § 183 RVO durch das Leistungsverbesserungsgesetz vom 12. Juli 1961 (BGBl S. 913) festgehalten werden. Hiernach bleibt ein Versicherter, der wegen Krankheit nicht mehr auf seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren und auch nicht eine ähnlich geartete leichtere Erwerbstätigkeit verrichten kann, arbeitsunfähig, auch wenn sein Zustand nicht mehr besserungsfähig ist und er Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht. Die Anrechnungsregelung des § 183 Abs. 5 RVO zeigt, daß Ansprüche auf Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit trotz Hinzutretens der Berufsunfähigketsrente noch fortdauern. Daß der Kläger nach den Feststellungen des LSG berufsunfähig ist, steht daher seinem Anspruch auf Krankengeld nicht entgegen.
Das LSG hat auch mit Recht entschieden, daß das wegen Bezugs einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO weggefallene Krankengeld dann wieder auflebt, wenn diese Rente in eine solche wegen Berufsunfähigkeit umgewandelt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Senats vom gleichen Tage – 3 RK 92/65 – für den Fall, daß eine während des Bezugs von Krankengeld gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit wegfällt). Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hat wie das Krankengeld volle Lohnersatzfunktion; das Krankengeld fällt daher weg, sobald eine Erwerbsunfähigkeitsrente gewährt wird. Dagegen geht der Gesetzgeber in § 183 Abs. 5 RVO davon aus, daß bei Bezug einer Rente wegen Berufsunfähigkeit das Krankengeld weiter zu entrichten ist, allerdings unter Anrechnung der Rente. Ein Berufsunfähiger kann noch eine andere, allerdings außerhalb seines bisherigen Berufs liegende Beschäftigung ausüben; er ist auch im allgemeinen darauf angewiesen, weil die Rente wegen Berufsunfähigkeit regelmäßig keinen vollen Lohnersatz darstellt. Er ist deshalb im Falle einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung auf das Krankengeld angewiesen; dieses wird ihm daher unter Anrechnung der Berufsunfähigkeitsrente weitergezahlt. Auch wenn nach dem Wortlaut des Gesetzes der Anspruch auf das Krankengeld mit der Zubilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente endet, entspricht es aber nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers, das Krankengeld dann nicht wieder aufleben zu lassen, wenn die Erwerbsunfähigkeitsrente später in eine solche wegen Berufsunfähigkeit umgewandelt wird. Wer zunächst eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat und anschließend eine solche wegen Berufsunfähigkeit erhält, darf nicht schlechter gestellt werden als jemand, der von Anfang an nur eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalten hat.
Das LSG hat allerdings die Beklagte zu Unrecht zur Krankengeldzahlung für die Zeit vom 29. September 1961 bis zum 31. Oktober 1961 unter Anrechnung der für diese Zeit gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente verurteilt. Für diese Zeit hat der Kläger jedoch nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO keinen Anspruch auf Krankengeld, weil ihm für diesen Zeitraum eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt war. Das LSG meint zwar, die Krankenkasse habe dem Kläger zu Unrecht für diese Zeit kein Krankengeld gezahlt, obwohl er für diese Zeit damals noch keine Rente bezogen habe; hätte die Krankenkasse dem Gesetz entsprechend damals das Krankengeld geleistet, so hätte er, nachdem die Erwerbsunfähigkeitsrente für diese Zeit erst nachträglich bewilligt worden war, das höhere Krankengeld behalten dürfen; dafür wäre dann die Rente auf die Klägerin übergegangen, der Kläger hätte sich also günstiger gestellt, die Krankenkasse müsse ihn daher so stellen, als habe sie dem Gesetz entsprechend gehandelt. Dem kann nicht beigetreten werden. Nach dem die Regelung des § 183 RVO beherrschenden Grundsatz des Satzes 1 endet der Anspruch auf Krankengeld mit der Zubilligung der Rente, d. h. dem Beginn der Rente (BSG 19, 28, 29). Nur wenn – wegen rückwirkender Bewilligung der Rente – der Versicherte Krankengeld über diesen Zeitpunkt hinaus erhalten hat, darf er es behalten; dafür geht aber die Rente auf die Krankenkasse über. Diese Vorschrift dient dem Interesse des Versicherten. Er soll das höhere – regelmäßig zum Lebensunterhalt verbrauchte – Krankengeld statt der an sich ihm zustehenden niedrigeren Rente behalten und vor späteren Rückforderungen geschützt sein. Für eine solche Handhabung liegt aber kein Anlaß vor, wenn für die fragliche Zeit kein Krankengeld gezahlt wurde. Hier bleibt es bei der Regelung des § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO. Ob eine andere Betrachtung angezeigt erscheint, wenn die Krankenkasse trotz vorliegender Arbeitsunfähigkeit und Nichtzahlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente arglistig kein Krankengeld gewährt, bedarf im vorliegenden Fall keiner Prüfung.
Der Kläger hat aber aus anderen Gründen noch den Anspruch auf Krankengeld, den ihm das LSG zugebilligt hat. Er war, wie sich aus den Feststellungen des LSG ergibt, auch noch nach dem 30. Juli 1962 für mindestens 33 Tage arbeitsunfähig. Er hat zwar seinen Anspruch ausdrücklich nur für die Zeit vom 29. September 1961 bis zum 30. Juli 1962 geltend gemacht, wovon ihm, wie dargelegt, Krankengeld vom 29. September bis zum 31. Oktober 1961 nicht zusteht. Seine Begrenzung des Anspruchs auf die genannte Zeit ist aber nicht so aufzufassen, daß er gerade nur für diese Zeit Krankengeld haben will. Er erstrebt dies vielmehr für die Höchstdauer von 78 Wochen, wie sich insbesondere aus seinem Antrag in der ersten Instanz ergibt; dabei ist es ihm gleichgültig, welcher Zeitraum dafür in Frage kommt. Dies gilt um so mehr, als es im sozialgerichtlichen Verfahren üblich ist, nur dem Grunde nach zu verurteilen und dem Versicherungsträger die ziffernmäßige Festlegung des Anspruchs zu überlasten (vgl. § 130 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Ohne daß damit über den Antrag des Klägers hinausgegangen wird, kann daher die Beklagte verurteilt werden, für die Zeit vom 31. Juli 1962 an für weitere 33 Tage Krankengeld zu zahlen. Auf dieses Krankengeld müßte aber nach § 183 Abs. 5 RVO die dem Kläger zugebilligte Rente wegen Berufsunfähigkeit angerechnet werden. Damit würde sich der Kläger günstiger stellen, als wenn er – wie es das LSG getan hat – Krankengeld unter Anrechnung seiner höheren Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten würde. Er hätte damit einen höheren Anspruch, als ihm das LSG zugebilligt hat. Da aber nur die Beklagte, nicht aber der Kläger Revision eingelegt hat, würde eine derartige Änderung des Urteils eine unzulässige Schlechterstellung des Revisionsklägers („reformatio in peius”) bedeuten. Es muß daher bei der Verurteilung im Rahmen der Entscheidung des LSG verbleiben, wenn auch mit geänderter Bezugszeit, aber mit dem sich aus dem Urteilsausspruch des LSG ergebenden ziffernmäßigen Gesamtbetrag.
Die Revision der beklagten Krankenkasse war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen