Leitsatz (amtlich)
Zur Verweisbarkeit eines Fliesenlegers auf die Tätigkeit eines Hilfstischlers.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. November 1973 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der im Jahre 1923 geborene Kläger hat den Maurerberuf erlernt und im Anschluß daran bis zum Jahre 1953 in diesem Beruf gearbeitet. In der Zeit von 1953 bis August 1970 war er als Fliesenleger beschäftigt. Da er diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte, nahm er - nach einer Anlernzeit von 4 Wochen - eine Tätigkeit als Hilfstischler auf, die er auch heute noch ausübt. Seinen im Oktober 1971 gestellten Antrag auf Gewährung der Versichertenrente wies die Beklagte ab (Bescheid vom 23. Februar 1972). Das Sozialgericht (SG) hat diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 16. März 1973). Das Landessozialgericht (LSG) hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. November 1973). Es hat den Kläger noch nicht als berufsunfähig angesehen. Zwar könne er - so heißt es in dem angefochtenen Urteil - schwere körperliche Arbeiten in gebückter Haltung oder mit ständigem Heben und Tragen schwerer Lasten nicht mehr verrichten. Aus diesem Grunde sei er nicht mehr in der Lage, die bis zum Jahre 1970 ausgeübte Tätigkeit als Fliesenleger weiter zu verrichten. Auch als Maurer könne er nicht mehr vollschichtig tätig sein. Er müsse sich jedoch auf andere Tätigkeiten verweisen lassen. Nach den ärztlichen Sachverständigengutachten könne er noch leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Schutz vor Nässe und Kälte ganztägig ausführen. Nach einer Anlernzeit von vier Wochen sei er nun in der Lage, die Tätigkeit eines Hilfstischlers ohne Einschränkungen während der üblichen Arbeitszeit zu verrichten. Sie könne ihm auch zugemutet werden. Es handele sich nicht um eine monotone und mechanische Arbeit, sondern um eine verschiedenartige Arbeitsvorgänge umfassende Tätigkeit handwerklicher Art, nämlich "den Einbau von Sitzgestellen und Gepäckraufen sowie Einglasarbeiten in Eisenbahnwagen". Ein Hinweis auf die Zumutbarkeit ergebe sich auch aus der tariflichen Einstufung. Der Kläger sei in der Lohngruppe 7 und damit unmittelbar unter der in demselben Betrieb für gelernte Handwerker und Facharbeiter vorgesehenen Lohngruppe eingestuft. Wenn auch für Fliesenleger möglicherweise eine besonders günstige Lohngestaltung vorliege (durch Gruppenakkord und Überstunden), so rechtfertige dies allein noch nicht, ganz allgemein Fliesenleger ihrem sozialen Ansehen nach höher einzustufen als ge - lernte Handwerker und Facharbeiter anderer Berufszweige. Im übrigen mute das Gesetz dem Versicherten Lohneinbußen zu. Im Falle des Klägers seien sie bei dem von ihm zuletzt erzielten Stundenlohn von 8,57 DM nicht erheblich. - Abgesehen von der Tätigkeit als Hilfstischler könne der Kläger auch auf andere Tätigkeiten, nämlich die eines Lager- und Magazinverwalters, eines Reparaturmaurers oder eines Hausmeisters und auch auf Tätigkeiten in der Fertighausfabrikation verwiesen werden.
Gegen diese Auffassung wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision. Er ist der Meinung, daß er deshalb berufsunfähig sei, weil er die Tätigkeit eines Fliesenlegers, die er 17 Jahre lang verrichtet habe, nicht mehr ausüben könne. Der Fliesenleger hebe sich aus dem Kreis der anerkannten Lehrberufe deutlich heraus und genieße ein besonders hohes Ansehen. Er gehöre zu der Gruppe der Spezialfacharbeiter und damit zur Gruppe IIIa des in Betracht kommenden Bundesrahmentarifvertrages. Der Stundenlohn in dieser Gruppe betrage seit Mai 1973 8.16 DM. Die Fliesenleger nähmen - zusammen mit einigen wenigen anderen Berufsgruppen - überdies in dieser Gruppe eine Sonderstellung ein, ihr tariflicher Stundenlohn belaufe sich nämlich auf 8,37 DM. Er liege um 0,80 DM über dem des einfachen Facharbeiters.
Der Grund für diese Einstufung liege "an den gediegenen und hochwertigen handwerklichen Fertigkeiten, die sich durch maschinelle Arbeitsweisen kaum ersetzen" ließen. Das Bild über das hohe Ansehen des Fliesenlegers werde durch die im Akkord erzielbaren Spitzenlöhne abgerundet. Hierdurch sei der Kläger veranlaßt worden, sich von dem erlernten Maurerberuf abzuwenden und sich "zum Fliesenleger zu qualifizieren". Alle diese Umstände sind nach Auffassung des Klägers geeignet, seine Verweisung auf bloß angelernte Tätigkeiten auszuschließen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stimmt dem Kläger darin zu, daß er nicht mehr als Fliesenleger arbeiten könne. Jedoch hält sie es für zulässig, ihn auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Hilfstischlers zu verweisen. Dies vor allem auch deshalb, weil der Kläger den Beruf des Fliesenlegers nicht erlernt, sondern sich dafür die erforderlichen Kenntnisse in der Praxis angeeignet habe. Es sei fraglich, ob er dadurch die vielseitigen und umfassenden Kenntnisse eines gelernten Fliesenlegers habe erwerben können, er sei nämlich immer bei demselben Arbeitgeber beschäftigt gewesen und habe bei ihm wohl nur bestimmte stets wiederkehrende Arbeiten als Fliesenleger ausgeführt.
Die Revision hat keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht dahin entschieden, daß der Kläger noch nicht berufsunfähig im Sinne des § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei. Mit dem Berufungsgericht muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger die schwere Arbeit eines Fliesenlegers aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten kann. Daraus allein läßt sich jedoch noch kein sicherer Hinweis auf eine im Rahmen des § 1246 RVO relevante Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers entnehmen. In diesem Zusammenhang hält der Senat es nicht für entscheidend, ob der Kläger den Beruf eines Fliesenlegers erlernt hat. Die Beklagte geht davon aus, daß dies nicht der Fall sei. Dieser Behauptung ist das LSG allerdings nicht nachgegangen. Feststellungen dazu sind auch entbehrlich; es macht keinen entscheidenden Unterschied, ob der Kläger eine Lehre als Fliesenleger durchgemacht oder ob er sich - nach Erlernen des Maurerberufs - die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse als Fliesenleger durch langjährige praktische Tätigkeit erworben hat. Der Kläger war immerhin für die Dauer von etwa 16-17 Jahren als Fliesenleger tätig. Er war in seinem Betrieb offenbar eine vollwertige Arbeitskraft. Davon ist bei der Entscheidung über den von ihm erhobenen Rentenanspruch auszugehen. Dies bedeutet aber nicht, daß der Kläger nur auf den Beruf eines Fliesenlegers oder diesem verwandte Tätigkeiten im Baugewerbe verwiesen werden könnte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß auch im Rahmen des § 1246 RVO eine Verweisung auf andere Berufsgruppen möglich ist. Entscheidend dafür ist zunächst, daß der Versicherte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage ist, eine andere Tätigkeit zu verrichten. Das LSG hat angenommen, daß der Kläger in erster Linie auf die zuletzt von ihm ausgeübte Tätigkeit als Hilfstischler verwiesen werden könne. In diesem Berufszweig kann er, wie das LSG unwidersprochen festgestellt hat, ohne Einschränkung während der üblichen Arbeitszeit tätig sein. Die erforderliche Befähigung hat er durch eine Anlernzeit von 4 Wochen erworben. Dabei mag ihm sein handwerkliches Können, das er sich als Maurer und als Fliesenleger angeeignet hatte, weitgehend zugute gekommen sein. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb allein von der Frage ab, ob dem Kläger die Verweisung auf diese Tätigkeit zugemutet werden kann oder ob damit ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist. Letzteres hat das LSG zu Recht verneint. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß der Vortrag des Klägers keinen Anhalt dafür bietet, das soziale Ansehen des Fliesenlegers entscheidend höher zu bewerten als das anderer gelernter Handwerker oder Facharbeiter im Baugewerbe. Der Fliesenleger mag in der Lage sein, über seine hohe tarifliche Einstufung hinaus einen relativ hohen Stundenlohn zu erzielen. Beide Merkmale - tarifliche Einstufung und effektiv erzielter hoher Stundenlohn - sind für sich allein noch kein Indiz für ein in besonderem Maße herausgehobenes berufliches Ansehen. Sie mögen eher darauf zurückzuführen sein, daß es sich bei der Tätigkeit des Fliesenlegers um körperlich schwere, anstrengende Arbeit handelt und Fachkräfte deshalb häufig, insbesondere in Zeiten der Hochkonjunktur, gesucht sind. Gründe dafür, daß der Fliesenleger ganz allgemein seiner beruflichen Tätigkeit wegen ein besonderes Ansehen genießen könnte, sind nicht zu erkennen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß das LSG die nunmehr vom Kläger ausgeübte Tätigkeit eines Hilfstischlers ganz allgemein mit Facharbeitertätigkeiten des neuen Berufszweigs verglichen hat. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die tarifliche Einstufung des Klägers unmittelbar unter der Gruppe liegt, die in diesem Berufszweig für einen Facharbeiter vorgesehen ist. Eine solche Verweisung ist im allgemeinen nicht mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden. Die nur geringfügig niedrigere tarifliche Einstufung verdeutlicht dies, ebenso die Tatsache, daß es dem Kläger in dem neuen Beruf gelungen ist, schon nach kurzer Zeit einen für die damalige Zeit recht hohen Stundenlohn von 8,57 DM zu erzielen.
Der Senat verkennt nicht, daß im Einzelfalle durch langjährige Betriebszugehörigkeit oder andere im konkreten Fall bedeutsame Merkmale und Eigenschaften ein besonderer Schutzanspruch entstehen kann. Der Vortrag des Klägers selbst bietet aber keinen Anhalt dafür, daß er während seiner langjährigen Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber eine besondere Vertrauensstellung erworben hatte oder daß es zu einem besonders engen Verhältnis zum Betrieb und der von ihm verrichteten Arbeit gekommen wäre.
Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob die übrigen vom LSG bezeichneten Tätigkeiten als Verweisungsberufe in Betracht kommen, ob der Kläger insbesondere unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten im Fertighausbau und auch als Reparaturmaurer tätig sein könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen