Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA), ihm die Hälfte der Pflichtbeiträge zu erstatten, die er von 1971 bis 1973 entrichtet hat.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. In der Türkei hat er keine freiwilligen Beiträge zur dortigen Sozialversicherung entrichtet. Von Juli 1971 bis April 1973 war er im Bundesgebiet versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 15. April 1973 gehörte er dem konsularischen Dienst der Türkei an und ist als Angehöriger des türkischen Generalkonsulats in Essen, wo der Kläger auch mit Ehefrau und Sohn wohnt, versicherungsfrei. Regelleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung wurden ihm nicht gewährt.
Den Anfang 1982 gestellten Antrag des Klägers auf Beitragserstattung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25. Juni 1982; Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1983). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. November 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 12. Juni 1984) und im wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Erstattungspflicht lägen nicht vor, weil der Kläger nach § 1233 RVO zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei. Er habe seinen Wohnsitz (§ 30 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil - SGB 1 -) im Geltungsbereich der RVO, also im Bundesgebiet, wie § 1233 RVO es voraussetze.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 1303, 1233 RVO, § 30 SGB 1. Er ist weiterhin der Auffassung, daß er als Angehöriger des türkischen Generalkonsulates keinen Wohnsitz in der Bundesrepublik habe.
Er beantragt,das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25, November 1983 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die von ihm in der Zeit vom 6. Juli 1971 bis 14. April 1973 entrichteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf teilweise Rückzahlung der Versicherungsbeiträge, die er in den Jahren 1971 bis 1973 entrichtet hat.
Nach § 1303 Abs. 1 RVO ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn seine Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfallen ist, ohne daß er ein Recht zur freiwilligen Versicherung hat. Wem durch das deutsche Sozialversicherungsrecht keine Möglichkeit mehr zum weiteren Ausbau seiner Versicherung gegeben wird, soll sich also ausbezahlen lassen können. Zwar ist der Kläger nicht mehr versicherungspflichtig. Denn nach Art. 8 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965, 1170) gelten für einen Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, in deren Dienst er steht, (hier für den Kläger), der in das Gebiet des anderen Vertragsstaates (hier das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland) entsandt oder in diesem Gebiet eingestellt wird, die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei (also der Türkei). Gemeint sind insoweit indes lediglich die Rechtsvorschriften über die Versicherungspflicht. Denn Art. 8 ist als eine Ausnahme zu Art. 5 des Abkommens anzusehen, der als Grundsatz bestimmt, daß sich die Versicherungspflicht von Beschäftigten nach dem Recht der Vertragspartei bestimmt, in deren Gebiet sie beschäftigt sind.
Der Kläger ist aber noch versicherungsberechtigt. Nach § 1233 Abs. 1 RVO, ist jeder versicherungsberechtigt, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO, also in der Bundesrepublik Deutschland hat. Das ist beim Kläger der Fall. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 SGB 1). Der Kläger hat also, da er mit seiner Familie in Essen wohnt und arbeitet, sowohl seinen Wohnsitz wie auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik.
Daran ändert auch nichts die vom Kläger geltend gemachte "Exterritorialität" als Angehöriger einer Auslandsvertretung. Diese kann nämlich nicht die fiktive Annahme begründen, der Kläger wohne deshalb gewissermaßen in der Türkei. Bei dem Begriff der "Exterritorialität" handelt es sich um einen mißverständlichen Begriff. Seit der Antike ist es Praxis und Rechtsüberzeugung der Staaten, daß Gesandte, Parlamentäre usw. von der Zwangsgewalt des Aufenthaltsstaates weitgehend freizustellen sind. Die ältere Lehre bevorzugte dafür den Ausdruck "Exterritorialität", ging also von dem Bild aus, daß die Residenz des Gesandten nicht dem Territorium des Empfangsstaates, sondern dem Staatsgebiet des Entsendestaates zugehörig sei. Das ist aber eine überholte Vorstellung (Menzel, Völkerrecht, 1962 § 50 I S. 239; Sauer, Grundlehre des Völkerrechts, 3. Aufl. 1955 S. 139, 144). Auch das Missionsgebäude gehört zum Staatsgebiet (Territorium) des Empfangsstaates. Das Mißverständnis hinsichtlich der "Exterritorialität'' rührt daher, daß im spätmittelalterlichen Latein nicht nur das Staatsgebiet, sondern auch die Staatsgewalt als "Territorium" bezeichnet wurden (Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl. 1975 S. 172, RdNrn. 716, 717; Verdross-Zemanek, Völkerrecht, 1959 S. 259). Es wäre deshalb verfehlt anzunehmen, die Angehörigen von Auslandsvertretungen befänden sich mit Rücksicht auf ihre "Exterritorialität" noch im Entsendestaat (Frank AngVerS 1981, 106, 108; Kreikebohm AnGVers 1983, 148, 149).
Etwas anderes läßt sich auch nicht aus den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Oktober 1984 (12 RK 5/83; 12 RK 2/83; 12 RK 3/83; 12 RK 25/83) herleiten. In diesen Entscheidungen hat das BSG zu Gunsten ehemals Verfolgter, die nunmehr israelische Staatsangehörige sind und die als israelische Botschaftsangehörige in verschiedenen Staaten gearbeitet haben, angenommen, daß sie daneben einen gewöhnlichen Aufenthalt in Israel gehabt haben. Das ist - wie das BSG ausdrücklich ausgesprochen hat - geschehen, um den Verfolgten entsprechend dem Sinn des deutsch-israelischen Abkommens die Vorteile zuzusprechen, die sich aus dem Aufenthalt in Israel ergeben. Die Frage, inwieweit sie auch ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Aufnahmestaat haben und Regelungen dieser Staaten unterliegen, ist in diesem Urteil nicht behandelt worden. Ein gewöhnlicher Aufenthalt in Israel muß bei rechtem Verständnis dieser Urteile nicht einem weiteren gewöhnlichen Aufenthalt in den Ländern entgegenstehen, in denen sich der betreffende Gesandtschaftsangehörige wirklich ständig aufhält.
Die Frage, ob der Kläger als Beschäftigter des türkischen Generalkonsulats berechtigt ist, sich in der Bundesrepublik freiwillig zu versichern, kann demnach nur aus den Einzelregelungen, also aus den einzelnen gewährten Befreiungen und Vorrechten, gefolgert werden. Deren Prüfung ergibt aber, daß kein Grund besteht, dem Kläger die Versicherungsberechtigung zu versagen. Konsulatsangehörige sollen in erster Linie Eingriffen des Aufnahmelandes entzogen werden, nicht aber in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Die Versicherungsberechtigung den Angehörigen einer Botschaft oder eines Konsulates zu nehmen, würde eher eine Benachteiligung als einen Schutz bedeuten. Daß der Kläger diese Berechtigung im vorliegenden Fall lieber aufgeben möchte, ändert daran nichts. Bei anderen Personen oder sogar beim Kläger in einer anderen Situation kann die Interessenlage völlig anders sein. Dies kommt in dem auf den Fall des Klägers anwendbaren deutsch-türkischen Abkommen dadurch zum Ausdruck, daß dessen Art. 8 - wie dargelegt - lediglich die Versicherungspflicht, nicht dagegen die Versicherungsberechtigung regelt. Nach Art. 26 des Abkommens, richtet sich das Recht auf freiwillige Versicherung nach den Rechtsvorschriften der Vertragspartei, in deren Gebiet sich die Person gewöhnlich aufhält (hier also nach den Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland). Nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei (hier: der Türkei) dagegen richtet sich das Recht auf freiwillige Versicherungen nur, wenn die Person zuletzt nach deren Rechtsvorschriften freiwillig versichert war. Der Kläger war aber bisher in der Türkei nicht freiwillig versichert.
Auch aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen ergibt sich nicht, daß der Kläger nicht mehr versicherungsberechtigt ist. Nach Art. 48 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (BGBl. II 1969, 1585, 1587) sind die Mitglieder der konsularischen Vertretung in Bezug auf ihre Dienste für den Entsendestand von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit. Diese Befreiung schließt aber, wie in Abs. 4 dieses Artikels ausdrücklich vermerkt wird, die freiwillige Beteiligung am System der sozialen Sicherheit des Empfangsstaates nicht aus, sofern dieser eine solche Beteiligung zuläßt.
Auch nach den §§ 1233 Abs. 1a, 1229 RVO, ist eine Versicherungsberechtigung des Klägers schon deswegen nicht ausgeschlossen, weil diese Vorschriften die Versicherungsberechtigung nur für Angehörige des deutschen öffentlichen Dienstes einschränken (vgl. BSG SozR 2200 § 1303 Nr. 17).
Dem Kläger als Angehörigen des türkischen Generalkonsulates steht daher ein Erstattungsanspruch nicht zu (vgl. in Bezug auf Mitglieder des Zivilgefolges von Stationierungsstreitkräften: BSG SozR 2200 § 1233 Nr. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.5b RJ 70/84
Bundessozialgericht
Verkündet am
11. Juli 1985
Fundstellen