Leitsatz (amtlich)
1. Für den Anspruch auf Witwenrente bedeutet die Wiederverheiratung der Witwe ebenso eine Änderung der Verhältnisse wie die Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe. Dabei reduziert sich der Rentenanspruch auf ein bloßes Sicherungsrecht, das im Wiederauflebensfalle zur Neufeststellung der Witwenrente nach Maßgabe des im Wiederauflebenszeitpunkt geltenden Rechts führt.
2. Art 2 § 12b Abs 2 S 3 ArVNG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 schützt als bisherigen Zahlbetrag nur bei seinem Inkrafttreten laufende Rentenzahlungen. Die Eigentumsgarantie des Art 14 GG wird von dieser Übergangsbestimmung nicht berührt.
Orientierungssatz
Der Bescheid über die Bewilligung der Witwenrente gehört, sobald diese durch Wiederheirat weggefallen ist, nicht mehr zu den nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen über einen Anspruch auf Grund des bis zum 31.7.1981 geltenden Rechts iS von Art 2 § 12b Abs 2 S 2 ArVNG idF des Haushaltbegleitgesetzes 1983.
Normenkette
RVO § 1255 Abs 4 Buchst b Fassung: 1982-12-20, § 1264 Fassung: 1957-02-23, § 1291 Abs 1 Fassung: 1957-02-23, § 1291 Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 12b Abs 2 S 3 Fassung: 1982-12-20; ArVNG Art 2 § 12b Abs 2 S 1 Fassung: 1982-12-20; HBegleitG 1983 Art 22 Nr 3 Fassung: 1982-12-20; GG Art 14 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Fassung: 1949-05-23; ArVNG Art 2 § 12b Abs 2 S 2 Fassung: 1982-12-20
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin bezog von der Beklagten nach ihrem 1969 verstorbenen ersten Ehemann K. Witwenrente (Bescheid vom 6. Mai 1970). Bei Berechnung dieser Rente waren die vom Versicherten in den ersten 5 Kalenderjahren von 1961 bis 1965 entrichteten Pflichtbeiträge nach § 1255 Abs 4 Buchst b der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Juli 1981 gültig gewesenen Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I, 476) nach der Leistungsgruppe 3 der Anlage 2 zu § 1255a RVO bewertet worden, da die Bruttoarbeitsentgelte des Versicherten niedriger als der Tabellenwert waren. Als die Klägerin im Dezember 1970 wieder heiratete, stellte die Beklagte die Zahlung der Hinterbliebenenrente ein und gewährte eine Witwenrentenabfindung. Die zweite Ehe der Klägerin wurde durch das am 14. Juli 1981 rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts Giffhorn vom 21. Mai 1981 geschieden. Durch Bescheid vom 26. Februar 1982 stellte die Beklagte das Wiederaufleben der Hinterbliebenenrente ab 1. August 1981 fest, legte dabei aber für die ersten 5 Jahre die vom Versicherten tatsächlich erzielten Entgelte zugrunde und rechnete einen aus der zweiten Ehe erworbenen Unterhaltsanspruch in Höhe von 100,-- DM monatlich an.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte durch Bescheid vom 6. Juni 1983 die Rente der Klägerin neu festgestellt, indem sie gem § 1255 Abs 4 Buchst b RVO idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I, 1857) für die ersten 5 Kalenderjahre seit dem Eintritt des K. in die Versicherung von einem Bruttoarbeitsentgelt ausgegangen ist, das für einen Kalendermonat dem Wert 7,50 entsprach. Die Klage, mit der die Klägerin die Berechnung ihrer Witwenrente nach § 1255 Abs 4 Buchst b RVO idF des RVÄndG begehrte, hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg durch Urteil vom 18. Januar 1984 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 30. August 1984 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide vom 26. Februar 1982 und 6. Juni 1983 verpflichtet, die wiederaufgelebte Hinterbliebenenrente der Klägerin unter Anwendung des § 1255 Abs 4 Buchst b RVO in der bis zum 31. Juli 1981 gültig gewesenen Fassung zu berechnen. Es ist davon ausgegangen, daß wegen der durch § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO verbürgten Unterhaltsgarantie der Anspruch auf Rente in dem Umfang wieder auflebe, den er bei durchgängiger Zahlung gehabt hätte.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Nichtberücksichtigung des Art 2 § 12b Abs 2 Satz 3 1. Halbs des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) idF des Art 22 Nr 3 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG Niedersachsen vom 30. August 1984 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 18. Januar 1984 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gem § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Zutreffend hat die Beklagte die Witwenrente der Klägerin nach § 1255 Abs 4 Buchst b RVO idF des Art 19 Nr 29 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 berechnet.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt im wesentlichen von der rechtssystematischen Einordnung des Wegfalls und Wiederauflebens der Witwenrente ab. § 1291 Abs 1 bestimmt, daß die Witwenrente mit dem Ablauf des Monats der Wiederverheiratung wegfällt. Die finanzielle Absicherung der Witwe durch die Witwenrente findet mithin bei Wiederheirat mit dem Ablauf des Monats der Wiederheirat ihr Ende. Aus diesem Grunde wird der Witwe gem § 1302 Abs 1 RVO bei Wiederheirat als Abfindung das Zweifache (vor dem 1. Januar 1984 das Fünffache) des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gewährt. Danach verbleibt der Witwe nur noch die Zusage des Gesetzgebers, daß bei Wegfall der für den Wegfall der Witwenrente ursächlichen Ehe durch Auflösung oder Nichtigerklärung der Anspruch auf Witwenrente wiederauflebt (§ 1291 Abs 2 RVO). Der in einer konkreten Höhe festgestellte Anspruch auf Witwenrente reduziert sich also bei Wiederheirat auf ein bloßes Sicherungsrecht, dessen Inhalt darin besteht, bei Wegfall der neuen Ehe - und der damit unterstellten Unterhaltssicherung - wieder einen Anspruch auf Witwenrente mit der Wirkung geltend machen zu dürfen, daß diese Witwenrente, auf die Ansprüche aus der inzwischen weggefallenen Ehe anzurechnen sind, unter Verrechnung der bei der Wiederverheiratung gezahlten und noch nicht durch Zeitablauf erledigten Abfindung festgestellt wird.
Bezogen auf die Anspruchsnorm des § 1264 iVm § 1291 RVO stellt sich die Wiederverheiratung als ein Fall der Änderung der Verhältnisse für den Anspruch auf Witwenrente dar, der zum Wegfall der Witwenrente führt. Ebenso stellt sich der Wegfall der neuen Ehe durch ihre rechtskräftige Auflösung oder Nichtigerklärung in bezug auf das nach der Wiederheirat und der Rentenabfindung verbleibende Sicherungsrecht als eine Änderung der Verhältnisse dar, die dieses Sicherungsrecht wieder bis zum Anspruch auf Witwenrente expandieren läßt. Sowohl bei Wiederheirat als auch beim sog Wiederaufleben der Witwenrente, die kraft Gesetzes eintreten, ist für den verwaltungsmäßigen Vollzug die deklaratorische Feststellung notwendig, daß bei Wegfall der Rente ein Rentenanspruch nicht mehr besteht und beim Wiederaufleben der Rente ein Rentenanspruch nach Maßgabe der für diesen Rentenanspruch geltenden Berechnungsbestimmungen wieder besteht. Die Witwe kehrt mit dem Anspruch auf die wiederaufgelebte Witwenrente in den Schutz der Solidargemeinschaft zu den Bedingungen zurück, die im Zeitpunkt der Rückkehr in dieser Gemeinschaft gelten. Das wird insbesondere aus § 1291 Abs 4 RVO deutlich. Danach sind die inzwischen erfolgten Rentenanpassungen zu beachten.
Daraus folgt, daß die Beklagte die mit Ablauf des 31. Juli 1981 wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin nach dem ab 1. August 1981 geltenden § 1255 Abs 4 Buchst b RVO idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 festzustellen hatte. Diese Änderung ist mit Rücksicht auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 16. Juni 1981 (BVerfGE 57, 335 = SozR 22OO § 1255 Nr 13) erfolgt, in der die Verfassungswidrigkeit der zuvor geltenden Regelung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen Männern und Frauen festgestellt worden war. Die Neuregelung beinhaltet iS des § 48 Abs 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die für die Zukunft grundsätzlich auch dann zu berücksichtigen gewesen wäre, wenn die Klägerin bei Inkrafttreten dieser Neuregelung bereits wieder Witwenrente bezogen hätte. Dies bestimmt - entsprechend der Rechtssystematik - ausdrücklich Art 2 § 12b Abs 2 Satz 1 ArVNG idF des Art 22 Nr 3 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983.
Satz 2 der genannten Bestimmung besagt zwar, daß Satz 1 nicht anzuwenden ist, wenn über einen Anspruch aufgrund des bis zum 31. Juli 1981 geltenden Rechts eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden ist. Da eine bindende Feststellung der Rente der Klägerin aus der Zeit vor dem 1. August 1981 jedoch infolge Wegfalls des Bescheides vom 6. Mai 1970 und des darin festgelegten Zahlbetrages fehlt, ist für die Anwendung dieser Bestimmung hier kein Raum.
Die Beklagte hatte demgemäß nur den Rentenbestandsschutz des Art 2 § 12b Abs 2 Satz 3 ArVNG idF des Haushaltbegleitgesetzes 1983 zu beachten. Hier ist vorgeschrieben, daß bei der Neufeststellung einer Rente mit einem Versicherungsfall vor dem 1. August 1981 zwar § 1255 Abs 4 Buchst b RVO in der ab 1. August 1981 geltenden Fassung anzuwenden, dabei aber als Rente mindestens der bisherige Zahlbetrag zu leisten ist. Diese Regelung kommt hier deshalb nicht zur Anwendung, weil es an einem "bisherigen Zahlbetrag" fehlt. Der Zahlbetrag der seit der Wiederheirat der Klägerin weggefallenen Rente war nämlich seither gleich Null. Ein Rentenbestandsschutz iS von Art 2 § 12b Abs 2 Satz 3 ArVNG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 kam deshalb hier nicht in Betracht. Es handelte sich vielmehr nur um eine durch die rechtskräftige Scheidung der neuen Ehe herbeigeführte - zum Wiederaufleben der Witwenrente führende - Neufeststellung der Witwenrente, die bis zum 1. August 1981 nur in dem oben bezeichneten Sicherungsrecht mit dem Zahlbetrag Null bestanden hatte.
Wenn insoweit in Art 2 § 12b Abs 2 ArVNG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 eine den bindend zuerkannten Rentenbestand schützende Übergangsbestimmung nicht enthalten ist, bestehen dagegen weder unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes, noch aus dem Gedanken einer eigentumsähnlichen Position in Verbindung mit Art 14 des Grundgesetzes verfassungsrechtliche Bedenken. Ein regelmäßig gezahlter Rentenbetrag, der geeignet gewesen wäre, Gegenstand eines Vertrauens auf den Fortbestand dieser wiederkehrenden Leistung zu sein, war bei der Klägerin seit 1971 nicht mehr vorhanden. Hinsichtlich der Bewertung von Versicherungsjahren, die vom Gesetzgeber in § 1255 Abs 4 Buchst b RVO - wegen zu niedriger Entgelte und Beiträge - "aufgewertet" werden, greift der Eigentumsschutz nicht ein, weil die "Aufwertung" dieser Jahre eben gerade nicht auf den Beiträgen selbst - und damit auf einer Eigenleistung des Versicherten -, sondern auf einer zusätzlichen gesetzlichen Begünstigung beruht (vgl BVerfGE 53, 257, 291). Insoweit hat der Gesetzgeber die Gestaltungsfreiheit zur Änderung der Begünstigung, insbesondere, wenn sie sich wegen der Gleichbehandlung von Männern und Frauen als notwendig erweist (vgl BVerfG - Beschluß vom 16. Juni 1981 aaO).
Nach alledem mußte auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG aufgehoben und durch Zurückweisung der Berufung der Klägerin die zutreffende Entscheidung des SG wiederhergestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1662134 |
BSGE, 236 |