Leitsatz (amtlich)
Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 5 RKG (= § 1248 Abs 5 RVO) ist bei vertriebenen Spätheimkehrern, die das 65. Lebensjahr bereits im Herkunftsland vollendet und ausschließlich mit Fremdrentenzeiten die Wartezeit erfüllt haben, vom Eintreffen im Bundesgebiet an zu gewähren.
Normenkette
RKG § 82 Abs 1 S 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1290 Abs 1 S 1 Fassung: 1967-12-21; FRG § 1 Fassung: 1960-02-25, § 30 Fassung: 1960-02-25, § 31 Fassung: 1960-02-25; RKG § 48 Abs 5 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1248 Abs 5 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.05.1982; Aktenzeichen L 6 KnV 1923/81) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 05.07.1979; Aktenzeichen S 2 KnV 669/78) |
Tatbestand
Der Kläger betreibt als Träger der Sozialhilfe die Feststellung des Knappschaftsruhegeldes für den am 20. August 1978 verstorbenen Versicherten J. F.. Seine Rechtsnachfolgerin (§ 56 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil - SGB 1) ist die Beigeladene. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ab wann die Beklagte Knappschaftsruhegeld zu gewähren hat. Der Kläger hat das Verfahren bisher nach § 109 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) iVm § 1538 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor dem 1. Juli 1983 gültigen Fassung betrieben.
Der Versicherte lebte in der UdSSR und siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über, wo er am 8. Juni 1977 eintraf. Er erhielt Leistungen der Sozialhilfe ua vom Kläger. Am 8. Juli 1977 wurde er als Spätheimkehrer anerkannt und erhielt den Ausweis "A" für Vertriebene und Flüchtlinge. Die Beklagte gewährte dem Versicherten mit Bescheid vom 28. Dezember 1977 für die Zeit vom 1. Juli 1977 an Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres aufgrund eines am 6. Dezember 1973 eingetretenen Versicherungsfalls. Widerspruch und Klage des Klägers, mit der er die Vorverlegung des Rentenbeginns auf den 8. Juni 1977 begehrte, sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1978 und Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 5. Juli 1979). Das SG hat die Berufung zugelassen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) in seiner Entscheidung vom 11. Mai 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Beigeladene als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Knappschaftsruhegeld ab 8. Juni 1977 unter Beachtung der Vorschrift des § 31 des Fremdrentengesetzes (FRG) zu gewähren. Zwar beruhe der Rentenanspruch des Versicherten ausschließlich auf Zeiten, die nach dem FRG zu berücksichtigen seien, wofür die Anerkennung als Vertriebener notwendig gewesen sei. Der von der Beklagten vertretenen Ansicht, wonach die Voraussetzungen der Rentengewährung im Sinne des § 82 Abs 1 Satz 1 RKG erst erfüllt worden seien, als der Versicherte im Juni 1977 die Vertriebeneneigenschaft erlangt habe, könne aber nicht gefolgt werden. Rente habe ihm daher vom Zeitpunkt des Zuzugs im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland an zugestanden.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie trägt vor, Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach den §§ 15, 16 FRG würden anrechenbar, wenn die in den §§ 1, 17 FRG genannten persönlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Den Status des Vertriebenen habe der Versicherte erst im Juni 1977 erhalten und damit die Voraussetzung für eine Berücksichtigung der in der UdSSR zurückgelegten, für die Wartezeit erforderlichen Zeiten erfüllt. Da die abgeschlossene Aussiedlung hier zu den wartezeitmäßigen Voraussetzungen des Knappschaftsruhegeldes gehöre, könne die Rentenleistung gemäß § 82 Abs 1 Satz 1 RKG erst mit dem 1. Juli 1977 beginnen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt; die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht gemäß § 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertreten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Dem Versicherten stand das Knappschaftsruhegeld von seinem Eintreffen im Bundesgebiet und nicht erst vom Ersten des darauffolgenden Monats an zu.
Der Kläger als Träger der Sozialhilfe ist berechtigt, in Prozeßstandschaft den nach dem Tode des Versicherten auf die beigeladene Rechtsnachfolgerin übergegangenen Rentenanspruch geltend zu machen. Bislang hatte der Gesetzgeber dem Träger der Sozialhilfe durch § 109 Abs 2 RKG iVm § 1538 RVO das Recht eingeräumt, die Feststellung der Leistungen aus der Versicherung zu betreiben, auch Rechtsmittel einzulegen. Insoweit handelte es sich um eine Ermächtigung, das fremde Recht des Versicherten geltend zu machen. Diese gesetzliche Prozeßstandschaft ist während des Revisionsverfahrens vom Gesetzgeber dadurch beseitigt worden, daß die §§ 109 Abs 2 RKG, 1538 RVO durch Art II § 6 Nr 1 Buchst a und § 3 Nr 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) mit Wirkung vom 1. Juli 1983 an gestrichen worden sind. Die an die Stelle der §§ 1531 ff RVO getretenen Vorschriften der §§ 102 ff SGB 10 räumen den Trägern der Sozialhilfe wohl Erstattungsansprüche gegen die Träger der Rentenversicherung ein, nicht aber die Befugnis, fremde Rechte im eigenen Namen geltend zu machen. Laufende Verfahren sind nach Art 2 § 21 SGB 10 nach neuem Recht zu Ende zu führen. Diese Rechtsänderung ist auch vom Revisionsgericht zu beachten. Das führt im konkreten Rechtsstreit jedoch nicht dazu, dem Kläger nun die Prozeßführungsbefugnis abzusprechen; denn er kann das Revisionsverfahren weiterführen im Wege der gewillkürten Prozeßstandschaft. Diese setzt voraus, daß die Beigeladene den Kläger zur Prozeßführung ermächtigt hat, was hier ohne weiteres unterstellt werden kann. Der Kläger hat auch ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis an der Klärung des streitigen Rentenbeginns (vgl BSG in BSGE 37, 33, 35 mwN), weil der Kläger während der Zeit, die Streitgegenstand ist, Leistungen für den Versicherten erbracht hat.
Nach § 82 Abs 1 Satz 1 RKG (= § 1290 Abs 1 Satz 1 RVO) ist die Rente vorbehaltlich von Sonderregelungen, die hier nicht in Betracht kommen, vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Die Beklagte hat dem Versicherten Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 5 RKG (= § 1248 Abs 5 RVO) im angefochtenen Bescheid zugebilligt. Voraussetzungen dieser Rentenart sind die Vollendung des 65. Lebensjahres - hier bereits am 7. Dezember 1973 erfolgt - und die Erfüllung der Wartezeit von 180 Kalendermonaten (§ 49 Abs 3 Satz 2 RKG = § 1248 Abs 7 Satz 2 RVO). Was als anrechnungsfähige Versicherungszeiten auf die Wartezeit anzurechnen ist, bestimmt § 50 RKG (= §§ 1249 f RVO). Für den Versicherten sind weder nach Bundesrecht noch nach früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet worden oder gelten als entrichtet (§ 50 Abs 2 RKG). Sein Anspruch auf Knappschaftsruhegeld beruht vielmehr ausschließlich auf Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach den §§ 15, 16 FRG. Zu dem vom § 1 Buchst a FRG erfaßten Personenkreis gehörte der Versicherte, weil ihm am 8. Juli 1977 als Spätheimkehrer der Ausweis "A" für Vertriebene und Flüchtlinge zuerkannt worden ist (§ 1 Bundesvertriebenengesetz -BVFG-).
Die Beklagte ist nun der Ansicht, vor Abschluß der Vertreibung (Aussiedlung) seien die "wartezeitmäßigen Voraussetzungen für das Knappschaftsruhegeld" nicht erfüllt gewesen. Erst mit der Aussiedlung aus der UdSSR und dem Zuzug ins Bundesgebiet habe der Versicherte den Status des Vertriebenen erhalten, ohne den die Berücksichtigung der in der UdSSR zurückgelegten Fremdrentenzeiten nicht möglich gewesen sei. Er habe somit die Voraussetzungen der Rentengewährung erst im Juni 1977 erfüllt. Diesen Schlußfolgerungen der Beklagten vermochte der Senat nicht zu folgen.
Die Anerkennung als Vertriebener bewirkt, daß sich die Rechte und Pflichten des Versicherten, soweit sich aus dem FRG nichts anderes ergibt, nach den im Bundesgebiet geltenden allgemeinen Vorschriften richten (§ 14 FRG). Das Eingliederungsprinzip des FRG hat zum Inhalt, daß die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche des berechtigten Personenkreises so behandelt werden als ob die Vertriebenen und Flüchtlinge ihr Arbeits- und Versicherungsleben in Deutschland zurückgelegt hätten; die dem Eingliederungsgedanken folgenden Regelungen des FRG schaffen folglich eine dem Inländer vergleichbare Rechtsposition (vgl BSGE 49, 175, 184). Sobald der Versicherte im Bundesgebiet als Vertriebener anerkannt war und somit nach § 1 Buchst a FRG zu dem Personenkreis gehörte, auf den das FRG anzuwenden ist, standen seine Beitragszeiten nach § 15 FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich, und die Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG standen einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet, für die Beiträge entrichtet sind, gleich. Das hat zur Folge, daß der Rentenanspruch gegebenenfalls auch für zurückliegende Zeit entsteht, wenn seine Voraussetzungen - wie Eintritt des Versicherungsfalls und Erfüllung der Wartezeit - bereits in der Vergangenheit erfüllt waren. Ob die Rente während des Aufenthaltes im Herkunftsland ruhte, richtet sich dann nach den §§ 105 ff RKG (= §§ 1315 ff RVO).
Sofern der Rentenanspruch von einem entsprechenden Antrag abhängt, enthält § 30 FRG für die Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit eine Sonderregelung, die bewirkt, daß auch diese Renten bei verspäteter Antragstellung vom Ablauf des Monats an zu gewähren sind, in dem ihre sonstigen Voraussetzungen erfüllt waren (§§ 82 Abs 1 Satz 1 RKG, 1290 Abs 1 Satz 1 RVO). Die Vorschrift des § 30 FRG zeigt, daß der Gesetzgeber von einem unmittelbaren Anschluß der zu gewährenden Leistungen beim Zuzug eines Versicherten, der bereits eine entsprechende Rente im Herkunftsland bezogen hat, ausgeht. Um das zu gewährleisten, bedurfte es für das Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres einer Vorschrift wie der des § 30 FRG nicht, denn dieses Ruhegeld ist nicht von einer Antragstellung abhängig. Nun ist in § 30 FRG allerdings die ursprüngliche Gesetzesfassung beibehalten worden, die die Vorschrift durch Art 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) erhalten hat. In § 82 Abs 1 Satz 1 RKG und in § 1290 Abs 1 Satz 1 RVO ist hingegen mit Wirkung vom 1. Januar 1968 an durch das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259) -FinÄndG 1967-, der Rentenbeginn vom Beginn des Monats, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, auf den Ablauf dieses Monats verlegt worden. Nach der vor dem 1. Januar 1968 gültigen Fassung der §§ 82 Abs 1 Satz 1 RKG, 1290 Abs 1 Satz 1 RVO bereitete der nahtlose Anschluß von Rentenzahlungen beim Eintreffen im Bundesgebiet keine Schwierigkeiten, wenn die Voraussetzungen spätestens im Monat des Zuzugs erfüllt waren. § 30 FRG läßt jedenfalls erkennen, daß der Gesetzgeber bei Vertriebenen, die schon im Herkunftsland Rente bezogen haben, keine Abwälzung der Leistungsgewährung auf den Träger der Sozialhilfe für den restlichen Monat des Eintreffens im Bundesgebiet gewollt hat. Für einen nahtlosen Übergang des Rentenbezugs spricht auch die Regelung des § 31 FRG, wonach eine Rentengewährung durch das Herkunftsland zum entsprechenden Ruhen der in der Bundesrepublik Deutschland zu zahlenden Rente führt.
Grundsätzlich beschränkt sich der mit der Hinausschiebung des Rentenbeginns um einen Monat vom FinÄndG 1967 bezweckte Einsparungseffekt auf die erste Rentengewährung. Sonderregelungen gibt es zB für Hinterbliebenenrenten sowie für Erhöhung und Wiedergewährung von Renten. Der Vertriebene, bei dem zur Zeit des Zuzugs im Bundesgebiet der Versicherungsfall bereits eingetreten und - sofern er zum Personenkreis der §§ 1, 17 FRG gehörte - die Wartezeit erfüllt ist, kann aufgrund des Eingliederungsprinzips nicht so behandelt werden als ob die Voraussetzungen des Rentenanspruchs erst im Monat des Zuzugs in das Bundesgebiet erfüllt worden seien. Anderenfalls würden seine nach dem FRG anrechenbaren Versicherungszeiten hinsichtlich des Rentenbeginns nicht einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Bundesgebiet gleichgestellt, sondern von einer zusätzlichen Voraussetzung abhängig gemacht. Im übrigen sind auch Fälle denkbar, in denen der Vertriebene außer den Zeiten nach dem FRG auch solche Versicherungszeiten zurückgelegt hat, die nach § 50 RKG bzw den §§ 1249 f RVO unmittelbar anzurechnen sind. Dann bestünde keine rechtliche Handhabe, die einheitliche Rentenleistung nach diesen unterschiedlichen Zeiten hinsichtlich des Rentenbeginns aufzuteilen.
Das Ergebnis, zu dem der Senat in Übereinstimmung mit dem LSG gelangt ist, wird auch in der Literatur und von anderen Rentenversicherungsträgern überwiegend zu Fremdrentenzeiten vertreten (vgl Schmidt, Der Beginn von Rentenleistungen, Mitt LVA Oberfranken und Mittelfranken 1978, 218, 243; Theuerkauf, Rentenbeginn, Mitt LVA Berlin 1972, 125, 131; Schneider, Besonderheiten beim Beginn der Renten aus der ArV und AnV, SozVers 1972, 12, 15; Berger, Rentenreform und Fremdrentenrecht, SozVers 1974, 232, 233; derselbe, Ist § 30 FRG noch verfassungskonform?, SozVers 1976, 257, 258).
Die demnach unbegründete Revision der Beklagten mußte zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Da die Beigeladene im Revisionsverfahren nicht vertreten ist, hat der Senat davon abgesehen, insoweit der Beklagten außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Fundstellen