Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Vormerkung der Zeit vom 1. August 1945 bis 5. Juli 1954 als Ersatzzeit beanspruchen kann.
Der in Jahre 1923 geborene Kläger war bis zu seiner Einberufung im April 1942 versicherungspflichtig beschäftigt. In der Zeit von Februar 1945 bis zu seiner Entlassung aus der Wehrmacht im Juli 1945 befand er sich mit einer offenen aktiven Lungentuberkulose, die er sich infolge des Kriegsdienstes zugezogen hatte, in Lazarettbehandlung. Wegen der Auswirkungen dieser Erkrankung bewilligte ihm die Beklagte ab August 1945 Invalidenrente, die vom 1. August 1947 an bis zu ihrer mit Ablauf des Monats August 1949 wirkenden förmlichen Entziehung nicht ausgezahlt wurde, weil der Kläger währenddessen eine höhere Kriegsbeschädigtenrente nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 bezog. Bis zum 5. Juli 1954 war der Kläger arbeitslos.
Auf den im Februar 1977 gestellten Antrag des Klägers, seinen Versicherungsverlauf festzustellen, erkannte die Beklagte u.a. die Zeit des militärischen Dienstes vom 7. April 1942 bis 26. Juli 1945 als Ersatzzeit und den Zeitabschnitt vom 1. August 1945 bis 31. August 1949 als Ausfallzeit an. Die anschließende Zeit vom 1. September 1949 bis 5. Juli 1954 berücksichtigte sie im Bescheid vom 13. Mai 1977 hingegen weder als Ersatz- noch als Ausfallzeit. Widerspruch und Klage, mit denen der Kläger die Berücksichtigung der gesamten Zeit vom 1. August 1945 bis 5. Juli 1954 als Ersatzzeit begehrte, blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 1978, Weil des Sozialgerichts (SG) Detmold vom 30. März 1979).
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Und Nordrhein-Westfalen das erstinstanzliche Urteil und die vorausgegangenen Verwaltungsentscheidungen abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 27. Juli 1945 bis 5. Juli 1954 als Ersatzzeit vorzumerken. Im Urteil vom 5. September 1979 hat das LSG zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei im Anschluß an den geleisteten Militärdienst zunächst wegen der Tuberkuloseerkrankung arbeitsunfähig und danach ununterbrochen bis zum 5. Juli 1954 unverschuldet arbeitslos gewesen. Er habe damit Ersatzzeiten i.S. des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zurückgelegt. Dem stehe nicht entgegen, daß der Zeitabschnitt vom 1. August 1945 bis 31. August 1949 bereits als Ausfallzeit berücksichtigt sei. Ohne Belang sei ferner, daß der Kläger nach den damals geltenden Vorschriften infolge Bewilligung der Invalidenrente nur in der Zeit bis Ende Juli 1945 und vom 1. November 1945 bis 30. November 1946 Beiträge hätte entrichten können. Die in Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschende Auffassung, derzufolge die Ersatzzeitregelung nur eingreife, wenn die Entrichtung von Beiträgen rechtlich zulässig gewesen wäre, überzeuge in den Fällen nicht, in denen die rechtliche Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung gerade auf dem Ersatzzeittatbestand beruhe. Eine solche Gesetzesanwendung benachteilige ohne aus dem Gesetz erkennbaren zwingenden Grund diejenigen Versicherten, bei denen der militärische Dienst nicht nur zu Arbeitsunfähigkeit, sondern weitergehend zu Invalidität geführt habe.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom, LSG zugelassenen Revision insoweit angefochten, als das Berufungsgericht über die Zeit vom 1. August 1945 bis 5. Juli 1954 entschieden hat. Sie rügt die Verletzung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO und macht zur Begründung des Rechtsmittels geltend: Die Zeiten, in denen die Bewilligung der Invalidenrente einer Beitragsleistung entgegengestanden hätten, kämen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als Ersatzzeiten nicht in Betracht. Ihr Wegfall beseitige aber auch den nach dem Gesetz notwendigen zeitlichen Anschluß zwischen Kriegsdienst und denjenigen Zeitabschnitten, in denen trotz Rentenbezugs Beiträge hätten erbracht werden dürfen oder in welchen Invalidität nicht vorgelegen habe. Hinsichtlich der Zeit der Arbeitslosigkeit fehle es überdies am ursächlichen Zusammenhang mit dem Kriegsdienst oder der ihm nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. September 1979 abzuändern und die Berufung gegen das Urteil des SG Detmold vom 30. März 1979 insoweit zurückzuweisen, als die Beklagte zur Vormerkung einer Ersatzzeit vom 1. August 1945 bis 5. Juli 1954 verurteilt worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, daß der Kläger die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO für die Anerkennung der Zeit vom 1. August 1945 bis 5. Juli 1954 als Ersatzzeit erfüllt.
Ersatzzeiten sind nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO neben den dort angeführten primären Ersatzzeittatbeständen des militärischen, militärähnlichen und Minenräumdienstes sowie der Kriegsgefangenschaft Zeiten einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen (BSG SozR Nr. 16 zu § 1251 RVO) anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit. Den hinsichtlich der Berücksichtigung solcher Anschlußersatzzeiten nicht eindeutigen Gesetzeswortlaut hat das BSG dahin ausgelegt, daß Zeiten nachfolgender Krankheit und Arbeitslosigkeit Berücksichtigung als Ersatzzeiten unabhängig davon finden, welches primäre Ersatzzeitgeschehen vorausgegangen ist; es macht auch keinen Unterschied, ob die Arbeitslosigkeit sich unmittelbar als Folge des Ersatzzeittatbestandes ergibt oder ob ihr zunächst eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit vorausliegt (BSGE 26, 274 = SozR Nr. 28 zu § 1251 RVO). Diese Deutung ergibt sich aus dem eine unterschiedliche Gesetzesauslegung verbietenden Zweck der Ersatzzeitenregelung (vgl. dazu BSG SozR 2200 § 1251 Ur 56 S. 141 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), versicherungsrechtliche Nachteile zu beheben, die dadurch entstanden sind, daß die den Ersatztatbestand bedingenden, von dem einzelnen Versicherten unbeeinflußbaren Umstände der Ausübung einer versicherten Tätigkeit mit entsprechender Beitragsleistung entgegengestanden haben.
Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil war der Kläger unmittelbar nach der Entlassung aus stationärer Lazarettbehandlung am 26. Juli 1945 weiterhin arbeitsunfähig krank. Es kann dahinstehen, ob das LSG damit eine Tatsachenfeststellung getroffen hat (so in einem ähnlich gelagerten Fall der 1. Senat im Urteil vom 3. Oktober 1979 in SozR 2200 § 1251 Nr. 69; ebenso offenbar der 4. Senat im Urteil vom 24. Mai 1967 in BSGE 26, 274 = SozR Nr. 28 zu § 1251 RVO und der 12. Senat im Urteil vom 26. Februar 1974 in SozR 2200 § 1251 Nr. 2 S. 8), an die der Senat gem. § 163 SGG gebunden ist, weil die Beklagte hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat. Denn auch wenn man mit dem 4. Senat (Urteil vom 19. April 1978 in SozR 2200 § 1251 Nr. 46 S. 118) diesen Ausspruch als das Ergebnis einer rechtlichen Subsumtion begreift, das vom Revisionsgericht in vollem Umfange auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist, besteht doch die Bindung an die von der Vorinstanz in diesem Zusammenhang getroffenen, mit der Revision nicht beanstandeten tatsächlichen Einzelfeststellungen (vgl. dazu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 29. November !978 in SozR 2200 § 1251 Nr. 55 S. 137, 138). Aufgrund des von ihm herangezogenen ärztlichen Gutachtens, das am 28. Juni 1946 auf Veranlassung des zuständigen Versorgungsamts erstattet worden war und zu dem Schluß gelangte, der Kläger sei weiterhin für voraussichtlich noch zwei Jahre bei bestehender Invalidität arbeitsunfähig, durfte das LSG die an die stationäre Behandlung im Lazarett anschließende Arbeitsunfähigkeit als nachgewiesen ansehen.
Das Berufungsgericht hat dabei mit Recht der Festlegung des Endzeitpunktes der Arbeitsunfähigkeit keine Beachtung geschenkt. Denn davon hängt allein der Beginn der sich an die Arbeitsunfähigkeit nahtlos anfügenden Zeit der Arbeitslosigkeit ab. Der in § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO gebrauchte Begriff der Unverschuldeten Arbeitslosigkeit setzt voraus, daß der Versicherte unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig ist, während eine Meldung beim Arbeitsamt nicht zu den Voraussetzungen gehört (Urteil des erkennenden Senats vom 30. Januar 1969 in BSGE 299 IN). Das LSG hat für den der Erkrankung folgenden Teil der in ihrer versicherungsrechtlichen Bewertung Umstrittenen Zeit unverschuldete Arbeitslosigkeit angenommen.
Darin liegt zugleich - wem auch unausgesprochen - die Feststellung der den Begriff ausfüllenden Tatsachen. Die Beklagte hat dem nicht widersprochen. Der Wegfall der Arbeitsunfähigkeit bestimmt somit nur den zeitlichen Eintritt der letzten noch fehlenden Bedingung für die Annahme von Arbeitslosigkeit i.S. des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Da Arbeitsunfähigkeit und unverschuldete Arbeitslosigkeit für die Begründung einer Anschlußersatzzeit gleichwertige Tatbestände darstellen, erübrigt sich eine genaue zeitliche Abgrenzung.
Etwas anders könnte u.U. gelten, wenn der Einwand der Beklagten gegen die Berücksichtigung der Zeit der Arbeitslosigkeit als Ersatzzeit rechtserheblich und zutreffend wäre, daß die Arbeitslosigkeit nicht konkret durch die Dienstleistung und anschließende Krankheit verursacht war. Aus dem Gesetz ergibt sich indes kein Gesichtspunkt, unter dem dieses Vorbringen beachtlich ist. Die in § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO geregelten Anschlußersatzzeiten sind allein auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kriegsdienst bzw. der Kriegsgefangenschaft und dem unverschuldeten Verlust von Beitragszeiten infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit abgestellt (BSG SozR 2200 § 1251 Nr. 21; SozR Nrn. 16, 48 zu § 1251 RVO). Das Gesetz geht von der verbindlichen Annahme aus, Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit, die im Anschluß an einen primären Ersatztatbestand liegen, stellten die Fortdauer des durch Zuwendung einer Ersatzzeit zu entschädigenden erzwungenen Aufopferungstatbestandes dar. Es bedarf also nicht des Nachweises der Ursächlichen Verknüpfung im Einzelfall.
Die nach dem Wortlaut des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO für die Anerkennung der streitigen Zeit vom 1. August 1945 bis 5. Juli 1954 als Ersatzzeit zu fordernden Voraussetzungen sind demnach erfüllt. Im Regelfall genügt dem Gesetz für die Vermutung, der Versicherte hätte ohne das Ersatzzeitgeschehen seine Beziehungen zur Rentenversicherung nicht vorübergehend gelöst und weiterhin Beiträge geleistet, daß er von einem Ersatztatbestand getroffen ist. Diese Vermutung ist jedoch in der früheren Rechtsprechung des BSG ausnahmslos als widerlegt angesehen worden, wenn in dem maßgebenden Zeitabschnitt Rechtsgründe der Entrichtung von Beiträgen ohnehin entgegengestanden hätten; der Beitragsverlust beruhe unter diesen Umständen auf dem rechtlichen Hindernis, freiwillige oder Pflichtbeiträge zu leisten, und sei nicht durch die außergewöhnlichen Umstände i.S. des § 1251 Abs. 1 RVO eingetreten (vgl. die im Weil des 4. Senats vom 20. Dezember 1979 - 4 RJ 50/78 - angeführten Entscheidungen des 1., 11. und 12. Senats). Auch dann sollten Zeiten, in denen wegen des Bestehens von Invalidität oder des Bezugs von Invalidenrente keine Versicherungsmöglichkeit bestanden hat, als Ersatzzeiten außer Betracht zu bleiben haben, wenn die Invalidität ursächlich auf den Ersatzzeittatbestand zurückging (so insbesondere BSG SozR 2200 § 1251 Nrn. 2 und 6). Gegen diese Rechtsanwendung hat der 4. Senat im Urteil vom 19. April 1978 (SozR 2200 § 1251 Nr. 46 S. 116) Bedenken geäußert. Mit seiner Entscheidung vom 20. Dezember 1979 - 4 RJ 50/78 - hat er dann eine Änderung dieser Rechtsprechung herbeigeführt und - nachdem der 1. und 11. Senat ihre entgegenstehende Rechtsauffassung aufgegeben hatten und der 12. Senat seine Zuständigkeit für die Bearbeitung von Streitigkeiten aus dem Gebiet der Rentenversicherung verloren hat - ausgesprochen, daß die rechtliche Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung die Anerkennung einer Ersatzzeit nicht hindert, wenn die Ursache des rechtlichen Hemmnisses gerade in dem Ersatzzeitgeschehen liegt. Der 4. Senat hat es als insich widersprüchlich und im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip bedenklich angesehen, von den Personen, die für die versicherungsrechtlichen Nachteile eines hoheitlichen Eingriffs durch Gewährung einer Ersatzzeit entschädigt werden sollen, diejenigen auszunehmen, bei denen das Kriegsgeschehen nicht nur zu Arbeitsunfähigkeit geführt, sondern weitergehend Invalidität und damit zugleich die rechtliche Unmöglichkeit einer Beitragsleistung bewirkt hat. Der erkennende Senat hält diese Rechtsauffassung für richtig und tritt ihr nach eigener Prüfung bei.
Demnach ergeben sich bei dem hier zu würdigenden Sachverhalt aus Begriff und Funktion der Ersatzzeit keine zusätzlichen Beschränkungen für die Anerkennung der streitigen Zeit als Ersatzzeit i.S. des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Denn das LSG hat von der Revision unwidersprochen und deshalb für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, die Invalidität des Klägers sei durch den militärischen Dienst verursacht gewesen. Sie ist folglich für die versicherungsrechtliche Bewertung der geltend gemachten Ersatzzeittatbestände ohne Bedeutung. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, inwieweit die Invalidität oder der auf ihr beruhende Rentenbezug nach den damals geltenden Vorschriften im einzelnen einer Beitragsleistung entgegengestanden hätte.
Schließlich hat der Umstand, daß die Beklagte den Teil der streitigen Zeit vom 1. August 1945 bis 31. August 1949 als Ausfallzeit anerkannt hat, keine Rückwirkungen auf die Berücksichtigung der gesamten Zeit als Ersatzzeit. Im Vormerkungsverfahren ist über die spätere Anrechnung der geltend gemachten Zeiten noch nicht zu befinden. Ob eine Zeit, die sich nach dem Gesetz sowohl als Ersatz- wie als Ausfallzeit einordnen läßt, in dem einen oder anderen Sinne tatsächlich angerechnet wird, kann in der Regel erst nach Eintritt des Versicherungsfalles entschieden werden. Daher Stellt sich erst im Rentenfeststellungsverfahren heraus, ob im Hinblick auf die versicherungsrechtlich weiterreichende Wirkung der Ersatzzeit gegenüber der damit zusammenfallenden Ausfallzeit diese verdrängt wird. Eine solche Zeit ist folglich im Vormerkungsverfahren unter beiden rechtlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen (vgl. hierzu BSG in SozR 2200 § 1251 Nr. 22 und § 1259 Nr. 44).
Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen