Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegeunfall. innerer Zusammenhang. unmittelbarer Weg. Umweg. Wahlfreiheit. längerer Weg
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes, wenn statt des kürzesten Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ein nicht unbedeutend längerer Weg gewählt wird.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1; RVO § 550 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall (Wegeunfall) und die hierfür zu gewährenden gesetzlichen Leistungen.
Der im Jahre 1963 geborene, in K wohnhafte Kläger arbeitet als Fachlehrer im Ausbildungscenter der F AG in H Am 1. April 1998 verließ er mit seinem Motorrad um 16.55 Uhr seine Arbeitsstätte und fuhr auf Bundes- und Nebenstraßen über Neuenstadt nach Stein. Dort stattete er seinem kranken Vater einen kurzen Besuch ab, der nach seinen Angaben etwa 10 Minuten gedauert hat. Danach fuhr er nach Widdern ins Jagsttal, folgte bis Krautheim der Jagst und bog dann dort rechts nach Oberginsbach ab. Hinter diesem Ort auf dem Weg nach Stachenhausen an der Bundesstraße 19, die von Norden nach Künzelsau führt, stürzte er mit seinem Motorrad - ohne Fremdeinwirkung - um 17.50 Uhr (und nicht - wie im Gegensatz dazu im Tatbestand des angefochtenen Urteils dargestellt "gegen 17.30 Uhr") auf der Landstraße 515 und erlitt dabei schwere Verletzungen. Die Länge der am Unfalltag vom Kläger gewählten Strecke von Heilbronn bis Künzelsau beträgt einschließlich des Umweges über Stein etwa 73 km; hiervon hatte er am Unfallort etwa 65 km zurückgelegt. Die genannte Route ist nach seinen Angaben eine von zwei Varianten, die er - je nach Verkehrslage - für den Hin- und Rückweg zur Arbeitsstätte wählt. Die andere Variante führt von Künzelsau auf der Bundesstraße Nr 19 bis Kupferzell, sodann auf die Bundesautobahn A 6 bis Heilbronn und hat eine Länge von etwa 51 km.
Mit Bescheid vom 9. Juli 1998 und Widerspruchsbescheid vom 4. September 1998 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger wegen des Verkehrsunfalls vom 1. April 1998 Entschädigung zu gewähren. Der Kläger habe sich aus privaten, eigenwirtschaftlichen Gründen nicht auf dem üblichen, direkten Weg von der Arbeitsstätte zu seiner Wohnung befunden, als er den Verkehrsunfall erlitten habe. Hierfür könne er den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht beanspruchen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. März 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung des Unfalls vom 1. April 1998 als Arbeitsunfall hierfür die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil vom 28. September 2000). Es habe sich um einen versicherten Wegeunfall gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) gehandelt, für dessen Auslegung die zu § 550 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze heranzuziehen seien. Danach sei zunächst zu beachten, daß die von der Beklagten und dem SG zugrunde gelegten Berechnungen zum längeren Weg falsch seien. Der Mehrweg gegenüber der kürzesten Strecke (etwa 51 km) betrage nicht 32 km sondern nur 22 km. Berücksichtige man die permanente Überlastung der A 6 und die grundsätzliche Wahlfreiheit des Versicherten bezüglich des konkreten Weges sowie die heute üblicherweise zurückgelegten Strecken zwischen Wohnort und Arbeitsort, erscheine diese Wegeverlängerung als unerheblich. Somit sei auch dieser längere Weg als unmittelbarer Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zu qualifizieren. Dabei sei auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu Wegen vom sog "dritten Ort" zu beachten, wo zB Wegeverlängerungen um 30 km als unschädlich angesehen worden seien. Das müsse auch für die hier vorliegende Wegeverlängerung von etwa 51 km auf 73 km gelten.
Der innere Zusammenhang des hier eingeschlagenen Weges mit der versicherten Tätigkeit sei auch nicht deswegen zu verneinen, weil der Kläger auf dem Weg kurz seinen kranken Vater in Stein besucht habe. Der Besuch könne angesichts des Endes der Arbeit (16.55 Uhr) und des Unfallzeitpunktes (17.50 Uhr) nur sehr kurz gewesen sein, da der Kläger am Unfallort etwa 65 km von der Gesamtstrecke von 73 km zurückgelegt gehabt habe. Der Besuch habe zwar zu einem unversicherten Abweg von Neuenstadt nach Stein geführt, nicht aber dazu, dem Gesamtweg die Qualität eines Heimweges iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zu nehmen, da wesentlicher Zweck des Weges die Rückkehr von der Arbeit zur Wohnung gewesen und der Kläger nicht auf dem Weg nach Stein, sondern auf dem üblichen Wege verunglückt sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Der Kläger sei auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängenden Weg verunglückt. Wähle der Versicherte nicht die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, komme es darauf an, ob nach den Umständen des Einzelfalles auch für den weiteren Weg der ursächliche Zusammenhang gegeben sei. Das BSG habe in ständiger Rechtsprechung bei privaten Verrichtungen dienenden Umwegen nach und von dem Ort der Tätigkeit den ursächlichen Zusammenhang lediglich durch "unbedeutende" Umwege als nicht ausgeschlossen angesehen. Damit solle aber im wesentlichen der Versicherungsschutz nur bei privaten Verrichtungen nicht ausgeschlossen sein, die "so im Vorbeigehen" erledigt würden. Dabei komme es nicht allein auf einen Längenvergleich zwischen der direkten und der gewählten Strecke an. Als maßgeblicher Gesichtspunkt komme etwa die Notwendigkeit oder die Zweckmäßigkeit, im Hinblick auf das gewählte Verkehrsmittel einen bestimmten Weg einzuschlagen, in Betracht, um möglichst zügig und sicher die Wohnung zu erreichen. Statt darzulegen, weshalb vom Kläger am Unfalltag die längere Wegstrecke gewählt worden sei, habe das LSG in diesem Zusammenhang lediglich allgemeine Erwägungen in unsystematischer Weise angestellt. So möge zwar die A 6 permanent überlastet sein, am konkreten Unfalltag sei dies jedenfalls nicht ausschlaggebend für die Wahl des längeren Weges gewesen. Abgesehen davon wäre es bei "permanenter Überlastung der A 6" logisch gewesen, daß der Kläger immer den längeren Weg genommen hätte. Die grundsätzlich bestehende Wahlfreiheit könne nicht als Argument dafür herangezogen werden, daß der vom Kläger tatsächlich gewählte Weg im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe. Das LSG hätte daher nicht auf die allgemeine Verkehrssituation abstellen dürfen.
Auch habe das LSG zur Begründung, daß Wegverlängerungen von 22 km unerheblich seien, zu Unrecht die Rechtsprechung des BSG zum "dritten Ort" herangezogen. Denn ob die Wegstrecke von oder zum "dritten Ort" unter Versicherungsschutz stehe, werde im wesentlichen nicht, wie bei der Beurteilung eines Umweges, aufgrund der Handlungstendenz des Versicherten ermittelt. Vielmehr stünden bei der Prüfung des Versicherungsschutzes von oder zum "dritten Ort" objektive Kriterien im Vordergrund.
Vorliegend gehe es aber um die Frage, ob ein aus privatem Grund veranlaßter Umweg (Besuch des Vaters) in den Versicherungsschutz mit einzubeziehen sei. Ein Umweg, der einer privaten Verrichtung diene, sei nur dann vom Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen, wenn es sich um einen "unbedeutenden" Umweg handele, dh wenn die private Verrichtung "so im Vorbeigehen" erledigt werden könne. Im Verhältnis zur kürzeren Strecke sei ein Weg, der um 22 km länger sei als der direkte, jedoch nicht unbedeutend in diesem Sinne. Hier habe der Weg dazu dienen sollen, einen - wenn auch nur kurzen - Krankheitsbesuch zu erledigen, so daß nicht von einem unbedeutenden Umweg ausgegangen werden könne. Diese Problematik habe das LSG überhaupt nicht erkannt. Es berücksichtige vielmehr den Besuch des Vaters nur objektiv als kurze Unterbrechung eines unmittelbaren Weges.
Das LSG habe am Ende seiner Entscheidungsgründe den längeren Weg sogar als "üblichen Weg" bezeichnet, obwohl der Kläger sich hierzu widersprüchlich eingelassen gehabt habe. Einerseits habe dieser angegeben, der längere Weg sei der gewöhnliche Weg, andererseits, der Weg entspreche nicht dem gewöhnlichen Weg, sondern nur dann, wenn er die Eltern besuche. Weiterhin habe der Kläger angegeben, die Strecken variierten je nach Verkehrssituation. Obwohl das LSG diese Feststellungen getroffen habe, sei es zugunsten des Klägers davon ausgegangen, daß er den längeren Weg allein wegen der Verkehrssituation genommen habe, ohne dessen weitere Angaben zu würdigen. Daß der Anlaß für die Wahl des längeren Weges am Unfalltage jedenfalls der Besuch des Vaters gewesen sei, habe es unberücksichtigt gelassen. Es hätte aber prüfen müssen, ob der Weg aufgrund der tatsächlichen Motivation des Klägers als "unmittelbarer Weg" qualifiziert werden könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. September 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. März 1999 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um in der Sache abschließend entscheiden zu können.
Ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus Anlaß des Unfalls vom 1. April 1998 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, hängt davon ab, ob dieser an dem genannten Tage einen Arbeitsunfall erlitten hat. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz ua nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (Beschäftigte) begründenden Tätigkeit. § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII erstreckt diesen Schutz auch auf das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Da diese Vorschriften inhaltlich im wesentlichen mit den früheren Regelungen des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO und des § 550 Abs 1 RVO übereinstimmen (vgl Begründung zu Art 1, 2 Abs 1 und § 8 Abs 2 der Regierungsvorlage eines Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, BT-Drucks 13/2204 S 74 und S 77), können zu ihrer Auslegung die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu den genannten Regelungen der RVO grundsätzlich herangezogen werden. Danach ist Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw nach Beendigung dieser Tätigkeit der Erreichung der Wohnung oder eines dritten Ortes dient. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit bzw - wie hier - zum Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehört (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 1 und 14). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 und 16, jeweils mwN). Fehlt es an einem inneren Zusammenhang in diesem Sinne, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 und 16, jeweils mwN).
Andererseits folgt aus dem vom Gesetz geforderten unmittelbaren Zusammenhang zwischen Weg und versicherter Tätigkeit nicht, daß der Versicherte ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zu der Arbeitsstätte geschützt ist. Ganz kleine, privaten Zwecken dienende Umwege, die nur zu einer unbedeutenden Verlängerung des Weges führen, sind für den Versicherungsschutz unschädlich (BSGE 4, 219, 222; BSG SozR Nr 33, 42, 61 zu § 543 RVO aF; BSG SozR 2200 § 550 Nr 44). Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß die private Besorgung im Bereich der Straße selbst, mithin "so im Vorbeigehen" erledigt wird (BSG Urteile vom 30. März 1982 - 2 RU 5/81 - USK 8299 und vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 52/81 - USK 82210). Ein vom Versicherten eingeschlagener Weg, der nicht nur unbedeutend länger als der kürzeste Weg ist, ist als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn die Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des Versicherten dem Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause oder einem anderen, sog dritten Ort zuzurechnen wäre, um etwa eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu benutzen (BSGE 4, 219, 222; BSG SozR Nr 21 zu § 543 RVO aF; BSG SozR 2200 § 550 Nr 10; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7 mwN), um als Kraftfahrer vor Erreichen des verkehrsmäßig überfüllten Stadtzentrums an geeigneter Stelle zu parken (BSG SozR Nr 8 zu § 550 RVO), um den Schlüssel zum Werkzeugschrank zu holen (BSG Urteil vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 52/81 - USK 82210), um einem durch die Länge des Weges bedingten Bedürfnis nach Erfrischung zu folgen (BSG Urteil vom 25. Mai 1961 - 2 RU 41/58 -) oder weil sich der Versicherte verfahren hat (BSG SozR Nr 13 zu § 543 RVO aF; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7). Ist demnach ein eingeschlagener Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit insbesondere weniger zeitaufwendig, sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger (bei Wahl eines bestimmten Verkehrsmittels) als der entfernungsmäßig kürzeste Weg, steht auch dieser längere Weg unter Versicherungsschutz. Läßt sich allerdings nicht feststellen, ob der Umweg im inneren Zusammenhang mit dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stand oder nur geringfügig war, besteht dagegen kein Versicherungsschutz (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7).
Der vom Kläger am Unfalltag gewählte Weg von Heilbronn nach Künzelsau, der nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG 22 km länger als die kürzeste Strecke über die A 6 ist, stellt keine unbedeutende Verlängerung des Heimwegs in dem Sinne dar, daß es auf die Gründe für die Wahl dieser Strecke nicht ankäme. Eine dem Versicherten uneingeschränkt eingeräumte freie Wahl des Weges von und zur Arbeitsstätte von 73 km anstelle einer Strecke von 51 km würde nicht nur der nunmehr ausdrücklich in § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII aufgeführten Voraussetzung des "unmittelbaren Weges" zuwiderlaufen, sondern im Regelfall auch das Risiko eines Wegeunfalls unangemessen erhöhen, was von der Rechtsprechung des BSG als ein beachtliches Kriterium bei der Auslegung von § 550 Abs 1 RVO, der Vorgängervorschrift des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII, angesehen worden (BSGE 52, 38, 39 = SozR 2200 § 550 Nr 47) und daher auch bei der Auslegung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII heranzuziehen ist.
Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des LSG, die Rechtsprechung des BSG zu Wegen vom sog "dritten Ort" sei bei der Frage der Zulässigkeit von Wegeverlängerungen zu beachten. Denn bei der vom LSG zitierten Rechtsprechung (BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 2 RU 10/89 - USK 8995; BSG Urteil vom 27. August 1987 - 2 RU 15/87 - USK 87121; BSG SozR 2200 § 550 Nr 78) geht es nicht um die Verlängerung des kürzesten Weges zwischen dem "dritten Ort" und der Arbeitsstätte, für welche die gleichen Kriterien gelten wie für Verlängerungen des kürzesten Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (vgl BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7). Vielmehr geht es in den genannten Entscheidungen um die Frage, ob der (unmittelbare) Weg zwischen dem "dritten Ort" und der Arbeitsstätte auch dann noch unter Versicherungsschutz steht, wenn er entfernungsmäßig in einem unangemessenen Verhältnis zum üblichen Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steht. Diese Rechtsprechung betrifft mithin ein grundlegend anderes Problem und kann daher zu der Frage, ob ein vom Versicherten eingeschlagener Weg ein unmittelbarer Weg iS des Gesetzes ist, nicht herangezogen werden.
Ergibt sich im Einzelfall, daß der kürzeste Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit aus objektiven, nicht rein privaten Gründen nicht genommen zu werden braucht, ein nicht unbedeutend längerer Weg grundsätzlich also noch unter Versicherungsschutz steht, kann dies allerdings nicht dazu führen, daß der Versicherte dann unter Beibehaltung des Versicherungsschutzes einen beliebig langen anderen Weg benutzen darf. Vielmehr gilt für den konkret eingeschlagenen längeren Weg, daß er wesentlich der Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt sein muß und somit für die Wahl dieses Weges keine Gründe maßgebend sind, die wesentlich allein dem privaten Lebensbereich des Versicherten zuzuordnen sind. Bieten sich daher anstelle des kürzesten Weges mehrere zumutbare Wegealternativen an, ist zum Erhalt des Versicherungsschutzes in der Regel der nächstkürzere Weg zu wählen, wobei unbedeutende Umwege nicht ins Gewicht fallen. Ist aber der gewählte alternative Weg nicht unbedeutend länger als ein anderer alternativer Weg, steht ersterer Weg nur unter Versicherungsschutz, wenn die kürzere Alternative aus den oben genannten Gründen nicht zum Erhalt des Versicherungsschutzes benutzt zu werden braucht, weil also insbesondere der gewählte Weg weniger zeitaufwendig, sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger ist als die nicht gewählte alternative Strecke. Wegen der Besonderheiten des Straßen- und Wegenetzes, der unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten und der Vielfalt der Lebenssachverhalte, die bei der Wahl des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit bedeutsam sind, lassen sich keine allgemeingültigen Regeln hinsichtlich der Länge des Weges, der in Anspruch genommen Geh- oder Fahrzeit oder sonstiger einschlägiger Kriterien festlegen. Ob ein gewählter längerer Weg noch ein unmittelbarer Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII ist, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Ist der gewählte alternative Weg nach und zum Ort der Tätigkeit hinsichtlich Entfernung und Zeit erheblich länger als eine andere alternative Wegstrecke, stellt dies allerdings ein Indiz dafür dar, daß für die Wahl des Weges Gründe maßgebend waren, die wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Je länger und zeitaufwendiger der gewählte alternative Weg daher im Verhältnis zu einem kürzeren und weniger zeitaufwendigen alternativen Weg ist, um so höhere Anforderungen sind an den Nachweis zu stellen, daß der erforderliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg nach oder vom Ort der Tätigkeit besteht.
Ob der vom Kläger am Unfalltag (1. April 1998) gewählte Weg von seiner Arbeitsstätte in Heilbronn der unmittelbare Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII war, kann der Senat mangels geeigneter Feststellungen nicht entscheiden. So ist bereits ungeklärt, ob objektive, nicht dem privaten Lebensbereich zuzuordnende Gründe bestanden, den kürzesten Weg über die Bundesautobahn A 6 bis Kupferzell und sodann über die Bundesstraße Nr 19 bis Künzelsau für die Heimfahrt nicht zu nehmen. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger die beiden Wegevarianten "je nach Verkehrslage" benutzt. Dies kann nur so verstanden werden, daß er nach entsprechenden Hinweisen insbesondere im Verkehrsfunk oder bei sonstigen Anzeichen für eine Überlastung der A 6 (zB Baustellen, Urlaubsverkehr) diese Strecke nicht wählte, sie bei Nichtvorhandensein solcher Hinweise oder Anzeichen aber benutzte. Das LSG hat hierzu - wohl aus eigener, nicht näher begründeter Sachkenntnis - festgestellt, daß die genannte Autobahn permanent überlastet ist. Mit dieser Feststellung läßt sich jedoch nicht erklären, warum der Kläger diese Route an manchen Tagen benutzte, an manchen nicht. Das LSG hat daher die Feststellung nachzuholen, welche Gründe gegen die Benutzung der A 6 durch den Kläger gerade am Unfalltag sprachen. Sofern diese Gründe nicht im wesentlichen allein dem privaten Lebensbereich, nämlich dem Wunsch, seinen kranken Vater zu besuchen, zuzuordnen sind, hat das LSG weiterhin Feststellungen darüber zu treffen, wie der Verlauf des längeren Weges ist, den es als alternativen "üblichen Weg" ansieht. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind nämlich nicht frei von Widersprüchen. Denn einerseits wird im angefochtenen Urteil der Weg über Neuenstadt, Stein, Widdern, Krautheim und Oberginsbach als eine von zwei Wegvarianten bezeichnet, die der Kläger je nach Verkehrslage für seine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wählt. Andererseits wird darin der Weg von Neuenstadt nach Stein als unversicherter Abweg charakterisiert und dargelegt, daß der Kläger nicht auf dem Weg nach Stein, sondern auf dem "üblichen Weg" verunglückt sei. Ergeben die Ermittlungen, daß die durch das Jagsttal führende Wegvariante stets über Stein führt, ist dies ein deutliches Indiz dafür, daß der wesentliche Grund für die Auswahl dieser Strecke der Wunsch des Klägers war, seinen Vater zu besuchen. Sollte aber unter diesen Voraussetzungen der längere Weg wesentlich allein privaten Zwecken dienen, stünde der nach dem Besuch seines Vaters eingeschlagene Weg auch nicht deshalb unter Versicherungsschutz, weil der Kläger dann unmittelbar zu seinem Wohnsitz fahren wollte. Ergeben die Ermittlungen, daß die Wegvariante durch das Jagsttal nicht über Stein führt, daß also die Fahrt von Neuenstadt nach Stein nur ein Abweg von einem sonst üblichen Wege ist, sind Feststellungen erforderlich, ob es für den Kläger - außer der A 6 - eine andere zumutbare Straßenverbindung von Heilbronn nach Künzelsau gibt, die nach Entfernung und Zeitaufwand erheblich kürzer als die Strecke über das Jagsttal ist, und ob bejahendenfalls weitere objektive Gründe im oben genannten Sinne vorhanden sind, warum der Kläger diese kürzere Wegvariante nicht benutzt hat. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sein sollten, könnte der infolge des Abweges von Neuenstadt nach Stein verlorengegangene Versicherungsschutz nach Beendigung dieses Abwegs wiederaufgelebt sein (vgl BSG Nr 51 zu § 543 RVO aF; BSGE 63, 26, 27 mwN = SozR 2200 § 550 Nr 77).
Das LSG wird nunmehr die genannten fehlenden Feststellungen nachzuholen und unter Beachtung der hier festgelegten Grundsätze neu zu entscheiden haben.
Auf die Revision der Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen
EWiR 2002, 539 |
NZS 2002, 161 |
SGb 2002, 345 |
SozR 3-2700 § 8, Nr. 9 |
PP 2002, 47 |
SozSi 2002, 326 |