Leitsatz (amtlich)
Werden nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten nach einem Unfall des einzigen Arbeiters am 1. Arbeitstag endgültig aufgegeben, ist gemäß RVO § 657 Abs 1 Nr 7 eine Gemeinde oder ein Gemeindeunfallversicherungsverband der zuständige Träger der Unfallversicherung. Für die Zuständigkeit ist entscheidend, wieviel Tage auf die geplante Arbeit tatsächlich verwendet worden sind, nicht dagegen, auf wieviel Tage die geplante Arbeit veranschlagt war.
Normenkette
RVO § 657 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. September 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin gewährt dem Rentner Ludwig B (B.) wegen der Folgen eines am 15. Juni 1965 erlittenen Unfalls Entschädigungsleistungen im Rahmen der vorläufigen Fürsorge gemäß § 1735 Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie ist der Ansicht, daß die Entschädigung von der Beklagten zu gewähren ist.
B. war von dem Unternehmer Harry Sch (Sch.), Inhaber eines Shetland-Pony- und Vollbluttraber-Gestüts in H gegen Stundenlohn beauftragt worden, ein diesem gehörendes altes eingeschossiges Holzhaus mit etwa 40 qm Grundfläche, das bombengeschädigt war, instandzusetzen. Als B. am 15. Juni 1965, dem ersten Tag der Instandsetzungsarbeiten, eine von ihm mitgebrachte Leiter bestieg, brach eine Sprosse, so daß er zu Boden stürzte. Er zog sich dadurch Brüche des linken Oberschenkelhalses und der linken Speiche zu.
Die Instandsetzungsarbeiten hätten nach Angaben von Sch. 10 bis 14 Tage, nach Schätzung des technischen Aufsichtsbeamten der Klägerin etwa 6 Wochen und nach Meinung von B. 7 bis 8 Wochen gedauert. Nach dem Unfall unterblieben weitere Instandsetzungsarbeiten. Das Holzhaus fiel später zusammen und wurde in die Schuttkuhle gefahren. Sch. und sein Sohn stellten eine aus Fertigteilen bestehende Holzbude auf, wozu sie etwa 4 1/2 Stunden benötigten.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage auf Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten zur Entschädigung des Rentners B. abgewiesen und festgestellt, daß dafür die Klägerin zuständig ist (Urteil vom 16. Juni 1970). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Zuständigkeit der Beklagten festgestellt (Urteil vom 8. September 1971). Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei den am Unfalltage von B. im Rahmen des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO durchgeführten Arbeiten habe es sich um kurze nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten im Sinne des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO gehandelt. Nach dieser Vorschrift sei die Gemeinde oder der Gemeindeunfallversicherungsverband der für die Entschädigung eines Unfalls zuständige Versicherungsträger, wenn bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten für die geplante Arbeit nicht mehr als 6 Arbeitstage tatsächlich verwendet werden. Zwar hätten die Bauarbeiten im vorliegenden Fall mehr als 6 Tage gedauert, wenn sie so wie geplant durchgeführt worden wären. Jedoch sei darauf allein nicht abzustellen. Vielmehr müsse das Arbeitsvolumen der kurzen Bauarbeit objektbezogen sowohl nach der Planung als auch nach dem tatsächlichen Arbeitsaufwand beurteilt werden. Es komme darauf an, wieviel Arbeitstage auf das Bauvorhaben tatsächlich verwendet worden seien, dagegen nicht darauf, wie lange ein dafür angeworbener Arbeiter tätig gewesen sei (BSG in SozR Nr. 3 zu § 657 RVO). Die Richtigkeit dieser Auslegung ergebe sich daraus, daß die Zuständigkeit des Versicherungsträgers nicht zweifelhaft wäre, wenn Sch. für den verletzten B. einen anderen Arbeiter eingestellt und dieser tatsächlich mehr als 6 Arbeitstage für die Instandsetzung des Holzhauses benötigt hätte. Andererseits handele es sich um eine kurze Bauarbeit i. S. des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO, wenn eine für mehr als 6 Tage geplante Arbeit in 6 Arbeitstagen erledigt werde. Bei Abbruch der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeit durch ein ungewolltes Ereignis komme es darauf an, wieviel Arbeitstage der Verunglückte und die seinen Ausfall ersetzenden Arbeitskräfte insgesamt für die geplante Arbeit verwendet haben. Sofern der ursprüngliche Plan für die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten bestehen bleibe, sei also die Zeitdauer für die tatsächliche Durchführung der Planung maßgebend. Durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ungeklärt sei bisher, nach welchen Kriterien zu entscheiden sei, wenn wie hier, nach einem Unfall am ersten Tag das Bauvorhaben stillgelegt, d. h. der Plan fallen gelassen werde. Einen Anhalt biete die Entscheidung des BSG (aaO) die eine kurze Bauarbeit auch dann annehme, wenn die auf mehr als 6 Tage geplante Arbeit doch innerhalb von 6 Tagen fertiggestellt werde. In diesem Fall stelle das BSG auf die Anzahl der tatsächlich aufgewendeten Arbeitszeit ab. Dies führe auch zu einer praktischen Lösung, wenn das Bauvorhaben nach dem ersten Tag vollständig aufgegeben werde. Würde die Ansicht der Beklagten zutreffen, daß auf die Zeitdauer der geplanten Bauarbeit abzustellen sei, dann würde dies zu Vermutungen und hypothetischen Überlegungen führen, insbesondere wenn die Zeitdauer für die Durchführung des Planes, wie hier, unterschiedlich angegeben werde. Da B. am ersten Arbeitstag verunglückt und das Bauvorhaben dann aufgegeben worden sei, lägen die Voraussetzungen des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO vor. Unerheblich sei, daß Sch. später das zusammengefallene Haus als Schutt abgefahren und eine Holzbude aufgestellt habe. Diese Arbeiten seien nicht als Fortsetzung des ursprünglichen Planes anzusehen. Im übrigen hätten sie sich auch im Rahmen einer kurzen nicht gewerbsmäßigen Bauarbeit gehalten.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Das LSG habe den Begriff der "kurzen Bauarbeiten" i. S. des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO unrichtig ausgelegt. Das BSG habe grundsätzlich entschieden (aaO), daß in Fällen, in denen sich der Unfall zu Beginn der Arbeit ereigne, die Frage, ob es sich um eine kurze Bauarbeit handele, danach zu beantworten sei, ob das Bauvorhaben auf nicht mehr als 6 Arbeitstage veranschlagt worden sei. Das LSG habe sich über diese grundsätzliche Entscheidung hinweggesetzt. Seine Auffassung, daß bei Aufgabe des Bauvorhabens nach einem Unfall nur die tatsächlich vom Verletzten geleistete Arbeitszeit maßgebend sei, könne nicht befriedigen. Die wegen des Unfalls vom Bauherrn vorgenommene Umdisposition (Aufgabe der Ausbesserungsarbeiten, Abbruch des Gebäudes und Neubau) ändere nichts an der Feststellung, daß der Verletzte bei einer Bauarbeit verunglückt sei, die bei planmäßiger Ausführung eine längere Arbeitszeit als 6 Tage in Anspruch genommen hätte. Der Unfallzeitpunkt könne nicht dafür maßgebend sein, welcher Unfallversicherungsträger zuständig sei, auch wenn die geplante Bauarbeit nicht vollendet werde, weil die dafür vorgesehene Arbeitskraft wegen des eingetretenen Unfalls nicht mehr zur Verfügung stehe. Das SG sei in seinem Urteil von der grundsätzlichen Entscheidung des BSG ausgegangen und habe plausibel dargelegt warum die auf das geplante Bauvorhaben bezogene Zuständigkeitsregelung auch maßgebend bleiben müsse, wenn das Bauvorhaben wegen des Unfalls aufgegeben werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. September 1971 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II.
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Entschädigungsleistungen für die Folgen des Unfalls des Rentners B. von der Beklagten zu erbringen sind. Nach § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO sind Gemeinden und Gemeindeunfallversicherungsverbände Träger der Unfallversicherung für Versicherte bei Bauarbeiten, die - private - Unternehmer nicht gewerbsmäßig ausführen, wenn für die geplante Arbeit nicht mehr als sechs Arbeitstage tatsächlich verwendet werden.
Wie der Senat bereits ausgesprochen hat (SozR Nr. 3 zu § 657 RVO), ist bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts von der durch bestimmte handwerklich-technische Verrichtungen gekennzeichnete einzelne Bauarbeit und nicht von dem Bau als Gesamtobjekt auszugehen. Sie ist die "geplante Arbeit" i. S. des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO. Der Begriff weist auf den Umfang der in Aussicht genommenen Bauarbeit hin. Ob es sich um eine in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde oder eines Gemeindeunfallversicherungsverbandes fallende Bauarbeit handelt, hängt davon ab, wieviel Arbeitstage ein oder mehrere Arbeiter tatsächlich darauf verwenden. Bei einem vorzeitigen Abbruch der nicht gewerbsmäßigen Arbeit durch einen Arbeitsunfall vor Ablauf von sechs Arbeitstagen, ist die Zuständigkeit der Gemeinde oder eines Gemeindeunfallversicherungsverbandes nur gegeben, wenn der Verunglückte und die seinen Ausfall ersetzenden - gewerbsmäßig oder nicht gewerbsmäßig tätigen - Arbeitskräfte für die geplante Arbeit nicht mehr als sechs Arbeitstage verwendet haben (BSG aaO). Diese auf die Sache und nicht auf die Person bezogene Betrachtungsweise greift auch dann Platz, wenn - wie hier - nach einem Arbeitsunfall am ersten Tag der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten die geplante Arbeit nicht fortgesetzt wird. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird in einem solchen Fall nicht der Unfallzeitpunkt maßgebend für die Zuständigkeit des Versicherungsträgers, sondern entscheidend bleibt nach wie vor der tatsächliche Arbeitsaufwand für die geplante Arbeit. Wird aber die infolge des Unfalls unterbrochene Arbeit durch andere - gewerbsmäßig oder nicht gewerbsmäßig tätige - Arbeitskräfte nicht fortgesetzt, dann sind auf die geplante Arbeit nicht mehr als sechs Arbeitstage tatsächlich verwendet worden mit der Folge, daß es sich bei der bisherigen Arbeit um eine in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde oder eines Gemeindeunfallversicherungsverbandes fallende Bauarbeit i. S. des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO handelt. Dasselbe würde anzunehmen sein, wenn die nicht gewerbsmäßige Bauarbeit vor Ablauf von sechs Arbeitstagen aufgegeben wird, ohne daß sich ein Arbeitsunfall ereignet hat. Die hiervon abweichende Ansicht der Beklagten beruht im wesentlichen darauf, daß sie zu Unrecht dem Begriff der "geplanten Arbeit" eine zeitliche Komponente beimißt und es als maßgeblich ansieht, ob die nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten auf nicht mehr als sechs Arbeitstage veranschlagt worden sind. Einen solchen zeitlichen Bezug hat der Begriff aber nicht.
Der Senat verkennt nicht, daß Schwierigkeiten daraus entstehen können, daß bei erneuten Arbeiten an demselben Objekt zu entscheiden ist, ob es sich noch um die Fortführung der geplanten Arbeit handelt mit der Folge, daß die jetzt verwendeten Arbeitstage mit den früheren zusammenzurechnen sind oder ob es sich um Arbeiten aufgrund eines neuen Planes handelt, die in zeitlicher Hinsicht für sich allein zu betrachten sind. Diese auf tatsächlichem Gebiet liegenden Schwierigkeiten wiegen jedoch nicht so schwer, daß es gerechtfertigt wäre, in rechtlicher Hinsicht die voraussichtliche Arbeitsdauer der Beurteilung zugrunde zu legen. Denn abgesehen davon, daß dabei von hypothetischen Erwägungen auszugehen wäre, würde die während der gesamten Dauer der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten bestehende Entscheidungsfreiheit des Unternehmers dieser Arbeiten unberücksichtigt bleiben. Von welchem Plan auch immer der Unternehmer solcher Bauarbeiten vor deren Beginn ausgegangen sein mag, es muß ihm frei stehen, seine Planung jederzeit so zu ändern, daß die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz durch eine Gemeinde oder einen Gemeindeunfallversicherungsverband gemäß § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO eintreten, gleichgültig worauf der Entschluß zur Änderung der Planung beruht. Dadurch bleibt zwar die Zuständigkeit eines gemeindlichen Unfallversicherungsträgers oder einer Bau-Berufsgenossenschaft u. U. für einige Zeit ungeklärt, jedoch ist das auch dann der Fall, wenn für die geplante Arbeit voraussichtlich acht Arbeitstage erforderlich sind, tatsächlich aber nur sechs Arbeitstage aufgewendet werden, wobei zwischen den einzelnen Arbeitstagen mehr oder minder lange Zeiträume liegen können. Würde sich etwa am zweiten Arbeitstag ein Unfall ereignen, so stände der zuständige Versicherungsträger erst nach Ablauf des sechsten Arbeitstages fest, der wenig später nach dem Unfall, aber auch erst viele Wochen oder Monate danach liegen kann, je nachdem, wie der Unternehmer der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten die Arbeit fortführen läßt.
Da im vorliegenden Fall für die geplante Arbeit nur ein Tag aufgewendet und die Arbeit nach dem Unfall nicht fortgeführt worden ist, zudem auch die sonstigen Voraussetzungen des § 657 Abs. 1 Nr. 7 RVO vorliegen, ist vom LSG zu Recht die Zuständigkeit der Beklagten festgestellt worden. Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen