Leitsatz (amtlich)
1. Für Kriegsdienstzeiten im ersten und zweiten Weltkrieg sind nur dann Steigerungsbeträge zu gewähren, wenn und soweit eine Versicherung vorher bestanden hat.
2. Eine Versicherung hat vorher bestanden, wenn zu Beginn von Kriegsdienstzeiten nach dem damals geltenden Recht die Anwartschaft aus den zuvor geleisteten Beiträgen erhalten war oder als erhalten galt. Es genügt nicht, daß die Anwartschaft aus diesen Beiträgen nach SVAG § 4 Abs 2 erhalten ist.
3. War die Anwartschaft zu Beginn des Kriegsdienstes im zweiten Weltkrieg erloschen, ist sie aber während des Kriegsdienstes nach LeistungsverbesserungsG RV 1941 § 3 wieder aufgelebt, dann ist die Kriegsdienstzeit vom Inkrafttreten dieses Gesetzes, dem 1941-08-01 an rentensteigernd zu berücksichtigen.
Normenkette
RVAusbauG § 119; RVWehrmV § 3; RVWehrmV 1939 § 3; RVLeistungsVerbG Art. 41 § 3; RVLeistungsVerbG 1941 Art. 41 § 3; SVAnpG § 4 Abs. 2
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1955 wird zurückgewiesen, soweit dieses Urteil die Kriegsdienstzeit des Klägers vom 1. August 1941 bis 19. Oktober 1945 betrifft.
Im übrigen wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1955 auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17. Mai 1954 zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Landesversicherungsanstalt Westfalen bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 19. Dezember 1952 das Altersruhegeld. Er beanstandete, daß seine Kriegsdienstzeit vom 3. August 1914 bis 20. Dezember 1918 und vom 14. Januar 1940 bis 19. Oktober 1945 nicht rentensteigernd angerechnet war. Seine Klage wies das Sozialgericht Dortmund am 17. Mai 1954 ab: Die Kriegsdienstzeit im ersten und zweiten Weltkrieg sei nur dann rentensteigernde Ersatzzeit, wenn bei ihrem Beginn die Anwartschaft aus früheren Beiträgen erhalten gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall. Der Kläger habe vor dem ersten Weltkrieg nur in den Jahren 1909 und 1910, vor dem zweiten Weltkrieg nur von 1919 bis 1924 Beiträge entrichtet. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hob am 27. Juli 1955 die Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund auf, verurteilte die Beklagte, die Kriegsdienstzeit des Klägers im ersten und zweiten Weltkrieg rentensteigernd anzurechnen und ließ die Revision zu: Die Anwartschaft des Klägers aus seinen Beiträgen vor dem ersten und zweiten Weltkrieg sei nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (SVAG) vom 17. Juni 1949 (WiGBl. S. 99) erhalten. Daher müsse seine Kriegsdienstzeit rentensteigernd angerechnet werden. Dies gelte vor allem für die Kriegsdienstzeit im zweiten Weltkrieg, da der Kläger im Jahre 1947 Beiträge für 1939 nachentrichtet habe.
Die Beklagte legte gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Revision ein und beantragte, die Entscheidung des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen. Die Kriegsdienstzeit könne nur dann rentensteigernd angerechnet werden, wenn vor ihrem Beginn eine Versicherung bestanden habe. Hierbei komme es auf die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor dem Kriegsdienst an. § 4 Abs. 2 SVAG sei daher nicht anwendbar, die Nachentrichtung von Beiträgen im Jahre 1947 unbeachtlich. Im übrigen fehle auch die erforderliche Ursächlichkeit des Kriegsdienstes für die Nichtentrichtung von Beiträgen.
Der Kläger stellte keinen Antrag und ließ sich nicht vertreten.
II
Die Revision ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
1. Die Kriegsdienstzeit des Klägers während des ersten Weltkrieges ist dann rentensteigernd anzurechnen, wenn die Versicherung vorher bestanden hat (§ 119 Abs. 1 des Rentenausbaugesetzes vom 21.12.1937, RGBl. I S. 1393). Bei dieser Anrechnung handelt es sich um eine Leistung, die ihre tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen in bereits vergangenen Verhältnissen hat. Ob also eine Versicherung vor dem Kriegsdienst im 1. Weltkrieg bestanden hat, richtet sich nach dem damals geltenden Recht (vgl. Zschacke in NJW. 1956 S. 729 ff. unter II; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl., S. 23; RG. Urteil vom 15.6.1929, RGZ. Band 125, S. 58 ff.; 61). Nach diesem Recht bestand aber bei Beginn des Kriegsdienstes keine Versicherung mehr. Der Kläger hatte für die Zeit vom 20. November 1909 bis 10. September 1910 Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. In der Folgezeit hat er keine Beiträge mehr gezahlt. Daher ist bei seiner Einberufung zum Kriegsdienst und während desselben seine Anwartschaft erloschen und damit seine Versicherung beendet gewesen (§§ 15, 32 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899, RGBl. S. 393, 1264 Abs. 1 Satz 2 RVO in der heutigen Fassung, 1286 RVO in der Fassung vom 19.7.1911, RGBl. S. 509; RVA., Grundsätzliche Entscheidung vom 11.3.1943, AN. 1943 S. II 185). Die Kriegsdienstzeit im ersten Weltkrieg kann deshalb nicht rentensteigernd angerechnet werden.
Daran ändert auch der Umstand nichts, daß im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Jahre 1952 die Anwartschaft des Klägers auch aus den Beiträgen vor dem ersten Weltkrieg nach § 4 Abs. 2 SVAG erhalten gewesen ist. Diese Vorschrift berührt nur eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente aus alten Beiträgen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1948 eingetreten ist, im übrigen läßt sie die rechtlichen Beziehungen zwischen den Versicherungsträgern und den Personen unberührt, für die bis zum 31. Dezember 1948 Beiträge entrichtet worden sind. Soweit für die Zeit vor dem 1. Januar 1949 an den Bestand eines Versicherungsverhältnisses rechtliche Folgen geknüpft sind, muß daher § 4 Abs. 2 SVAG außer Betracht bleiben. Dies gilt auch für die Anwendung des § 119 Abs. 1 des Rentenausbaugesetzes. Daraus folgt, daß die Kriegsdienstzeit im ersten Weltkrieg auch dann nicht rentensteigernd angerechnet werden kann, wenn die vorher erloschene Anwartschaft auf Grund des im Jahre 1949 erlassenen SVAG wieder aufgelebt ist (im Ergebnis ebenso Bayerisches Landesversicherungsamt, Grundsätzliche Entscheidung vom 29.4.1952, Breithaupt 1952, S. 667; a. A. Koch-Hartmann, Kommentar zum Angestelltenversicherungsgesetz, 2. Aufl., S. 389, ohne Begründung).
2. Die Kriegsdienstzeit des Klägers während des zweiten Weltkrieges ist ebenso wie seine Kriegsdienstzeit im ersten Weltkrieg nur dann rentensteigernd anzurechnen, wenn die Versicherung vorher bestanden hat. Dies ergibt sich aus dem Wesen der Ersatzzeit und aus dem Gesetzeswortlaut, in dem nur von "Versicherten" die Rede ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 der VO. über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie die knappschaftliche Pensionsversicherung während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 13.10.1939, RGBl. I S. 2030; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 2. Band, S. 668). Ob der Kläger vor seiner Kriegsdienstzeit versichert gewesen ist, ist auch hier nach den Verhältnissen, die im Zeitpunkt seiner Kriegsdienstleistung bestanden habe, zu beurteilen, wie sich aus den Ausführungen zu § 119 Abs. 1 des Rentenausbaugesetzes ergibt. Der Kläger hat zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg nur in den Jahren 1919 bis 1924 Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. Im Zeitpunkt des Beginns seines Kriegsdienstes - 14. Januar 1940 - ist daher seine Anwartschaft erloschen und damit seine Versicherung beendet gewesen (§ 1264 Abs. 1 RVO). § 4 Abs. 2 SVAG hat hieran nichts geändert, wie oben dargelegt worden ist. Auch die - an sich zulässige - Nachentrichtung von Beiträgen für 1939 im Jahre 1947 hat nicht bewirkt, daß der Kläger bei Beginn des Kriegsdienstes Versicherter war, sondern nur, daß ihm aus diesen Beiträgen nach ihrer Entrichtung gegebenenfalls Leistungen gewährt werden können.
Seine Anwartschaft aus den Beiträgen von 1924 ist jedoch am 1. August 1941 wieder aufgelebt. An diesem Tag ist § 3 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941, RGBl. I S. 443, in Kraft getreten, wonach die Anwartschaft aus allen Beiträgen, die für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahres entrichtet sind, als erhalten gilt. Diese Vorschrift ist zwar später aufgehoben worden (Art. 25 Abs. 3 Nr. 2 der Vereinfachungs-VO vom 17.3.1945, RGBl. I S. 41 und § 21 Abs. 7 a SVAG); sie ist jedoch im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, weil es hier allein darauf ankommt, ob im Zeitpunkt der Kriegsdienstleistung die Anwartschaft des Klägers erhalten gewesen ist. Mit dem Wiederaufleben seiner Anwartschaft aus den Beiträgen von 1924 hat für den Kläger vom 1. August 1941 an auch die Versicherung wieder bestanden. Daß nach § 3 des Gesetzes vom 24. Juli 1941 die Anwartschaft "als erhalten gilt", steht dem nicht entgegen. Ein Versicherungsverhältnis besteht immer dann, wenn auch nur aus einem Beitrag die Anwartschaft noch in Ordnung ist. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn die Anwartschaft durch regelmäßige Beitragsentrichtung "erhalten ist", sondern auch dann, wenn sie, wie hier, ohne weitere Beitragsentrichtung "als erhalten gilt". Das Wörtchen "gilt" besagt nur, daß die Anwartschaft ausnahmsweise auch ohne weitere Beitragsleistung als erhalten angesehen werden muß (ebenso im Ergebnis RVA., Bescheid vom 17.2.1941, AN. 1941, S. II 119, Rundschreiben vom 29.4.1942, AN. 1942, S. II 298 und Grundsätzliche Entscheidung vom 11.3.1943 a. a. O., Bayerisches Landesversicherungsamt, Grundsätzliche Entscheidung vom 29.5.1952, Breithaupt 1952, S. 900 ff., 902). Hat für den Kläger vom 1. August 1941 an die Versicherung bestanden - seine Anwartschaft ist auch in der Folgezeit bis zum Versicherungsfall erhalten gewesen - dann ist auch seine Kriegsdienstzeit vom 1. August 1941 bis 19. Oktober 1945 rentensteigernd anzurechnen. Die Kriegsdienstzeit ist teilbar; sie läßt sich ohne weiteres in bestimmte Zeitabschnitte zerlegen, so daß es durchaus möglich ist, sie zum Teil als Ersatzzeit anzuerkennen und zum Teil nicht. Dies ist nach Wortlaut und Sinn des § 3 der VO. vom 13. Oktober 1939 immer dann zulässig, wenn jemand teils als Versicherter, teils als Nichtversicherter Kriegsdienst geleistet hat; die Versicherung muß nicht vor Beginn des Kriegsdienstes überhaupt bestanden haben; der Kriegsdienst darf jedoch nur soweit als Ersatzzeit angerechnet werden, als die Versicherung während des Kriegsdienstes bestanden hat. Der Anrechnung der Kriegsdienstzeit vom 1. August 1941 bis 19. Oktober 1945 steht nicht entgegen, daß beim Kläger der Kriegsdienst nicht ursächlich für die unterbliebene Beitragszahlung gewesen ist. Ein Kausalzusammenhang zwischen Kriegsdienst und fehlender Beitragsentrichtung ist nach dem Gesetz nicht Voraussetzung für die rentensteigernde Anrechnung der Kriegsdienstzeit.
Das Urteil des Landessozialgerichts ist daher im Ergebnis richtig, soweit es die Kriegsdienstzeit des Klägers vom 1. August 1941 bis 19. Oktober 1945 betrifft; insoweit ist die Revision der Beklagten unbegründet und zurückzuweisen. Soweit das Landessozialgericht die Beklagte verurteilt hat, auch die Kriegsdienstzeit des Klägers vom 3. August 1914 bis 20. Dezember 1918 und vom 14. Januar 1940 bis 31. Juli 1941 rentensteigernd zu berücksichtigen, ist seine Entscheidung fehlerhaft; die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen